Aus der Wörtersammlung: arbeit

///

PRÄPARIERSAAL : heitere träume

2

india : 22.03 — Ges­tern kam der schö­ne Kopf einer Freun­din auf acht win­zi­gen Füßen über den Boden mei­nes Arbeits­zim­mers spa­ziert. Sie rezi­tier­te in rasen­der Geschwin­dig­keit einen Text Dju­na Bar­nes mit lach­gas­hel­ler Stim­me. Nichts ist noch selbst­ver­ständ­lich. Wes­halb träu­me ich nur sel­ten, und wenn, dann hei­te­re Geschich­ten vom Zer­glie­dern mensch­li­cher Kör­per? — Vor lan­ger Zeit bereits notiert. stop. In der Ant­wort noch kei­nen Schritt wei­ter­ge­kom­men. — stop
ping

///

PRÄPARIERSAAL : whiteout

9

nord­pol : 22.28 – An einem Mor­gen, da es hef­tig schnei­te, erzählt Sil­ja im Prä­pa­rier­saal von einer Erschei­nung, die bei ihr Zuhau­se, in Schwe­den auf dem Lan­de, zur all­täg­li­chen Erfah­rung wer­den kann. Wenn das Schnee­licht unter Wol­ken den Hori­zont ver­birgt, wenn der Ort, an dem man sich befin­det, gren­zen­los zu sein scheint: Das gro­ße Weiß. Auch im Prä­pa­rier­saal, hell beleuch­tet, habe sie immer wie­der beob­ach­tet, ihre eige­ne Posi­ti­on in Raum und Zeit für Momen­te zu ver­lie­ren: > Es ist so hell in die­sem Saal, dass ich manch­mal mei­ne Posi­ti­on in Raum und Zeit für Sekun­den zu ver­lie­ren schei­ne, Schnee­licht, ein Licht, das ich von Schwe­den her ken­ne, das gro­ße Weiß, das den Hori­zont ver­birgt. Ich prä­pa­rie­re an dem Kör­per einer Frau. Ich glau­be, sie ist mir ver­traut gewor­den. Wenn ich mor­gens zu ihr kom­me, habe ich den Ein­druck, sie bereits lan­ge Zeit zu ken­nen. Sie scheint sehr gedul­dig zu sein. Ich weiß nicht, ob Sie das ver­ste­hen. Manch­mal habe ich das Gefühl, dass die­se tote Frau auf uns war­tet. Ich hat­te in den ers­ten Tagen des Prä­pa­rier­kur­ses die Vor­stel­lung, sie wür­de uns zuhö­ren oder schla­fen und träu­men. Und wir bewe­gen uns also behut­sam, als wären wir sehr jun­ge Eltern, die ein uraltes Kind behü­ten. Ist das nicht selt­sam? Ich habe immer wie­der die Emp­fin­dung von Ruhe, von Stil­le, von Schlaf. Ich über­leg­te, was wäre, wenn wir den Kör­per die­ser alten Frau nicht unter­su­chen, nicht zer­le­gen wür­den, son­dern nur sehr sorg­fäl­tig pfle­gen. Wir wür­den dann vie­le Jah­re, Tag für Tag und Mor­gen für Mor­gen, in den Saal kom­men und sie umsor­gen, damit sie uns nicht zer­fällt. Wir wür­den sie vor dem Licht der Son­ne schüt­zen, vor Pil­zen, und wir wür­den sie befeuch­ten, wir wür­den sie davor bewah­ren, zu Staub zu wer­den. Irgend­wann wäre sie dann jün­ger als wir selbst, ich mei­ne, ihre Erschei­nung. Ich fin­de manch­mal sehr merk­wür­dig, dass ich so etwas den­ke. — stop
mikroskop

