Aus der Wörtersammlung: zunge

///

libellencafe

pic

tan­go : 8.08 — Ein Notiz­buch, ein beson­ders Notiz­buch, eines, das mei­ne Gedan­ken ver­zeich­nen wür­de, sobald ich spa­zie­ren gehe. Hand­lich müss­te es sein und leicht und geräusch­los schrei­ben. Viel­leicht wäre es mög­lich, die­se klei­ne Gedan­ken­schreib­ma­schi­ne, so zu pro­gram­mie­ren, dass sie jene Gedan­ken, die neue Gedan­ken sind, zu unter­schei­den ver­mag von allen wei­te­ren Gedan­ken, von Gedan­ken, die sich wie­der und wie­der den­ken wol­len, von krei­sen­den Gedan­ken, von Karus­sell­ge­dan­ken. – Wäh­rend ich ges­tern Abend vor der Kas­se eines Super­mark­tes war­te­te, hat­te ich die Idee, dass man eines Tages ein­mal ein Haus erfin­den müss­te, ein Kaf­fee­haus, in dem unter den Gäs­ten Libel­len schwir­ren, präch­tigs­te Flug­we­sen, die an Wän­den und auf Tischen sit­zen, auf den Tas­sen, den Glä­sern, den Zei­tun­gen, den Gäs­ten selbst. Ja, das wäre eine fei­ne Sache, ein auf­re­gen­der Ort, eine ange­neh­me Fan­ta­sie, die von der Gedan­ken­schreib­ma­schi­ne, die ich mir wün­sche, sehr sicher und sofort notiert wor­den wäre. Man wür­de zum Früh­stück zur Füt­te­rung der Libel­len­tie­re dort viel­leicht Flie­gen­schäl­chen rei­chen. Ja, das ist sehr gut denk­bar, Flie­gen­schäl­chen gro­ßer Flie­gen für gro­ße Libel­len, und Flie­gen­schäl­chen klei­ner Flie­gen für klei­ne Libel­len. Wie wür­de die Atmo­sphä­re die­ses Ortes wohl auf der Zun­ge schme­cken? Und was wäre noch zu hören vom Gespräch der Gäste?

ping

///

yanuk : frogs

2

sier­ra

~ : yanuk le
to : louis
sub­ject : LIGHT
date : july 12 08 6.15 p.m.

Lie­ber Mr. Lou­is, ich schreib Dir noch rasch, bevor die Dun­kel­heit wie ein nas­ses Tuch vom Him­mel fal­len wird. Ist Dir bekannt, dass ich seit bald zwei­hun­dert Tagen auf Baum No 728XZ sit­ze, ohne ein­mal den Erd­bo­den berührt zu haben? Viel Zeit habe ich in den ver­gan­ge­nen Wochen damit ver­bracht, mein Zelt gegen das Licht der Son­ne abzu­dich­ten. Wer­de fort­an ver­su­chen, am Tag zu schla­fen und nachts mei­nen For­schungs­ar­bei­ten nach­zu­ge­hen. Bin zufrie­den, habe vie­le neue Wesen ent­deckt, aber die Hit­ze setzt mir zu, und das Licht scheint doch eine Flüs­sig­keit zu sein, die durch den kleins­ten Spalt flie­ßen und mein Zelt aus­zu­fül­len ver­mag. Viel­leicht ist das Licht des­halb nicht aus­zu­schal­ten, weil ich weiß, dass es dort drau­ßen, vor mei­nem Zelt unter dem Man­tel von Blät­tern, hell ist, oder weil Licht in mei­nem Kopf brennt, das ich nicht zu Ende den­ken kann. Und doch, mein lie­ber Lou­is, bin ich glück­lich. Dank Dir herz­lich für den fei­nen Sim­mons Text. Das ers­te Buch, das ich per E‑Mail erhal­ten habe. Ich bin natür­lich bis­lang nicht sehr geübt im Lesen vor Bild­schir­men und die Fal­ter set­zen mir zu. Sie haben die Grö­ße mei­ner Hän­de, sind stau­big und zu schwer für die Zun­gen der Frö­sche, die in mei­ner Nähe sit­zen und war­ten, dass ich mit mei­nen Selbst­ge­sprä­chen begin­nen wer­de. Manch­mal habe ich das Gefühl, bereits selt­sam gewor­den zu sein. Viel­leicht bin ich ein erfun­de­nes Geschöpf? Wirst Du schrei­ben, sobald Du etwas Ver­rückt­heit bei mir fin­dest? – 6.12 p.m. 32 °C. 97 Pro­zent Luft­feuch­te. Posi­ti­on 1°38’S 61°42’W — Yanuk

