Aus der Wörtersammlung: demzufolge

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spindel

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del­ta : 0.05 — Wie­der beob­ach­tet, dass ich mei­ne Ohren nicht bewe­gen kann, obwohl mir doch Ohren­mus­keln zur Ver­fü­gung ste­hen, gehei­me Spin­del­kör­per, sagen wir, sie tra­gen ernst­haf­te ana­to­mi­sche Namen, dem­zu­fol­ge ich ver­such­te, sie behut­sam mit­tels der Spra­che mei­ner Gedan­ken in die Pflicht zu neh­men. Bewegt Euch, sag­te ich, und noch ein­mal und wie­der und wie­der eini­ge Minu­ten lang, bis ich, schein­bar leicht ver­rückt gewor­den, das Gefühl für mei­nen Kopf zwi­schen den Ohren ver­lo­ren habe. — stop

 

interview
tahrir square februar 2011
kurz nach ausbruch staatlicher gewalt
gegen aktivisten/innen auf dem platz
source : zero silence project

 

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marit

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nord­pol : 0.02 — Ver­gan­ge­ne Nacht war ich wach gewor­den um fünf. Ich hat­te einen merk­wür­di­gen Traum, in dem Mr. Eli­ot erklär­te, dass er Brie­fe, die ich an ihn schrei­be, nicht lesen kön­ne, weil er schon vor lan­ger Zeit blind gewor­den sei. Ich war dann also wach um fünf und fühl­te mich leicht, und ich wun­der­te mich, woher die­se Leich­tig­keit gekom­men sein moch­te. Da erin­ner­te ich mich, dass ich noch immer nach­drück­lich auf eine Ant­wort James Sal­ters war­te, ich hat­te ihm vor zwei Jah­ren zuletzt geschrie­ben. Auch Mr. Sal­ter könn­te blind gewor­den sein, kein Wun­der, dass er nicht schreibt. Unver­züg­lich such­te ich in den Archi­ven nach dem Brief, den ich notiert hat­te. Er war rasch gefun­den, eine fei­ne Geschich­te, die ich berüh­re, die ich hier wie­der­ho­le, indem ich sie mit Stim­me lese, in der Hoff­nung, dass Mr. Sal­ter mich hören kann: Lie­ber James Sal­ter, als ich heu­te Nacht am Schreib­tisch saß und in Ihren wun­der­ba­ren Erzäh­lun­gen las, habe ich eine klei­ne Spin­ne bemerkt, die mich beob­ach­te­te, jawohl, sie saß auf dem Feins­ten der Blatt­haa­re eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, der neben mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne steht, und beob­ach­te­te mich aus meh­re­ren win­zi­gen schwar­zen Augen. Ich habe über­legt, was die­ses Wesen wohl in mir sieht. Für einen wei­te­ren kur­zen Moment habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob Spin­nen viel­leicht hören, – ich lese oft laut vor mich hin, das soll­ten sie wis­sen -, und so wun­der­te ich mich, dass ich vie­le Jah­re gelebt habe, ohne der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob Spin­nen über Ohren­paa­re oder doch wenigs­tens über einen zen­tra­len Gehör­gang, wo auch immer, ver­fü­gen. Ich saß also am Schreib­tisch, ich las und die klei­ne geti­ger­te Spin­ne, von der ich Ihnen erzäh­le, seil­te sich zur Tas­ta­tur mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne ab. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihr die­se Luft­num­mer Freu­de mach­te, weil sie ihre Lan­dung immer wie­der hin­aus­zö­ger­te, indem sie den Faden, der aus ihr selbst her­aus­ge­kom­men war, ver­speis­te, dem­zu­fol­ge ver­kürz­te. Viel­leicht hat­te sie bemerkt, dass ich sie betrach­te­te, das ist denk­bar, weil ich auf­ge­hört hat­te, laut zu lesen, für einen Moment, um nach­zu­den­ken, viel­leicht woll­te sie, um sich mir dar­zu­stel­len, auf mei­ner Augen­hö­he blei­ben. Das war genau in dem Moment, als Marit nach ihrer letz­ten Nacht auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men war, Marit, die doch eigent­lich seit Stun­den schon tot gewe­sen sein muss­te. Marit setz­te sich auf eine Trep­pe und begann zu wei­nen. Sicher wer­den Sie sich erin­nern an Marit, wie sie auf der Trep­pe sitzt und weint, weil sie wuss­te, dass sie eine wei­te­re letz­te Nacht vor sich haben wür­de. Als ich las, dass Marit lebt und weint, habe ich eine Pau­se gemacht, weil ich erschüt­tert war, weil das Gift nicht gewirkt hat­te. Ich saß vor mei­nem Schreib­tisch und über­leg­te, ob auch sie, James Sal­ter, erschüt­tert waren, als Marit lang­sam, auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­kam. Und wäh­rend ich an Sie und Ihre Schreib­ma­schi­ne dach­te, beob­ach­te­te ich die Spin­ne, die mit­tels ihrer win­zi­gen Bei­ne, den Faden, an dem sie hing, betas­te­te. Ist das nicht ein Wun­der, eine Spin­ne wie die­se Spin­ne? Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass es nicht mög­lich ist, mit einer elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne zwei Buch­sta­ben zur glei­chen Zeit, also über­ein­an­der, auf das Papier oder den Bild­schirm zu schrei­ben? Immer ist einer vor, nie­mals unter dem ande­ren. Mit herz­li­chen Grü­ßen Louis.

