Aus der Wörtersammlung: seite

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reisende pinguine

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nord­pol : 20.01 UTC — Lese in Lou­is Kekkola’s Eis­buch Jennifer.Five. Es ist jetzt kurz nach acht Uhr abends, Vögel pfei­fen. In die­sem Moment tra­ge ich Hand­schu­he. Ich habe mein Ton­band­ge­rät ange­schal­tet und spre­che lei­se, indem ich das zer­brech­li­che Buch­we­sen in Hän­den hal­te. Kaum habe ich eine Sei­te abge­tas­tet, schlie­ße ich den Kühl­schrank, gehe in der Woh­nung spa­zie­ren und las­se mir alles durch den Kopf gehen. Dann keh­re ich zurück und lese mit damp­fen­dem Atem wei­ter. Höre in die­sen Minu­ten das Ticken des Weckers, der mir 15 Sekun­den Zeit erteilt, um das Buch unge­stüm war­mer Heiz­luft aus­zu­set­zen. Auf Sei­te 52 ent­de­cke ich Lou­is Kekkola’s Notiz über 22 Pin­gui­ne, die nord­wärts reis­ten in Flug­zeu­gen in höl­zer­nen Behäl­tern, um auf Grön­land wei­ter­zu­le­ben. Sie sol­len dort das Nord­licht ( Auro­ra borea­lis ) stu­díe­ren. — stop

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vor langer zeit im dezember

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oli­man­bo : 0.02 UTC — Ein­mal kam ich von einem Besuch bei Freun­den nach Hau­se zurück, und wie ich so in mei­ne Woh­nung stol­per­te, ent­deck­te ich Mrs. Cal­las, die damals in Gedan­ken bei mir wohn­te, wie sie wei­nend vor einer Foto­gra­fie stand, vor einer Schwarz­weiß­fo­to­gra­fie, die ich seit vie­len Jah­ren besit­ze und mir immer wie­der sehr ger­ne anse­he. Natür­lich wun­der­te ich mich, dass Mrs. Cal­las wein­te, weil die Foto­gra­fie zwei alte Men­schen zeigt, eine Frau und einen Mann, die fried­voll Sei­te an Sei­te in einer Küche an einem Tisch sit­zen. Rais­sa Orlo­wa, liest ihrem alten Mann, Lew Kope­lew, viel­leicht aus einem Buch vor. Und ich frag­te Mrs. Cal­las, war­um sie denn wei­nen wür­de, das sei doch eine sehr beru­hi­gen­de Foto­gra­fie. Ich glau­be, setz­te ich hin­zu, sie sind glück­lich. Mrs. Cal­las ant­wor­te­te unver­züg­lich mit Ernst in der Stim­me, ja, das sind sie, glück­lich, ganz sicher sind sie sehr glück­lich. Ich wün­sche mir für mich ein Ende wie die­ses hier an der Wand, Mr. Lou­is. Sie müs­sen mir ein ande­res Ende schrei­ben! – Und so sit­ze ich nun müde auf dem Sofa und notie­re die­se Geschich­te, wäh­rend Mrs. Cal­las mich hoff­nungs­voll beob­ach­tet. Wie nur könn­te ich sie trös­ten, weil ich doch vor ihrem Schick­sal ohn­mäch­tig bin? Viel­leicht könn­te ich erzäh­len, dass ich Lew Kope­lew in Mün­chen ein­mal für weni­ge Sekun­den begeg­ne­te. Ich könn­te ihr beschrei­ben, wie er mir am Haupt­bahn­hof aus einer Men­schen­men­ge her­aus ent­ge­gen­kommt, wie ich sei­ne Erschei­nung, sei­ne statt­li­che Grö­ße, sei­nen schloh­wei­ßen Bart bewun­de­re. Und ich könn­te Mrs. Cal­las berich­ten, wie Lew Kope­lew mei­nen Blick bemerkt, wie er mich freund­lich betrach­tet und wie er mei­nen nicken­den Gruß erwi­dert, weil er in mei­nem Blick gese­hen haben wird, dass ich ihn für lan­ge Zeit gele­sen habe und immer wie­der lesen wer­de. – Ja, viel­leicht soll­te ich Mrs. Cal­las von die­sen Sekun­den mei­nes Lebens erzäh­len, und dass es erhol­sam sein könn­te, sich zunächst ein­mal zur Ruhe zu legen für zwei oder drei Tage.

