echo : 20.58 UTC – Notierte auf der Schreibmaschine im Zug und sah gar nicht hin, nicht auf den Bildschirm, nicht auf meine Hände. Ich schrieb eine halbe Stunde voran, ich schrieb schneller und immer schneller, ich dachte, da war einmal ein Mann gewesen mit einem Kinderwagen ohne Kind auf einem Bahnsteig am Flughafen. Weil ich mich wunderte über seinen Kinderwagen ohne Kind, beobachtete ich den Mann. Das war eine seltsame Sache, ich schrieb: Wenn man sich über eine Person wundert, kann man nicht loslassen, man kann nicht sagen, ich beobachtete diese Person bereits gestern, heute beobachte ich diese Person nicht noch einmal, man wird bemerken, man folgt der Person mit den Augen, ob man nun will oder nicht. Ich hatte den Eindruck, es handelte sich bei dem Mann um eine melancholische Person, um einen Vater vielleicht, der am Flughafen auf ein Kind wartete, das nicht ankommen wird, weil das Kind längst getötet wurde von einem Stück Metall, welches in Aleppo durch die Luft schleuderte von einem Vorsatz getrieben, nämlich dem Vorsatz Menschen umzubringen. Dann plötzlich betrachtete ich meinen Bildschirm und bemerkte, dass der Buchstabe g meiner Tastatur nicht funktionierte, dass den Wörtern der Buchstabe g fehlte, sobald er eigentlich in die Wörtern hineingeschrieben werden musste. Also schüttelte ich meine Schreibmaschine solange, bis sich die G‑Taste meiner Tastatur aus ihrer Blockade löste, ich las meinen Text von vorn und fügte fehlende Buchstaben in die Wörter ein, so dass der Text selbst bald vollständig geworden war. — stop
Aus der Wörtersammlung: eindruck
verzeichnen
tango : 2.12 UTC — Ein Gedanke, den ich notiere, der eine Spur von Zeichen hinterlässt. Oder ein Gedanke, den ich gerne behalten, das heißt, festhalten würde, aber nicht notieren kann, weil notieren nicht möglich, weil es vielleicht dunkel ist, geht verloren oder hinterlässt einen noch tieferen Eindruck, als würde ich ihn auf ein Blatt Papier oder in digitale Verzeichnisse eingetragen haben. Ein Käfer von dunkler, von roter, von gelber, von blauer Menschenhaut, warum? — stop
ich war im flur spazieren
tango : 15.06 UTC — Über einen langen Flur eines Schiffes wandernd begegneten mir zwei Männer, ein junger und ein etwas älterer Mann. Wie sie näher kamen und ihre Stimmen in meinen Ohren deshalb lauter wurden, hörte ich, dass sie sich über ein Büro unterhielten, in welches einer der beiden Männer vor wenigen Tagen erst eingezogen war. Es ging in dem Gespräch außerdem um Möbel. Die Männer waren sich, so mein Eindruck, nicht ganz einig gewesen. Sie diskutierten, ein lautes, lachendes, ein lebendiges Gespräch, weshalb ich umdrehte und den Männern in dezentem Abstand folgte, ich wollte Ihnen heimlich zuhören, was vermutlich nicht ganz höflich gewesen war. Ich glaube, die zwei Männer bemerkten mich glücklicherweise nicht. Warum ist dein neues Büro so leer? wollte der eine Mann, er war wirklich noch sehr jung gewesen, von dem anderen, dem älteren Mann wissen. Das ist so, antwortete der alte Mann dem jungen Mann, hör zu, ich will unabhängig leben von meinem Büro, ich will nicht mit ihm verwachsen sein. Wenn ich von meinem Büro einmal getrennt werden sollte, ist der Schmerz dann nicht so groß, wenn ich aber mit meinem Büro verwachsen sein würde, könnte man mir Schmerzen zufügen, man könnte sagen, Sie dürfen bleiben, wenn sie folgsam sind, man könnte mich erpressen, verstehst Du, man könnte mich mit leichter Hand fertigmachen. Deshalb sind in meinem Büro nur ein Stuhl und ein Tisch und Papiere, ein Obstkorb, eine