Aus der Wörtersammlung: arbeit

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bauchwellen

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echo : 0.05 — Wür­de man die Gestalt eines Bass­kä­fers auf einem Blatt Papier zur Auf­füh­rung brin­gen, wäre zunächst ein enor­mer Kno­chen­raum zu zeich­nen, eine Kam­mer, in der sich Luft befin­det, Luft in Erwar­tung einer Kraft, die sie in geräusch­vol­le Schwin­gung ver­set­zen wird. Irgend­wo dort, an einem der schma­le­ren Enden die­ses Rau­mes, sitzt ein klei­ner Kopf, Füh­ler, Ohren­se­gel, fal­ten sich tas­tend durch sei­ne unmit­tel­ba­re Umge­bung, feins­te Appa­ra­tu­ren. Dafür Augen kei­ne, aber Bei­ne, die sich flink bewe­gen. Er spielt, wie alle sei­ne Art­ge­nos­sen, im Lie­gen auf dem Rücken, greift dann nach feins­ten Sai­ten von Kup­fer­chi­tin, die über sei­nen Bauch­re­gio­nen auf­ge­spannt. Wun­der­vol­le, sono­re Töne sind zu hören, indem der Käfer sich selbst­ver­ges­sen lang­sam um die eige­ne Ach­se zu dre­hen beginnt, dumd­um, dumd­um, immer­zu links, immer­zu links, immer­zu links­her­um. — Nacht. stop. Kühl. stop. Habe mei­ne Win­ter­be­leuch­tung ange­schal­tet. Vier Lam­pen in der Küche, zwei im Flur, sie­ben in den Spa­zier­ar­beits­zim­mern, hell ist’s, als sei Tag. Guten Mor­gen. — stop

ping

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minutenzeit

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india : 15.05 — Ver­su­che, die Zeit vor­zu­stel­len, das heißt, die Zeit einer Minu­te zu mes­sen oder zu füh­len oder zu den­ken, ohne eine Uhr zu Hil­fe zu neh­men. Das ist natür­lich nicht ganz rich­tig for­mu­liert, weil ich die Genau­ig­keit mei­ner geis­ti­gen Mes­sung prü­fe, in dem ich nach Ablauf einer Minu­te, einer vor­ge­stell­ten Minu­te, die tat­säch­lich ver­stri­che­ne Zeit vom Zif­fer­blatt einer klei­nen Stopp­uhr lese, die ich in dem Moment mit einer Hand­be­we­gung in Gang set­ze, da ich den­ke, jetzt, genau jetzt ist die Zeit einer Minu­te ange­bro­chen. Nein, ich zäh­le nie bis sech­zig, auch nicht bis drei­ßig! Und die Arbeit der Uhr, die in mei­ner Hand der Minu­ten­zeit eine gül­ti­ge Gestalt ver­leiht, ist nicht zu spü­ren, nicht zu hören. Ich habe fest­ge­stellt, dass die Minu­ten­zeit des Mor­gens kür­zer ist als die Minu­ten­zeit des Abends an der­sel­ben Stel­le. Selt­sa­me Geschich­te! — stop

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schlafhauszeit

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sier­ra : 20.21 — Ein­mal nach einer Metho­de suchen, für einen Men­schen, das heißt, anstel­le eines ande­ren Men­schen, schla­fen zu kön­nen. Man wür­de fort­an Traum­zeit ran­gie­ren, man wür­de sagen, heu­te und mor­gen, wäh­rend Du arbei­test, um fer­tig wer­den zu kön­nen mit Dei­ner Arbeit, weil Du fer­tig wer­den, sofort fer­tig wer­den musst, lege ich mich auf mein Sofa und schla­fe vier­und­zwan­zig Stun­den für Dich und mich. Und kom­men­de Woche dann, wenn ich nach Finn­land rei­sen wer­de, wo’s im Som­mer nie­mals dun­kel wird, schläfst Du Tage oder Wochen anstatt mei­ner, weil im Herbst tod­si­cher wie­der viel wil­de Arbeit über Dich her­fal­len wird. Viel­leicht soll­ten ein­mal Schlä­fer exis­tie­ren, Men­schen, die schla­fen, das könn­te sein, Men­schen, die vor­nehm­lich schla­fen, um sich ernäh­ren zu kön­nen, sobald sie für kur­ze Zeit wach gewor­den sind, Schlaf­sä­le viel­leicht, oder Schlaf­wa­ben für Schlä­fer, wohl­tem­pe­rier­te Träum­er­ge­häu­se. Wie könn­te geschla­fe­ne Zeit, die Wir­kung die­ser Zeit, gespei­chert und von Kopf zu Kopf geschrie­ben sein? — stop