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summentext

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india : 20.25 UTC — Sprung in der Zeit zurück. Sofort flie­ße ich vor­wärts wei­ter. Jedes Erzäh­len, jedes Lesen scheint ein Vor­rü­cken in einer Zeit zu sein, in der ich selbst gehal­ten bin wie ein Fisch im Was­ser gehal­ten ist. Immer, auch dann, wenn es um Jah­re zurück­geht im Text, liegt die wahr­zu­neh­men­de Ver­gan­gen­heit bis zu einem letz­ten Punkt je um ein Zei­chen, um ein Wort, um Zei­len oder Sei­ten spä­ter, das heißt in der Zukunft. Exis­tiert in mei­nem Kopf eine Struk­tur, die einem Zufalls­ge­nera­tor ähn­lich ist? — stop
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sarajevo

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char­lie : 17.15 UTC — Ich erin­ne­re mich an einen jun­gen Mann, mit dem ich ein­mal vor sechs Jah­ren eine selt­sa­me Geschich­te erleb­te. Wenn sie mir damals jemand ande­res als ich selbst erzählt haben wür­de, hät­te ich sie viel­leicht nicht geglaubt. Die Geschich­te beginnt damit, dass ich in einem Café sit­ze und auf einen jun­gen Mann war­te, der mir etwas erzäh­len will. Ich bin früh­zei­tig gekom­men, bestel­le einen Cap­puc­ci­no und schal­te mein klei­nes Hand­ki­no an, beob­ach­te eine Doku­men­ta­ti­on der Arbeit Maceo Par­kers in New York, mit­rei­ßen­de Musik, gera­de eben umarmt die Sän­ge­rin Kym Mazel­le den Posau­nis­ten Fred Wes­ley, als der jun­ge Mann, den ich erwar­te­te, plötz­lich neben mir sitzt. Er schaut wie ich auf den klei­nen Bild­schirm. Sofort kom­men wir ins Gespräch. Ich fra­ge ihn, wel­che Musik er gehört habe, als Kind in der bela­ger­ten Stadt Sara­je­vo. Jeden­falls nicht sol­che Musik, ant­wor­tet er, und lacht, no Funk, wir hat­ten kei­nen Strom. Avi ist heu­te Anfang drei­ßig, und dass er noch lebt ist ein Wun­der. Tat­säch­lich steht ihm jetzt Schweiß auf der Stirn, wie immer, wenn er von der Stadt Sara­je­vo erzählt. Ein­mal frag­te ich ihn, was er emp­fun­den habe, als er von Karad­zics Ver­haf­tung hör­te. Anstatt zu ant­wor­ten, perl­te in Sekun­den­schnel­le Schweiß von Avis Stirn. Heu­te beginnt er schon zu schwit­zen, ehe er über­haupt zu erzäh­len beginnt, weil er weiß, dass er gleich wie­der berich­ten wird von den Stra­ßen sei­ner Hei­mat­stadt, die nicht mehr pas­sier­bar waren, weil Scharf­schüt­zen sie ins Visier genom­men hat­ten. Man schleu­der­te Papie­re, Ziga­ret­ten, Bro­te, Was­ser­fla­schen in Kör­ben von einer Sei­te der Stra­ße zu ande­ren. Die­se Kör­be wur­den nicht beschos­sen, aber sobald ein Mensch auch nur eine Hand aus der Deckung hielt, ja, aber dann. Avi war ein klei­ner Jun­ge. Er war so klein, dass er nicht ver­ste­hen konn­te, was mit ihm und um ihn her­um geschah, auch dass ein Holz­split­ter sein lin­kes Auge so schwer ver­letz­te, dass er jetzt ein Glas­au­ge tra­gen muss, das so gut gestal­tet ist, dass man schon genau hin­se­hen muss, um sein künst­li­ches Wesen zu erken­nen. Er sagt, er könn­te, wenn ich möch­te, das Auge für mich her­aus­neh­men. Aber das will ich nicht. Ich erzäh­le ihm, dass ich damals, als er klein gewe­sen war, jeden Abend Bil­der aus Sara­je­vo im Fern­se­hen beob­ach­tet habe. Was das für Bil­der gewe­sen sei­en, will Avi wis­sen. Ich sage: Das waren Bil­der, die ren­nen­de Men­schen zeig­ten. Avi schwitzt. Und er lacht: Das Fern­se­hen kann nicht gezeigt haben, was geschah, weil es immer sehr schnell und über­all pas­sier­te. Und die­se Geräu­sche. Plötz­lich nimmt der jun­ge Mann mein klei­nes Kino in die Hand zurück, setzt sich die Kopf­hö­rer in sei­ne Ohren ein, hört Maceo Par­ker, Kim Macel­le, Fred Wes­ley, Pee Wee Ellis, nickt im Rhyth­mus der Musik mit dem Kopf. Ein Wis­pern. — stop

