Aus der Wörtersammlung: kanal

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ai : KASACHSTAN

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MENSCH IN GEFAHR : “Aigul Ute­po­va ist eine bekann­te Blog­ge­rin und Akti­vis­tin. Sie hat 8.000 Fol­lower auf Face­book und eine gro­ße Fan­ge­mein­de sieht die Bei­trä­ge auf ihrem You­Tube-Kanal. 2015 kan­di­dier­te sie bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len, doch zog sie ihre Kan­di­da­tur spä­ter wie­der zurück. Sie wird beschul­digt, eine Anhän­ge­rin der Oppo­si­ti­ons­par­tei Demo­kra­ti­schen Wahl Kasach­stans zu sein. Am 13. März 2018 wur­de die Par­tei will­kür­lich zu einer “extre­mis­ti­schen” Orga­ni­sa­ti­on erklärt, weil sie “zur natio­na­len Zwie­tracht auf­sta­chel­te”. Grund­la­ge für die­se Ein­ord­nung sind die vage for­mu­lier­ten Anti-Extre­mis­mus-Geset­ze in Kasach­stan. / Nach der Zwangs­ein­wei­sung von Aigul Ute­po­va in die Psych­ia­trie fürch­tet ihr Rechts­bei­stand, dass eine will­kür­li­che psych­ia­tri­sche Dia­gno­se zum Vor­wand genom­men wird, um sie zwangs­wei­se “behan­deln” und lan­ge in der Anstalt fest­hal­ten zu kön­nen. Bei einem Ver­such, Aigul Ute­po­va am 23. Novem­ber zu besu­chen, wur­de dem Rechts­bei­stand und einer Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen mit­ge­teilt, dass die Jor­u­na­lis­tin kei­nen Kon­takt zur Außen­welt haben dür­fe. / Dass Per­so­nen, die die Regie­rung kri­ti­sie­ren oder sich gegen bestimm­te Inter­es­sen­grup­pen stel­len, zwangs­wei­se unter psych­ia­tri­sche Beob­ach­tung gestellt wer­den, ist in Kasach­stan nicht unge­wöhn­lich. 2019 ent­schied der UN-Men­schen­rechts­aus­schuss, dass Zina­idi Muk­hor­to­va will­kür­li­cher Inhaf­tie­rung, Fol­ter und ande­rer Miss­hand­lung aus­ge­setzt war. Die Anwäl­tin war fünf Mal gegen ihren Wil­len in eine psych­ia­tri­sche Ein­rich­tung ein­ge­wie­sen und dort “behan­delt” wor­den. / Aigul Ute­po­va hät­te nie­mals straf­recht­lich ver­folgt und unter Haus­ar­rest gestellt wer­den dür­fen. Die­se Maß­nah­me ver­stößt gegen kasa­chi­sches Recht, das Haus­ar­rest nur in Fäl­len vor­sieht, bei denen die Höchst­stra­fe fünf Jah­re oder mehr beträgt. Außer­dem muss sach­lich begrün­det wer­den, wes­halb weni­ger restrik­ti­ve Maß­nah­men nicht ange­wen­det wer­den kön­nen. Die Ver­fol­gung und der Haus­ar­rest von Aigul Ute­po­va sind als Ver­gel­tungs­maß­nah­men für ihre unver­blüm­te Kri­tik an der Regie­rung ein­zu­ord­nen.”- Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 18.1.2021 unter > ai : urgent action

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skizze

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fox­trott : 21.08 UTC — Eine Per­son, aus gro­ßer Höhe betrach­tet, über­quert die Piaz­za San Mar­co. Etwas süd­lich davon ver­lässt ein Was­serta­xi Giudec­ca Palan­ca. Es ist in dem Moment der Film­auf­nah­me das ein­zi­ge Schiff, das weit­hin zu sehen ist. Die Droh­nen­ka­me­ra ver­liert an Höhe, nähert sich hell­grü­nem Was­ser. In einem Kanal öst­lich der Vapo­ret­to — Sta­ti­on Zat­te­re bewegt sich eine Lun­gen­qual­le lang­sam pum­pend vor­wärts, als wür­de sie die Stadt, deren Was­ser­we­ge lan­ge Zeit für zer­brech­li­che Mee­res­we­sen nicht schwimm­bar gewe­sen sind, besich­ti­gen wie ein Muse­um oder einen Raum, der in Kür­ze dau­er­haft besie­delt wer­den könn­te, eine Vor­hut, das ist denk­bar. Der Schat­ten einer Droh­ne an der Back­stein­wand eines uralten Hau­ses. Das alles in einem Zim­mer unter einem Dach in gro­ßer Höhe auf TV — Bild­schir­men. Es ist bereits dun­kel draus­sen vor dem Fens­ter. In den knis­tern­den Bäu­men sit­zen Eich­hörn­chen dicht an dicht. — stop