ping

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natalie sarraute

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echo : 22.55 — Wäh­rend ich einen Text über Hän­de und Fin­ger notier­te, beob­ach­te­te ich mei­ne eige­nen, arbei­ten­den Hän­de und Fin­ger, wie sie die Tas­ta­tur der Maschi­ne bedien­ten, ohne dass ich ihnen bewusst Anwei­sung erteil­te. Ein­mal konn­te ich nicht wei­ter, des­halb mach­te ich eine klei­ne Pau­se und betrach­te­te zunächst mei­ne lin­ke, dann mei­ne rech­te Hand. Sie ruh­ten Sei­te an Sei­te auf der Tas­ta­tur der Maschi­ne und war­te­ten. Sie war­te­ten dar­auf, dass eine Stim­me in mei­nem Kopf dik­tie­ren wür­de, was auf­zu­schrei­ben ist. Ich könn­te jetzt viel­leicht sagen, dass mei­ne Hän­de dar­auf war­te­ten, mein Gedächt­nis ent­las­ten zu dür­fen, weil ich alle Sät­ze, die ich mit mei­nen Hän­den in die Tas­ta­tur der Maschi­ne schrei­be, nie ler­nen, nie spei­chern muss, weil ich bereits vor der Nie­der­schrift weiß, dass ich bald wie­der­kom­men und lesen könn­te, was ich notie­re und notier­te. Ich betrach­te­te also mei­ne Hän­de, und weil ich sehr lan­ge Zeit nicht wei­ter­wuss­te in mei­nem Text, habe ich in Natha­lie Sar­rau­tes wun­der­ba­rem Buch Kind­heit gele­sen. Nach einer Stun­de schal­te­te sich mein Com­pu­ter aus und ich konn­te auf dem Bild­schirm fol­gen­de Zei­le lesen: no signal. going to sleep. — stop

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luftzeitpumpen

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~ : louis
to : Mr. eliot
sub­ject : LUFTZEITPUMPEN

Mein lie­ber Eli­ot! Ich habe mir heu­te gedacht, man müss­te Bei­zei­ten ein­mal mit einer höhe­ren Instanz dar­über ver­han­deln, ob nicht Lebens­zeit durch Lese­zeit ver­län­gert wer­den könn­te. — Woll­te Dir schon lan­ge schrei­ben. Ich neh­me an, Du wirst vor Mona­ten zunächst Dein War­ten, dann mei­nen Namen ver­ges­sen haben. Oder war es etwa umge­kehrt gewe­sen? Nun, hier bin ich wie­der, Dein Lou­is, jener Lou­is, der in sei­ner Vor­stel­lung Luft­zeit­pum­pen ver­such­te. Um Him­mels­wil­len, ich wer­de doch nicht ganz und gar ver­lo­ren sein, ein selt­sa­mer Gedan­ke, dass ich mei­ner Arbeit nach­ge­gan­gen sein könn­te, ohne bemerkt zu haben, dass mei­ne Exis­tenz in Dei­nem Leben ende­te, ein fer­ner Tod, mein eige­ner. Sam­melst Du wei­ter­hin Her­zen Dei­ner Rechen­ma­schi­nen? Wie geht’s Dei­ner Gelieb­ten? Was macht das Chro­mo­som No 1, hast Du’s bald aus­ge­druckt? — Zwerg­see­ro­sen segeln durch die Luft. Ant­wor­te rasch! Dein Louis

gesen­det am
04.10.2010
23.12 MESZ
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edison