besondere Tafel, die beschriftet werden kann und wieder gereinigt von Farbe, eine Zeichnung weiterhin, die einen Mann zeigt, der sein Fahrrad zerlegte, außerdem sind da noch, eine Kaffeetasse, drei Stühle für Gäste, ein kleiner Kühlschrank, ein Regal mit 176 Büchern, ein Teppich, welchen ich auf einer Reise nach Marokko entdeckte, eine Stehlampe, die sich gleich hinter meinem Schreibtisch befindet, ein wunderbar warmes Licht strömt von dort, eine zweite Lampe auf dem Schreibtisch, die im Winter zusätzlich Licht spenden wird, ein kleines Sofa, Bleistifte in einem Bleistiftgefäß, ein Telefon, zwei Kakteen, fünf Orchideen auf der Fensterbank, ein Käfig mit einem Zeisigpärchen, drei Schreibmaschinen, eine Fotografie, die meine Geliebte zeigt wie sie lächelt, ist das nicht wunderbar. — stop
von wasserläufern
nordpol : 20.25 UTC — Heute Nachmittag habe ich eine lustige Geschichte mit mir selbst erlebt. Ich sass vor einem See in einem Garten und beobachtete sehr kleine Tiere, wie sie sich nahe oder auf der Oberfläche des Wasser bewegten. Da waren zum Beispiel Fliegen, die im Wasser des Sees badeten, und Schatten der Libellenlarven, die sich den badenden Fliegen nährten, auch Wasserläufer, die sich gegenseitig jagten im Spiel. Plötzlich fragte ich mich, ob ich eventuell in der Lage wäre, das Verhalten der Wasserläufer vorherzusagen, ob sich ein bestimmter Wasserläufer eher in östliche oder eher in westliche Richtung fortbewegen würde. Ein Weile folgte ich dem von mir gewählten Tier mit meinen Augen, dann zeichnete ich seinen Weg auf ein Blatt Papier. Wolken spiegelten sich im Wasser, der Himmel hier unten war grün, er schimmerte. Eine Unterwasserschnecke passierte mein Beobachtungsfeld sehr langsam, und ich notiere: Schnecke. In diesem Augenblick bemerkte ich fünf Goldfische, die sich in einem Halbkreis im Wasser vor mir versammelt hatten. Sie bewegten sich kaum merklich und ich hatte plötzlich den Eindruck, sie würden mich betrachten. Tatsächlich fühlte ich mich von einer Sekunde zur anderen Sekunde selbst beobachtet. Das war ein merkwürdiger Augenblick gewesen, ein Moment auch von Verlegenheit, weshalb ich mich wieder einem Gespräch auf dem Bildschirm meiner Schreibmaschine zuwendete, das ich mit einem Computerprogramm namens ELIZA in englischer Sprache vor langer Zeit einmal geführt und kurz darauf in die deutsche Sprache übersetzt hatte. Ich, der ich Louis gewesen war, fragte Eliza: guten abend! wie geht es dir, eliza? Eliza : > gut! und dir? Louis : prächtig. Eliza : > schön zu hören. wo liegt dann das problem? Louis : ich habe heute abend kein problem, eliza! Eliza : > wenn du dein problem nicht kennst, bist du hier genau richtig! Louis : darf ich dir eine frage stellen? Eliza : > sicher! Louis : was bedeutet das wort liebe? Eliza : > hast du schmetterlinge im bauch? Louis : eliza! bitte! was bedeutet das wort liebe! Eliza : > lass uns das eine weile zurückstellen. Louis : warum, eliza? Eliza : > du musst mich nicht mit namen rufen, ich bin immer bei dir. Louis : das ist beruhigend, eliza! Eliza : > erzähl weiter! Louis : eliza! liebe? Eliza : > hast du schon andere gefragt? Louis: aber natürlich! Eliza : > schön zu hören. wo liegt dann dein problem? Louis : ich habe heute abend kein problem, eliza! Eliza : > wenn du dein problem nicht kennst, bist du hier genau richtig! Louis : warum? Eliza : > ich sehe, du bist ein schwieriger fall. Louis : warum bin ich ein schwieriger fall, eliza? Eliza : > scherz beiseite, kommen wir zur sache. — stop
lions writers inc.