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abend

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gink­go : 20.18 UTC — Man könn­te sich vor eine Schreib­ma­schi­ne set­zen mit etwas Scho­ko­la­de zur Sei­te und Was­ser und Kaf­fee für ein oder zwei Tage Zeit, auch eine Ente könn­te gegen­wär­tig sein, die bereits gebra­ten ist, und Brot und Reis. Weil die aus­ge­dach­te Schreib­ma­schi­ne ohne jedes Papier notie­ren kann, muss man sich über Papie­re kei­ne Gedan­ken machen. Man beginnt zu schrei­ben. Man schreibt viel­leicht zunächst nur ein Wort: Regen. Man schreibt das Wort Regen, weil in die­sem Augen­blick, da man zu schrei­ben beginnt, Regen vor den Fens­tern vom Him­mel fällt. Mit Regen könn­te man begin­nen, mit dem Wort Regen. Man schreibt also das Wort Regen, das unver­züg­lich auf dem Bild­schirm erscheint. Es reg­net. Ich höre, dass es reg­net, das Geräusch des Regens, das mir ver­traut ist, ein Geräusch, das ich als Kind bereits hör­te, wie in die­sem Augen­blick. Kann mich nicht erin­nern, wann es anfing zu reg­nen, viel­leicht wäh­rend ich noch über­leg­te, was ich notie­ren soll­te, ein güti­ger Regen, ein Regen, mit dem ich begin­nen konn­te. Wann lern­te ich, was Regen ist? Wann hör­te ich zum ers­ten Mal von dem Wort, das Regen bezeich­net? Was kann ich sagen über das Wort Regen. Wie lan­ge Zeit müss­te ich notie­ren in die­sem mei­nem fort­ge­schrit­te­nen Alter, um all das auf­schrei­ben zu kön­nen, was ich weiß vom Regen? Wie viel Gramm? — Was weiss ich noch? — stop

