Aus der Wörtersammlung: welt

///

animals

14

hibis­kus

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : ANIMALS

Ges­tern, stel­len Sie sich vor, habe ich die ers­te Foto­gra­fie eines Papier­tier­chens ent­ge­gen­ge­nom­men. Sie zeigt das klei­ne Wesen, wie es sich durch die Luft eines abge­dun­kel­ten Labors bewegt. Bin vol­ler Freu­de, habe den hal­ben Tag her­um­ge­tanzt, soll­te lang­sam zur Ruhe kom­men. Eine Kopie der Auf­nah­me ist für Sie bei­gefügt. Sieht das nicht kraft­voll aus, eine Per­sön­lich­keit, ein Wun­der! Ich kom­me mei­nen Träu­men nun end­lich näher, mei­nen Wün­schen, mei­nen Geschich­ten in der Wirk­lich­keit. Neh­men wir ein­mal an, lie­ber rei­sen­der Freund, ein Bogen leben­den Papiers in der Grö­ße 15 x 30 Zen­ti­me­ter wür­de aus 750000 Tie­ren bestehen, ja, und neh­men wir ein­mal an, die­ses Papier wür­de schon jetzt in unse­rer Welt exis­tie­ren, dann wür­den vor uns auf einem Schreib­tisch 750000 klei­ne Her­zen schla­gen. Da muss doch irgend­ein Geräusch wahr­zu­neh­men sein, so vie­le Her­zen in nächs­ter Nähe auf engs­tem Raum. Auch einen Hauch von Luft wird man wohl spü­ren, eine Strö­mung, weil sie alle durch­ein­an­der atmen. — Ahoi! Ihr Louis

gesen­det am
06.02.2010
23.55 MEZ
1088 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

///

rüsselhupe

2

echo : 12.03 — Sagen wir das so: Tief­see­ele­fan­ten, sobald sie gebo­ren wer­den auf hoher See in gro­ßer Tie­fe, blei­ben ihren Müt­tern lan­ge Zeit ver­bun­den. Solan­ge Zeit genau wan­dern sie in nächs­ter Nähe, bis ihre Rüs­sel aus­rei­chend gewach­sen sind, um zur Ober­flä­che des Mee­res gelan­gen zu kön­nen. Wie sie sich küs­sen von Zeit zu Zeit in ewi­ger Dun­kel­heit, wie eine Mut­ter ihrem klei­nen Ele­fan­ten Luft ein­haucht, wie das tau­meln­de Wesen im Moment der Über­ga­be lust­voll sei­ne blin­den Augen schließt, eine Ahnung vom berau­schen­den Duft der Welt weit über ihm, von sal­zi­gen Schäu­men, von Motor­ölen, Tang und wei­te­ren ange­neh­men Sub­stan­zen, die ihm bald unmit­tel­bar begeg­nen wer­den. Manch­mal, eher sel­ten, stei­gen sie, Minia­tu­ren einer spä­te­ren Zeit, lang­sam auf­wärts. Sie haben dann aus dem Mun­de ihrer Mut­ter einen Bal­lon süßer Luft ent­ge­gen­ge­nom­men, der zu groß gewor­den sein könn­te von Sor­ge und Lie­be. Zwei oder drei Tage sind sie nun schwe­bend unter­wegs, bis die Ober­flä­che des Was­sers erreicht sein wird. Das fei­ne Geräusch ihrer ers­ten Rüs­sel­hu­pe, mit der sie die lich­te Welt begrü­ßen. – Sonn­tag. Leich­ter Schnee­fall. Viel Jazz im Kopf. — stop

