Aus der Wörtersammlung: hell

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taschkent

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nord­pol : 9.18 UTC — Eine Dame sitzt mit hell­rot geschmink­tem Mund an einem Holz­tisch in einer Woh­nung der Stadt Tasch­kent. Es ist spä­ter Nach­mit­tag. Auf dem Tisch ruht eine Schreib­ma­schi­ne, ein Note­book,  das hat ihr die Toch­ter geschenkt, die in Ame­ri­ka wohnt, in Brook­lyn genau­er, im vier­ten Stock eines Hau­ses mit Blick auf den East River. Dort ist jetzt frü­her Mor­gen. Die Toch­ter, die wie ihre Mut­ter in der Fer­ne vor einem Note­book, einer Schreib­ma­schi­ne, sitzt, freut sich, weil sie auf einem Bild­schirm das Gesicht ihrer Mut­ter sehen kann. End­lich hat es funk­tio­niert, das Pro­gramm, der ganz Com­pu­ter über­haupt, ihre Mut­ter kann ihn jetzt ein­schal­ten, und das Pro­gramm star­ten, das eine Ver­bin­dung knüpft nach New York, sodass sie ihrer­seits auf dem Bild­schirm der Mut­ter sicht­bar wer­den kann. Die Toch­ter lächelt, gera­de hat ihr die Mut­ter erzählt, sie habe einen leicht ame­ri­ka­ni­schen Akzent ent­wi­ckelt nach Jah­ren ihres Lebens in New York. Aber sie spricht nicht viel in die­sen ers­ten Momen­ten einer Begeg­nung auf dem Bild­schirm. Sie will ihre alte Mut­ter nicht über­for­dern, sie sagt: Jetzt kön­nen wir tele­fo­nie­ren sooft wir wol­len, es kos­tet fast nichts. Die Mut­ter schaut glück­lich zu dem Bild­schirm hin. Sie könn­te das Gesicht ihrer Toch­ter berüh­ren, aber sie will nichts tun, das selt­sam erschei­nen könn­te, weil sie nicht allein ist. Unsicht­bar für die Toch­ter in Brook­lyn zunächst, sitzt in einem sinn­vol­len Abstand eine jun­ge Frau, eine Stu­den­tin, auf einem Stuhl, der knis­tert, sobald sie sich bewegt. Es ist näm­lich so, dass die Stu­den­tin der alten Dame half, ihre Schreib­ma­schi­ne in ein Tele­fon mit Bild­schirm zu ver­wan­deln, eigent­lich zunächst nicht sehr schwie­rig, für eine Stu­den­tin der rus­si­schen Lite­ra­tur, ihrer Pro­fes­so­rin bei­zu­ste­hen. Das Note­book muss­te jedoch der­art ver­wan­delt wer­den, dass es sich ohne ihre Hil­fe jeder­zeit erneut in ein Tele­fon mit Bild­schirm zurück­ver­wan­deln könn­te, des­halb alles ganz lang­sam, vor und zurück, vor und zurück, Schritt für Schritt, was ein Fin­ger­cur­sor ist, was eine Maus. Die jun­ge Frau kommt nun ins Bild, sie trägt einen Mund­schutz, auch die alte Dame zie­hen ihren Mund­schutz vom Hals her­auf. Bei­de lächeln, das kann die Toch­ter sehen. Und sie ist sehr beru­higt, dass ihre Mut­ter auf sich ach­tet in der Fer­ne, glück­lich ist sie. Und so springt sie auf und eilt zum Fens­ter. Eine Minu­te Zeit ver­geht. Die Möwe späht ins Zim­mer. Da kommt die Toch­ter zurück zum Tisch, sie trägt jetzt gleich­wohl einen Mund­schutz in roter Far­be mit wei­ßen Punk­ten dar­auf. — stop
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skizze

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fox­trott : 21.08 UTC — Eine Per­son, aus gro­ßer Höhe betrach­tet, über­quert die Piaz­za San Mar­co. Etwas süd­lich davon ver­lässt ein Was­serta­xi Palan­ca. Es ist in dem Moment der Film­auf­nah­me das ein­zi­ge Schiff, das weit­hin zu sehen ist. Die Droh­nen­ka­me­ra ver­liert an Höhe, nähert sich hell­grü­nem Was­ser. In einem Kanal öst­lich der Vapo­ret­to – Sta­ti­on Zat­te­re bewegt sich eine Lun­gen­qual­le lang­sam pum­pend vor­wärts, als wür­de sie die Stadt, deren Was­ser­we­ge lan­ge Zeit für zer­brech­li­che Mee­res­we­sen nicht beschwimm­bar gewe­sen sind, besich­ti­gen wie ein Muse­um oder einen Raum, der in Kür­ze dau­er­haft besie­delt wer­den könn­te, eine Vor­hut, das ist denk­bar. Der Schat­ten einer Droh­ne an der Back­stein­wand eines uralten Hau­ses. Das alles in einem Zim­mer unter einem Dach in gro­ßer Höhe auf TV — Bild­schir­men. Es ist bereits dun­kel drau­ßen vor dem Fens­ter. In den knis­tern­den Bäu­men sit­zen Eich­hörn­chen dicht an dicht. — stop

