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midtown : library

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alpha : 0.22 — Im Laden der New York Public Libra­ry ent­de­cke ich einen Brief, den Emi­lie Dick­in­sons im Jah­re 1852 an Sus­an Gil­bert notier­te. Wei­ter­hin Brie­fe des Schrift­stel­lers H.D.Lawrence an Ernest Weekly, Jack Lon­dons an Anna Strun­sky, sowie Mark Twa­ins an Enid Joce­lyn Agnew. Die­se Brie­fe kos­ten in einer Samm­lung 50 $. Sie sind auf Tisch­tü­chern fest­ge­hal­ten, fei­ne, hel­le Stof­fe, Hand­ar­beit: Made in India. Selt­sa­me Sache. — stop

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east village : gehschläfer

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marim­ba : 0.18 — So, stel­le ich mir vor, könn­te das sein. Es ist Abend gewor­den, Zeit das Büro zu ver­las­sen. Man tritt vor das Gebäu­de, in dem man sei­ne Tage fris­tet, setzt sich ein elek­tri­sches Häub­chen auf den Kopf und schon schließt man die Augen und schläft und geht in die­ser Wei­se schla­fend auf Wegen nach Hau­se, die für schla­fen­de Men­schen vor­ge­se­hen sind. Nie­mand wür­de je auf die Idee kom­men, einen schla­fen­den Pend­ler zu wecken. Drei Stun­den, sagen wir, im Tief­schlaf schrei­tet man die 5th Ave­nue down­town, biegt bald in die 23. Stra­ße ein, folgt ihr, weiß der Him­mel wovon man gera­de träumt, bis zur 1st Ave­nue, um kurz dar­auf in der 20. Stra­ße zu lan­den, Haus No 431, dort wird man geweckt und fin­det sich im Auf­zug wie­der, wie frisch geba­det im Kopf, um eine Nacht rei­cher gewor­den, zu fei­ern, zu lie­ben, mit Kin­dern zu spie­len. Am nächs­ten Mor­gen macht man sich wie­der auf den Weg, setzt sich sein Häub­chen, und auch die Kin­der set­zen sich ihre Häub­chen auf den Kopf, und so wei­ter und so fort. Irgend­wo soll­te eine zen­tra­le Sta­ti­on exis­tie­ren, die Schlaf und Schrit­te jener schlum­mern­den Men­schen steu­ert. — stop

ping

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manhattan : 22. etage

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del­ta : 0.52 — In der Nähe des Him­mels zu woh­nen, das ist schon eine selt­sa­me Sache. Wäh­rend ich ges­tern Mor­gen ein Bad genom­men habe, ver­such­te ich mir vor­zu­stel­len, dass sich unter mir wei­te­re 21 Bade­wan­nen befin­den könn­ten, und dass sich genau in die­sem Moment 21 Per­so­nen unter mir sich in der­sel­ben Situa­ti­on, näm­lich in der Bade­wan­ne auf­hal­ten wer­den, viel­leicht sin­gen, Radio hören, in der Zei­tung lesen, oder einen Kaf­fee trin­ken. Ich kom­me, genau­ge­nom­men, mit­tels mei­ner Fan­ta­sie noch in die Eta­ge unter mir, wei­ter kom­me ich nicht. Ich bin außer­stan­de, mir vor­zu­stel­len, wie hoch ich doch sit­ze, in der Flug­hö­he der Möwen, ich höre den Wind um die Fens­ter strei­chen, ich glau­be, es ist denk­bar, dass ich der ein­zi­ge Mensch in die­sem Hau­se bin, der sich Gedan­ken macht um das Baden oder das Schla­fen oder Spa­zie­ren in die­ser Höhe. — stop

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brooklyn : verrazano

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nord­pol : 0.25 — Geträumt in der ver­gan­ge­nen Nacht, das Fähr­schiff John F. Ken­ne­dy wäre der Küs­te Sta­ten Islands ent­lang unter Ver­raza­no-Nar­rows Bridge hin­durch aufs offe­ne Meer hin­aus­ge­fah­ren. — stop

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union square : funkempfänger