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oli­mam­bo : 3.15 — Vari­an­ten, Bewe­gun­gen einer Hand zu beschrei­ben, die sich spie­le­risch über einer Kla­ri­net­te bewegt. — Müde. — Viel­leicht die­se Art Sand­au­gen­mü­dig­keit, die Nacht­ar­beit bewir­ken kann. Wann ist Mit­tag in der Nacht? Wann beginnt der Abend? Ich ste­he auf, ver­tre­te mir die Bei­ne, lau­fe vor dem Bücher­re­gal hin und her, ent­de­cke ein Buch, das von Edi­son erzählt, ein Buch aus der Kin­der­zeit, sit­ze auf dem Sofa, lese und schaue. — Wie man Glüh­bir­nen macht? Zunächst macht man einen glä­ser­nen Behäl­ter für das Licht und die­ses Glas nun glüht in einem sehr war­men oran­ge­far­be­nen Ton und ist flüs­sig und irgend­wie sehr heiß, denn die Män­ner, die an ihm arbei­ten, tra­gen kräf­ti­ge Hand­schu­he, ihre Gesich­ter sind zum Schutz mit feuch­ten Tüchern ver­bun­den. Jetzt bin ich ein­ge­schla­fen. — stop
ping

ping

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pong pong

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alpha : 2.01 — Kurio­se Beob­ach­tung heut Nacht. Ich saß auf mei­nem Sofa und dach­te an eine Appa­ra­tur, die in der Lage sein könn­te, Bücher in einem vor­ge­ge­be­nen Rhyth­mus selbst­stän­dig umzu­blät­tern. Über zwei Arme soll­te die­se Maschi­ne ver­fü­gen, gleich­wohl über fin­ger­ähn­li­che Fort­sät­ze, einen Motor und Sen­so­ren, emp­find­lich für Licht. Wäh­rend ich die Maschi­ne in mei­nem Kopf zusam­men­setz­te, notier­te ich die Anzahl der Schrau­ben, die bald ein­mal im wirk­li­chen Leben zur Fes­ti­gung nötig sein wer­den, hand­schrift­lich auf ein Blatt Papier. Immer wie­der, wenn ich in mei­ner Arbeit gestört wur­de, setz­te ich neu an. Das ist näm­lich sehr merk­wür­dig mit Maschi­nen, die ich erfin­dend mon­tie­re, sie ver­schwin­den voll­stän­dig aus dem Sinn, sobald ich nur für eine Sekun­de mei­ne Arbeit zu unter­bre­chen habe, sagen wir, weil ich höre, wie drau­ßen auf der Stra­ße Schrit­te lau­fen. Eigent­lich ist die­se Nacht über­haupt unge­eig­net, eine Kopf­ma­schi­ne zu bau­en. Ich habe die Fens­ter mei­ner Woh­nung geöff­net, ein leich­ter Wind fährt durch die Kro­nen der Bäu­me vor dem Haus. Die­se Bäu­me im Dun­keln sind Kas­ta­ni­en. Sie machen Nuss­mu­sik, pong, pong. — stop