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ai : SRI LANKA

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MENSCH IN GEFAHR : “Der Schrift­stel­ler Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra wur­de am 1. April 2019 fest­ge­nom­men, als er auf einer Poli­zei­wa­che erschien, um eine Aus­sa­ge zu einer Beschwer­de zu machen, die bud­dhis­ti­sche Mön­che hin­sicht­lich sei­ner Kurz­ge­schich­te ein­ge­reicht hat­ten. Er wur­de unter Para­graf 3(1) des IPb­pR-Geset­zes und Para­graf 291(B) des sri­lan­ki­schen Straf­ge­setz­buchs ange­klagt. Die­se Para­gra­fen las­sen eine Frei­las­sung gegen Kau­ti­on sei­tens regu­lä­rer Amts­ge­rich­te nicht zu. Des­halb befand sich Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra fast vier Mona­te lang in Haft. Sei­ne nächs­te Anhö­rung soll am 30. Sep­tem­ber vor dem Obers­ten Gerichts­hof statt­fin­den. / Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ras lite­ra­ri­sche Arbeit ist von meh­re­ren Orga­ni­sa­tio­nen, dar­un­ter auch dem Minis­te­ri­um für kul­tu­rel­le Ange­le­gen­hei­ten und der Kul­tur­ab­tei­lung des Minis­ter­prä­si­den­ten der Nord­west­pro­vinz, für Aus­zeich­nun­gen vor­ge­schla­gen wor­den. Para­graf 3(1) des IPb­pR-Geset­zes und Para­graf 291 des Straf­ge­setz­buchs kri­mi­na­li­sie­ren das Pro­pa­gie­ren von ras­sis­ti­schem und reli­giö­sem Hass, der Dis­kri­mi­nie­rung, Feind­se­lig­keit und Gewalt schürt./ Die Fest­nah­me von Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra ist Teil einer beun­ru­hi­gen­den Ten­denz, das IPb­pR-Gesetz dazu zu nut­zen, fried­li­chen Aktivist_innen und Autor_innen in Sri Lan­ka die Rech­te auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Gedanken‑, Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit abzu­spre­chen. Die­se Rech­te sind jedoch im Inter­na­tio­na­len Pakt über bür­ger­li­che und poli­ti­sche Rech­te fest­ge­schrie­ben. Im Mai 2019 wur­de eine Frau namens M. R. Mazahi­ma unter dem IPb­pR-Gesetz fest­ge­nom­men, weil sie eine Blu­se mit dem Auf­druck eines Schiffsteu­er­ra­des getra­gen hat­te. Als Begrün­dung wur­de von den anzei­gen­den Per­so­nen fälsch­li­cher­wei­se ange­ge­ben, dass dies ein bud­dhis­ti­sches Sym­bol sei. Sie wur­de mehr als drei Wochen lang in Gewahr­sam gehal­ten, bis ihr end­lich Kau­ti­on gewährt wur­de. Im Juni 2019 wur­de dem Kolum­nis­ten Kusal Perera unter dem IPb­pR-Gesetz mit der Fest­nah­me gedroht, weil er über den zuneh­men­den extre­mis­ti­schen Sin­ha­la-Bud­dhis­mus in Sri Lan­ka geschrie­ben hat­te. / Der will­kür­li­che Ein­satz des IPb­pR-Geset­zes – das Men­schen­rech­te schüt­zen und nicht gegen sie ver­sto­ßen soll – hat zu einem schwie­ri­gen Kli­ma im Land geführt. In Sri Lan­ka reagie­ren die Behör­den extrem sen­si­bel auf ver­meint­li­che Ver­un­glimp­fun­gen des Bud­dhis­mus und wer­den direkt von bestimm­ten Grup­pen bud­dhis­ti­scher Mön­che beein­flusst, die die Fest­nah­me und Straf­ver­fol­gung von Per­so­nen ver­lan­gen, von der sie mei­nen, dass sie die Reli­gi­on ver­un­glimpft haben./ Gemäß dem IPb­pR, an des­sen Umset­zung Sri Lan­ka gebun­den ist, darf das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und die Gedanken‑, Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit nur in einem engen, klar defi­nier­ten Rah­men ein­ge­schränkt wer­den. Ein­schrän­kun­gen die­ser Rech­te sind nur dann zuläs­sig, wenn sie nötig sind, um die Rech­te und Frei­hei­ten ande­rer oder bestimm­te öffent­li­che Inter­es­sen (wie z. B. die natio­na­le bzw. öffent­li­che Sicher­heit, die öffent­li­che Ord­nung oder die öffent­li­che Gesund­heit oder Moral) zu schüt­zen, und wenn sie für die­sen Zweck nach­weis­bar not­wen­dig sind. Indi­rek­te oder direk­te Kri­tik an einer Reli­gi­on oder einem Glau­bens­sys­tem darf nicht als Volks­ver­het­zung kri­mi­na­li­siert wer­den.” - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 17.10.2019 unter > ai : urgent action
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regen

