Aus der Wörtersammlung: stop

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nachtzeppelin

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whis­key : 5.25 — Selt­sa­me Luft­er­schei­nung heu­te Nacht. Warm war’s bis 1 Uhr, dann plötz­lich kühl bis 2, dann wie­der warm. Arbei­te­te bei geöff­ne­ten Fens­tern, hör­te Duke Elling­ton, über­leg­te einen Brief an Dai­sy Hil­ton. Viel­leicht ist ein küh­les Objekt laut­los über die Stadt geflo­gen, ein Nacht­zep­pe­lin, oder ein Schwarm sehr kal­ter Fal­ter­tie­re, voll­kom­men unbe­kann­te Wesen, oder aber alle Eis­spin­nen der Stadt, so wie sie im Gehei­men in jedem Kühl­schrank exis­tie­ren, haben ihre Boxen ver­las­sen und sich zum Plau­dern drau­ßen vor den Fens­tern getrof­fen. Wer könn­te schon sagen, was genau gesche­hen ist in die­ser Stun­de mit ihrer selt­sa­men Luft? Haben doch fast alle Men­schen geschla­fen. — Es ist 7 Uhr mor­gens. Ich leg mich jetzt nie­der. Gute Nacht. — stop

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tonbandstimmen

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echo : 5.15 — Vier Abend­stun­den mit Ton­band­ma­schi­ne im Pal­men­gar­ten gear­bei­tet. Folg­te Stim­men jun­ger Men­schen, die von einer Zeit erzäh­len, die sie im ana­to­mi­schen Prä­pa­rier­saal ver­brach­ten. Manch­mal spu­le ich das Ton­band zurück, notie­re mit der Schreib­ma­schi­ne Wort für Wort, um sie in einen grö­ße­ren Text­kör­per zu trans­por­tie­ren. Da ist Mel, zum Bei­spiel, ihre hell­sich­ti­gen Gedan­ken zur Lun­ge. Als ich an den Tisch kom­me, um ihr mei­ne Fra­gen zu über­rei­chen, legt sie gera­de Bron­chi­en frei. Sie sagt, ich sol­le doch rasch füh­len, wie weich das Gewe­be der Lun­ge sei und wie erstaun­lich leicht. Wäh­rend sie eine hal­be Stun­de zu mir spricht, ver­knüpft sie kunst­voll einen Hand­schuh mit einem wei­te­ren Hand­schuh, ohne den Blick auch nur ein­mal von mei­nem Mikro­fon zu heben. Etwas spä­ter wird sie sagen, dass ihr mein Mikro­fon wie ein klei­nes flie­gen­des Ohr vor­ge­kom­men sei. – Libel­len. — In der Däm­me­rung noch Unschär­fen der Luft. — stop

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libellen

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sier­ra : 3.22 — Heut Nacht sitz ich im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­lee­ren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern, das soll­ten Sie wis­sen, gegen den Mit­tag zu erwach­te, balan­cier­te eine Libel­le eben, mari­ne­blau, auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te, schau­te mir beim Auf­wa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­be­nen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend heiß, die küh­ler gewor­den sein moch­ten, wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich kurz vor Mit­ter­nacht einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit drei Stun­den und höre selt­sa­me Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

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schreibtischkäfer

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echo : 1.52 — Seit einer Stun­de genau wohnt ein Käfer auf mei­nem Schreib­tisch. Der Käfer ist so klein, dass ich ihn zunächst nicht sehen konn­te, aber ich konn­te ihn rie­chen, er roch nach hei­ßem Zinn, was doch sehr selt­sam war, weil der Käfer, als ich ihn nach län­ge­rer Suche end­lich gefun­den hat­te, kühl, wenn nicht kalt in mei­ner Hand auf dem Rücken lag. Ich war zunächst in die Küche gewan­dert, um nach mei­nem Bügel­eisen zu sehen, dann öff­ne­te ich die Woh­nungs­tür, inspi­zier­te mei­nen Kühl­schrank, prüf­te den Zustand mei­ner Nase, und kehr­te an den Schreib­tisch zurück. Jetzt hat­te sich der Käfer durch Bewe­gung ver­däch­tig gemacht. Da war nun also ein Käfer sicht­bar gewor­den unter einer Lupe, und die­ser Käfer, der nach hei­ßem Zinn roch, bit­ter, und süß nach Maschi­nen­öl, trug anstatt eines Pan­zers Men­schen­haut. Als ich ihn mit einem Fin­ger vom Tisch in mei­ne Hand­flä­che schob, öff­ne­te er sei­ne Flü­gel und kämpf­te, um Luft unter sei­ne Trag­flä­chen zu bekom­men. Alle Mühe war ver­geb­lich, der Käfer war zu schwer oder doch zu müde, von einer län­ge­ren Rei­se, weiß Gott woher. — Weit nach Mit­ter­nacht, schwü­le Luft, sit­ze vor dem Schreib­tisch, betrach­te den Käfer und der Käfer betrach­tet mich. Der Ein­druck, wir bei­de sind nicht sicher, ob wir nicht viel­leicht, der eine dem ande­ren, je ein Alb­traum sind. — stop

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panzerwesen

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del­ta : 5.05 — Selt­sa­me Pan­zer­we­sen, die heu­te Nacht über mei­nen Schreib­tisch tau­meln. Sind wie besof­fen. Sind, wäh­rend ich in Jürg Feder­spiels Typho­id Mary las, weiß Gott woher auf­ge­taucht, man­che paar­wei­se an ihren Hin­ter­tei­len ver­lö­tet. Schwarz sind sie, tin­ten­schwarz, und rie­chen streng nach Mus­kat und die­sen Din­gen. In nächs­ter Nähe, zur sel­ben Zeit, zwei klei­ne Flie­gen, eine gelb, die ande­re grau und schwarz. Ent­we­der auch hier etwas Lie­be oder aber die dunk­le Flie­ge saugt der hel­len Flie­ge das Leben aus dem Hals. — 4 Uhr 25. Däm­me­rung. Minu­ten­wei­se ver­län­gert sich die Nacht. — stop

