20.17 — Träumte, hinter dem Dichter Saint-Exupery in einem Doppeldeckerflugzeug zu sitzen, offen im Wind über einer Wüste fliegend. Vor mir, in nächster Nähe, der Kopf des Dichters im Ledermantel, hin und her geworfen von Turbulenzen in der kühlen Höhenluft. Tief unter uns, in flirrender Hitze, rasch wandernde Dünen. Wir rasen entlang eines dunklen Bandes, das sich wie eine Schlange durch Täler windet. Dominosteine. Da und dort Beduinen, die ihre Zelte aufgeschlagen haben auf den Partikeln des Spiels. Kamele trinken aus Augenfeldern, die ohne Grund sind, dunkel, als seien Räume hinter ihnen angeschlossen. Von Zeit zu Zeit explodieren schwarze Wölkchen neben den Tragflächen des Flugzeugs, Qualm, der nach Schwefel duftet, nach Feuer und knallt. Plötzlich dreht sich der lederne Kopf herum. Fliegerbrille. Augen von altem Glas. Saint-Exupery spricht, aber anstatt Wörtern, schießt ihm Wasser aus dem Mund. — stop
papiere
22.02 – Ich habe Papiere, auf die ich gestern Abend noch einen kleinen Text notierte, im Selbstgespräch umkreist, ohne mich zu nähern, weil ich fürchtete, meine Notiz könnte mir nach fünf Stunden Schlaf missfallen. Zehn Stunden Zeit sind seither vergangen und ich habe die Furcht vor den Papieren, die ich den ganzen Tag über mit mir herumgetragen habe, ohne sie noch einmal zu lesen, verloren. Ich kann nicht sagen, warum das so ist. — stop
propellerfliege
1.02 – Heute Nacht ist etwas Seltsames geschehen. Ich habe einer Fliege beim Fliegen zugehört. Vielleicht könnte ich sagen, dass Fliegentiere Propellerflugzeugen in ihrer akustischen Erscheinung ähnlich sind. Sie sind bereits zu hören, wenn sie noch zu weit entfernt sind, um sie mit den Augen wahrnehmen zu können. Das Geräusch einer fliegenden Fliege lässt mich an feuchtes Holz denken und an geölte Zahnräder und an Schrauben, die aus Elfenbein gemacht sind. Wie ist diese lebende Fliege in meinem Winterzimmer möglich gewesen? — stop
salznamen
2.01 — Dass die Fische eines Schwarms keine Namen tragen. Auch die Sommerfäden eines Augusthimmels oder die Moleküle eines Wassertropfens sind kaum je beschriftet, wie der Sand einer Wüste ohne jede Bezeichnung ist, so dass man eine handvoll Sand nicht auf einen Tisch werfen könnte und sagen, dieser kleine Stein hier, das ist S‑sahara-No 537675258386. Ich sehe dich, aber ich gebe Dir keinen Namen. Stattdessen versuchen wir den Himmel. Wir sagen: Das ist Galaxie M‑23. Und dieser blaue Nebel hier verdunkelt Galaxie M‑C58. Unsere elektronischen Augen sind empfindlich. Wir könnten mit diesen Augen vielleicht einen Golfball auf dem Mond erkennen, oder eine Telefonzelle auf dem Mars, nicht aber einen Stern hinter einem Stern in einer 7 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie. Vielleicht sollte ich, wenn ich wieder einmal aufgeregt sein werde, weil mir der Himmel auf den Kopf zu fallen droht, einen Teelöffel Salz auf meinen Schreibtisch schütten und eine Zählung und Bezeichnung der Kristalle vornehmen. Wie lange Zeit würde ich zählen? Könnte ich je wieder aufhören? — stop
malcolm lowry
3.18 — Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die von Malcolm Lowry erzählt, genau genommen von seiner Art und Weise zu schreiben, nachdrücklicher noch von der Methode zu verlieren, was gerade eben noch notiert worden war. Malcolm, so der Erzähler der Geschichte, soll Gedanken auf jedes Stück Papier geschrieben haben, das in seine Reichweite gekommen war, auf Rechnungen, Speisekarten, Billets beispielsweise, sofern er in einem Café oder in einer Bar Platz genommen hatte, um solange notierend zu arbeiten, bis er ausreichend betrunken geworden war damit aufzuhören. Wie viele Wörter und Sätze sind wohl vom Wind in Wüsten oder auf Meere hinaus getragen worden, wie viele Bücher haben sich in Luft aufgelöst? Ich stelle mir immer wieder leidenschaftlich gerne vor, wie Malcolm Lowry in unserer Zeit seine Zeichenketten für die Welt abgelegt haben könnte. Sagen wir so: Lowry arbeitet nie wieder mit einem Bleistift. Er notiert seine Gedanken in eine federleichte, elektrische Maschine, die am Gürtel seiner Hose fest verankert wird. Sorgfältig von seiner Ehefrau Margerie Bonner programmiert, verbindet Malcolms persönliches Notiergerät unverzüglich Tastatur mit digitaler Sphäre, sobald sich der Autor, gleich welcher geistigen Verfassung, mit der einen oder der anderen Hand nähert. Nun schreibt der Autor. Er arbeitet, vielleicht stehend, vielleicht sitzend, vielleicht liegend. Und während er so arbeitet, wird Zeichen für Zeichen unverzüglich an einen geheimen Ort der Speicherung gesendet. Dort, dropzone, könnte man sitzen und warten und betrachten, wie der Text, um den Bruchteil einer Atomsekunde in der Zeit verrückt, vollzogen wird. — stop
wortleere
22.08 — Ist es möglich zu denken, ohne noch im Besitz von Wörtern zu sein? — stop
apollo
3.15 — Zwei Stunden vor Computermaschine. Ich beobachtete Astronauten einer Apollomission, wie sie sich Fischen gleich durch ihre Kapsel oder durch den Weltraum bewegen. Indem ich verfolge, wie sie vor einer Kamera an Spielobjekten die Wirkungen der Schwerelosigkeit demonstrieren, indem ich ihre beschädigten Stimmen höre, der Gedanke, dieses Scheppern, Pfeifen, Knistern, Krächzen könnte entstanden sein, weil ihren Stimminstrumenten das Gewicht der Welt entzogen wurde. – Weit nach Mitternacht. Wollte mich erheben, da versagte mein linkes Bein den Dienst. Hatte gedankenverloren auf ihm Platz genommen und wäre um ein Haar umgefallen. Ein seltsames, ein irritierendes Gefühl der Leere. Dann die sichtbare Gegenwart eines Körperteils, ohne die Anwesenheit dieses Körperteils von innen heraus bestätigen zu können. — stop
steinuhren
20.08 — Existieren steinerne Uhrwerke, die aufziehbar sind? — stop
hello
15.12 — Ein Chatraum, in dem seit 200 Jahren eine Person mit sich selbst kommuniziert. Plötzlich erscheint das erste Zeichen einer weiteren Person, dann ein ganzes Wort in diesem Raum. — HELLO! — Langes Schweigen. — Jahre andauerndes, schweigendes Warten. — stop
bratflügel
17.46 — Ich vermag heutzutage, moderne Zeiten, ohne weitere Vorbereitung, — der Fütterung, des Jagens, der Schlachtung beispielsweise -, eine halbe Stunde auf einem Fahrrad durch die Stadt fahren, und während ich so fahre und pfeife und mit Knochen werfe, vorgebratene Flügel verzehren. 10 Cent das Stück. 15 Schwingen. 15 Vögel. — stop