///

papiere

2

tan­go : 0.05 — Ges­tern Abend, kurz vor sechs Uhr war es gewe­sen, bin ich einem selt­sa­men Mann begeg­net, und zwar in einer U‑Bahn Down­town. Aber das spielt für die klei­ne Geschich­te, die ich rasch erzäh­len möch­te, nicht wirk­lich eine Rol­le, ich mei­ne, zu wel­cher Zeit wir in wel­che Rich­tung gemein­sam fuh­ren. Bedeu­tend war viel­mehr gewe­sen, dass ich es nicht eilig hat­te, genau genom­men hat­te ich so viel Zeit zur Ver­fü­gung wie seit Wochen nicht, wes­halb ich den Geräu­schen mei­nes Her­zens lausch­te und dem Rascheln der Zei­tungs­pa­pie­re, die zu jenem selt­sa­men Mann gehör­ten. Er saß gleich vis-à-vis, die Bei­ne über­ein­an­der geschla­gen. Ich hat­te den Ein­druck, dass er sich freu­te, weil ich stau­nend beob­ach­te­te, wie er Zei­tun­gen durch­such­te, die sich auf dem Sitz­platz neben ihm türm­ten, und zwar in einer sehr sorg­fäl­ti­gen Art und Wei­se durch­such­te, jede der Zei­tun­gen Sei­te für Sei­te. Er schien Übung zu haben in die­ser Arbeit, sei­ne Augen beweg­ten sich schnell und ruck­ar­tig, wie die Augen eines Habichts. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, sein Kopf neig­te sich dann leicht nach vorn, um, mit einer Sche­re, einen Arti­kel oder eine Foto­gra­fie her­aus­zu­schnei­den. — Das Rascheln des Papiers. — Das hel­le, zie­hen­de Geräusch der Sche­re. — In dem ich den Mann beob­ach­te­te, erin­ner­te ich mich, dass ich selbst ein­mal Mona­te damit zuge­bracht hat­te, den Unge­rech­tig­kei­ten die­ser Welt mit einem Archiv von Bewei­sen zu begeg­nen, deren eigent­li­che Sub­stanz jen­seits der Titel­zei­le ich spä­ter nie gele­sen habe, weil es zu vie­le gewe­sen waren. — Mon­tag ist gewor­den und die Famen und Cro­nopi­en sin­gen trau­ri­ge Lie­der durch die Nacht.

ping

///

update

ping
ping
ping
ping

romeo : 0.05 — Vor weni­gen Minu­ten hat­te ich das Licht über mei­nem Schreib­tisch aus­ge­schal­tet und etwas Lebens­zeit in Dun­kel­heit ver­bracht. Ich will Ihnen rasch erzäh­len, war­um ich so gehan­delt habe. Ich war näm­lich spa­zie­ren gewe­sen stadt­wärts unter Men­schen in Waren­häu­sern und auf einem Weih­nachts­markt, weil ich nach­se­hen woll­te, ob sich in die­ser Welt, die wir bewoh­nen, etwas geän­dert haben könn­te, da doch vor weni­gen Stun­den durch Unter­las­sung ent­schie­den wor­den ist, dass Ban­gla­desch, dass das Gan­ges­del­ta in den Golf von Ben­ga­len sin­ken wird. Ich dach­te, das eine oder das ande­re soll­te doch spür­bar, sicht­bar, fühl­bar wer­den, ein wenig Unru­he, ein lei­ses Klap­pern der Zäh­ne viel­leicht. Aber nein, alles Bes­tens, alles im Lot. Und als ich wie­der an mei­nem Schreib­tisch saß, war da plötz­lich ein star­ker Ein­druck von Unwirk­lich­keit, das alles und ich selbst könn­te rei­ne Erfin­dung sein. Ich lösch­te das Licht über dem Schreib­tisch und war­te­te. Und wäh­rend ich so war­te­te, lausch­te ich den Stim­men der Tief­see­ele­fan­ten, einem Orches­ter zar­tes­ter Rüs­sel­blu­men, wie sie auf hoher See den Him­mel lock­ten. Und als ich das Licht wie­der ein­ge­schal­tet hat­te, saß ich dann noch immer vor dem Schreib­tisch, die Hän­de gefal­tet. — Schnee fällt. stop. Lang­sam. stop. Lei­se. stop. – Fro­he Weih­nach­ten und ein gutes, ein nach­denk­li­ches, ein glück­li­ches Jahr 2010! — stop