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eisenbahn

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nord­pol : 15.02 — Als ich ges­tern Nach­mit­tag mit einer Such­ma­schi­ne in Sam­mel­ord­nern des Jah­res 2003 nach Notiz­tex­ten forsch­te, die ich in den Tagen des Irak­krie­ges notiert haben könn­te, ent­deck­te ich eine Pas­sa­ge, die von einem Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzählt. Ich konn­te das Loch damals von mei­ner Posi­ti­on aus als Beob­ach­ter auf dem Sofa vor dem Fern­seh­bild­schirm gut erken­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te, die­ses Loch nun plötz­lich zu betrach­ten, obwohl ich vie­le Jah­re die Ver­let­zung des Tep­pichs, eine Schar­te von der Brei­te einer Hand, nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ich glau­be, ich hat­te die Geschich­te, die davon erzählt, wie das Loch in den Tep­pich gekom­men war, ganz ein­fach ver­ges­sen. Aber dann war sie plötz­lich gegen­wär­tig, weil ein ame­ri­ka­ni­scher Pan­zer wäh­rend einer Live­auf­nah­me in Bag­dad ein Hotel beschos­sen hat­te, in dem sich Jour­na­lis­ten befan­den. Die Gra­na­te des Pan­zers traf einen Bal­kon und auf die­sem Bal­kon einen Kame­ra­mann, des­sen Kör­per, der noch hef­tig blu­te­te, mit dem Auf­zug ins Foy­er gefah­ren wur­de. Eine Stim­me auf dem Bild­schirm kom­men­tier­te das Gesche­hen mit dem Satz, der Jour­na­list habe sich im fal­schen Moment am fal­schen Ort befun­den. Und da war nun jene Geschich­te von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de wie­der in mein Bewusst­sein zurück­ge­kehrt, die Geschich­te, die vom Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzähl­te. Ich saß auf dem Sofa und notier­te, dass ich mich wun­de­re, und ich betrach­te­te den Tep­pich und das Loch, das von dem Split­ter einer bri­ti­schen Gra­na­te im Jahr 1942 in das Gewe­be geris­sen wor­den war, und für einen Augen­blick sah ich mei­nen Vater, ein Kind, wie er auf die­sem Tep­pich, der sein Tep­pich gewe­sen war, spiel­te, viel­leicht mit einer Eisen­bahn aus Bunt­me­tall, die er gera­de noch recht­zei­tig auf­ge­ho­ben haben könn­te und mit­ge­nom­men in den Luft­schutz­kel­ler. — stop

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herzgeräusch

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echo : 2.08 — Gespräch über Geräu­sche, die mensch­li­che Her­zen erzeu­gen. Wun­de­re mich, sag­te ich, dass ich Dei­nes nicht höre. Wun­de­re mich über die Stil­le, die in Kon­zert­sä­len für Minu­ten herr­schen kann. Fünf­tau­send schla­gen­de Her­zen und doch die­se Stil­le. — stop

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taucher

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hima­la­ya : 0.12 — Men­schen, die tele­fo­nie­rend in U‑Bahnen sit­zen, machen Geräu­sche, als funk­ten sie aus einer ande­ren Zeit her­über, als wären sie Kon­ser­ve, als wür­de eine uralte Schall­plat­te abge­spielt, als wür­den sie in einem U‑Boot lang­sam sin­ken, krei­schen­de, knis­tern­de, kra­chen­de Töne aus ton­nen­schwe­rer Tie­fe, aus dem Infer­no spie­len­der Kra­ken Stim­men, die Frag­men­te flüs­tern, sodass man nur noch ver­damm­te letz­te Din­ge ant­wor­ten kann. Dann aber Stil­le. Ein wei­te­res Ende. Man steht her­um, man weiß nichts zu tun, man öff­net die Tür, Salz stürzt die Trep­pe her­auf, und Luft, eine Wel­le feuch­ter Luft, vom Was­ser gehetzt, das bereits um die Ecke don­nert. Kaum hat man einen Gedan­ken gefasst, ist alles geflu­tet, der Flur, das Bad, die Lun­ge. Jetzt trei­ben sie her­ein, schwe­ben in der Küche her­um, machen Zei­chen und Sät­ze, berich­ten von klei­nen Schreib­tisch­krie­gen, Kom­man­dan­ten der Tage. — stop

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schreibmaschine

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echo : 0.03 — Ein Mann. Der Mann sitzt auf einer Stra­ßen­kreu­zung vor einer schwe­ren Schreib­ma­schi­ne. Lang­sam, Zei­chen für Zei­chen, notiert er einen Text, in dem er für jeden Buch­sta­ben, den zu schrei­ben er sich vor­ge­nom­men hat, weit aus­holt und sei­ne Hand mit Kraft auf die Tas­ta­tur nie­der­sau­sen lässt. Als ich näher kom­me, ent­de­cke ich, dass der Mann eine Erzäh­lung Her­man Mel­vil­les notiert. WAS! ruft der Mann, Sie haben von die­sem Buch noch nie gehört! Na, dann kom­men sie wie­der in zwei Tagen und acht Minu­ten, dann wird alles fer­tig sein und sie kön­nen das Buch mit­neh­men und lesen und wei­ter­schrei­ben, sobald sie wach gewor­den sind. — stop

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