india : 10.02 — Da war ein Buch vor langer Zeit, ein Buch, das Thomas Alva Edisons Leben erzählte. In diesem Buch, ich seh das noch genau vor mir, wurde das elektrische Licht erfunden. Zunächst machte man einen gläsernen Behälter, der glühte und flüssig war und heiß, denn die Männer, die an ihm arbeiteten, trugen kräftige Handschuhe, auch ihre Gesichter waren mit Tüchern verbunden. Man konnte das Glas, so flüssig war es unter dem Feuer geworden, wie heiße Schokolade von einer Tasse in eine andere gießen. Ich habe diese Zeichnung als Junge stundenlang betrachtet und erzählt, was dort für mich zu sehen war. Seither ist alles Licht, vor allem dann, wenn es warm, goldfarben, ja, wenn es sichtbar ist, flüssig und von Schokolade.
Aus der Wörtersammlung: tasse
ein bauch voll licht
alpha : 0.01 — Kurz nach Mitternacht, also Nachmittag. Ich habe gerade eine Tasse heißer Schokolade getrunken, und wie immer, wenn ich Schokolade getrunken habe, meine ich, vom Licht uralter Glühbirnen genascht zu haben. Jetzt stehe ich mit einem warmen Bauch voll Licht vor einem Fenster, hinter dem polare Kälte knistert. Ja, eine angenehme Nacht ist angebrochen. Ich könnte gleich eine Reise beginnen. Ich stelle mir eine Lesezeit wie eine Reisezeit vor? Ich setze mich auf mein Sofa, öffne ein Buch gesammelter Geschichten, sagen wir, gesammelter Geschichten aus aller Welt, und lese. Ich lese fünf Stunden, ohne einzuschlafen, weil die Geschichten, die ich lese, gute Geschichten sind. Dann trinke ich Kaffee und laufe ein wenig in der Wohnung herum. Dann schlafe ich. Dann lese ich weiter. Dann schlafe ich wieder. Habe ich ausreichend Wasser, Enten, Brot für eine Woche? — stop
libellencafe
tango : 8.08 — Ein Notizbuch, ein besonders Notizbuch, eines, das meine Gedanken verzeichnen würde, sobald ich spazieren gehe. Handlich müsste es sein und leicht und geräuschlos schreiben. Vielleicht wäre es möglich, diese kleine Gedankenschreibmaschine, so zu programmieren, dass sie jene Gedanken, die neue Gedanken sind, zu unterscheiden vermag von allen weiteren Gedanken, von Gedanken, die sich wieder und wieder denken wollen, von kreisenden Gedanken, von Karussellgedanken. – Während ich gestern Abend vor der Kasse eines Supermarktes wartete, hatte ich die Idee, dass man eines Tages einmal ein Haus erfinden müsste, ein Kaffeehaus, in dem unter den Gästen Libellen schwirren, prächtigste Flugwesen, die an Wänden und auf Tischen sitzen, auf den Tassen, den Gläsern, den Zeitungen, den Gästen selbst. Ja, das wäre eine feine Sache, ein aufregender Ort, eine angenehme Fantasie, die von der Gedankenschreibmaschine, die ich mir wünsche, sehr sicher und sofort notiert worden wäre. Man würde zum Frühstück zur Fütterung der Libellentiere dort vielleicht Fliegenschälchen reichen. Ja, das ist sehr gut denkbar, Fliegenschälchen großer Fliegen für große Libellen, und Fliegenschälchen kleiner Fliegen für kleine Libellen. Wie würde die Atmosphäre dieses Ortes wohl auf der Zunge schmecken? Und was wäre noch zu hören vom Gespräch der Gäste?