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ein heller windiger märztag

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oli­mam­bo : 15.55 UTC — Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an: Ein jun­ger Mann, mit dem ich mich kurz im Zug unter­hielt, erzähl­te, er lade sich im Zug rei­send sehr ger­ne Roma­ne und Erzäh­lun­gen auf sein Kind­le­le­se­ge­rät. Er habe bereits eine Samm­lung meh­re­rer Tau­send Bücher, deren Lek­tü­re im Grun­de jeder­zeit mög­lich wäre, weil sie in digi­ta­ler Form exis­tie­ren. Er lese je so weit, wie es die Lese­pro­be ermög­li­che. In die­ser Wei­se habe er schon sehr viel Lite­ra­tur zu sich genom­men, auch ein­füh­ren­de Vor­wor­te, die meis­tens voll­stän­dig aus­ge­lie­fert wer­den. Oder Kurz­ge­schich­ten, eine oder zwei Kurz­ge­schich­ten sei­en bei­na­he immer voll­stän­dig in den Pro­ben ent­hal­ten. Das ist schon irgend­wie eine Sucht, sag­te er. Er habe, seit er lesen lern­te, stun­den­lang in Büchern geblät­tert, da und dort einen Satz oder eine voll­stän­di­ge Buch­sei­te gele­sen, ein kom­plet­tes Buch habe er nie­mals stu­diert. — Heu­te nun, es ist Mitt­woch am Nach­mit­tag, habe ich selbst in einer digi­ta­len Pro­be fol­gen­de Text­pas­sa­ge gele­sen, die mich berühr­te. Chris­toph Rans­mayr hat sie notiert: „Mir war die Tat­sa­che oft unheim­lich, dass sich der Anfang, auch das Ende jeder Geschich­te, die man nur lan­ge genug ver­folgt, irgend­wann in der Weit­läu­fig­keit der Zeit ver­liert – aber weil nie alles gesagt wer­den kann, was zu sagen ist, und weil ein Jahr­hun­dert genü­gen muss, um ein Schick­sal zu erklä­ren, begin­ne ich am Meer und sage: Es war ein hel­ler, win­di­ger März­tag des Jah­res 1872 an der adria­ti­schen Küs­te. Viel­leicht stan­den auch damals die Möwen wie fili­gra­ne Papier­dra­chen im Wind über den Kais, und durch das Blau des Him­mels glit­ten die wei­ßen Fet­zen einer in den Tur­bu­len­zen der Jah­res­zeit zer­ris­se­nen Wol­ken­front – ich weiß es nicht.“ aus: Die Schre­cken des Eises und der Fins­ter­nis: Roman von Chris­toph Rans­mayr — stop
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vom schnee

