Aus der Wörtersammlung: schreibmaschine

///

karusellfahrt

pic

zou­lou : 6.12 — Seit Jah­ren bereits wünsch ich mir ein beson­de­res Buch, eines, das mei­ne Gedan­ken ver­zeich­nen wür­de, sobald ich spa­zie­ren gehe. Hand­lich müsst es sein und leicht und geräusch­los schrei­ben. Viel­leicht wäre es mög­lich, die­se klei­ne Gedan­ken­schreib­ma­schi­ne so zu pro­gram­mie­ren, dass sie jene Gedan­ken, die neue Gedan­ken sind, zu unter­schei­den ver­mag von allen wei­te­ren Gedan­ken, von Gedan­ken, die sich wie­der und wie­der den­ken wol­len, von krei­sen­den Gedan­ken, von Karus­sell­fahrt­ge­dan­ken. Der­art aus­ge­stat­tet, wür­de die Notiz­ma­schi­ne ein Ver­zeich­nis anle­gen einer­seits für die Ver­samm­lung neu­es­ter, sagen wir, ursprüng­li­cher Gedan­ken, und bald ein zwei­tes Ver­zeich­nis, in dem Gedan­ken und ihre Wie­der­ho­lung archi­viert sein wür­den. Eine höchst inter­es­san­te Affä­re, zu beob­ach­ten, wie sich das Wachs­tum, das Grö­ßen­ver­hält­nis der Ver­zeich­nis­se zu ein­an­der beneh­men wür­de in der ver­ge­hen­den Zeit. — stop

///

hydra

pic

nord­pol : 17.58 — Hör­te im Radio vor weni­gen Minu­ten eine merk­wür­di­ge Geschich­te. Man erzähl­te, durch New Jer­sey sol­len seit Wochen Vor­ort­zü­ge mit Abtei­len von Stil­le in Rich­tung Man­hat­tan fah­ren: Tele­fo­ne und Spiel­do­sen jeder Art ver­bo­ten. Das könn­te Gerücht, Erfin­dung, von Wün­schen geträumt gewe­sen sein. Mit eige­nen Augen dage­gen habe ich beob­ach­tet, wie im Super­markt gleich um die Ecke, Zwerg­kak­teen Müt­zen von rotem Stoff auf­ge­setzt wor­den sind. Bär­te rau­schen, wei­ße Bär­te, mit­tels Nadeln sind sie an den Leib der Pflan­zen gena­gelt. Auch dass es reg­net, hier in mei­ner nächs­ten Nähe, das ist ganz sicher der Fall, so sicher der Fall wie das Wachs­tum einer wei­te­ren elek­tri­schen Hydra im Pro­zess der Selbst­be­haup­tung. Ges­tern Abend, mit­tel­eu­ro­päi­sche Zeit, ver­füg­te sie über 208, kurz nach Mit­ter­nacht über 355 und wei­te­re 12 Stun­den spä­ter über 507 ein­an­der glei­chen­de Köp­fe. — Da war noch die­ser alte Mann auf einem Basar zu Mar­ra­kesch. Wie er vor einer 40 Jah­re alten Schreib­ma­schi­ne sitzt und Lie­bes­brie­fe notiert gegen eine klei­ne Gebühr für Men­schen, die nie gelernt haben, zu schrei­ben, zu lesen. — stop

///

tuttle

pic

echo : 20.08 — Besuch von Mr. Tuttle zur unmög­lichs­ten Zeit gegen 10 Uhr vor­mit­tags. Saß, müde Augen, vor dem Bild­schirm und hör­te, wie der Mon­teur mit Pum­pen­ma­schi­nen, Schrau­ben­schlüs­seln, Rohr­zan­gen an mei­nen Was­ser­lei­tun­gen in der Küche han­tier­te. Das waren Geräu­sche eines Kamp­fes, nicht Geräu­sche einer Rekon­struk­ti­on, Boh­run­gen wur­den ins Erd­in­ne­re vor­an­ge­trie­ben, Wän­de zu benach­bar­ten Woh­nun­gen ein­ge­ris­sen, har­tes Was­ser strahl­te Bil­der­rah­men in alle Win­de. Ein­mal kam Mr. Tuttle in das Zim­mer, in dem ich das Ende sei­nes Besu­ches erwar­te­te. Zag­haf­tes Klop­fen, sei­ne erstaun­lich hel­le Stim­me, ob er mich spre­chen kön­ne, stand bald neben mei­nen Papie­ren, mit erhitz­tem Gesicht, stau­big, ein Hüne, er müs­se jetzt an die Hei­zung. Dann wie­der Hie­be von sono­rem Klang, über­leg­te, was in mei­ner nächs­ten Nähe geschah, wel­che Arbeit prä­zi­se die Erschüt­te­rung mei­ner Schreib­ma­schi­ne, mei­ner gan­zen Per­son bewir­ken könn­te. Ein Lösch­zug pas­sier­te die Stra­ße vor dem Fens­ter. Vom Dach des Hau­ses gegen­über stürz­te ein Schnee­brett in die Tie­fe. Irgend­et­was flat­ter­te pfei­fend um mei­nen Kopf her­um. Ein Punkt ver­harr­te über der Boden­li­nie. — stop