///

lampion

pic

marim­ba : 2.27 — Man könn­te viel­leicht sagen, dass es sich bei der Gat­tung der Lam­pion­kä­fer um Geschöp­fe han­delt, die bevor­zugt nach innen aus­ge­dacht wor­den sind, wes­halb man an ihrer äuße­ren Gestalt spar­sam zu wir­ken wünsch­te. Man mach­te ihnen Flü­gel, sehr klei­ne, kaum noch sicht­ba­re Flü­gel, die kur­ze Stre­cken des Luft­rei­sens gestat­ten, spar­te dage­gen an Bei­nen, ver­gaß Augen und Füh­ler, auch Ohren sind an ihrem voll­kom­men run­den Kör­per bis­lang nicht zu ent­de­cken gewe­sen. Nie­mand könn­te zu die­sem Zeit­punkt also ernst­haft behaup­ten, an wel­cher Stel­le nun genau der Kopf, also das Vorn des Käfer­we­sens zu fin­den sein könn­te. Meis­tens lie­gen sie dem­zu­fol­ge bewe­gungs­los auf dem Boden her­um, schla­fen viel­leicht oder träu­men. Man kann sie dann leicht über­se­hen, weil sie sehr klein sind und fast licht­los auf den ers­ten Blick. Uner­kannt haben sie in die­ser beschei­de­nen Wei­se bis vor Kur­zem in den Wäl­dern des Kar­wen­del­ge­bir­ges nahe der Baum­gren­ze gelebt, bis ein Stein­samm­ler ihr Geheim­nis unlängst ent­deck­te, in dem er sich mit einem sehr fei­nen Boh­rer ins Inne­re eines der Käfer­kör­per vor­ar­bei­te­te. Lan­ge Stun­den des War­tens, des Küh­lens, des Ban­gens, dann späh­te der jun­ge For­scher in eine voll­stän­dig unbe­kann­te Welt. Seit­her fehlt ihm jede Spra­che. Die Augen weit geöff­net, scheint er zu suchen, nach Sät­zen viel­leicht, nach Wör­tern, nach ange­mes­se­nen Geräu­schen der Bewun­de­rung, der Aner­ken­nung. — Was bleibt noch zu bemer­ken? — Sie sum­men wie die Bie­nen, sobald sie fliegen.

ping

///

new york januar 1938

pic

echo : 4.58 — 25 °C. End­lich wie­der so weit, dass Fal­ter durchs geöff­ne­te Fens­ter kom­men, Schat­ten an den Wän­den, klim­pern­de Kör­per unter Lam­pion­lam­pen­schir­men. Wie sie bald still sit­zen wer­den in der Dun­kel­heit des kom­men­den Tages. Groß­ar­ti­ge Stil­le, nur das Sum­men der Luft, alles schläft. An der Ent­de­ckung der Bass­kä­fer wei­ter­ge­ar­bei­tet, anstatt durch Schnee zu wan­dern, Schnee war nicht mög­lich, Flo­cken, die vom Janu­ar­sturm senk­recht gegen das Fens­ter eines Zim­mers peit­schen, in dem ich ges­tern auf­hör­te gegen 5 Uhr in der Früh. Eigent­lich hat­te ich vor, in die­ser Nacht mit Schnee­schu­hen an der Küs­te zu lau­fen, Ben­ny Good­man im Ohr. Wie zum Teu­fel könn­te es mög­lich wer­den, für ein paar Minu­ten nur, leib­haf­tig nach New York zurück in das Jahr 1938 zu gelan­gen, in ein Jahr, in dem ich selbst tat­säch­lich nicht ein­mal eine Idee gewe­sen war? — stop