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redentore

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nord­pol : 16.58 UTC — Von der Wasser­bus­sta­tion Reden­tore aus ist heu­te das Schwes­ter­chen Zitel­le nicht zu hören, nicht wenn man ein Mensch ist, nicht wenn man mit­tels gewöhn­li­cher Ohren die Luft betas­tet. Es ist warm und feucht über dem Kanal vor Giudec­ca, ein leich­ter Wind weht von Ost. Es ist viel­leicht des­halb so still, wo es doch nicht wirk­lich still sein kann, weil die Luft lang­sam west­wärts fließt. Wenn man sich nun aber auf der Stel­le in die Tie­fe bege­ben wür­de, ein Fisch wer­den, ein Fisch sein, wenn man ins Was­ser tauch­te, könn­te man Zitel­le ganz sicher weit­hin sin­gen hören, ihr Pfei­fen und Zetern tag­ein und tag­aus, dass es eine wah­re Freu­de ist, wie sie immer wie­der kurz inne­hält, um zu lau­schen, ob ihr jemand ant­wor­tet viel­leicht von Palan­ca her oder von den Giar­dini – Zwil­lingen, die sich immer wie­der ein­mal mel­den, sobald die See stür­misch gewor­den ist. Es heißt, die­ses Sin­gen, Zetern, Jau­len der Wasser­bus­sta­tionen sei weit ins offe­ne Meer hin­aus zu hören. Kein Wun­der demzu­folge, kein Wun­der. – stop

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zattere

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ulys­ses : 20.32 UTC — Jenes ein­sa­me Nadel­blatt­ge­wächs in der Form der Pini­en­bäume unweit der Pon­te agli Incura­bili könn­te Joseph Brod­sky bei Regen noch beschir­men. Von dort soll der Dich­ter gern über den Kanal nach Giudec­ca geschaut haben. Ich erwar­tete eine Bank von Stein oder von Holz, vergeb­lich. Viel­leicht wird Joseph Brod­sky sich zur Beob­ach­tung des Was­sers einen klei­nen Klapp­stuhl mitge­nommen haben oder liess die Bei­ne von der Quai­mauer bau­meln, sie wer­den vermut­lich bald nass gewor­den sein. Wenn ich nur lan­ge genug nach Wes­ten schaue zu den Hafen­an­lagen hin, kann ich Joseph Brod­sky sit­zen sehen, wie er sich mit den Wel­len des Mee­res unter­hält, ihre Bewe­gung erforscht. Wie sich in die­sem Augen­blick, es ist kurz nach 8 Uhr, ein braunrosa­far­bener feuch­ter Elefan­ten­rüssel aus dem Was­ser erhebt, wie er bebend die Luft son­diert, wie er sich dem Dich­ter nähert, als wäre er noch immer dort, Fonda­menta degli Incura­bili. – stop
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samia yusuf omar

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del­ta : 0.05 — Exakt 2142 Tage zurück, am Mon­tag, dem 20. August 2012, mel­de­ten Nach­rich­ten­agen­tu­ren, die soma­li­sche Sprin­te­rin Samia Yus­uf Omar sei auf dem Weg nach Lon­don zu den olym­pi­schen Spie­len ertrun­ken. Sie reis­te auf einem Flücht­lings­schiff von Liby­en aus nord­wärts. Die Hava­rie des Boo­tes soll sich im Kanal von Sizi­li­en nahe der Insel Mal­ta bereits Anfang April ereig­net haben. Ein­zi­ge Ver­tre­te­rin ihres Hei­mat­lan­des wäh­rend der olym­pi­schen Spie­le 2008 in Peking, hat­te sich Samia Yus­uf Omar allein auf den gefähr­li­chen Weg nach Euro­pa bege­ben. Sie leb­te 22 Jah­re. — Und all die Namen­lo­sen. — stop / Kof­fer­text