ping

///

virtuelle befragung

2

tan­go : 6.35 — Vor einem Jahr zuletzt die Fra­ge: Wie mutig wäre ich im Wider­stand gegen den geheim­dienst­li­chen Zugriff einer Dik­ta­tur auf mei­ne Per­son? Wie genau wür­de ich mich ver­hal­ten, wenn man ver­such­te, mich für Spio­na­ge­ar­beit unter Freun­den zu gewin­nen? Bin in der Suche nach einer Ant­wort noch kei­nen Schritt vor­an­ge­kom­men. Statt­des­sen wei­te­re Fra­gen. Wel­cher Art könn­ten die Werk­zeu­ge sein, Druck auf mich aus­zu­üben? Wür­de mir Tor­tur ange­kün­digt oder nahe­ste­hen­de Men­schen mit dem Tod bedroht? Exis­tie­ren Orte mei­ner Per­sön­lich­keit, die sich als so schwach erwei­sen, dass man dort Zugang fin­den könn­te? Habe ich einen gehei­men Preis? Mei­ne Schreib­ma­schi­ne? Mei­nen Rei­se­pass? Ist es sinn­voll, die­se Fra­gen in einem vir­tu­el­len Raum zu stel­len? — stop

///

marit

2

nord­pol : 0.02 — Ver­gan­ge­ne Nacht war ich wach gewor­den um fünf. Ich hat­te einen merk­wür­di­gen Traum, in dem Mr. Eli­ot erklär­te, dass er Brie­fe, die ich an ihn schrei­be, nicht lesen kön­ne, weil er schon vor lan­ger Zeit blind gewor­den sei. Ich war dann also wach um fünf und fühl­te mich leicht, und ich wun­der­te mich, woher die­se Leich­tig­keit gekom­men sein moch­te. Da erin­ner­te ich mich, dass ich noch immer nach­drück­lich auf eine Ant­wort James Sal­ters war­te, ich hat­te ihm vor zwei Jah­ren zuletzt geschrie­ben. Auch Mr. Sal­ter könn­te blind gewor­den sein, kein Wun­der, dass er nicht schreibt. Unver­züg­lich such­te ich in den Archi­ven nach dem Brief, den ich notiert hat­te. Er war rasch gefun­den, eine fei­ne Geschich­te, die ich berüh­re, die ich hier wie­der­ho­le, indem ich sie mit Stim­me lese, in der Hoff­nung, dass Mr. Sal­ter mich hören kann: Lie­ber James Sal­ter, als ich heu­te Nacht am Schreib­tisch saß und in Ihren wun­der­ba­ren Erzäh­lun­gen las, habe ich eine klei­ne Spin­ne bemerkt, die mich beob­ach­te­te, jawohl, sie saß auf dem Feins­ten der Blatt­haa­re eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, der neben mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne steht, und beob­ach­te­te mich aus meh­re­ren win­zi­gen schwar­zen Augen. Ich habe über­legt, was die­ses Wesen wohl in mir sieht. Für einen wei­te­ren kur­zen Moment habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob Spin­nen viel­leicht hören, – ich lese oft laut vor mich hin, das soll­ten sie wis­sen -, und so wun­der­te ich mich, dass ich vie­le Jah­re gelebt habe, ohne der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob Spin­nen über Ohren­paa­re oder doch wenigs­tens über einen zen­tra­len Gehör­gang, wo auch immer, ver­fü­gen. Ich saß also am Schreib­tisch, ich las und die klei­ne geti­ger­te Spin­ne, von der ich Ihnen erzäh­le, seil­te sich zur Tas­ta­tur mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne ab. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihr die­se Luft­num­mer Freu­de mach­te, weil sie ihre Lan­dung immer wie­der hin­aus­zö­ger­te, indem sie den Faden, der aus ihr selbst her­aus­ge­kom­men war, ver­speis­te, dem­zu­fol­ge ver­kürz­te. Viel­leicht hat­te sie bemerkt, dass ich sie betrach­te­te, das ist denk­bar, weil ich auf­ge­hört hat­te, laut zu lesen, für einen Moment, um nach­zu­den­ken, viel­leicht woll­te sie, um sich mir dar­zu­stel­len, auf mei­ner Augen­hö­he blei­ben. Das war genau in dem Moment, als Marit nach ihrer letz­ten Nacht auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men war, Marit, die doch eigent­lich seit Stun­den schon tot gewe­sen sein muss­te. Marit setz­te sich auf eine Trep­pe und begann zu wei­nen. Sicher wer­den Sie sich erin­nern an Marit, wie sie auf der Trep­pe sitzt und weint, weil sie wuss­te, dass sie eine wei­te­re letz­te Nacht vor sich haben wür­de. Als ich las, dass Marit lebt und weint, habe ich eine Pau­se gemacht, weil ich erschüt­tert war, weil das Gift nicht gewirkt hat­te. Ich saß vor mei­nem Schreib­tisch und über­leg­te, ob auch sie, James Sal­ter, erschüt­tert waren, als Marit lang­sam, auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­kam. Und wäh­rend ich an Sie und Ihre Schreib­ma­schi­ne dach­te, beob­ach­te­te ich die Spin­ne, die mit­tels ihrer win­zi­gen Bei­ne, den Faden, an dem sie hing, betas­te­te. Ist das nicht ein Wun­der, eine Spin­ne wie die­se Spin­ne? Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass es nicht mög­lich ist, mit einer elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne zwei Buch­sta­ben zur glei­chen Zeit, also über­ein­an­der, auf das Papier oder den Bild­schirm zu schrei­ben? Immer ist einer vor, nie­mals unter dem ande­ren. Mit herz­li­chen Grü­ßen Louis.

ping

///

die alte margareta spricht vom sterben

2

nord­pol : 18.15 — Nach­mit­tag. Wol­ken tief. Regen heut aus nächs­ter Nähe auf den Schirm. Auch von der Sei­te her Trop­fen, die so leicht sind, dass sie mit mei­nem Atem zurück gegen den Him­mel flie­gen. Mit Schreib­ma­schi­ne sitz ich und beob­ach­te hand­li­ches Kino. Dort das Gesicht einer uralten Frau. Sie heißt Mar­ga­re­ta, die Mar­ga­re­ta aus Wien. Mar­ga­re­ta ist 91 Jahr alt. Von einem bösen Krebs schwer gezeich­net, spricht sie im Ster­be­hos­piz in einer hei­te­ren Wei­se Gedan­ken in die Kame­ra, die mich berühr­ten, als ich sie zum ers­ten Mal hör­te, so dass ich mir vor­ge­nom­men hat­te, jeden ihrer Sät­ze in einer eige­nen Text­spur fest­zu­hal­ten. Heu­te nun ist Mar­ga­re­tas Tag. Immer wie­der hal­te ich den Film an und notie­re Wort für Wort was Mar­ga­re­ta zum Ster­ben sagt: Ich glaub nicht gar so. Ich glaub nicht, dass man in den Him­mel kommt. Weil, mit was soll man denn? Ja, mit der See­le, nicht! Die See­le kommt in den Him­mel. Ja, aber wer ist denn die See­le? Das weiß man dann auch nicht. Ich sag das nur, weil Sie mich gefragt haben. Weiß ich nicht, wie das dann geht! Ich hab eine Cou­si­ne gehabt, die war sehr christ­lich. Wenn die nur ein­mal nicht in die Kir­che gegan­gen war, aber sie hat mir gesagt damals, sie war ein 18er-Jahr­gang, ich bin ein 14er, mein Bru­der war ein 17er, und sie hat gesagt: Das glaub ich nicht, dass es nach dem Tod noch was gibt. Sie meint halt, dass wenn man stirbt, dass es dann aus ist. Ich weiß es auch nicht. Aber ich schla­fe jetzt auf die Nacht ein, und in der Früh werd ich mun­ter, das hab ich jetzt drei­mal schon gemacht, da den­ke und da träu­me ich gar nichts, so rich­tig nichts. Dann denk ich mir, siehst du, so wär das Ster­ben. Aber es ist halt so. Nein, so rich­tig weiß ich es nicht. Aber ich bin ja schon knapp davor. Mit 91 sind Sie knapp vor dem Ster­ben. Müs­sen Sie ja sein. — Mar­ga­re­ta hebt einen klei­nen Löf­fel vom Tisch. - Mein Gott, gar nichts essen möch­te ich am liebs­ten. - stop
ping