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mrs. wilkerson

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whis­key : 22.28 — Mrs. Wil­ker­son ist eine außer­or­dent­lich statt­li­che Erschei­nung. Sie trägt ihr schwar­zes Haar zu einer Kugel geformt streng hin­ter den schma­len Kopf zurück­ge­zo­gen, Mund und Augen­li­der sind von einem Schim­mer erhellt, der so dezent auf­ge­tra­gen ist, dass er auf der Haut einer weiß­häu­ti­gen Frau nicht sicht­bar wer­den wür­de. Wenn man abends nach zehn Uhr das Haus in der 38th Stra­ße betritt, war­tet sie bereits, meis­tens ste­hend und freund­lich lächelnd hin­ter ihrem Tisch in einer flie­der­far­be­nen Blu­se unter einem dun­kel­blau­en Jackett so adrett geklei­det, so sau­ber, so leuch­tend, dass ich mir immer ein wenig schmut­zig vor­kom­me, stau­big, sagen wir, kleb­rig, erhitzt von der Erre­gung der Stadt, die ich wäh­rend des Tages auf­ge­nom­men habe. Mrs. Wil­ker­son kennt mich bei mei­nem Namen. Sir, sagt sie, ein selt­sam klin­gen­des Wort in mei­nen Ohren, dann wie­der Honey, was ich als Aus­zeich­nung emp­fin­de. Sie arbei­tet nachts, öff­net die Tür, sobald ein Bewoh­ner oder Besu­cher des Hau­ses die klei­ne Hal­le vor den Auf­zü­gen zu betre­ten wünscht, grüßt, ver­mit­telt Post­sen­dun­gen, Nach­rich­ten, Zei­tun­gen, aber eigent­lich bewacht sie das Gebäu­de und die Men­schen, die in ihm woh­nen. Eine voll­endet höf­li­che Per­son, etwas grö­ßer als ich und so geschmei­dig und locker in ihrer Art, dass ich sie zum Vor­bild genom­men habe. Ob die Auf­zü­ge des Hau­ses schon ein­mal aus­ge­fal­len sei­en, ver­lang­te ich unlängst zu wis­sen. Nicht, wenn sie selbst im Dienst gewe­sen sei, ant­wor­te­te Mrs. Wil­ker­son. Ich frag­te wei­ter fort, ob es denn gestat­tet sei, durch das Trep­pen­haus auf­wärts zustei­gen, um die Zeit eines Fuß­we­ges him­mel­wärts zu mes­sen. Und als ich mich umdreh­te, als ich in Rich­tung der Tür spa­zier­te, auf die sie gedeu­tet hat­te, wie­der die­se lachen­de, für­sorg­li­che Stim­me: Honey, your bag is open!  — stop

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manhattan transfer

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gink­go : 17.58 — Im Moment der Ver­ge­gen­wär­ti­gung, eine Minu­te still­zu­ste­hen und zu den­ken: Mei­ne Schu­he berüh­ren ame­ri­ka­ni­schen Boden. Könnt von hier aus nach Pata­go­ni­en lau­fen, nach Feu­er­land, ohne je einen Schwimm­zug  zu unter­neh­men, süd­wärts, süd­wärts zur 42th Stra­ße hin, den Lin­coln Tun­nel unter dem Hud­son durch nach New Jer­sey, immer der Küs­te ent­lang, lang­sam, Schritt für Schritt. Aber dann neh­men mich mei­ne Bei­ne doch nord­wärts mit sich fort, spa­zie­ren den Zoo der Bronx bis wir abends müde gewor­den das Fähr­pen­del­schiff Down­town errei­chen. Schaun nach Hol­ly, heut könnt sie kom­men wie aus dem Nichts aus dem Strom der Men­schen, Mar­sec Secu­ri­ty Level 1, fröh­lich grüßt sie die Matro­sen, fliegt über die Gang­way aufs unte­re Deck hin zum ver­trau­ten Platz am Fens­ter ins Licht der fla­schen­grü­nen See. Hier nimmt sie unver­züg­lich ihre Arbeit auf, beginnt Zei­chen von einem Buch auf regen­fes­tes Papier zu über­tra­gen: Mit­tags­stun­de am Uni­on Squa­re. Aus­ver­kauf. Müs­sen räu­men. WIR HABEN EINEN SCHRECKLICHEN IRRTUM BEGANGEN. Auf dem stau­bi­gen Asphalt kniend, put­zen klei­ne Jun­gen Schu­he, Halb­schu­he, San­da­len, Knöp­fel­schu­he, Stie­fe­let­ten. Wie ein Löwen­zahn glänzt die Son­ne auf der Spit­ze jedes frisch geputz­ten Schuhs. — stop



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