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furcht vor pegida

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echo : 0.12 — Ihr Sohn heißt Miran, ihre Toch­ter Shirin. Sie selbst wur­de im Osten der Tür­kei gebo­ren, ihre Kin­der, 12 und 14 Jah­re alt, in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Einen Mann gibt es nicht mehr. Sie arbei­tet in einem Café, eine fröh­li­che, zier­li­che Frau, ihr Haar ist pech­schwarz, eigent­lich bereits grau oder weiß. Seit sie im Café arbei­tet, ruhen unter Bee­ren-Muf­fins, Schwarz­wäl­der­kirsch Tor­te, Käse­ku­chen und Apfel­stru­del­schei­ben, auch kur­di­sche Plätz­chen, Kuli­ce, mit Wal­nüs­sen, Man­deln, Zimt und Zucker gefüllt. Ich weiß schon von der ein oder ande­ren wil­den Geschich­te, die sie erleb­te, kur­ze Geschich­ten sind das, eilig wäh­rend einer Tas­se Kaf­fee erzählt, eigent­lich klei­ne Roma­ne, weil ich sie nicht ver­ges­sen kann, weil sie sich erzäh­len wie von selbst. Ges­tern ist eine wei­te­re Geschich­te hin­zu­ge­kom­men. Anis­un berich­te­te, sie wer­de am kom­men­den Wochen­en­de nach einem Weih­nachts­baum suchen wie jedes Jahr um die­se Zeit, doch, doch, nach einem Weih­nachts­baum, in die­sem Jahr sei sie spät dran, ja, ja, mit allem, was man sich den­ken kann, aber elek­tri­sche Ker­zen, schon immer, seit die Kin­der in die Schu­le gehen, kom­me ein Baum ins Haus, ja, wir sind Ale­vi­ten, auch die Kin­der, aber immer haben wir Weih­nach­ten gefei­ert, man trifft sich, Freun­de, Schwes­tern, Brü­der, Onkel, Tan­ten, und kocht und freut sich, und die Kin­der bekom­men Geschen­ke, doch, doch, du brauchst dich nicht zu wun­dern, wir fei­ern gern, ja, ja, wir fürch­ten uns, eine Hand­voll Furcht, es ist ein schlim­mes Jahr gewe­sen, auch für uns Ale­vi­ten, das ist mei­ne Hei­mat hier, und wie­der fürch­te ich mich, wir spre­chen nicht viel dar­über, wir hof­fen, dass es nicht näher kommt. — stop

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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 122, Luft­fahrt — 773, Auto­mo­bi­le — 38 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 2, 19. Jahr­hun­dert – 16, 20. Jahr­hun­dert – 12 , 21. Jahr­hun­dert — 547 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 356, gelöscht : 1022 ], 1 Tele­fon­buch der Stadt Chi­ca­go [ bedau­erns­wer­ter Zustand ], Öle [ 0.8 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 342, Knie­ge­len­ke – 12, Hüft­ku­geln – 158, Bril­len – 56 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 88, Grö­ßen 38 — 45 : 45 ], Kühl­schrän­ke [ 16 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 2, mit Tau­cher – 54 ], Tele­fo­ne [ 368 ], Engels­zun­gen [ 26 ] | stop |

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in der rue de javel 151

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gink­go : 0.02 — Ich fah­re in einem Zug. Vor dem Fens­ter schlen­dert kar­ge Land­schaft, Büsche, kein Schnee, kein Gras, aber Moo­se und Stei­ne. Däm­me­rung. Stun­den­lang nicht Tag und nicht Nacht. Die Wag­gons des Zuges schei­nen von Holz zu sein, aus ihren Wän­den wach­sen win­zi­ge, wil­de Bäu­me in den Raum. Die­se Bäu­me sind nicht höher als ein Fin­ger, win­zi­ge Affen tur­nen her­um, auch Vögel krei­sen, wenn ich mich nähe­re mit einem Ohr, ver­mag ich Pfif­fe zu hören. Auf einer Bank vor dem Fens­ter sitzt ein älte­rer Herr mit einem Tele­fon. Er notiert gro­ße, unge­len­ke Buch­sta­ben in ein Heft. Sturz­pro­to­koll No 75: Im Nacht­hemd ist Made­moi­sel­le Livin, 92, über eine Trep­pe vom fünf­ten Stock des Hau­ses 151 in der Rue de Javel in den vier­ten Stock gestürzt. Paris, 10. Dezem­ber 2014, 3 Uhr 5 Minu­ten. — stop