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bamako : 18.55 UTC Mor­gen oder über­mor­gen wer­de ich eine Geschich­te erzäh­len, die mit Jack Kerouac in einer gewis­sen losen Ver­bin­dung ste­hen wird. Als ich die Geschich­te zu notie­ren begann, erin­ner­te ich mich an einen Text, den ich vor 11 Jah­ren an die­ser Stel­le bereits gesen­det hat­te. Es war gleich­wohl im Sep­tem­ber gewe­sen, es reg­ne­te damals und ich spa­zier­te unter einem Regen­schirm. Zunächst reg­ne­te es Regen­sand, dann Regen­reis, dann reg­ne­te es klei­ne Frö­sche. Für einen kur­zen Moment dach­te ich, in einem Film ange­kom­men zu sein, der von Loui­sia­na han­del­te. Das war ein fei­nes Gefühl gewe­sen unterm klin­gen­den Schirm am Ufer des Mis­sis­sip­pi zu stehn und den Frö­schen zu lau­schen, die auf ihrer letz­ten Rei­se vom Him­mel erstaun­li­che, pfei­fen­de Geräu­sche von sich gaben. Als ich so im Frosch­re­gen am gro­ßen Fluss stand, erin­ner­te ich mich wie­der­um an einen klei­nen Text, den ich ein Jahr zuvor bereits geschrie­ben hat­te. Und sofort wuss­te ich, dass ich die­sen Text, sobald ich wie­der zu Hau­se ange­kom­men sein wür­de, noch ein­mal lesen soll­te. Es ist noch immer, auch heu­te, 12 Jah­re spä­ter, ein beru­hi­gen­der Text, ein Text, der mich berührt. Des­halb will ich die­sen klei­nen Text, eine Anlei­tung zum Glück­lich­sein, noch ein­mal, zum drit­ten Mal, für Sie wie­der­ho­len: Man ver­las­se das Haus. Sorg­fäl­tig alle Bewe­gun­gen des Ver­kehrs beach­tend, gehe man solan­ge durch die Stadt bis man auf eine Buch­hand­lung trifft. Dort kau­fe man  Cor­ta­zar, Julio – Geschich­ten der Cro­nopi­en und Famen. Dann gehe man spa­zie­ren, tra­ge den schma­len Band durch die Stra­ßen, bis man einen Park erreicht, wenn Som­mer, oder ein Cafe, wenn Win­ter ist. Man neh­me Platz und lese. Über den Umgang mit Amei­sen bei­spiels­wei­se oder wie wun­der­bar ange­nehm es ist, ein Spin­nen­bein pos­ta­lisch an einen Außen­mi­nis­ter auf­zu­ge­ben. Oder man las­se sich im Uhren­auf­zie­hen oder im Trep­pen­stei­gen unter­wei­sen. Jetzt bereits wird man eine leich­te Wär­me spü­ren, die aus der Gegend des Bau­ches nach oben und unten in Arme und Bei­ne aus­wan­dert. Also lese man wei­ter, lau­sche jenen ange­neh­men Geräu­schen im Kopf, die­sem sagen wir: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenem: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. It works. — stopping