gedankengeschichte
romeo : 16.25 — Mit einer jungen Ärztin im Gespräch über Menschen, die sich aus modischen Gründen von kleineren Teilen ihrer Wangen trennen, um sie durch edelste Hölzer zu ersetzen, je nach Teint, stellte ich mir vor, hellere oder etwas dunklere Materialien, die man polieren kann, die glühen wie die Substanzen feiner Pfeifenköpfe. Ich erzählte diese Gedankengeschichte bei einer Tasse Schokolade, rückte mit meiner Fantasie langsam vorwärts, weil ich erwartete, sie würde vielleicht aufspringen und sich entfernen wollen. Stattdessen stellte sie die Frage, ob man die Materialien des Waldes, über die ich nachgedacht hatte, als Schmuckware betrachten sollte, die im Fleisch des Körpers schwimmen würde, oder eher um Bojenkörper, welche mit einem der Gesichtsknochen verbunden sein müssten. Sie machte eine kleine Pause und noch ehe ich antworten konnte, stellte sie nüchtern fest: Die Ränder der Natürlichkeit sind ein Problem. stop. Kurz nach vier Uhr und fast schon dunkel. Seit einer Stunde Regen. Er kommt in einer Weise vom Himmel gefallen, dass ich ihn wieder hören kann. — stop
lichtwellensegel
romeo : In der vergangenen Nacht war ich begeistert in Chicago auf dem Bildschirm. Ich hatte deshalb keine Zeit, einen Text zu schreiben oder über einen Text nachzudenken. Will nun stattdessen ein kleines Stück zitieren, das ich im Oktober des vergangenen Jahres bereits notierte, als ich sehr glücklich gewesen war. Folgendes: Man stelle sich einmal ein Zimmer vor, ein freundliches, helles Zimmer von allerfeinster Quallenhaut, von Wasser, von Salz, von Licht. Man könnte dieses Zimmer, und alles, was sich im Zimmer befindet, das Quallenbett, die Quallenuhr, und all die Quallenbücher und auch die Schreibmaschinen von Quallenhaut, trocknen und falten und sich 10 Gramm schwer in die Hosentasche stecken. Und dann geht man mit dem Zimmer durch die Stadt spazieren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaffeehaus und wartet. Man sitzt also ganz still und zufrieden unter einer Ventilatormaschine an einem Tisch, trinkt einen Becher Kakao und lächelt und ist geduldig und sehr zufrieden, weil niemand weiß, dass man ein Zimmer in der Hosentasche mit sich führt, ein Zimmer, das man jederzeit auspacken und mit etwas Wasser, Salz und Licht, zur schönsten Entfaltung bringen könnte. – Null Uhr acht: Haben wir noch alle Tassen im Schrank? — stop
papiertierchen
nordpol : 9.15 — Man stelle sich einmal vor, Papiertierchen existierten in unserer Welt. Nicht etwa Tierchen, die aus Papier gemacht sind oder vergleichbarer Ware, sondern tatsächliche Lebewesen, die so ausgedacht sind, dass sie sich zu Formen versammeln, die einer Papierseite ähnlich sind. Weil diese Lebewesen, wie ich sie mir gerade male, sehr klein sein sollten, sagen wir in der Fläche so groß wie die Spitze einer Nadel, würde ein Maschinenbogen von nicht weniger als zwei Millionen Individuen nachgebildet sein. Jedes Papiertierchen, sichtbar ganz für sich nur im Licht eines sehr guten Mikroskops, ist nun von dem Wunsch beseelt, sich mit jeweils vier weiteren Tierchen, die es schon immer kennt, mittels feinster Tentakeln zu verbinden oder zu befreunden, und zwar nur mit diesen, sodass man von eindeutiger Ordnung sprechen könnte, nicht von einer beliebigen Anordnung. Ja, jedes der kleinen Wesen für sich spricht von einem ureigenen Ort, den es niemals vergisst. Sobald alles schön zu einer Seite geordnet ist, werden mit Licht, mit einem Lichtstift genauer, Zeichen gesetzt auf das lebende Papier, indem man leichter Hand wie mit einem Füller schreibt. Wird ein schneeweißes Tierchen berührt vom notierenden Licht, nimmt es sogleich die schwarze Farbe an und verbleibt von diesem Schwarz, bis es von weiterem Licht berührt werden könnte, einem Licht natürlich, das sehr stark sein muss, weil doch der Tag oder jede Lampe das Zeichen der Nacht sofort über die Landschaft der filigranen Körper schreiben würde. Ich