ping

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morsen

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echo : 0.25 — Ges­tern, am spä­ten Abend, eine ers­te Zei­le in mei­nen Bogen leben­den Papiers ein­ge­tra­gen, einen Satz, den Wal­ter Ben­ja­min vor lan­ger Zeit ein­mal unter dem Begriff Kak­tus­blü­te ver­zeich­ne­te. Die­ser Satz geht so: Der wah­re Lie­ben­de freut sich, wenn der gelieb­te Mensch strei­tend im Unrecht ist. — Zärt­lich, ohne zu atmen, arbei­te­te ich Zei­chen für Zei­chen vor­an. Und als ich fer­tig gewor­den war mit einem schlie­ßen­den Punkt, lehn­te ich mich zurück und war­te­te. Ich war­te­te lan­ge. Ich war­te­te so lan­ge, bis ich ein­ge­schla­fen war. Dann wach­te ich auf und staun­te. Sicher ist nun, dass sich Papier­tier­chen mit­tels einer Spra­che ver­stän­di­gen, die mor­sen­den Zei­chen ähn­lich ist. Sie ver­fü­gen dem­zu­fol­ge über Ohren und ihre Stim­men sind hell, sind Fle­der­mäu­sen, Walen und Del­fi­nen nur ver­nehm­bar. — stop
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trommeln

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papa : 22.58 — In dem Moment, da Sie die­se Zei­len lesen, sehen Sie mich ver­wun­dert, stau­nend, ja, sagen wir’s ruhig, glück­lich. Das ist so dar­um, ich habe gera­de bemerkt, wie kleins­te Din­ge, Lebe­we­sen, die eigent­lich nicht sicht­bar sind, sicht­bar wer­den, sobald ich sie mit Gedan­ken berüh­re. Auch Geräu­sche, die so lei­se und zart, dem­zu­fol­ge klein sind, dass ein mensch­li­ches Ohr sie nie­mals ver­neh­men könn­te, wer­den hör­bar durch ein ein­zel­nes Wort, das sie behaup­tet. Systo­li­sche Fre­quen­zen, hel­les Trom­meln, 250 Pul­se, kein Wort exis­tiert für jene Musik heim­li­cher Her­zen, als die Sum­me der Pfa­de, die sich um Annä­he­rung bemü­hen. Und ihre Augen, ihre Augen, jawohl, sie haben Augen, wo wer­den ihre Augen sein? — stop
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papierlicht

