alpha : 14.15 — Auf einer Bank im Schatten kühlender Bäume gleich neben dem Bellevue Hospital sitzt ein alter Mann in einem blau und weiß gestreiften Pyjama. Er versucht eine Mineralwasserflasche zu öffnen, schimpft vor sich hin in dieser schweren Arbeit, sagt, dass das doch nicht möglich sei, warum sich das verdammte Ding nicht öffnen ließe, er habe die Flasche vor einer Stunde noch selbst zugedreht. Ein graues Eichhörnchen hockt auf mächtigen Hinterbeinen neben ihm, beobachtet die Hände des alten Mannes, bleibt auch dann ganz still, als ich mich nähere und meine Hilfe anbiete. — Ein angenehmer Nachmittag, die Luft ist etwas kühler geworden und trocken, ein leichter Wind raschelt in den Bäumen, die so alt zu sein scheinen, dass der Schriftsteller Malcolm Lowry sich an ihren Stämmen festgehalten haben könnte, damals, im Jahr 1936, als er schwer alkoholsüchtig in enger werdenden Kreisen auf das Krankenhaus zustürzte, um in einem Tage währenden Delirium, Wale über den East River fliegen zu sehen. Der Dichter, der Trinker auf hoher See. Bellevue war in Lowry’s Kopf zu einem Schiff geworden, dessen Planken unter ihm ächzten, in den Stürmen, die sein armes Gehirn durchleben musste, in Fieberschüben, unter den schwitzenden Händen der Matrosenärzte, die ihn an sein Bett fesselten. Und wie er dann selbst, oder jene Figur, die Malcolm Lowry in seiner großartigen Erzählung Lunar Caustic gegen das Alkoholungetüm antreten lässt, nach Wochen der Abstinenz aufrecht und leichtfüßig gehend durch den Haupteingang des Hospitals wieder festen Boden betritt, schon die nächste Flasche Absinth vor Augen hier am East River, an einem Tag wie diesem Tag vor langer, langer Zeit.
hibiscilli
sierra : 20.24 — h i b i s c i l l i !
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alpha : 18.02 — z w i s c h e n g e h i r n
lichtbilder
tango : 22.55 — Prozession der Holzkohlewagen abends in der Dämmerung auf der Fifth Avenue südwärts. Fäden weißen Rauches, die sich den Luftbewegungen der Seitenstraßen beugen. Im Café, am Nebentisch, eine Frau, die gegen den Himmel fotografiert. Das künstliche Geräusch der Kamera im Moment der Aufnahme, ein wegwerfendes Geräusch, visieren, festhalten, vergessen. Wie viele Bilder sind genommen, ohne je betrachtet worden zu sein? — Zur Mittagszeit ein griechischer Mann auf dem Fährschiff nach Ellis Island. Scheue Blicke der Enkelkinder, die sein uraltes Gesicht betasten, während er schläft. Sie halten Windräder in Händen, die sich schnurrend drehen. Ihre Mutter, die Tochter, lehnt an der Reling. — stop
lexingtonlineparticle
echo : 2.32 — Subway 86 St., Linie 4, spätester Abend: Menschenstille. Aber das Brausen tausender Ventilatoren, die kühle Luft durch blecherne Arterien blasen. Eine Rolltreppe, einsam quietschend, selbstgenügsames Wesen. Und das Wasser, woher, an den Wänden. Hier muss nicht geatmet werden, solange der Boden bebt von der Erwartung des Zuges. Man hört ihn schon von weit her kommen, dumpfe, pochende Erschütterung. Und wenn er dann hereinfliegt aus den Schatten, das rote, das gelbe, das blaue Zahlenauge. Luft zischt, Menschen treten hervor oder bleiben. Jede Kammer, jeder Waggon, hinter jedem Fenster, eine eigene, einzigartige Versammlung lebender Geschichten. stop. Wie sich die Türen schließen. stop. Wie man verschwindet. — stop
ground zero
sierra : 18.16 — Zwei Stunden Broadway südwärts bis Fultonstreet. Eine kleine Kirche, St Paul’s Chapel, Granitsteine, Gräber, ein Garten unter Bäumen. Ich kenne diesen Garten, diese Bäume, eine Fotografie genauer, die einen Staubgarten zeigt, Sekundenzeit entfernter Gegenwart, ein Bild, das im September 2001 aufgenommen wurde, am elften Tag des Monats kurz nach zehn Uhr vormittags. Hellgraue Landschaft, Papiere, größere und kleinere Teile, liegen herum, Akten, Scherben. Auch die Bäume vor der Kirche, helle Gestalten, als hätte es geschneit, eine feine Schicht reflektierender Kristalle, Spätsommereis, das an