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raymond carver goes to hasbrouck heights / 2

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zou­lou : 3.55 — Ich kann nicht mit Sicher­heit sagen, war­um ich mich ges­tern, wäh­rend ich einen Bericht über Unter­su­chun­gen der CIA-Fol­ter­prak­ti­ken durch Ermitt­ler des US-Senats stu­dier­te, an eine klei­ne Stadt erin­ner­te, die ich vor weni­gen Jah­ren ein­mal von Man­hat­tan aus besuch­te. Ich las von Schlaf­ent­zug, von Water­boar­ding, von engen, dunk­len Kis­ten, in wel­che man Men­schen tage­lang sperr­te, von Lärm, von rus­si­schem Rou­lette und plötz­lich also erin­ner­te ich mich an Ole­an­der­bäu­me, die ich gese­hen hat­te in Has­b­rouck Heights an einem son­ni­gen Tag im Mai, an ihren Duft, an einen glück­li­chen Abend am Strand von Coney Island, an ein Jazz­kon­zert nahe der Strand­pro­me­na­de. Ich notier­te damals: Es ist die Welt des Ray­mond Car­ver, die ich betre­te, als ich mit dem Bus die Stadt ver­las­se, west­wärts, durch den Lin­coln Tun­nel nach New Jer­sey. Der Blick auf den von Stei­nen bewach­se­nen Mus­kel Man­hat­tans, zum Grei­fen nah an die­sem Mor­gen küh­ler Luft. Dunst flim­mert in den Stra­ßen, deren Fluch­ten sich für Sekun­den­bruch­tei­le öff­nen, bald sind wir ins Gebiet nied­ri­ger Häu­ser vor­ge­drun­gen, Eis­zap­fen von Plas­tik fun­keln im Licht der Son­ne unter Regen­rin­nen. Der Bus­fah­rer, ein älte­rer Herr, begrüßt jeden zustei­gen­den Gast per­sön­lich, man kennt sich hier, man ist schwarz oder weiß oder gelb oder braun, man ist auf dem Weg nach Has­b­rouck Heights, eine hal­be Stun­de Zeit, des­halb liest man in der Zei­tung, schläft oder schaut auf die Land­schaft, auf ros­ti­ge Brü­cken­rie­sen, die flach über die sump­fi­ge Gegend füh­ren. Und schon sind wir ange­kom­men, ein lie­be­voll gepfleg­ter Ort, der sich an eine stei­le Höhe lehnt, ein­stö­cki­ge Häu­ser in allen mög­li­chen Far­ben, groß­zü­gi­ge Gär­ten, Hecken, Büsche, Bäu­me sind auf den Zen­ti­me­ter genau nach Wün­schen ihrer Besit­zer zuge­schnit­ten. Nur sel­ten ist ein Mensch zu sehen, in dem ich hier schlen­de­re von Stra­ße zu Stra­ße, wer­de dann freund­lichst gegrüßt, how are you doing, ich spü­re die Bli­cke, die mir fol­gen, Bäu­me, Blu­men, Grä­ser schau­en mich an, das Feu­er der Aza­leen, Eich­hörn­chen stür­men über sanft geneig­te Dächer: Habt ihr ihn schon gese­hen, die­sen frem­den Mann mit sei­ner Pola­roid­ka­me­ra, die­sen Mann ohne Arme! Gleich wird er ein Bild von uns neh­men, wird klin­geln, wird sagen: Guten Tag! Ich habe Sie gera­de foto­gra­fiert. Wol­len Sie sich betrach­ten? — stop