///

nachtmeldung : georges perec

pic

echo : 3.14 — Im elek­tri­schen Welt­wa­ren­haus lie­gen in die­ser Minu­te der Nacht zwei Taschen­buch­aus­ga­ben des Romans Ein Mann der schläft von Geor­ges Perec zum Kauf bereit. Das eine Buch, im Wert von 309,38 Euro, lagert in Euro­pa, das ande­re Buch, im Wert von 309,39 Euro, in Nord­ame­ri­ka. Bei­de Bücher sind gebraucht, sol­len sich jedoch in einem außer­or­dent­lich guten Zustand befin­den. — 3 Uhr und fünf­zehn Minu­ten, Sams­tag. Der Him­mel wol­ken­los, kaum etwas zu hören. Die Erde könn­te unbe­wohnt sein. — stop

ping

///

froschgeschichte

pic

echo : 2.01 — Vor eini­gen Jah­ren ist mir etwas Lus­ti­ges pas­siert. Ich spa­zier­te und träum­te, indem ich arbei­te­te. So, in Gedan­ken, quer­te ich eine rot geschal­te­te Ampel­über­füh­rung und wur­de von einem Poli­zis­ten ange­hal­ten, der mir erklär­te, ich hät­te gera­de eine Ord­nungs­wid­rig­keit began­gen. Zu mei­ner Ver­tei­di­gung erläu­ter­te ich dem jun­gen Herrn, dass ich ohne Absicht über die Stra­ße gegan­gen sei, dass ich eigent­lich gar nicht über die Stra­ße gehen woll­te, und dass ich das rote Licht der Ampel nicht bemerkt haben wür­de. Ich erzähl­te eine klei­ne Geschich­te, an die ich kurz zuvor  noch gedacht hat­te, als ich ver­bo­te­ner­wei­se auf die Stra­ße getre­ten war. Die Geschich­te han­del­te von einem Frosch, der die mensch­li­che Spra­che spre­chen konn­te. Bald schlen­der­te ich über die Stra­ße zurück, um noch ein­mal von vorn zu begin­nen. Seit­her immer wie­der die Fra­ge, ob ich, sobald ich eine Geschich­te erzäh­le, um die­se erzähl­te Geschich­te leich­ter oder schwe­rer wer­de?  — stop

ping

///

eisfischer

9

echo : 3.28 — Ein Film, der von einer Rei­se nach Nord­ko­rea erzähl­te. Dort für Stun­den geblie­ben, in kurio­sen Geschich­ten wei­te­rer Fil­me, Geschich­ten, die von schnee­kal­ten Biblio­the­ken erzähl­ten, von hung­ri­gen Eis­fi­schern, von Men­schen, die ihre Rei­sen durchs Land zu Fuß unter­neh­men, nachts sol­len die Städ­te Nord­ko­re­as stock­dun­kel sein. Da waren, kurz nach Mit­ter­nacht mei­ner euro­päi­schen Zeit, drei Arbei­ter, die an einem Fluss­ufer sich mit Schau­feln in die Erde gru­ben. Gleich neben ihnen war­te­te eine Frau, die sich kaum beweg­te, sie bewach­te die gra­ben­den Män­ner mit ihren Augen, wie ande­re Augen­paa­re Schnee räu­men­de Men­schen­ko­lon­nen beauf­sich­tig­ten, die eine Auto­bahn, auf der kei­ne Autos fuh­ren, vom Tages­eis befrei­ten. In einer Woh­nung saß eine älte­re Frau von äußerst freund­li­cher Erschei­nung, die vom Gas­krieg erzähl­te, den die Ame­ri­ka­ner ins Land tra­gen könn­ten, und dass sie selbst dafür zustän­dig sei, sobald sie das Gas ent­de­cken wür­de, Mas­ken an ihre Nach­barn im Haus aus­zu­tei­len. Der gro­ße Füh­rer. Das Land der Mor­gen­stil­le. Dampf­lo­ko­mo­ti­ven wer­den mit Rei­fen­res­ten beheizt. Unter der Haupt­stadt Pjöng­jang fah­ren Züge der Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be. In einer Vitri­ne im Muse­um im Inne­ren eines Ber­ges, der Kopf eines Bären, den noch Ceau­ses­cu geschos­sen haben soll. — stop
ping