hatte, während ich diesem Gedanken noch auf einer gewöhnlichen Computerschreibmaschine folgte, die Idee, dass sie vielleicht alle sehr schreckhaft sind, also zunächst unvollkommen oder wild, dass sie, zum Beispiel, wenn ein Feuerwehrauto in ihrer Nähe vorüber kommen sollte, sofort auseinander fliegen in Panik, sich verstecken, um jedes für sich oder in größeren Gruppen an den Wänden meiner Zimmer zu sitzen. Vielleicht lungern sie auch auf Kaffeetassen herum oder in den Haarblättern eines Elefantenfußbaumes, ja, das ist sehr gut denkbar. Ich werde dann warten, ruhig und gelassen warten, bis sie sich wieder beruhigt haben werden und zurückkommen, sagen wir nach einer Stunde oder zwei. Dann weiter schreiben oder lesen oder denken. Und jetzt hab ich einen Knoten im Kopf. — stop
vögel
echo : 6.05 — Eine Frau, sehr alt, sitzt in einem verwüsteten Zimmer auf dem Boden. Ihr Gesicht ist verletzt, das linke Auge erblindet, eine tiefblaue, geschwollene Wunde. Dann ist eine Straße zu sehen. Automobile fahren im Schritttempo schwer bepackt nach Norden oder Süden. Ein Hubschrauber der russischen Armee jagt über diese Straße hin, als würde ein Kinofilm gedreht. Ich schalte das Fernsehgerät aus, schließe die Wohnungstür und trete vor das Haus. Vögel pfeifen, immer pfeifen im Sommer Vögel, wenn ich auf die Straße trete, auch gestern, als wollten sie mir etwas sagen. Vielleicht wollten sie sagen, dreh Dich um, setz Dich an Deine Schreibmaschine, denk nach, versuche herauszufinden im Sucher Deines Seamonkeybrowsers, was dort geschieht vor den kaukasischen Bergen. Gestern, nachmittags, habe ich mich also doch auf den Weg gemacht, um in einem Warenhaus ein weißes Hemd zu kaufen. Zwei Stunden später saß ich im Café vor einer Tasse Schokolade und notierte, warum ich wegen ausgedehnter Beobachtungstätigkeit in dem Versuch scheiterte, ein weißes Herrenhemd zu kaufen. — stop
andrej tarkowskij
5.26 — Gestern Abend einen langen Spaziergang durch eisige Luft unternommen. Gegen 1 Uhr im indischen Café eine Tasse Schokolade, dann nach Hause aufs Sofa unter Andrej Tarkowskijs versiegelte Zeit. Das war natürlich ein Fehler gewesen. Sofort eingeschlafen. Gegen halb 3 werd ich wach. Kentaur Billy zupft am Kragen meines Hemdes: Haben Sie, verdammt, endlich die Farbe meiner Augen entschieden? — Eine wunderbare späte Nacht mit Billy vor der Computermaschine. Ich sitze auf einem Stuhl, Billy auf seinen Hinterläufen. Lese dem kleinen Kentaur aus meinen Entwürfen vor. Gelb, sage ich, ein dunkles, goldenes Gelb, und Billy sieht mich an und schweigt, sitzt schweigend zwei weitere Stunden an meiner Seite, aber dann werde ich müde und sage: Ok, Billy! Blau, und Billy lässt etwas Luft aus seinem schönen Mund entweichen, erhebt sich und springt mit einem Satz ins Nachtsofazimmer, und schon ist er weg. – Kurz nach 5 Uhr. Während ich in die Küche gehe, leichter Seegang. Denkbar, dass ich etwas Fieber bekommen habe. — stop
medusenzimmer
4.37 — Man stelle sich einmal ein Zimmer vor, ein freundliches, helles Zimmer von allerfeinster Quallenhaut, ein Zimmer von Wasser, ein Zimmer von Salz, ein Zimmer von Licht. Man könnte dieses Zimmer und alles, was sich im Zimmer befindet, das Quallenbett, die Quallenuhr, und all die Quallenbücher und auch die Schreibmaschinen von Quallenhaut, trocknen und falten und sich 10 Gramm schwer in die Hosentasche stecken. Und dann geht man mit dem Zimmer durch die Stadt spazieren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaffeehaus und wartet. Man sitzt also ganz still und zufrieden unter einer Ventilatormaschine an einem Tisch, trinkt eine Tasse Kakao und lächelt und ist geduldig und sehr zufrieden, weil niemand weiß, dass man ein Zimmer in der Hosentasche mit sich führt, ein Zimmer, das man jederzeit auspacken und mit etwas Wasser, Salz und Licht, zur schönsten Entfaltung bringen könnte. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tassen im Schrank? — stop