alpha : 17.25 UTC — Eine Notiz der Lions Writers Support Services. Inc., die ich an dieser Stelle mit großer Freude übersetzt wiedergebe, berichtet von Mr. und Mrs. Shapiro: > AUF NACH CONEY ISLAND. Als Mr. Sini Shapiro, wohnhaft zu New York ( Park Avenue 720 ), im vergangenen Jahr den dringenden Wunsch äußerste, endlich einmal seine Wohnung verlassen zu dürfen, um sich in der Stadt seiner Geburt umzusehen, waren wir mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Wie könnte es möglich werden, fragten wir, einen Kiemenmenschen, der zeit seines Lebens ein hochspezialisiertes Wasserhabitat in Manhattan bewohnt, einen Zugang zur Stadt zu ermöglichen, ohne ihn umzubringen. Sehr bald folgten wir einer konkreten Spur. Aus der nautischen Sammlung der Familie Landau, die auf Long Island lebt, erwarben wir einen Tiefseetaucheranzug, welcher zuletzt in den 40er Jahren der unterseeischen Minenräumung diente. Der Anzug selbst wog 240, Mr. Shapiro, ein zartes Wesen, 32 Kilogramm, die Maße stimmten, und der Anzug, wenn man ihn mit Wasser füllte, erwies sich als vollständig dicht über viele Tage hin. Am 5. Juni des Jahres 2016 unternahmen wir mit Mr. Shapiro einen ersten Versuch unter wirklichkeitsnahen Bedingungen. Getestet wurde in der Wohnung der Shapiros zunächst unter Wasser, ob Mr. Shapiros Leib sich in den Anzug fügte und ob er sich geborgen fühlen konnte. In einer zweiten Phase des Testes versuchten wir einen Eindruck von der Beweglichkeit des Anzugs zu gewinnen, immerhin war das Gefäß nun vollständig mit Wasser gefüllt. Der Taucheranzug, Mr. Shapiro plus Wasserfüllung, sowie angeschlossene technische Weiterungen, Filter und Pumpen, eine Fotokamera sowie zwei Funkkommunikationsmodule, wogen insgesamt 352 Kilogramm. Am 22. Juli dann in den frühen Morgenstunden von sorgenvollen Blicken seiner Frau begleitet, wagte Mr. Shapiro sich zum ersten Mal in das Leben jenseits der Schleusentüren seiner Wohnung hinaus. Der alte Mann wurde in sitzender Position über Aufzüge des Hauses vorsichtig zu einem Subaru — Sambar — Automobil transportiert, das sich, von einem Polizeifahrzeug eskortiert, bald langsam über die Manhattanbridge, kurz darauf über die Coney Island Avenue südwärts bewegte. Mr. Shapiro wollte das Meer mit eigenen Augen betrachten. Brooklyn, äusserte er später, gefalle ihm. / — stop New York City. May 3 2017 by Miu Gallane
im central park
nordpol : 20.05 UTC — Ich war spazieren an einem windigen Tag. Wie ich unterm Regenschirm westwärts ging, beobachtete ich meine Schuhe, die sich vorwärts bewegten als gehörten sie nicht zu mir. In diesem Moment hatte ich den Eindruck, durch den Central Park zu gehen. Das war nämlich so, dass ich an dem ersten Tag, den ich in der Stadt New York verbrachte, unter einem Regenschirm durch den Central Park wanderte und meine Schuhe beobachtete. Es war damals Mai und recht kalt gewesen. Von Zeit zu Zeit war ich stehen geblieben, um eines der Eichhörnchen zu betrachten, die sehr groß sind in Nordamerika und ungestüm. Ich erinnerte mich noch gut an diesen Augenblick, da ich im Central Park spazierend wiederum eine Panthergeschichte erinnerte, die ich einmal notiert hatte über einen weiteren Park, in dessen Nachbarschaft ich lebe. In der Erinnerung an meinen Spaziergang in New York kehrte die Panthergeschichte zurück, ich drehte um und ging nach Hause, um nach der Geschichte zu suchen. Ich habe sie sofort gefunden. Panthergeschichte: Da ist mir doch tatsächlich ein junger Panther zugelaufen, ein zierliches Wesen, das mühelos vom Boden her auf meine Schulter springen kann, ohne dabei auch nur den geringsten Anlauf nehmen zu müssen. Seine Zunge ist rau, seine Zähne kühl, ich bin stark, auch im Gesicht, gezeichnet von seinen wilden Gefühlen. Der Panther schläft, unterdessen ich arbeite. So glücklich sieht er dort aus auf der Decke unter der Lampe liegend, dass ich selbst ein wenig schläfrig werde, auch wenn ich nur an ihn denke, an das Licht seiner Augen, das gelb ist, wie er zu mir herüber schaut bis in den Kopf. Spätabends, wenn es lange schon dunkel geworden ist, gehn wir spazieren. Ich