 

ein­ge­fan­gen
22.05 UTC
1538 Zeichen

yanuk to louis »

ping

///

libellen

pic

sier­ra : 3.22 — Heut Nacht sitz ich im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­lee­ren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern, das soll­ten Sie wis­sen, gegen den Mit­tag zu erwach­te, balan­cier­te eine Libel­le eben, mari­ne­blau, auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te, schau­te mir beim Auf­wa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­be­nen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend heiß, die küh­ler gewor­den sein moch­ten, wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich kurz vor Mit­ter­nacht einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit drei Stun­den und höre selt­sa­me Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

ping

///

mund ohne zunge

pic

marim­ba : 5.15 — Schon immer bin ich ein Träu­mer gewe­sen, saß auf Bäu­men, kam zu spät zur Schu­le oder zum Mit­tag­essen, Fuß­ball­spie­le ende­ten ohne mich, Züge fuh­ren in die fal­sche Rich­tung mit mir davon. Ein­mal küss­te ich ein Mäd­chen so lan­ge ich konn­te, das heißt, sie küss­te mich so lan­ge sie woll­te, weil die Zeit, von der ich erzäh­le, eine Zeit gewe­sen war, in der die Mäd­chen sich die Jun­gen zum Küs­sen hol­ten, weil die Jun­gen noch mit Eisen­bah­nen oder ande­ren Jun­gen spiel­ten. Wäh­rend sie ihren sehr küh­len Mund auf mei­nen sehr klei­nen Mund press­te, sah sie auf die Uhr und manch­mal lach­ten wir, ohne die Lip­pen von­ein­an­der zu lösen, weil die Win­de aus unse­ren Nasen sich über unse­ren Wan­gen kreuz­ten. Bald sag­te sie, eine Minu­te, und dann sag­te sie, zwei Minu­ten, und so eil­ten wir von Rekord zu Rekord, zit­tern­de Wesen ohne Zun­gen. Schon damals trug ich eine inne­re Uhr mit mir her­um. Ich hat­te eine genaue Vor­stel­lung, wo die­se Uhr zu fin­den sein muss­te. Nicht im Kopf, nicht in der Nähe mei­ner Ohren, dort wäre ihr Zähl­werk zu hören gewe­sen. Und ich wuss­te, dass man sich auf inne­re Uhren, auf Kör­per­uh­ren, nicht ver­las­sen konn­te, nicht wenn man gera­de noch von einem Mund geküsst wor­den war.

ping

///

abschnitt neufundland

picping

Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 1222, Luft­fahrt — 3798, Auto­mo­bi­le — 55635], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 2, 19. Jahr­hun­dert – 164, 20. Jahr­hun­dert – 1318 , 21. Jahr­hun­dert — 428 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 387, gelöscht : 5 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ PFXLW-II Pana­flex : 2 ], Öle [ 0.7 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 28, Knie­ge­len­ke – 12, Hüft­ku­geln – 331, Bril­len – 1266 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 1356, Grö­ßen 38 — 45 : 1218 ], Kühl­schrän­ke [ 158 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 5, mit Tau­cher – 34 ], Engels­zun­gen [ 221 ] | stop |

ping

///

karpfenzungen

pic

18.15 — Ich hör­te, eine U‑Bahn-Linie soll ein­mal vor lan­ger Zeit Euro­pa mit dem nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent ver­bun­den haben. Sie folg­te dem 55. Brei­ten­grad unter atlan­ti­schen Gestei­nen, nahe Bryant Park, Man­hat­tan, stieg man zu. Dann fuhr man los. Man fuhr zwei Tage und drei Näch­te, Zeit, viel Zeit, Geschich­ten zu erzäh­len. Wenn Nacht gewor­den war unter dem Mee­res­bo­den, schlief man auf Hän­ge­mat­ten gebet­tet tief und fest, war wie­der Tag gewor­den, saß man plau­dernd vor den Fens­tern zu den Stei­nen. Am letz­ten Abend der Rei­se end­lich wur­de getanzt bis spät in die Nacht. Schon mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit, ser­vier­te man über offe­nen Feu­ern gebra­te­ne Täub­chen. Die waren prall gefüllt mit Karp­fen­zun­gen. Dann war’s fünf und Mor­gen über Buda­pest. Metro Vörös­mar­ty tér stieg man aus und jeder ging sei­ner Wege. – Zwei Uhr fünf­und­zwan­zig in Lha­sa, Tibet. — stop