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ai : IRAN

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MENSCH IN GEFAHR: „Der ira­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Jour­na­list Jason Rezai­an befin­det sich seit sechs Mona­ten im Tehe­ra­ner Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft. Er hat kei­nen Zugang zu einem Rechts­bei­stand, wur­de aber am 6. Dezem­ber zum ers­ten Mal vor Gericht gestellt. Er ist ein gewalt­lo­ser poli­ti­scher Gefan­ge­ner. / Jason Rezai­an, ein Iran-Kor­re­spon­dent der Washing­ton Post, wur­de am Abend des 22. Juli zusam­men mit sei­ner Frau Yega­neh Salehi, die für die Zei­tung The Natio­nal aus den Ara­bi­schen Emi­ra­ten schreibt, von Sicher­heits­kräf­ten in Zivil fest­ge­nom­men. Das Haus des Ehe­paars wur­de durch­sucht und ihre Päs­se kon­fis­ziert. Etwa einen Monat spä­ter erst wur­de die Fami­lie von Jason Rezai­an und Yega­neh Salehi über den Ver­bleib der bei­den infor­miert. Yega­neh Salehi kam im Okto­ber auf Kau­ti­on frei. Jason Rezai­an wur­de sei­nem Bru­der Ali Rezai­an zufol­ge mehr­mals ver­hört. Ein von der Fami­lie beauf­trag­ter Rechts­bei­stand hat bis­lang kei­ne Erlaub­nis erhal­ten, Jason Rezai­an zu besu­chen oder sei­ne Gerichts­ak­ten ein­zu­se­hen. Bei der Gerichts­ver­hand­lung am 6. Dezem­ber, die laut Ali Rezai­an einen gan­zen Tag lang ange­dau­ert haben soll, wur­de Jason Rezai­an ledig­lich ein Dol­met­scher und kein Rechts­bei­stand zur Ver­fü­gung gestellt. Zudem wur­de er auf­ge­for­dert, ein Doku­ment zu unter­zeich­nen, in dem er sich der Ankla­gen schul­dig bekennt. Was Jason Rezai­an vor­ge­wor­fen wird oder war­um, ist nicht bekannt. / Seit sei­ner Fest­nah­me wird Jason Rezai­an im Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft fest­ge­hal­ten. Dort darf ihn sei­ne Fami­lie nur gele­gent­lich besu­chen. Er lei­det unter Blut­hoch­druck und muss des­halb täg­lich Medi­ka­men­te ein­neh­men. / In einem Inter­view mit der Nach­rich­ten­agen­tur Euro­News am 6. Novem­ber wur­de der Vor­sit­zen­de des ira­ni­schen Obers­ten Rats für Men­schen­rech­te, Moham­mad Javad Lari­ja­ni, gefragt, wann Jason Rezai­an frei­ge­las­sen wer­de. Nach sei­ner Ein­schät­zung hät­te dies “in weni­ger als einem Monat” gesche­hen müs­sen. Kaum eine Woche spä­ter sag­te jedoch der Stell­ver­tre­ter der Obers­ten Jus­tiz­au­to­ri­tät des Irans, Hadi Sadeghi, dass die Ermitt­lun­gen im Fall Jason Rezai­an noch im Gan­ge sei­en und dass die­se län­ger als einen Monat dau­ern kön­nen. Die ira­ni­schen Behör­den haben bis­her nichts über die Grün­de für die Fest­nah­me von Jason Rezai­an ver­lau­ten las­sen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 20. Janu­ar 2015 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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vom anemonentext

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alpha : 6.55 — Neh­men wir ein­mal an, dem ursprüng­li­chen Code einer See­ane­mo­ne wür­de ein wei­te­rer Code hin­zu­ge­fügt, eine sehr kur­ze Stre­cke nur, sagen wir Jack Kerou­acs Roman The Town and The City mit­tels Nukleo­ba­sen­paa­ren notiert. Was wür­de gesche­hen? Inwie­fern wür­de Jack Kerou­acs Text Wesen oder Gestalt einer See­ane­mo­ne berüh­ren? Wür­de der Text von See­ane­mo­ne zu See­ane­mo­ne wei­ter­ge­reicht, wür­de der Jack Kerou­acs Text sich nach und nach ver­än­dern, wür­de er viel­leicht ent­lang der Küs­ten­li­ni­en wan­dern? Seit ges­tern, ich habe geträumt, sind mensch­li­che Per­so­nen denk­bar, die nur zu dem einem Zweck exis­tie­ren, näm­lich Ohren, ein gutes Dut­zend wahl­wei­se auf ihren Armen oder Schul­tern zu tra­gen, um sie gut durch­blu­tet, solan­ge zu kon­ser­vie­ren, bis man sie von ihnen abneh­men wird, um sie auf eine wei­te­re Per­son zu ver­pflan­zen, die eine gewis­se Zeit oder schon immer ohne Ohren gewe­sen ist. Unheim­li­che Sache. — stop