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echo : 22.08 UTC — Vor zwei Jah­ren notier­te ich eine Geschich­te von zwei alten Frau­en, die seit Mona­ten auf­ge­hört haben zu sein. Die Geschich­te aber, die ich erzähl­te, exis­tiert wei­ter fort. Sie geht so: Vor dem Roll­stuhl, in dem die alte Dame hock­te, knie­te ein Mäd­chen im Alter von 6 Jah­ren. Die alte Dame erzähl­te dem Mäd­chen eine Geschich­te. So lei­se war die Stim­me der alten Dame gewor­den, dass sie kaum noch zu hören war, man­che der lei­sen Wör­ter waren nur in Gedan­ken zu ver­neh­men, waren Ver­mu­tung. Je mehr der Ver­mu­tun­gen sich in den laut aus­ge­spro­che­nen Wör­tern der Erwach­se­nen, die links und rechts des Roll­stuh­les ste­hend, in gebück­ter Hal­tung lausch­ten, anein­an­der reih­ten, des­to stren­ger wur­de der Blick der alten Dame, sie schien unzu­frie­den, viel­leicht sogar ver­zwei­felt zu sein. Plötz­lich sag­te das Mäd­chen: Ihr hört nicht rich­tig zu! Die Tan­te sagt, dass sie an Weih­nach­ten immer den Got­tes­dienst in der Kir­che St. Paul besuch­te. Sie sagt über­haupt gar nichts über das Wet­ter mor­gen. Unver­züg­lich begann die alte Dame zu lächeln. Sie wink­te das Mäd­chen zu sich her­an und flüs­ter­te ihm etwas ins Ohr. Ja, sag­te das Mäd­chen, das stimmt, ich kann gut hören, ich glau­be, ich kann auch Fle­der­mäu­se hören, wenn sie bei uns im Gar­ten her­um­flie­gen. Die alte Dame flüs­ter­te etwas Wei­te­res in das Ohr des Mäd­chens, sofort stand das Mäd­chen auf und schob den Roll­stuhl der alten Dame auf den Flur hin­aus. Im Flur vor einem Fens­ter hock­te eine wei­te­re alte Dame in einem Roll­stuhl, sie schien zu schla­fen. Schnee fiel vor dem Fens­ter, dich­te, gro­ße und run­de Flo­cken. Bald saßen nun zwei alte Damen Sei­te an Sei­te in ihren Stüh­len. Und das Mäd­chen ging vor den Damen in die Hocke. Sie weck­te die schla­fen­de alte Dame und sag­te mit ihrer hel­len Stim­me: Du, du woll­test heu­te Mor­gen mei­ner Tan­te etwas erzäh­len. Ich bin jetzt ganz Ohr! — stop

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bauci

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tan­go : 10.28 UTC — Regen ges­tern, ein Regen, der sprüh­te, bei­na­he Nebel. Ich spa­zier­te im Park. Kaum ein Mensch war unter­wegs im Park, von dem ich nicht erzäh­len darf, wo er sich prä­zi­se befin­det, damit nie­mand sagen kann, wo prä­zi­se ich selbst mich befin­de. Ich hat­te mir einen Regen­schirm gekauft für Regen­zeit, einen, den ich auch als Schnee­schirm ver­wen­den könn­te, einen robus­ten Schirm, etwas grö­ßer im Umfang, als gewöhn­li­che Schir­me, einen Schirm, der bewirkt, dass es schnei­en wird, sobald man ihn zur rech­ten Zeit her­vor­ho­len wird. Ich spa­zier­te also und las in Italo Cal­vi­nos Samm­lung der unsicht­ba­ren Städ­te. Bald stell­te ich mir vor, wie ich in die­sem Moment des Lesens nach sie­ben Tagen Fuß­mar­sches durch aus­ge­dehn­te Wäl­der eine Stadt errei­che, die ich nicht sehen kann, Bau­ci, aber ihre dün­nen Stel­zen, die sich in gro­ßen Abstän­den von der Erde erhe­ben und über den Wol­ken ver­lie­ren, (sie) tra­gen die Stadt. Man gelangt mit Lei­tern hin­auf. / Auf der Erde erschei­nen die Ein­woh­ner sel­ten. Sie haben schon alles Not­wen­di­ge oben, und kom­men lie­ber nicht her­un­ter. Nichts von der Stadt berührt den Boden, aus­ge­nom­men die­se lan­gen Fla­min­go­bei­ne, auf denen sie ruht, und an hel­len Tagen ein durch­bro­che­ner, ecki­ger Schat­ten, der sich auf dem Blät­ter­werk abzeich­net. / Drei Hypo­the­sen stellt man über die Ein­woh­ner von Bau­ci auf, dass sie Erde has­sen, dass sie einen sol­chen Respekt vor ihr haben, jede Berüh­rung zu mei­den, dass sie sie lie­ben, wie sie vor Ihnen gewe­sen, und nicht müde wer­den, sie mit abwärts gerich­te­ten Fern­glä­sern und Tele­sko­pen Blatt für Blatt, Stein um Stein, Amei­se um Amei­se zu mus­tern, und fas­zi­niert ihre eige­ne Abwe­sen­heit zu betrach­ten. — stop / aus: Italo Cal­vi­no Die unsicht­ba­ren Städ­te, Frank­furt 20134
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im park