ping

///

panthergeschichte

pic

18.15 – Da ist mir doch tat­säch­lich ein jun­ger Pan­ther zuge­laufen, ein zier­li­ches Wesen, das mühe­los vom Boden her auf mei­ne Schul­ter sprin­gen kann, ohne dabei auch nur den gerings­ten Anlauf neh­men zu müs­sen. Sei­ne Zun­ge ist rau, sei­ne Zäh­ne kühl, ich bin stark, auch im Gesicht, gezeich­net von sei­nen wil­den Gefüh­len. Der Pan­ther schläft, unter­dessen ich arbei­te. So glück­lich sieht er dort aus, auf der Decke unter der Lam­pe lie­gend, dass ich selbst ein wenig schläf­rig wer­de, auch wenn ich nur an ihn den­ke, an das Licht sei­ner Augen, das gelb ist, wie er zu mir her­über­schaut bis in den Kopf. Spät­abends, wenn es lan­ge schon dun­kel gewor­den ist, gehen wir spa­zie­ren. Ich lege mein Ohr an die Tür und lau­sche, das ist das Zei­chen. Gleich neben mir hat er sich aufge­richtet, schärft an der Wand sei­ne Kral­len, dann fegt er hin­aus über die Stra­ße, um einen vom Nacht­licht schon müden Vögel zu ver­spei­sen. Dar­an sind wir gewöhnt, an das lei­se Kra­chen der Gebei­ne, an schau­kelnde Federn in der Luft. Dann wei­ter die heim­liche Rou­te unter der Stern­warte hin­durch in den Palmen­garten. Es ist ein gro­ßes Glück, ihm beim Jagen zuhö­ren zu dür­fen. Ich sit­ze, die Bei­ne über­ein­ander geschla­gen, auf einer Bank am See, schaue gegen die Ster­ne, und ver­neh­me die Wande­rung des Jägers ent­lang der Ufer­strecke. Ein Rascheln, ein Kräch­zen, ein Schlag ins Was­ser. Wenn er genug hat, gehn wir nach Hau­se. — Don­ners­tag. 24. Janu­ar 2008. Kurz nach­dem ich die­se klei­ne Geschich­te mit Ver­gnü­gen erfun­den habe, die Nach­richt, die kom­plet­te DNA eines Bak­te­ri­ums sei zum ers­ten Mal von Men­schen­hand wie­der­holt, das heißt mon­tiert wor­den ist. — stop

ping

///

déjà-vu

pic

15.08 — In der schwan­ken­den Stra­ßen­bahn höre ich, wie sie mit bren­nen­den Augen nach Wor­ten suchen für das schep­pern­de Licht des Magne­si­ums, für das Fau­chen der ben­ga­li­schen Feu­er, die sie in Hän­den gehal­ten haben. Da ist eine Nacht­se­kun­de, die Sekun­de, in der sie das rote, das ver­bo­te­ne Stäb­chen ent­zün­det und gera­de noch eben recht­zei­tig von sich gewor­fen haben, da ist das Heu­len der chi­ne­si­schen Pul­ver­pfei­fen, da sind Fun­ken­re­gen, da sind blau­graue Wölk­chen, die sich auf klei­ne Zun­gen nie­der­le­gen. Nicht die Feu­er­blu­men des Him­mels, das Spek­ta­kel der nächs­ten Nähe ent­fes­selt die Erin­ne­rung von Stun­de zu Stun­de. Zünd­höl­zer, ver­bor­gen in Hosen­ta­schen, sind zurück­ge­blie­ben, auch die­ses Schwe­fel­holz, eine heim­li­che Geschich­te. — stop

ping

///

sammler

2

5.08 — Schreib­ma­schi­nen sam­meln zum Bei­spiel, um ihre Geräu­sche stu­die­ren zu kön­nen, oder Amber­ge­stei­ne oder Nil­pfer­de aus Por­zel­lan oder Schnee­ku­geln oder Engels­zun­gen in vivo. — stop
ping



ping

ping