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ulys­ses : 0.08 — Im Taxi, in eine Wand ein­ge­las­sen, die den Raum des Fah­rers von mei­nem Raum sorg­fäl­tig trennt, ein Fern­seh­ge­rät, das sich nicht aus­schal­ten lässt. Über­haupt schep­pert das Fahr­zeug in einer Wei­se, als wären sämt­li­che Schrau­ben, die am Mor­gen die­ses schö­nen Tages zu lösen gewe­sen waren, mit Absicht frei­ge­las­sen. Es ist ein altes Taxi, eines, das man foto­gra­fie­ren könn­te, es wäre nicht mög­lich, zu sagen, in wel­chem Jahr in New York man sich genau befin­det, nicht ein­mal das Jahr­zehnt wäre ein­deu­tig fest­zu­stel­len, in die­sem Taxi könn­te mein Vater noch gefah­ren sein, zu einer Zeit, da ich selbst noch kaum des Lau­fens mäch­tig gewe­sen war. Viel­leicht lässt sich das Fern­seh­ge­rät des­halb nicht aus­schal­ten, weil es eigent­lich nicht in die­ses Fahr­zeug gehört, es ist eine nach­träg­lich ein­ge­bau­te Per­sön­lich­keit, die Sequen­zen einer aktu­el­len Wirk­lich­keit emp­fängt und wie­der­gibt. Irgend­wo muss das Auto über einen Funk­emp­fän­ger ver­fü­ge für Fern­seh­wel­len. Gera­de sehen wir Mr. Rom­ney, aber wir hören ihn nicht, weil das Auto­mo­bil schep­pert und weil der Fah­rer ver­sucht sich mit mir zu unter­hal­ten, wäh­rend ich ver­su­che, ihm mit­zu­tei­len, dass ich das Fern­seh­ge­rät ger­ne lei­ser stel­len wür­de, oder aus­schal­ten noch viel lie­ber, um ihn, den Fah­rer ver­ste­hen zu kön­nen. Am Uni­on Squa­re hal­ten wir an, und der Mann, der mich fährt, ein sehr jun­ger, sehr kor­pu­len­ter schwar­zer Mann ver­lässt sein Auto­mo­bil, um sich die Sache mit dem Fern­seh­ge­rät näher anzu­se­hen. Eine beson­de­re Situa­ti­on ist nun ent­stan­den, weil der Fah­rer eigent­lich sein Fahr­zeug nie ver­lässt, so sieht er jeden­falls aus, es könn­te sein, dass er nicht wie­der hin­ein­fin­det in sei­nen Wagen und es ist noch dazu kei­ne Zeit für sol­che Din­ge, wir ste­hen inmit­ten des Ver­kehrs, es könn­te alles mög­li­che pas­sie­ren an die­ser Stel­le. – stop

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downtown south ferry : lorra

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nord­pol : 0.22 — Elends­men­schen unter Decken, unter Män­teln, unter Kar­tons ver­bor­ge­ne Per­so­nen­we­sen, zer­schla­ge­ne, gefro­re­ne, eitern­de Gesich­ter zu Tau­sen­den auf der Stra­ße, in Tun­nels, Haus­ein­gän­gen, Parks. Ich kann nicht erken­nen, ob sie Frau­en oder Män­ner sind, sie spre­chen und bewe­gen sich nicht, oder nur sehr lang­sam, als wür­den sie sich in einer ande­ren Zeit befin­den. Wer noch gehen kann, wer noch über Kraft zu spre­chen ver­fügt, wan­dert in der Sub­way, eine äußerst schwie­ri­ge Arbeit, das Erzäh­len immer wie­der ein und der­sel­ben Geschich­te: Guten Abend, mei­ne Damen und Her­ren! Ich bit­te um ihre Auf­merk­sam­keit! Ich bin Lor­ra, ich bin 32 Jah­re alt, ich bin woh­nungs­los, ich habe kei­ne Arbeit, ich habe Kin­der, wir müs­sen über den Win­ter kom­men. Von Wag­gon zu Wag­gon. Von Zug zu Zug. Stun­de um Stun­de. Sie nimmt auch zu essen, zu trin­ken, Papier oder lee­re Fla­schen an. Alles hilft, sagt Lor­ra, alles hilft. Sie wird nicht ver­höhnt, ver­trie­ben oder miss­ach­tet, sie bekommt, sooft ich ihr in der Linie 5 down­town South Fer­ry begeg­ne­te, zwei oder drei Dol­lar über­reicht. Abends sitzt sie im War­te­saal der Fäh­re und schläft. Ein­mal nähert sich ein Poli­zist. Lor­ra war ein wenig zur Sei­te gefal­len. Er spricht sie an, er berührt sie an der Schul­ter: Mam, ist alles in Ord­nung? Aber Lor­ra ant­wor­tet nicht. Ein zwei­ter Poli­zist kommt hin­zu. Er fragt: Ist sie noch am Leben? Sie rich­ten die schla­fen­de Frau gemein­sam auf. Sie tra­gen jetzt Hand­schu­he von Plas­tik. Sie spre­chen so lan­ge lei­se auf Lor­ra ein, bis sie die Augen öff­net. Dann macht sie die Augen wie­der zu. — stop

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manhattan midtown — käfer der stille

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echo : 0.18 — Wie vie­le Cent wür­den Käfer kos­ten, die sich in mei­ne Ohren schmie­gen und von der Stil­le sum­mend erzäh­len? In wel­cher Art Woh­nung hau­sen Käfer, die von der Stil­le erzäh­len? Was und wie viel wür­den sie fres­sen? Sind Orte bekannt, da ihre Lieb­lings­spei­sen zur Abho­lung lagern? Leben Käfer der Stil­le für sich oder leben sie in Grup­pen? All die­se Fra­gen! All die­se Fra­gen! — Ich habe ein klei­nes Loch in den Zei­ge­fin­ger­strumpf mei­nes rech­ten Hand­schuhs fabri­ziert, um in der Käl­te mei­ne iPad-Schreib­ma­schi­ne bedie­nen zu kön­nen. Aber es ist warm gewor­den in New York. 15 °C. Regen. Alles dampft. Auf den Dächern der Häu­ser schnur­ren die Tur­bi­nen. — stop