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eine kurze pause

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lima : 0.08 UTC — Vor­ges­tern, am spä­ten Abend, führ­te ich ein inter­es­san­tes Twit­ter­ge­spräch. Eine Per­son, ein Herr oder eine Dame, erkun­dig­te sich auf direk­tem Kanal, ob es denn mög­lich sei, mei­nen eigent­li­chen Namen zu erfah­ren, weil er oder sie mich sehr ger­ne irgend­wann in naher Zukunft wegen Hoch­ver­rats an dem deut­schen Vol­ke ankla­gen wol­le. Ich hat­te mich kurz zuvor erkun­digt, ob er oder sie viel­leicht einen der ver­siff­ten Neger, die Euro­pa angeb­lich bedroh­ten, per­sön­lich ken­nen wür­de. Ich bat um etwas Geduld, ich wür­de mir Zeit neh­men, um ihre Anfra­ge zu ent­schei­den, müss­te zunächst dar­über nach­den­ken. Zeig Dich, Du Hund, schrie­ben der Mann oder die Frau. Ich ant­wor­te­te, ich, der Hund, befürch­te bei Offen­le­gung mei­nes wirk­li­chen Namens mög­li­cher­wei­se heu­te noch auf der Stra­ße vor mei­nem Haus wegen Hoch­ver­rats eli­mi­niert zu wer­den. Ein kur­ze Pau­se ent­stand im Gespräch, es dau­er­te fünf Minu­ten und 32 Sekun­den, dann ant­wor­te­te der Mann oder die Frau in groß­zü­gi­ger Wei­se, ich sol­le mich nicht auf­re­gen, ich kön­ne sicher sein, dass mir nichts gesche­hen wür­de. Wir kämp­fen für die Frei­heit der Mei­nung, gegen ein Dik­ta­tur, die Deutsch­land ver­nich­ten wol­le. Er oder sie frag­te sodann: Sind Dir Hans und Sophie Scholl bekannt? Es sei jetzt an der Zeit Wider­stand zu leis­ten, damit Deutsch­land nicht unter­ge­he, mutig und auf­recht. — stop

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an einem frühen morgen

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oli­mam­bo : 8.05 — An einem frü­hen Mor­gen spricht ein Mann im Schwein­wer­fer­licht einer Fern­seh­ka­me­ra. Er ist Abge­ord­ne­ter des Deut­schen Bun­des­ta­ges, ein tap­fe­rer Mann, er ver­tei­digt die Poli­tik sei­ner Par­tei, sei­ner Bun­des­kanz­le­rin. Er spricht unge­fähr so: Wir haben viel geschafft. Wir haben uns bemüht. Wir haben den Men­schen­schleu­sern das Hand­werk gelegt. Es kom­men weni­ger Men­schen zu uns, die flüch­ten wol­len. Nicht län­ger müs­sen Men­schen im Mit­tel­meer ertrin­ken. – Es ist frü­her Mor­gen, ein Mor­gen eines Tages im Sep­tem­ber. Es ist das Jahr 2016. Wenn ich über die Fern­be­die­nung mei­nes Fern­seh­ge­rä­tes einen wei­te­ren Fern­seh­ka­nal anwäh­le, erfah­re ich, dass der Som­mer zurück­keh­ren wird, obwohl doch schon Herbst gewor­den ist. – stopschaltung6