Wänden, Stämmen und an den Menschen haftet, die durch den Garten schreiten, träumende, schlafwandelnde, jenseitige Personen im Moment ihres Überlebens. Ein merkwürdiges Licht, beinern, nicht blau, nicht blühend wie am heutigen Tag um Jahre weitergekommen. Etwas fehlte in der Luft im Raum unter dem Himmel über Manhattan sehr plötzlich, war so fein geworden, dass es von flüchtenden Menschen eingeatmet wurde. Kaffeetassen. Treppenläufe. Hände. Feuerlöscher. Füße. Waschbecken. Nieren. Stühle. Schuhe. Computerbildschirme. Arme. Brüste. Kopfschalen. Radiogeräte. Bleistifte. Telefone. Ohren. Augen. Herzen. stop
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echo : 20.58 — e l e f a n t e n f e d e r
fifth avenue – lemur
tango : 20. 56 — Pappkartonhütten auf Treppen, die zu Kirchenräumen führen, zerlumpte, sich bewegende Gebilde. Seit Stunden geht mir ein Satz nicht aus dem Kopf, der in New Yorker Subway – Zügen immer wieder einmal zu lesen ist: Give the homeless the kind of change they can really use. Irgendetwas irritiert in dieser Zeile. — Abend. Warm und schwül der Atem der Straßen. Vor der St. Patricks Cathedral, Fifth Avenue, liegt eine Frau ohne Bewusstsein um einen Hydranten gewickelt auf dem Boden. Eine Ratte zerrt an ihrem Gepäckwagen. Das nervöse Tier hebt den Kopf, scheint mich zu betrachten, diesen Mann in feinen Hosen, mit tadellosen Wanderschuhen, der mit weit geöffnetem Mund vorsichtig atmet. Beißender Gestank ruht in der Luft. Ich stehe, ich denke, sie wird bald sterben, diese Frau wird bald sterben. Sie könnte eine Mutter sein. Ihre eitrigen Hände. Ihr von Schmutz graues Gesicht. Ihr staubiges Haar. Ihre tief in den Kopf eingesunkenen Augen. Was ist, was nur um Gotteswillen ist geschehen, dass sie so endet? — stop
bronx — flug
echo : 23.
32 — In der Dämmerung des Abends gegen die 241 St. zu, letzte Station weit oben im Norden. Eine halbe Stunde Tiefflug über steinerne Landschaften der Bronx, Miethauskasernen, rot, grau, rußig schwarz. Nach und nach leert sich der Zug, aber da draußen, da unten hinter den scheppernden Scheiben des Zuges, geräuschlos, stumm, Straßenzüge voller Menschen bis zum Horizont. Und wie sich die Lichtmembranen dann beruhigen, wie wir langsamer und langsamer werden, der schmale Kopf eines metallenen Fühlers, unser Bahnsteig, an den der Zug sich müde lehnt wie ein Schiff an einen Landungssteg nach langer Reise. Wald, wild und dornig, jenseits der Schienen, blühende Gräser erheben sich vom brüchigen Boden. Eine Bank, warmes Holz, auf dem ich sitze, rot leuchtende Falter eilen westwärts. Weit entfernt, am anderen Ende des schlafenden Zuges noch, die Gestalt einer Frau mit Besen, die sich durch die schimmernde Schlange fädelt, eine Frau von schwarzer Hautfarbe. Sie trägt kräftige Schuhe und einen Overall. Als sie bei mir ankommt, zögert sie kurz, will wissen, was ich hier tue, seltene Erscheinung, formuliert so rasend schnell, dass ich ihr kaum folgen kann. Bald geht sie weiter, schleift ihren Besen hinter sich her, macht den Zug zu Ende, kommt wieder zurück, setzt sich neben mich, spricht wie in Zeitlupe mit leicht erhobener Stimme: I — s — - t – h — a — t — - s — l – o — w — - e – n — o — u – g – h ?
madison avenue
ulysses : 7.
32 — Madison Avenue am frühen Morgen von Süd nach Nord. Tausende Tagpassanten nähern sich und verschwinden. Heftige Winde. Blüten, Blätter, Töne wirbeln in Spiralen durch die frische Luft. Frauen halten ihre Röcke, Männer ihre Hüte fest. Berauschende Glücksgefühle. Werde ich größer oder werde ich kleiner? Irgendetwas scheppert leise im Kopf von Schritt zu Schritt. Fliegenleichtgewichte, transparente Hummergestalten, spazieren seitwärts über den Bildschirm meiner Handschreibmaschine dahin, gebeutelte, zausige Herzen. Wo waren sie in der vergangenen Nacht gewesen? Indem ich eines der Geschöpfe auf der Schulter mit mir trage, der Gedanke, dass sich beinahe alle Menschen dieser großen Stadt nicht persönlich kennen. — stop