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oli­mam­bo : 1.28 — Das Wort Papier in mei­nem Kopf, ein von jeher hel­les, wei­ßes Wort, wes­halb die Erfin­dung leben­der Papie­re, ihre Erfor­schung, ihre Beob­ach­tung in lich­te Räu­me führt. Ich könn­te dem­zu­fol­ge sagen, dass mein loten­des Fabu­lie­ren wie eine Bogen­lam­pe in mein Leben wirkt. – 1 Uhr 28 mit­tel­eu­ro­päi­scher Win­ter­zeit: Auf dem Kapi­tol zu Washing­ton, im Haus der Reprä­sen­tan­ten, erklärt die demo­kra­ti­sche Abge­ord­ne­te Debbie Was­ser­man Schultz / Flo­ri­da wäh­rend der Debat­te zur ent­schei­den­den Abstim­mung über Barak Oba­mas Gesund­heits­re­form mit fes­ter Stim­me: The night­ma­re ends tonight! — stop
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handkuss

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oli­mam­bo : 0.02 — Wie­der ein­mal wahr­ge­nom­men, dass ich mei­ne Gegen­wart nicht in moder­nen Signal­wör­tern erzäh­len kann. Wenn ich Gegen­wart erzäh­le, ver­wen­de ich Wör­ter einer Zeit, die mir eine alte Zeit zu sein scheint: Auto­mo­bil stop Hos­pi­tal stop Gram­mo­phon stop Schreib­ma­schi­ne stop Traum­me­cha­nik stop Sprech­ap­pa­rat stop Schall­plat­te stop Hand­kuss stop. – Da ist noch etwas Wei­te­res an die­sem Abend, ein Gerücht, das mich fröh­lich stimmt, sobald ich dar­über nach­zu­den­ken begin­ne. Man erzählt, Autoren des New Jour­na­lism sol­len lan­ge, sol­len vie­le Jah­re dau­ern­de Zeit unter ihren Figu­ren gelebt haben: Gay Tale­se stop Tru­man Capo­te stop Tom Wol­fe stop. Man ist dem­zu­fol­ge nicht ver­rückt. Oder man ist ver­rückt, aber nicht allein ver­rückt. — War­um nur duf­tet die­ser Abend nach Zimt und Frö­schen? — stop
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to mr. melville : callas box

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pro­pel­ler

~ : louis
to : Mr. melville
sub­ject : CALLAS BOX

Lie­ber Mr. Mel­ville, Hotel Echo Lima Lima Oscar! Wie geht es Ihnen? Ich hat­te, wäh­rend ich in den ver­gan­ge­nen Wochen an einer Wal­ge­schich­te arbei­te­te, immer wie­der ein­mal an Sie gedacht, an Ihren wei­ßen Wal Moby Dick in Wor­ten und an sei­nen Schat­ten in der Wirk­lich­keit, an Mocha Dick. Wie sehr ich mir doch wün­sche, Sie wür­den bald ein­mal zu mei­nen Walen Kon­takt auf­neh­men und mir dann rasch eine Nach­richt über­mit­teln, ob mei­ne spe­zi­el­len Freun­de wohl auch Ihnen Furcht ein­flös­sen könn­ten. Viel­leicht wer­den Sie, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, etwas Zeit fin­den und lesen. Ist Ihnen bekannt, dass die Gesän­ge der Buckel­wa­le über Struk­tu­ren ver­fü­gen sol­len, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist? Stun­den habe ich dem­zu­fol­ge damit zuge­bracht, nach Bot­schaf­ten zu suchen, nach Geräu­schen, die mir etwas sagen, die mei­nem Gehirn Ent­de­ckung, ja Nach­richt sein könn­ten. Ich bin bis­her nicht sehr weit gekom­men, das ist rich­tig, aber ich wer­de nicht nach­las­sen, ich wer­de so lan­ge den Gesän­gen der Wale lau­schen, bis mir ver­ständ­lich sein wird, was sie da sin­gen oder spre­chen. Mei­nen Namen loooouuuiiiiii mei­ne ich jeden­falls schon auf­ge­spürt zu haben. Das ist ein Anfang und ich bin zuver­sicht­lich in den kom­men­den Wochen gut vor­an­zu­kom­men. Was, mein lie­ber Mr. Mel­ville, ist unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che zu ver­ste­hen? – Ahoi! Ihr Louis.