///

zarte lügen

14

alpha

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : ZARTE LÜGEN

Mein lie­ber Jona­than, ges­tern, stel­len Sie sich vor, habe ich von Ihrem Mut erzählt, von Ihrer Begeis­te­rung, unse­re Welt, die Welt der Luft­men­schen zu erkun­den, eine Welt, die Sie so vie­le Jah­re in einer Was­ser­woh­nung lebend, nicht berüh­ren konn­ten. Man frag­te mich, wo genau Sie sich gera­de auf­hal­ten mögen und da muss­te ich zuge­ben, dass ich das nicht wüss­te. Auch woll­te man hören, wie Ihre fri­schen, jun­gen Lun­gen sich ver­hal­ten, wo genau an Ihrem Kör­per sie ange­bracht wor­den sind und wie sie funk­tio­nie­ren. Natür­lich habe ich kei­ne Aus­kunft erteilt, will Sie zunächst ersu­chen, mir zu sagen, ob ich berich­ten darf, weil ihr Atem­ver­mö­gen doch eine beson­de­re und des­halb auch pri­va­te Ange­le­gen­heit sein könn­te. Viel­leicht sind Sie so freund­lich, bei Gele­gen­heit sich mir in die­ser Sache zu erklä­ren. Ihren Eltern im Übri­gen geht es gut. Natür­lich machen sie sich erns­te Gedan­ken, weil Sie, mein lie­ber Kek­ko­la, nichts von sich hören las­sen. Ihre Mut­ter blass wie Krei­de, und Ihr Vater, ihr Vater um vie­le Jah­re älter gewor­den. Bald wer­de ich mei­nem Wunsch nach­ge­ben und Brie­fe erfin­den, zar­te Lügen, beru­hi­gen­de Nach­rich­ten aus den Wäl­dern, man will stolz sein, man will wis­sen, was sie so tun auf Ihrem Weg dem Süden zu und ob sie noch unter den Leben­den wei­len. Bleibt mir zu sagen, dass ihre Eltern wie­der Nah­rung zu sich neh­men. Ich ver­mu­te, sie glau­ben mir in die­sen Tagen end­lich, dass ihre Woh­nung nach Jahr­zehn­ten undicht gewor­den sein könn­te. Wir machen Fort­schrit­te. – Ihr Lou­is, ers­ten Schnee erwartend.

gesen­det am
02.12.2009
22.32 MEZ
1605 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »


ping

///

01001010

9

echo : 0.02 — Eine Foto­gra­fie, die ich lan­ge Zeit ver­geb­lich wie­der­zu­fin­den such­te, zeigt die Raum­sta­ti­on MIR in gro­ßer Höhe über der Erde schwe­bend. Ich kann mich noch gut an das far­bi­ge Bild erin­nern, viel­leicht des­halb, weil ich mich die Auf­nah­me tage­lang berühr­te. Ein Bull­au­ge, dort das Gesicht einer Frau, deren Namen ich ver­ges­sen habe, ein erns­tes Gesicht, Ahnung, Schat­ten, Züge einer rus­si­schen Kos­mo­nau­tin, die Mona­te allei­ne auf der MIR-Sta­ti­on leb­te. Sie beob­ach­tet die äußerst behut­sa­me Annä­he­rung eines Raum­schif­fes der NASA, in dem sich Men­schen befin­den, die mit­tels Funk ver­mut­lich bereits Kon­takt auf­ge­nom­men haben: Wir sehen Dich! — Da war das tie­fe Schwarz des Welt­alls im Hin­ter­grund, ein abso­lut töd­lich wir­ken­der Raum, der sich zwi­schen den bei­den Raum­kör­pern erstreck­te. Immer wie­der ein­mal in den ver­gan­ge­nen Jah­ren habe ich mich an das Gesicht der Kos­mo­nau­tin erin­nert, eine Iko­ne mensch­li­cher Ver­lo­ren­heit, und ins­ge­heim wei­ter gezeich­net. — stop
ping

///

napapiin

9

india : 6.22 — Schau­te gegen den Him­mel. Bemerk­te, dass sich die Dun­kel­heit wie eine Flüs­sig­keit ver­hielt. Vögel hüpf­ten in die­ser feuch­ten Licht­lo­sig­keit in Kas­ta­ni­en­bäu­men von Ast zu Ast, ein traum­ar­ti­ges Bild. Viel­leicht habe ich etwas gese­hen, das ich nur des­halb beob­ach­ten konn­te, weil ich ohne jeden Grund auf der Stra­ße stand, wie aus einem Ver­se­hen her­aus, ein Mann, der die fal­sche Tür genom­men hat­te. Jetzt, etwas spä­ter, ahne ich, dass ich dort vor dem Haus gelan­det war, weil ich ins­ge­heim wünsch­te, mit mei­nen Gedan­ken an den gewalt­sa­men Tod eines Tor­hü­ters, unter frei­em Him­mel zu ste­hen. Und wie ich so war­te­te, hör­te ich die Stim­me sei­ner muti­gen, jun­gen Frau in mei­nem Kopf, eine Stim­me, die ver­such­te, von all dem Wahn­sinn, dem Wahn­sinn des Ver­heim­li­chens zu spre­chen. Da war ein­mal ein Mensch gewe­sen, der nicht wei­ter­le­ben konn­te, der ster­ben muss­te, weil er sei­ne Ver­letz­lich­keit, sei­ne Schwä­che, sei­ne Mensch­lich­keit nicht zei­gen durf­te oder glaub­te, sie nicht zei­gen zu dür­fen. So könn­te das gewe­sen sein. Ein Mensch, der lan­ge Zeit über Was­ser has­te­te. So weit ist er gelau­fen, dass kein Land mehr zu sehen, kein Laut mehr zu hören gewe­sen war. — 2 Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Die Welt dreht sich, um einen Atem­zug lang­sa­mer gewor­den, wei­ter, immer wei­ter. Soeben wur­de amt­li­cher­seits die Öff­nung fol­gen­der Weih­nachts­post­äm­ter, nörd­li­che Hemi­sphä­re, bekannt gege­ben: Nord­pol-Grön­land San­ta Claus Nord­po­len, Jule­man­dens Post­kon­tor DK-3900 Nuuk / Finn­land Santa’s Main Post Office FIN-96930 Napa­pi­in / USA San­ta Claus India­na 47579.
ping