lege mein Ohr an die Tür und lausche, das ist das Zeichen. Gleich neben mir hat er sich aufgerichtet, schärft an der Wand seine Krallen, dann fegt er hinaus über die Straße, um einen vom Nachtlicht schon müden Vögel zu verspeisen. Daran sind wir gewöhnt, an das leise Krachen der Gebeine, an schaukelnde Federn in der Luft. Dann weiter die heimliche Route unter der Sternwarte hindurch in den Palmengarten. Es ist ein großes Glück, ihm beim Jagen zuhören zu dürfen. Ich sitze, die Beine übereinander geschlagen, auf einer Bank am See, schaue gegen die Sterne, und vernehme Geräusche der Wanderung des kleinen Jägers entlang der Uferstrecke. Ein Rascheln. Ein Krächzen. Ein Schlag ins Wasser. Wenn der Panther genug hat, gehn wir nach Hause. — stop
no 45
olimambo : 23.52 UTC — Gestern habe ich etwas Seltsames mit mir selbst erlebt. Ich saß am Tisch vor meiner Schreibmaschine, als es plötzlich dunkel wurde in der Wohnung, nur etwas Licht vom Himmel war noch zu erkennen gewesen. Auch war es ganz still geworden, John Coltrane in dem Augenblick verstummt, als sich das Radio ausschaltete, ein Klicken, kaum wahrnehmbar. Nach ein oder zwei Minuten bemerkte ich, dass der Bildschirm meiner Schreibmaschine noch hell ins Zimmer strahlte, trotzdem hatte ich den Eindruck, dass es stockfinster geworden war, ein seltsame Beobachtung, dass ich das Licht der Schreibmaschine nicht als eigentliches Licht wahrgenommen habe. Was, fragte ich mich, würde ich unternehmen, wenn nun nach zwei oder drei Stunden meine Schreibmaschine sich erschöpft ausschalten würde wie mein Radio sich ausgeschaltet hatte. Nehmen wir einmal an, dachte ich, es wird dunkel bleiben und still für Monate oder Jahre, wäre ich in der Lage, mich an meine Gedanken, an meine Geschichten, die sich in der Schreibmaschine noch immer aufhalten werden, aber nicht lesbar sein würden, erinnern? Tatsächlich überlegte ich sehr bald, ob es möglich wäre, mit Gegenständen, die sich in meinem Besitz befinden, Strom zu erzeugen. Wie lange Zeit müsste ich eine Handkurbel drehen, um kurz darauf für eine Stunde Zeit, Texte auf dem Bildschirm meiner Schreibmaschine lesen zu können. — Kurz vor Mitternacht. Agenturen melden, dass Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern im Transferbereiches des New Yorker John F. Kennedy Airport gestrandet, das heisst, festgehalten sind. — stop
radionuklidbatterie
~ : louis
to : mr. eliot
subject : RADIONUKLIDBATTERIE
Lieber Eliot! Guten Morgen! Wie geht’s, wie steht’s? Ich fragte mich, ob Du die Hitze, — auch bei Dir drüben soll es sehr heiß sein -, gut vertragen kannst? Ich sorge mich ein wenig, vermutlich ohne Grund! Mir jedenfalls bekommt die Hitze nicht sehr gut. Auch Vaters alter Uhr nicht. Ich trage sie, seit er gestorben ist vor vier Jahren. Jetzt ist sie stehengeblieben, vermutlich weil ihre Batterien in der warmen Luft müde geworden sind. Für ein paar Stunden habe ich mir ausgemalt, dass die Zeit meines Vaters nun endgültig endete. Das ist schmerzvoll, ich würde ihm gern noch einmal erzählen von meinen Wünschen, von einem Vogel beispielsweise, der mein Leben verzeichnet, der mich begleitet, Gespräche, die ich täglich mit Menschen führe oder heimliche Gespräche mit mir selbst. Auch würde vom Vogel aufgenommen, was ich gesehen habe während ich reiste, einen Kentauren im Gebirge, Regentropfen am Strand von Coney Island, eine schlafende Hand, die zeichnete. Manchmal ist es angenehm, sich wünschen zu können, was nicht möglich zu sein scheint, eine große Freiheit der Spekulation. Aber in den vergangenen Tagen wurde mir bewusst, dass die Verwirklichung eines mich begleitenden Vogelwesens nicht länger utopisch sein muss. Ich kann mir eine fliegende Maschine ohne weitere Anstrengung vorstellen, ein künstliches Luftwesen, vier Propeller, angetrieben von einer leichten Radionuklidbatterie, die sich tatsächlich für Jahrzehnte an meiner Seite in der Luft aufhalten könnte, ein beinahe lautloses Wesen in der Gestalt eines Kolibris, eines Taubenschwänzchens oder einer Biene, davon erzählte ich schon. Ich weiß nicht warum das so ist, ich habe den