Aus der Wörtersammlung: erinnerung

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lichtschirm

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echo : 7.10 — Auf­be­wah­ren für alle Zeit. Ich hat­te die­sen Satz vor lan­ger Zeit in rus­si­scher Spra­che auf dem Umschlag der Auto­bio­gra­fie Lew Kope­lews ent­deckt. Ein Stem­pel, rote Far­be. Erzäh­lung vom Ver­schwin­den der Men­schen im Gulag­la­ger­sys­tem Sibi­ri­ens. In den ver­gan­ge­nen Tagen war mir die­ser Satz immer wie­der in den Sinn gekom­men. Und San Suu Kyi. Ihr zar­tes, ihr kaum geal­ter­tes Gesicht auf dem Bild­schirm, wie sle nach sie­ben Jah­ren zum ers­ten Mal unmit­tel­bar zu Men­schen spricht. Die Metho­de der Inhaf­tie­rung im eige­nen Haus, hin­ter dem Licht­schirm, hin­ter dem Sprech­schirm, eine Ver­su­chung des Erin­ne­rungs­ver­mö­gens. — stop

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voyager

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ulys­ses : 22.00 — Wie ich lern­te, mei­ne Schu­he zu bin­den. Eine Sekun­de­n­erin­ne­rung an den Tag, als ich zum ers­ten Mal mit einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve aus der Stadt Mün­chen her­aus über Land gefah­ren bin. Abends sit­ze ich unter einem Apfel­baum nahe Land­au. Ich bin müde, aber ich habe den Wunsch, im Leben wei­ter­zu­kom­men. Irre Bewe­gun­gen mei­ner Kin­der­hän­de über klei­nen blau­en Schu­hen. Der Ein­druck for­schen­der Unsi­cher­heit, der in die­sem Moment, Fin­ger für Fin­ger, wie­der zu spü­ren ist, als wür­de jede Hand für sich über ein eige­nes Gedächt­nis ver­fü­gen. — Viel­leicht ist es sinn­voll zu sagen, dass die Raum­son­den Voy­a­ger 1 und Voy­a­ger 2 in der Sekun­de ihres Starts gebo­ren wur­den. — stop

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eine kleine physik

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char­lie : 0.02 — Zunächst Bil­der, dann Klän­ge. Die Erin­ne­rung des Gehörs scheint lang­sa­mer zu spie­len, als die Erin­ne­rung der Augen. Wie sich all­ge­mei­ne phy­si­ka­li­sche Geset­ze der Außen­welt in mei­nem Gehirn beru­hi­gend wie­der­fin­den. — Stel­len Sie sich vor, ich habe den gest­ri­gen Nach­mit­tag unter einem Regen­schirm zuge­bracht. So im Gehen im Was­ser, die Suche nach kleins­ten Par­ti­keln einer gro­ßen Stadt. Bin ich Ang­ler, bin ich Jäger, bin ich ein Domp­teur? Ob Eich­hörn­chen mit­tels Zun­gen­stim­men zuein­an­der spre­chen? — stop
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vom verschwinden

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del­ta : 0.15 — Ein­mal, an einem Spät­som­mer­nach­mit­tag, erzähl­te mir eine älte­re Frau von einer selt­sa­men Erfah­rung, die sie gemacht hat­te, nach­dem ihre Schwes­ter uner­war­tet gestor­ben war. Zwei Jah­re lag die­ser schwe­re Ver­lust damals zurück. Die Schwes­ter hat­te sich kurz nach ihrem Tod, auf eige­nen Wunsch hin, in ein ana­to­mi­sches Prä­pa­rat ver­wan­delt. Ich erin­ne­re mich an den wil­den Blick der Frau, an ihre zier­li­che Gestalt, wie sie vor mir steht und vom Trau­ern und vom War­ten berich­tet, das heißt, genau­er, davon berich­tet, dass sie um ihre Schwes­ter bis­her nicht trau­ern konn­te, so wie sie sich das Trau­ern gewünscht hat­te, weil der Kör­per ihrer Schwes­ter gegen­wär­tig, noch in die­ser Welt gewe­sen sei. Manch­mal habe sie dar­an gedacht, ihre gelieb­te Schwes­ter zu besu­chen, sie noch ein­mal zu berüh­ren. Wir stan­den vor einer Kir­che. Um uns her­um fröh­li­che, von Last und Anfor­de­rung befrei­te Stu­den­ten. Sie hat­ten ihren ana­to­mi­schen Prä­pa­rier­kurs an die­sem Tag abge­schlos­sen, und den Men­schen, die ihre Kör­per spen­de­ten, betend gedankt. Auch die alte Frau schien nun leich­ter gewor­den zu sein, ent­schlos­sen. — Wie sie sagt, sie kön­ne ihre Schwes­ter jetzt end­lich beer­di­gen. — Und wie sie kurz dar­auf durch die Men­ge jun­ger Men­schen ver­schwin­det, ein Wölk­chen schloh­wei­ßen Haa­res. — stop

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wortpropeller

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nord­pol : 2.05 — Da war wie­der ein hell klin­gen­des Pro­pel­ler­ge­räusch, aber immer dann, wenn ich die­ses Geräusch sum­mie­ren woll­te zu einem Geräusch hun­dert­tau­sen­der Flie­gen­tie­re, hat­te ich den Ver­dacht, dass mit mei­ner Erin­ne­rung etwas nicht ganz in Ord­nung sein könn­te. Ein Schwarm der Ord­nung Eph­emer­op­te­ra. stop. Im Geis­t­raum mei­ner Papie­re kaum noch zu ver­neh­men. stop. Habe fünf oder sechs Schwar­m­er­schei­nun­gen beob­ach­tet, laut­los wir­beln­der Schnee. Und doch war da ein Ton. Ein zar­tes Klap­pern viel­leicht? — Luft­ge­räu­sch­wor­te erfin­den. — stop
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grüne schuhe