///

kakaduzwerge

9

gink­go : 6.55 – Ein schläf­ri­ger Mann sitzt in die­sen Minu­ten mit einer Schreib­ma­schi­ne auf dem höl­zer­nen Boden sei­nes Arbeits­zim­mers. Habe zuletzt zwei Stun­den in Chris­toph Rans­mayrs letz­ter Welt gele­sen, in einem Buch, das ich immer dann zur Hand neh­me, wenn mir die Spra­che müde zu wer­den scheint. Der Mai kam blau und stür­misch. Ein war­mer, nach Essig und Schnee­ro­sen duf­ten­der Wind fraß die letz­ten Eis­rin­den von den Tüm­peln, feg­te die Rauch­schwa­den aus den Gas­sen und trieb zer­ris­se­ne Gir­lan­den, Papier­blu­men und die öli­gen Fet­zen von Lam­pi­ons über den Strand. (Chris­toph Rans­mayr). Kaum hat­te ich das Wort Schnee­ro­se zu Ende gele­sen, stand ich auf und war­te­te erhitzt zwei oder drei Minu­ten vor mei­nem Aqua­ri­um. Dort woh­nen seit eini­gen Mona­ten Wäl­der und Fische, die mich im Zwie­licht schwe­bend, Stun­de um Stun­de beob­ach­ten. Ein­mal, gegen Zwei, ent­fal­te­te ich einen Stadt­plan New Yorks. Das mach­te sie wild. Dann wie­der Ruhe. Flos­sen­fä­den. Flug­dra­chen­schwän­ze. Und die­ser Mann, die­ser schläf­ri­ge Mann, der sich wie­der und wie­der nähert. Sei­ne Freu­de, dass ihn das Wort Schnee­ro­se, indem es dem Wort Essig folg­te, der­art begeis­ter­te, dass ihm warm wur­de, feu­rig und alle die­se Din­ge. Aber natür­lich, aber natür­lich erneut die Fra­ge, ob mei­ne Kaka­du­zwer­ge mich als einen der ihren, als einen Fisch betrach­ten. — Guten Morgen!
ping

///

existenz

14

oli­mam­bo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : EXISTENZ

Wie weit Sie wohl gekom­men sind, mein lie­ber Kek­ko­la? Sie soll­ten New Hamp­shire längst erreicht haben. Nach wie vor erseh­ne ich eine Nach­richt, obwohl ich mir unge­zähl­te Male vor­ge­nom­men habe, nie wie­der in einem Zustand von Erwar­tung zu leben. Und doch ist das jetzt so gekom­men, dass ich mich sor­ge, weil Sie kein Zei­chen, nicht das gerings­te Lebens­zei­chen über­mit­teln. Ein Satz, mein Freund, eine lee­re E‑Mail wür­de genü­gen, ich wäre zufrie­den, weil ich doch wüss­te, dass Sie in der Lage sind, zu lesen, was ich für Sie notie­re. Stel­len Sie sich vor, in der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mir über­legt, ob Sie nicht viel­leicht rei­ne Erfin­dung sind und Ihre Brie­fe an mich nur aus­ge­dacht. Mein lie­ber Kek­ko­la, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, neh­men Sie wahr, dass ich an Sie den­ke. Unlängst, das soll­ten Sie wis­sen, stell­te ich noch die Fra­ge, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Ihr Lou­is, hoffend.

gesen­det am
10.10.2009
22.38 MESZ
1138 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

ping



ping

ping