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nord­pol : 0.18 UTC — Es war ein war­mer Regen­tag, den ich unter dem Schirm spa­zie­rend im Pal­men­gar­ten ver­brach­te. Ich ging Stun­de um Stun­de im Kreis, mit einem wun­der­ba­ren Gefühl dahin, etwas Neu­es zu erle­ben. Der Schirm näm­lich war ein beson­de­rer Regen­schirm, ich trug ihn zur Pro­be, es war ein Schirm, der über eine wei­te­re fei­ne Haut ver­füg­te, die das eigent­li­che schüt­zen­de Gewe­be wie eine zwei­te Haut bespann­te. Die­se Haut war nun in der Lage, die Zahl der Trop­fen, die auf die Ober­flä­che des Schir­mes tra­fen, zu zäh­len, indes­sen win­zi­ge Kame­ra­au­gen die Bewe­gun­gen mei­nes Kör­pers beob­ach­te­ten, der sich exakt wie der Kör­per eines Spa­zier­gän­gers ver­hielt. Sie saßen in der Kro­ne des Regen­schirms fest, und ich den­ke, es ent­ging ihnen nichts, sodass ein quan­ten­me­cha­ni­scher Algo­rith­mus in Bruch­tei­len von Sekun­den zu ent­schei­den ver­moch­te, wie vie­le Regen­trop­fen mei­nen spa­zie­ren­den Kör­per getrof­fen hät­ten, wenn ich nicht beschirmt unter­wegs gewe­sen wäre. Gegen acht Uhr abends hör­te es auf zu reg­nen und ich ging nach Hau­se, um in der digi­ta­len Sphä­re nach Algo­rith­men des Sor­tie­rens zu suchen. Fol­gen­de Bezeich­nun­gen wur­den sofort gefun­den: bina­ry tree sort, bogo­s­ort, bubble­sort, buckets­ort, comb­s­ort, coun­tings­ort, gno­me­s­ort, heap­sort, hybrid­sort, inser­ti­ons­ort, intro­sort, mer­ge inser­ti­on, mer­ge­sort, quick­s­ort, radix­sort, sel­ec­tions­ort, shakers­ort, shells­ort, slow­sort, smooth­s­ort, stoo­ge­sort, swap-sort, tim­sort. Nichts wei­ter. — stop

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franziska

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MELDUNG. An die­sem küh­len Don­ners­tag, es war 6 Uhr und 8 Minu­ten in der Früh, wur­de Käfer­da­me Fran­zis­ka [ 18 Gramm ] von Käfer Chris­to­pher [ 11 Gramm ]  erst­mals mit­tels rhyth­mi­scher Lumi­nes­zenz von hell­blau­er Far­be begrüßt. Sie selbst morst in röt­li­cher Beleuch­tung. ~ MPI für Bio­tech­no­lo­gie, Ungerer­str 12, 6. Stock : Labor IIc‑8 : Level 4. — stop
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regenschirmtiere vol.3

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ulys­ses : 0.12 UTC — Ein Jour­na­list, der für das Radio arbei­tet, erzähl­te unlängst am Tele­fon, er habe ein­mal an einer Repor­ta­ge gear­bei­tet, die von der Ent­de­ckung der Regen­schirm­tie­re berich­te­te. Unge­fähr in der Mit­te sei­nes Bei­tra­ges habe er einen Feh­ler ent­deckt. Er saß vor dem Radio­ge­rät und hör­te der Stim­me einer Spre­che­rin zu, die sei­nen Text sehr deut­lich las, es war also zu spät, der Jour­na­list konn­te an sei­nem Feh­ler nichts ändern. Das ver­sen­det sich, wur­de er von einer Redak­teu­rin getrös­tet. Und ich dach­te, das ist ein schö­nes Wort für ver­lo­re­ne Wor­te oder Gedan­ken, das ist wie mit Träu­men, die sich von der Erin­ne­rung lösen wie Regen­was­ser, das sich nicht wirk­lich fest­hal­ten, nicht wirk­lich begrei­fen lässt mit Hän­den, die­ses hel­le Was­ser, das die Luft erhell­te in einem Traum, den ich gera­de noch erzäh­len konn­te auf einem Blatt Papier, ehe der Traum sich ver­flüch­tig­te, in dem ich mich wun­der­te, dass ich, bei­de Hän­de frei, durch die Stadt gehen konn­te, obwohl ich doch allein unter einem Regen­schirm spa­zier­te. Als ich an einer Ampel war­ten muss­te, betrach­te­te ich mei­nen Regen­schirm genau­er und staun­te, weil ich nie zuvor eine Erfin­dung die­ser Art zu Gesicht bekom­men hat­te. Ich konn­te dunk­le Haut erken­nen, die zwi­schen bleich schim­mern­den Kno­chen auf­ge­spannt war, Haut, ja, Haut von der Art der Flug­haut eines Abend­seg­lers. Sie war durch­blu­tet und so dünn, dass die Rinn­sa­le des abflie­ßen­den Regens deut­lich zu sehen waren. In jener Minu­te, da ich mei­nen Schirm betrach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, er wür­de sich mit einem wei­te­ren Schirm unter­hal­ten, der sich in nächs­ter Nähe befand. Er voll­zog leicht schau­keln­de Bewe­gun­gen in einem Rhyth­mus, der dem Rhyth­mus des Nach­bar­schirms ähnel­te. Dann wach­te ich auf. Es reg­net noch immer. Ich wer­de gleich tele­fo­nie­ren. — stop
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palmenhaus süd