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käferwerfen

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sier­ra : 22.31 — Regeln für das Wer­fen von Käfern an Som­mer­aben­den. Ein tür­kis­far­be­ner Rüs­sel­kä­fer, zum Bei­spiel, soll­te mög­lichst nach acht Uhr nicht mehr gewor­fen wer­den. Er schläft dann schon und ist mit der Ent­fal­tung der Flü­gel im Halb­schlaf zu lang­sam. Dage­gen sind schlan­ke Lauf­kä­fer auch nach zehn Uhr abends, selbst im Dun­keln noch, pro­blem­los durch die Luft zu schleu­dern. Pil­len­dre­her, gut gepan­zert, stür­zen sowie­so, dem­zu­fol­ge jeder­zeit, vom Him­mel. Mari­en­kä­fer ken­nen kei­ne Regel, mal fällt einer, dann wie­der nicht. — stop

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sames salter

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~ : louis
to : Mr. james salter
sub­ject : MARIT

Lie­ber James Sal­ter, als ich heu­te Nacht am Schreib­tisch saß und in Ihren wun­der­ba­ren Erzäh­lun­gen las, habe ich eine klei­ne Spin­ne bemerkt, die mich beob­ach­te­te, jawohl, sie saß auf dem Feins­ten der Blatt­haa­re eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, der neben mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne steht, und beob­ach­te­te mich aus meh­re­ren win­zi­gen schwar­zen Augen. Ich habe über­legt, was die­ses Wesen wohl in mir sieht. Für einen wei­te­ren kur­zen Moment habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob Spin­nen viel­leicht hören, — ich lese oft laut vor mich hin, das soll­ten sie wis­sen -, und so wun­der­te ich mich, dass ich vie­le Jah­re gelebt habe, ohne der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob Spin­nen über Ohren­paa­re oder doch wenigs­tens über einen zen­tra­len Gehör­gang, wo auch immer, ver­fü­gen. Ich saß also am Schreib­tisch, ich las und die klei­ne geti­ger­te Spin­ne, von der ich Ihnen erzäh­le, seil­te sich zur Tas­ta­tur mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne ab. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihr die­se Luft­num­mer Freu­de mach­te, weil sie ihre Lan­dung immer wie­der hin­aus­zö­ger­te, indem sie den Faden, der aus ihr selbst her­aus­ge­kom­men war, ver­speis­te, dem­zu­fol­ge ver­kürz­te. Viel­leicht hat­te sie bemerkt, dass ich sie betrach­te­te, das ist denk­bar, weil ich auf­ge­hört hat­te, laut zu lesen für einen Moment, um nach­zu­den­ken, viel­leicht woll­te sie, um sich mir dar­zu­stel­len, auf mei­ner Augen­hö­he blei­ben. Das war genau in dem Moment als Marit nach ihrer letz­ten Nacht auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men war, Marit, die doch eigent­lich seit Stun­den schon tot gewe­sen sein muss­te. Marit setz­te sich auf eine Trep­pe und begann zu wei­nen. Sicher wer­den Sie sich erin­nern an Marit, wie sie auf der Trep­pe sitzt und weint, weil sie wuss­te, dass sie eine wei­te­re letz­te Nacht vor sich haben wür­de. Als ich las, dass Marit lebt und weint, habe ich eine Pau­se gemacht, weil ich erschüt­tert war, weil das Gift nicht gewirkt hat­te. Ich saß vor mei­nem Schreib­tisch und über­leg­te, ob auch sie, James Sal­ter, erschüt­tert waren, als Marit so lang­sam, auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­kam. Und wäh­rend ich an Sie und Ihre Schreib­ma­schi­ne dach­te, beob­ach­te­te ich die Spin­ne, die mit ihren sehr klei­nen Bei­nen, den Faden, an dem sie hing, betas­te­te. Ist das nicht ein Wun­der, eine Spin­ne wie die­se Spin­ne? Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass es nicht mög­lich ist mit einer elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne zwei Buch­sta­ben zur glei­chen Zeit, also über­ein­an­der, auf das Papier oder den Bild­schirm zu schrei­ben? Immer ist einer vor, nie­mals unter dem ande­ren. Mit herz­li­chen Grü­ßen. Louis.

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