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manhattan : subwayaugen

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tan­go : 0.02 — Ich fah­re in der Sub­way, ein Buch in Hän­den, in oder über der Stadt unter Men­schen sit­zend dahin und bän­di­ge mei­nen Blick. Ich kann nun tat­säch­lich lesen, also abwe­send sein. Oder ich kann vor­ge­ben, als ob ich lesen wür­de. In die­sem Fall betrach­te ich Buch­sta­ben oder die Sei­te eines Buches und ihre Zei­chen oder das Buch ins­ge­samt. Ande­re, die in mei­ner Nähe rei­sen, betrach­ten ihre Hän­de oder ihr Tele­fon oder eine Zei­tung. Wie­der ande­re lesen in der Zei­tung, sind dem­zu­fol­ge tat­säch­lich nicht anwe­send oder nur zum Teil anwe­send, wäh­rend ein Auge den Zei­len folgt, trach­tet das ande­re Auge nach innen gerich­tet in den kom­men­den Abend oder auf den ver­gan­ge­nen Mor­gen zurück. Ges­tern, auf der Fahrt mit der Linie D von der 96. Stra­ße West nach Coney Island, habe ich ein schö­nes Buch beob­ach­tet. E.B.Whites Essay Here is New York. stopRegen. stop. Es ist warm gewor­den. Man­che New Yor­ker tra­gen Som­mer­klei­dung für einen Tag, ande­re Hand­schu­he. In der Däm­me­rung in den Pfüt­zen der Stra­ßen wie­der blin­ken­de, damp­fen­de Hun­de, künst­li­che Licht­na­tu­ren. Gespens­ter. — stop

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upper east side : mail

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india : 2.08 — Im 22. Stock des Hau­ses in Man­hat­tan, in dem ich woh­ne, befin­det sich vor Auf­zü­gen ein Brief­kas­ten der United Sta­tes Pos­tal Ser­vices, ein Schlitz, der in die Wand ein­ge­las­sen wur­de, ein guss­ei­ser­ner Mund, genau­er, mit einem schwe­ren Häub­chen von roter Far­be. Ich war im Postof­fice an der Penn Sta­ti­on gewe­sen, um eine Brief­mar­ke zu besor­gen und einen Brief­um­schlag, eine Post­kar­te hat­te ich schon, sie zeigt eine Foto­gra­fie der Mund­har­mo­ni­ka Jack Kerou­acs. Ich habe nun Fol­gen­des unter­nom­men. Ich habe auf die Post­kar­te einen Satz für mich selbst notiert, der natür­lich geheim blei­ben muss. Dann habe ich die Post­kar­te in den Brief­um­schlag gesteckt, mei­ne Adres­se notiert und den Brief in den klei­nen Mund vor den Auf­zü­gen gesteckt. In dem Moment, da ich den Brief aus den Hän­den in die Tie­fe glei­ten ließ, mein Ohr hat­te ich dicht an den Schlitz her­an­ge­führt, war kein Geräusch zu hören gewe­sen, als ob der Brief in einem Nichts ver­schwin­den wür­de. — Spa­ziert im Cen­tral Park. Leich­ter Regen. Eine Stadt vol­ler Men­schen unter Schir­men, die mit­ein­an­der zu spre­chen schei­nen. – stop

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saint george ferry terminal : tiefseeelefanten

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echo : 0.02 — Ges­tern, Diens­tag, 24. Janu­ar, hat­te ich Gele­gen­heit mich genau so zu ver­hal­ten, als wür­de ich schla­fen, obwohl ich doch hell­wach gewe­sen war. War in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals, erin­ner­te mich an einen Traum, den ich vor zwei Jah­ren erleb­te. Ich war­te­te in die­sem Traum an einem spä­ten Abend an genau der­sel­ben Stel­le auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Ich war­te­te lan­ge, ich war­te­te die hal­be Nacht, begeis­tert vom Anblick einer Her­de fili­gra­ner Tief­see­ele­fan­ten, die über den hel­len san­di­gen Boden eines Aqua­ri­ums wan­der­ten. Sie hat­ten ihre meter­lan­gen Rüs­sel zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der küh­len Luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören gewe­sen, sobald ich eines mei­ner Ohren an das haut­war­me Glas des Gehe­ges leg­te. Und auch ges­tern war­te­te ich wie­der lan­ge Zeit und beob­ach­te­te den san­di­gen Boden des Aqua­ri­ums, von dem ich geträumt hat­te. Bis­wei­len, nicht ganz wach und nicht im Schlaf, war das Signal­horn eines Fähr­schiffs zu hören. Glück­li­che Stun­den. — stop