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gink­go : 15.01 UTC — Im Wüs­ten­haus das fei­ne Geräusch der Kak­teen, sobald ich ihr Sta­chel­horn mit einem Pin­sel, einem Mika­do­stäb­chen, einem Fin­ger berüh­re. Hell. stop. Federnd. stop. Pro­pel­lernd. stop. Klän­ge, für die in mei­nem suchen­den Wort­ge­hör wei­ter­hin kei­ne eige­ne Zei­chen­fol­ge zu fin­den ist. stop. Die Stil­le beim Durch­blät­tern eines feuch­ten Buches kurz dar­auf in der Man­gro­ven­ab­tei­lung des Pal­men­hau­ses. Ich beob­ach­te­te, dass ich einen Satz­ge­dan­ken, ehe der Gedan­ke zu einem Ende gekom­men ist, in mei­nem Kopf nur dann anzu­hal­ten ver­mag, sobald ich den Gedan­ken Wort für Wort voll­zie­he, also bereits so lang­sam den­ke, dass ich mit­zu­schrei­ben in der Lage bin. stop Man soll, hör­te ich, Kak­te­en­dor­ne als Gram­mo­fon­na­deln ver­wen­det haben. Erstaun­lich! — stop

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schildkrötengeschichte

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india : 15.03 UTC — Vor weni­gen Stun­den war ich im Stadt­wald spa­zie­ren. Ich ging um einen Teich her­um, in dem Schild­krö­ten unter der Was­ser­ober­flä­che gegen­ein­an­der kämpf­ten. Plötz­lich hör­te ich das Geräusch einer hel­len, schep­pern­den Glo­cke, ein Klin­geln oder metal­le­nes Hupen. Ich dach­te, je­mand möch­te Dich wecken. Und ich dach­te, Du kennst die­se Geschich­te, das hast Du schon ein­mal geträumt. Du musst zunächst ver­su­chen, wach zu wer­den, dach­te ich. Also ver­suchte ich, wach zu wer­den. Ich wan­der­te zunächst in die Küche. Das Geräusch wan­derte mit mir, und ich bemerk­te, die Küche ist kein guter Ort, um wach wer­den zu kön­nen. Plötz­lich erin­nerte ich mich, woher ich das Geräusch kann­te. Es war das Glöck­chen, das am Weih­nachts­abend hin­ter einer Tür von mei­nem Vater durch hef­tige Bewe­gung zum Klin­gen gebracht wur­de, ein ver­trau­tes, jähr­lich wie­der­keh­ren­des Geräusch. Ein­mal bekam ich ein Radio geschenkt. Das Radio war das ers­te Radio mei­nes Lebens gewe­sen, ein Tran­sis­to­r­emp­fän­ger, hand­lich und doch schwer. Ich weiß nicht wes­halb, ich öff­nete das Radio mit­hil­fe eines Schrau­ben­zie­hers, ich zer­legte die klei­ne Appa­ra­tur in ihre Ein­zel­teile und wun­derte mich. Ein Jahr dar­auf bekam ich einen Foto­ap­pa­rat, den ich am dar­auf­fol­gen­den Tag wie zuvor das Radio öff­ne­te und auf das genau­es­te unter­such­te, im Früh­ling zähl­te ich Vögel, im Som­mer durch­such­te ich das Unter­holz nach Kno­chen von Hasen und Rehen, um sie in mei­nem Zim­mer auf dem Schreib­tisch so zu kon­fi­gu­rie­ren, dass ich sie mir vor­stel­len konn­te. Es ist merk­wür­dig, wie Geräu­sche über gro­ße Zeit­räu­me hin­weg wie­der­keh­ren, als wären sie gera­de erst in der Wirk­lich­keit abge­spielt wor­den. Es lässt sich nicht über­prü­fen, aber sie schei­nen sich tat­säch­lich nicht ver­än­dert zu haben, sind unteil­ba­re Wesen. — stop
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