Eindruck, wenn ich Vaters Uhr bald wieder in Gang setzen werde, wird sie meine Uhr geworden sein, das ist vielleicht ein wenig verrückt, oder auch nicht. Gestern habe ich eine Geschichte von 18 Seiten Länge auf ein Tonband gesprochen und derart beschleunigt, dass meine Stimme zu einem Geräusch von 10 Sekunden Dauer wurde, eine Art Hochgeschwindigkeitshörspiel, das ich selbst nicht hören konnte, weil ich sehr hohe Geräusche seit langer Zeit nicht mehr wahrnehme. Ich sende Dir die Datei anbei. Würdest Du bitte prüfen, ob Du selbst sie vielleicht noch hören kannst, oder irgendjemand sonst? Melde Dich bald! Dein Louis
gesendet am
10.09.2016
22.56 UTC
2453 zeichen
ein reisekoffer
ginkgo : 3.55 — Das Geräusch der tropfenden Bäume vor dem ewigen Brausen der Stadt. Eine Nacht voll Wintergewitter, glimmende Vögel irren am Himmel, Nachtvögel ohne Füße, Vogelwesen, die niemals landen. Als ich vor einigen Tagen nach Esmeralda suchte, brauchte ich eine Weile, um die kleine Schnecke mit ihrem Gehäuse auf dem Rücken finden zu können. Sie saß schlafend auf einer Fensterscheibe. Es war nicht schwer, sie vom Glas zu lösen und auf den Rücken meiner rechten Hand abzusetzen. Esmeralda beobachtete mich von dort aus mit einem Auge, das sie weit aus ihrem Kopf gestreckt hatte, während das andere Auge unsichtbar blieb, vielleicht weil es weiter schlief, weil ein einzelnes Auge genügte, um mich zu betrachten oder in Schach zu halten. Indem ich mich mit einem Ohr Esmeraldas Schneckengehäuse näherte war da wieder der Eindruck, ein leises Summen zu vernehmen, das von einem hellen Ticken begleitet war, als wäre im Häuschen eine Uhr eingesperrt. Aber der eigentliche Grund, weshalb ich nach Esmeralda suchte, war nicht der Wunsch gewesen, an Esmeraldas Häuschen zu lauschen, vielmehr wollte ich Esmeralda ihren Scheckenreisekoffer zeigen, eine Schachtel von 10 cm Länge, 5 cm, Höhe, 5 cm Breite. Die Schachtel war perforiert, feinste Löcher, so dass Luft in sie eindringen konnte, außerdem mit einem feuchten Tuch ausgekleidet. Vorsichtig hob ich Esmeralda an und setze sie in der Schachtel ab, dann schloss ich den Deckel und sagte zu Esmeralda hin: In einer Stunde hole ich Dich wieder heraus. Diese Geschichte ereignete sich vor zwei Wochen. Noch immer leichter Regen. — stop
2 minuten
alpha : 5.25 – Eine Freundin, B., erzählte, sie sei kürzlich in einer Straßenbahn gefahren, da habe ein Mann in ihrer Nähe Platz genommen. Sie habe gerade gelesen, als sich der Mann fast lautlos setzte, sie habe kurz ein wenig den Blick gehoben und auf dem Unterarm des Mannes die Zeichen ISLAM entdeckt, diese Zeichen seien dort eintätowiert gewesen, eine Hautbeschriftung wie für die Ewigkeit eines ganzen Lebens. Sie habe dann erst einmal ihre Lektüre fortgesetzt, aber sie habe sich nicht länger auf ihr Buch konzentrieren können, darum habe sie den Blick gehoben. Ihr Blick sei über die Inschrift ISLAM, sie war tatsächlich noch immer dort gewesen, hinweggehuscht zum Gesicht des Mannes hin, das ein junges Gesicht gewesen sei. Der Mann habe sie äußerst bedrohlich, also aggressiv oder so ähnlich, betrachtet, ein Blick unentwegt, ein Blick ohne einen Lidschlag, da habe sie sich gefürchtet, habe ihren eigenen Blick wieder gesenkt und das Buch angesehen, aber natürlich nicht gelesen sondern nachgedacht. Ja, was sie gedacht habe sei nicht gerade angenehm gewesen, sie habe sich überlegt, ob der Mann, der ihr gegenüber saß, vielleicht eine Waffe, gar einen Sprengstoffgürtel tragen könnte. Ihr sei auch in den Sinn gekommen, dass sehr viele Menschen in der Straßenbahn gefahren seien, was eigentlich ein gutes Zeichen gewesen sei, weil man ihr hätte helfen können, einer gegen viele, aber dann habe sie daran gedacht, dass gerade dort, wo viele Menschen sich befinden, Bomben explodieren, weil man in dieser Weise viele Menschen auf einmal umbringen könne, und sie habe den Eindruck gehabt, dass sie sofort aufstehen und aussteigen sollte. Aber dann habe sie sich gesagt, dass sie das jetzt aushalten müsse, und deshalb sei sie sitzengeblieben, und das alles in ein oder zwei Minuten. — stop