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vor neufundland 18.02.12 uhr : sterne

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zou­lou : 3.58 — Leich­ter Regen, kaum Wind. In der Ukrai­ne, wei­te­re Gefech­te. Es wird berich­tet, dass zivi­le Men­schen ster­ben, doch nie­mand kön­ne mit Sicher­heit sagen, vom wem sie getö­tet wur­den, aber sie sind tot. — Funk­spruch Noes kurz vor Mit­ter­nacht. Ver­mut­li­che Tie­fe: 858 Fuß. Posi­ti­on: 78 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands seit nun­mehr 1417 Tagen im Tief­see­tauch­an­zug unter Was­ser. Ich hör­te sei­ne schep­pern­de Stim­me. Fol­gen­de Bot­schaft: ANFANG 18.02.12 | | | > leich­te bewe­gung. s t o p schwin­gen. s t o p auf und ab und seit­wärts. s t o p schlin­gern. s t o p ein hur­ri­ca­ne viel­leicht. s t o p hur­ri­ca­ne char­lie. s t o p oder fred. s t o p oder hil­la­ry. s t o p ist es mög­lich dass ich bald eine nach­richt erhal­te wer­de? s t o p ob mir jemand zuhört? e n o r m o u s g r e y f i s h s t r a i g h t a h e a d . s t o p habe lan­ge zei­ten kei­ne ster­ne gese­hen. s t o p die ster­ne sind rund. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p füh­ler. s to p ob yoko noch lebt? — s t o p | | | ENDE 18.04.01

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in der paukenhöhle

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del­ta : 7.10 — Es ist leicht, sich Zell­kör­per vor­zu­stel­len, die vor­sich­tig geöff­net wur­den, um in sie hin­ein spä­hen zu kön­nen. Ich wünsch­te ihre Struk­tu­ren mit Namen bezeich­nen zu kön­nen, mit Wort­kör­pern, die mir gefal­len. Bereits die Ana­to­mie der Amei­sen Wort für Wort aus­zu­wei­sen, wird einen lan­gen poe­ti­schen Atem erfor­dern. Ich über­leg­te, wie sich afri­ka­ni­sche Men­schen bald erhe­ben wer­den, sie for­dern, ihre uralten Spra­chen in unse­re human ana­to­mi­sche Nomen­kla­tur ein­zu­spei­sen, ner­vus oli­mam­bo, der fort­an unter die­ser Bezeich­nung mensch­li­che Augen­li­der inner­vie­ren wird. Bald mel­den sich Bewoh­ner Grön­lands, sun­ni­ti­sche und schii­ti­sche Stäm­me, India­ner der wil­den Wäl­der Papua-Neu­gui­ne­as. Sie alle haben den Wunsch, ihre Spra­che, Wör­ter, ihre geis­ti­ge Welt in der Vor­stel­lung eines all­ge­mein­gül­ti­gen mensch­li­chen Kör­pers zu hin­ter­las­sen. Das zustän­di­ge Büro der Uno hoch über dem East River, eine Behör­de, Jahr­zehn­te nach­drück­li­cher Ver­hand­lung in der Pau­ken­höh­le. — stop

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saurus rex

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MELDUNG. Im Mor­gen­grau­en an lin­ker hin­te­rer Fuß­säu­le ent­zün­det: Tyran­nus Sau­rus Rex, Secken­berg­an­la­ge 22 nahe Beet­ho­ven­platz. Sicher­ge­stellt: 3 Zünd­höl­zer, 1 Ben­zin­be­häl­ter [ 750 ml ] , 2 Fuß­ab­drü­cke [ Schuh­grö­ße 42 ] , 1 Fahr­rad [ Peu­got 1958 ] — stop

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