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ai : VIETNAM

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MENSCH IN GEFAHR : “Die viet­na­me­si­sche Anwäl­tin und Men­schen­recht­le­rin Lê Thu Hà wur­de am 16. Dezem­ber fest­ge­nom­men. Kurz zuvor am sel­ben Tag war auch der bekann­te Men­schen­rechts­an­walt Nguyễn Văn Đài fest­ge­nom­men wor­den. Bis­her durf­te sie kei­nen Besuch von ande­ren Aktivist/innen erhal­ten. Sie läuft Gefahr, gefol­tert und ander­wei­tig miss­han­delt zu wer­den. / Die Rechts­an­wäl­tin Lê Thu Hà soll am 16. Dezem­ber inhaf­tiert wor­den sein, als Sicher­heits­kräf­te die Woh­nung des Men­schen­rechts­an­walts Nguyễn Văn Đài in der Haupt­stadt Hanoi durch­such­ten. Der Anwalt war am Mor­gen des­sel­ben Tages fest­ge­nom­men wor­den. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu sei­nem Fall fin­den Sie in UA-292/2015.  Lê Thu Hà ist Mit­glied der von Nguyễn Văn Đài gegrün­de­ten Orga­ni­sa­ti­on “Bru­der­schaft für Demo­kra­tie” (Brot­her­hood for Demo­cra­cy). Sie befin­det sich der­zeit im B14-Gefäng­nis in Hanoi in Unter­su­chungs­haft. Es ist nicht bekannt, ob sie bereits ange­klagt wurde./ Lê Thu Hà war bereits am 23. Sep­tem­ber fest­ge­nom­men wor­den, gemein­sam mit vier wei­te­ren Mitarbeiter/innen des unab­hän­gi­gen You­Tube-Kanals “Lương Tâm TV” (“Gewis­sens-TV”). Sie war als Eng­lisch-Über­set­ze­rin für den Sen­der tätig gewe­sen, der seit August 2015 auf You­Tube kur­ze Clips über die Men­schen­rechts­la­ge in Viet­nam aus­strahlt. Alle fünf waren bis spät­abends von der Hanoier Sicher­heits­po­li­zei fest­ge­hal­ten wor­den. Im April hat­ten die Behör­den den Rei­se­pass von Lê Thu Hà ein­ge­zo­gen, kurz bevor sie von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt flie­gen und von dort aus einen Flug ins Aus­land neh­men woll­te. / Am 20. Dezem­ber ver­such­ten eini­ge Aktivist/innen, Lê Thu Hà im B14-Gefäng­nis zu besu­chen, durf­ten sie jedoch nicht sehen. Sie läuft Gefahr, gefol­tert und ander­wei­tig miss­han­delt zu wer­den. Verteidiger/innen der Men­schen­rech­te, gegen die in Viet­nam straf­recht­li­che Vor­wür­fe erho­ben wor­den sind, wer­den wäh­rend der Unter­su­chungs­haft bzw. in der Ermitt­lungs­pha­se häu­fig unmensch­lich behan­delt.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 2. Febru­ar 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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Samia Yusuf Omar

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ulys­ses : 0.03 — Exakt 418 Tage zurück, am Mon­tag, dem 20. August 2012, mel­de­ten Nach­rich­ten­agen­tu­ren, die soma­li­sche Sprin­te­rin Samia Yus­uf Omar sei auf dem Weg nach Lon­don zu den olym­pi­schen Spie­len ertrun­ken. Sie reis­te auf einem Flücht­lings­schiff von Liby­en aus nord­wärts. Die Hava­rie des Boo­tes soll sich im Kanal von Sizi­li­en nahe der Insel Mal­ta bereits Anfang April ereig­net haben. Ein­zi­ge Ver­tre­te­rin ihres Hei­mat­lan­des wäh­rend der olym­pi­schen Spie­le 2008 in Peking, hat­te sich Samia Yus­uf Omar allein auf den gefähr­li­chen Weg nach Euro­pa bege­ben. Sie leb­te 22 Jah­re. — stop / kof­fer­text

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i love you

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romeo : 15.18 — Am See im Pal­men­gar­ten. Ers­te mil­de Stun­den. Abend­seg­ler jagen durch die Däm­me­rung. Für einen Moment der Ein­druck, es könn­te sich bei den Schat­ten der Flie­gen­jä­ger um klei­ne, spie­len­de Engel han­deln. Auf der Bank neben mir ruht mein Film­te­le­fon, gera­de eben erscheint der Feu­er­ball einer deto­nie­ren­den Bom­be in der Stadt Bos­ton nahe einer Mara­thon­stre­cke. Wenn ich den Kanal wech­se­le, Skate­board­fah­rer, die über Haus­dä­cher sprin­gen auf der Insel San­to­rin, ein Mäd­chen mit Zahn­span­ge träl­lert: I love you, i love you! Bald dunk­le Rauch­pil­ze über der Stadt Alep­po. Auf einer Stra­ße liegt der Kör­per einer Frau, der sich noch bewegt, obwohl sie unbe­dingt tot sein müss­te, so furcht­bar die Ver­let­zun­gen, die ihr zuge­fügt wor­den sind. Ich spie­le den Film immer wie­der ab, war­um? Als es dun­kel wird über dem Was­ser, Stil­le. Man hört in der Licht­lo­sig­keit nichts vom Jagen der Tie­re, wenn man sie nicht sieht. Weni­ge Stun­den spä­ter wird Wla­di­mir Putin sagen, bei dem Anschlag in Bos­ton han­de­le es sich um ein bar­ba­ri­sches Ver­bre­chen. — stop