///

falterherzgeräusch

9

echo : 7.08 — Fünf Stun­den habe ich in der ver­gan­ge­nen Nacht ver­geb­lich nach einer Ton­auf­nah­me in der Elek­tro­sphä­re gesucht, die das Geräusch eines schla­gen­den Fal­ter­her­zens ent­hält. — stop

///

plutonium

9

marim­ba : 20.12 – Noch immer, seit 25 Jah­ren nicht, ver­mag ich mir ein Plu­to­ni­um­teil­chen und sei­ne Strah­lung vor­zu­stel­len. Wie wan­dert das Teil­chen durch die Welt? Was genau treibt sein gefähr­lich spre­chen­des Wesen an? Habe beob­ach­tet, dass Arbei­ter, die das umge­ben­de Gelän­de des Reak­tors von Tscher­no­byl für den Bau eines wei­te­ren Sar­ko­pha­ges vor­be­rei­ten, sich in Zeit­lu­pe bewe­gen, um mög­lichst gerin­ge Men­gen radio­ak­ti­ver Teil­chen vom Erd­bo­den in die Luft zu wir­beln. Wil­lent­li­che Ver­lang­sa­mung an einem Ort, der eigent­lich Flucht­be­we­gung, also Wunsch nach Beschleu­ni­gung erzeugt. — stop
ping

///

malta : carmelite church

9

del­ta : 22.07 – Als er mich über die Stra­ße kom­men sieht, erhebt sich der alte Mann von dem Stuhl vor der Tür sei­nes Hau­ses. Sofort, schon von Wei­tem, hat er mich wie­der­erkannt, viel­leicht an dem roten Pull­over, den ich über mei­nen Schul­tern tra­ge oder an mei­nem Gang. Jetzt folgt er mir gruß­los in die Kir­che an der Old Mint Street, deren Kup­pel­bau die Sil­hou­et­te der Stadt Val­let­ta weit­hin prägt. Ges­tern noch haben wir ein klei­nes Gespräch geführt vor dem Got­tes­haus, das dem alten Mann kost­bar zu sein scheint, ein Ort, den er zu schüt­zen ver­sucht, vor Per­so­nen wie mir bei­spiels­wei­se, die kom­men und gehen wie sie wol­len, ohne je ein­mal zu fra­gen, ob es statt­haft sei, an die­sem hei­li­gen Ort zu foto­gra­fie­ren. Jetzt will er mich prü­fen, will mein Ver­spre­chen genau­er, das ich gege­ben habe, prü­fen, ob ich es ein­hal­te, ob ich glaub­wür­dig sei. Und so sit­ze ich bald unweit des Altars, der alte Mann ein paar Rei­hen hin­ter mir, und über­le­ge, ob es mög­lich sein könn­te, in die­ser Kir­che ein Aqua­ri­um zu errich­ten, ein Glas­ge­häu­se von enor­mer Grö­ße, in dem Kie­men­men­schen schwe­ben und somit in der Lage sein wür­den, an hei­li­gen Fei­ern unter Lun­gen­men­schen teil­zu­ha­ben. Lan­ge Zeit sit­ze ich fast bewe­gungs­los, dann begin­ne ich eini­ge Sät­ze in mein Notiz­buch zu schrei­ben, fer­ti­ge eine Zeich­nung an, einen Grund­riss in etwa, der Kir­che und eini­ger Posi­tio­nen, da ein Aqua­ri­um zu errich­ten sinn­voll wäre. Und wie ich so lei­se vor mich hin arbei­te, kaum wage ich zu atmen, höre ich, wie der alte Mann hin­ter mir sich erhebt, er kommt an mir vor­über, bleibt eini­ge Minu­ten in mei­ner Nähe ste­hen, ver­beugt sich bald vor dem Altar und ver­lässt die Kir­che durch einen Sei­ten­ein­gang. — Sonn­tag. Ich habe heu­te Bäu­me ent­deckt, die mit ihren wei­chen Blät­tern selt­sa­me Nüs­se bebrü­ten. — stop

ping



ping

ping