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kurze geschichte

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india : 15.01 UTC — In Chi­na in Peking soll ein Mann exis­tie­ren, der kür­ze­re Geschich­ten notiert, wel­che je von einem Haus der Alt­stadt erzäh­len. Die­se Geschich­ten nun sind gera­de eben so knapp for­mu­liert, dass sie auf einem Blatt Papier Platz fin­den kön­nen. Der Mann beschreibt zunächst das Haus, sei­ne Far­be, sei­ne Posi­ti­on in den engen Gas­sen, wer (Herr und Frau) in die­sem Haus wohn­haft ist, die Pflan­zen und Tie­re des Hau­ses gleich­wohl, die Namen der Kin­der, wann sie zur Schu­le gehen, was aus ihnen ein­mal wer­den könn­te. Dann fal­tet er das Papier und legt es in sei­ne leder­ne Tasche ab. Dort sind bereits wei­te­re hun­der­te gefal­te­ter Blät­ter gebor­gen. Ich las, der Mann sei über­zeugt, kei­nes der beschrie­be­nen Häu­ser wür­de je abge­ris­sen wer­den, eben des­halb, weil sie von ihm ver­zeich­net wor­den sind. Das Buch, wel­ches die­se Geschich­te erzählt, ist übri­gens ein ganz beson­de­res Buch. Es ist ein Buch, das klin­gelt, wenn man ver­gisst, eine sei­ner Sei­ten in einer gewis­sen übli­chen Buch­zeit umzu­blät­tern. Es ver­mag außer­dem zu vibrie­ren wie ein moder­nes Tele­fon und lei­se zu hupen, spä­tes­tens dann wer­de ich wach und lese wei­ter. — stop
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coccinellidae

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del­ta : 12.08 UTC — Freu­de am Abend ges­tern wie Kind als aus dem Dun­kel vor dem geöff­ne­ten Fens­ter ein Flug­we­sen tauch­te. In dem Augen­blick, da es erschien, leg­te ich gera­de eben ein Buch zur Sei­te, als hät­te ich geahnt, dass etwas Außer­ge­wöhn­li­ches gesche­hen wird. Ein Mari­en­kä­fer saß kurz dar­auf an der Wand, wur­de von war­mem Atem begrüßt und mit­tels einer Lupe betrach­tet. Der Käfer duck­te sich, ein Jung­tier oder halb ver­hun­gert. — 8 Uhr 28, noch 32° Cel­si­us im Zim­mer unter dem Dach. Nichts wei­ter. — stop
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abend mit fliege no 2

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bamako : 22.58 UTC — Denk­bar ist, dass ich mir in weni­gen Minu­ten die Gegen­wart einer Flie­ge so sehr wün­schen wer­de, dass mich kurz dar­auf tat­säch­lich eine Flie­ge in der Vor­stel­lung beglei­ten wird, als wäre sie eine Freun­din der Luft, die mir nicht von der Sei­te wei­chen möch­te. Für Sekun­den wird sie wirk­lich gewor­den sein. Ich höre sie bereits jetzt, viel­leicht weil ich mich, wäh­rend ich über mei­nen Flie­gen­wunsch nach­den­ke, an Flie­gen erin­ne­re, wie sie mir um den Kopf her­um brum­men oder pfei­fen. Kurz dar­auf, wer­de ich mich, wie ges­tern Abend noch gesche­hen, vor mei­ne Schreib­ma­schi­ne set­zen und eine Geschich­te von einer brum­men­den Flie­ge schrei­ben, wie sie mich von einem Zim­mer in das Zim­mer gehend in Kop­fes Höhe flie­gend beglei­tet. In die­ser Sekun­de, da ich von ihr erzäh­le mit den Tas­ten, wird deut­lich, dass sie nicht exis­tiert, und doch kann ich sie hören mit dem Kopf, ein Oszil­lie­ren zwi­schen Vor­stel­lung und Wirk­lich­keit. Jetzt hab ich einen Kno­ten im Kopf, den 14. Buch­sta­ben­kno­ten seit ich an die­ser Stel­le notie­re. — stop

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