///

radare

2

gink­go : 20.58 — Pal­men­gar­ten. Die Son­ne geht gegen sechs Uhr unter, Enten gehen schla­fen. Der Schirm ihrer Augen, der sich regel­mä­ßig öff­net, als wür­den sich in ihren klei­nen Köp­fen Halb­scha­len von Perl­mutt­haut lang­sam dre­hen. Gehen und Kom­men, Wie­der­ho­lung, Rhyth­mus, Rada­re. Trans­fe­rier­te in der Däm­me­rung hand­schrift­li­che Tex­te aus Notiz­bü­chern in die Schreib­ma­schi­ne, das kann man jetzt dru­cken, die Bewe­gung der Sub­way­zü­ge, die sich in den Zei­chen zur Unle­ser­lich­keit fort­setz­te, ver­schwun­den. — Wie spre­chen, wie erzäh­len? — Erin­ner­te mich an den Moment, da ich erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che ver­fü­gen, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist. Seit­her, von Zeit zu Zeit, die Wie­der­ho­lung der Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen soll­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen, das nur für mich bestimmt ist. Viel­leicht eine wei­te­re Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? — Oder: Ich hör­te von Bäumen!
ping

///

madison avenue

2

ulys­ses : 7.
32 — Madi­son Ave­nue am frü­hen Mor­gen von Süd nach Nord. Tau­sen­de Tag­pas­san­ten nähern sich und ver­schwin­den. Hef­ti­ge Win­de. Blü­ten, Blät­ter, Töne wir­beln in Spi­ra­len durch die fri­sche Luft. Frau­en hal­ten ihre Röcke, Män­ner ihre Hüte fest. Berau­schen­de Glücks­ge­füh­le. Wer­de ich grö­ßer oder wer­de ich klei­ner? Irgend­et­was schep­pert lei­se im Kopf von Schritt zu Schritt. Flie­gen­leicht­ge­wich­te, trans­pa­ren­te Hum­mer­ge­stal­ten, spa­zie­ren seit­wärts über den Bild­schirm mei­ner Hand­schreib­ma­schi­ne dahin, gebeu­tel­te, zau­si­ge Her­zen. Wo waren sie in der ver­gan­ge­nen Nacht gewe­sen? Indem ich eines der Geschöp­fe auf der Schul­ter mit mir tra­ge, der Gedan­ke, dass sich bei­na­he alle Men­schen die­ser gro­ßen Stadt nicht per­sön­lich ken­nen. — stop

///

juli 14

2

romeo : 22.38 — Stun­de um Stun­de auf Fähr­schif­fen zwi­schen Sta­ten Island und der süd­li­chen Spit­ze Man­hat­tans hin und her. Ein schau­keln­der Ort. Ein Ort, der im Moment mei­ner ers­ten Begeg­nung schon ver­traut gewe­sen war, als ob ich vor lan­ger Zeit gebo­ren wur­de auf einer der brum­men­den Bän­ke, ein frü­her Blick, Schat­ten rie­si­ger Möwen hin­ter Schei­ben, auf wel­chen Salz­kris­tal­le fun­kel­ten, der Klang der Nebel­hör­ner, und wie­der oder immer noch seit­her die­ser rote Ball, den die Bewe­gung des Mee­res über das unte­re Deck der Fäh­re spielt. Heiß und sti­ckig, der Tag mei­ner Notiz, auch über der Upper Bay ruh­te bewe­gungs­los die Luft, bereit zu sin­ken. Lun­ger­te mit Rei­se­schreib­ma­schi­ne auf den Knien hechelnd, Luv­sei­te, her­um und war­te­te. — stop



ping

ping