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lima : 22.02 — Beob­ach­tung des New Yor­ker Poli­zei­funks. Schep­pern­de Stim­men, als wür­de man Trans­pa­rent­pa­pier beatmen, Spra­che von Zah­len, von Codes. Gele­gent­lich Pas­sa­gen, die Geschich­ten erzäh­len. Eine laut­hals sin­gen­de Frau im Cen­tral Park, Höhe Dako­ta Buil­ding, sie kehrt als Spur, als Wör­ter­in­sel immer wie­der zurück, man ver­mu­tet, dass sie viel­leicht ver­rückt sein könn­te. Die Frau ist etwa 50 Jah­re alt, trägt grü­ne Schu­he, Blue Jeans, eine beige Jacke und läuft im Kreis her­um. Ein­mal will man ihre Papie­re über­prü­fen und da hör­te ich im Rau­schen des Äthers tat­säch­lich eine hell schim­mern­de Stim­me. — stop
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djuna barnes

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tan­go : 6.38 – Mit Blit­zen, die Him­mel und Erde ver­bin­den, ist das so eine Sache. Man hört sie nicht kom­men. Sie sind immer Erin­ne­rung, nie Ereig­nis, haar­fei­ne Dampf­luft­röh­ren, die Erschei­nung erzeu­gen. Unlängst, wäh­rend ich im Regen spa­zier­te, muss ich von einem Blitz die­ser Art getrof­fen wor­den sein, weil ich kurz dar­auf auf einer Roll­trep­pe Dju­na Bar­nes gesich­tet habe. Sie fuhr nach unten, ich nach oben. Ein fas­zi­nie­ren­der Anblick. Da waren ein Paar hel­ler, ele­gan­ter Schu­he, ein dun­kel­grü­nes, ver­we­gen geschnit­te­nes Kleid, wei­ter­hin ein blau­er Som­mer­hut. Die­ser Hut nun brann­te lich­ter­loh auf ihrem Kopf. Eine Art Feu­er war das gewe­sen, das ölig ruß­te, und als sie nahe her­an­ge­kom­men war, auf glei­che Höhe unge­fähr, Ruß auch auf ihrer Nase. Dann wach­te ich auf und hör­te noch, wie ich zu mir sag­te: Es reg­net. – Die­se klei­ne Geschich­te ereig­ne­te sich vor etwa einer Stun­de. Gera­de eben wird es hell und es reg­net tat­säch­lich, wes­halb ich im Moment nicht ganz sicher bin, wo ich mich eigent­lich befin­de. — stop

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lichtpelz

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lima : 0.02 – In einer früh­zei­ti­gen Erin­ne­rung, die ich ges­tern, wäh­rend ich eine fil­mi­sche Erzäh­lung der Stadt Istan­bul beob­ach­te­te, errei­chen konn­te, sind kei­ne mensch­li­chen Wesen zu ent­de­cken, doch Kör­per von Licht. Ich lie­ge in einem schwan­ken­den Schiff, das durch eine Stra­ßen­bahn fährt. Über mir die Wär­me der Glüh­bir­nen, Glas­kol­ben, in wel­chen wirk­li­ches Feu­er ent­hal­ten ist. Drau­ßen, im Dun­keln, Schnee­flo­cken, die aus sich selbst her­aus zu leuch­ten schei­nen, Licht­pelz­fet­zen. — Ich fra­ge mich gera­de, ob die­se Erin­ne­rung nicht eine aus­ge­mal­te Erin­ne­rung sein könn­te, Film­bil­dern nach­ge­zeich­net. Aber da sind der Duft von gebrann­ten Man­deln und das Schril­len einer Klin­gel und das Geräusch einer Stim­me, die spä­ter ein­mal sagen wird: Max-Weber-Platz. — stop
pamuk

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sleeping

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sier­ra : 0.02 — Kurz nach Mit­ter­nacht, das Ende eines feder­leich­ten Tages, an dem ich, gegen den Mor­gen zu, eine fei­ne Geschich­te erleb­te. Das war näm­lich so gewe­sen, dass mei­ne Hand, mei­ne rech­te Hand, wäh­rend ich schlief, das Bett ver­las­sen hat­te. Sie schweb­te, indem ich träum­te, von einem Gewit­ter ange­ru­fen wor­den zu sein, fast bewe­gungs­los über dem Boden und wur­de in die­ser Hal­tung nach einer Erin­ne­rung zärt­lich foto­gra­fiert, weil ich vor eini­gen Mona­ten notiert hat­te, dass ich, wenn ich sage: mei­ne schla­fen­den Hän­de, von Hän­den spre­che, die ich nie gese­hen habe. Die­ser Satz ist nun natür­lich nicht ganz unwahr gewor­den, weil ich immer­hin noch kei­ne Ahnung habe, wie mei­ne lin­ke Hand aus­se­hen könn­te, wäh­rend sie schläft. Außer­dem habe ich mei­ne schlum­mern­de Hand nicht selbst gese­hen, mit eige­nen Augen, wahr­haf­tig, in ech­ter Zeit, son­dern ver­zö­gert und durch das Auge einer Kame­ra gebän­digt. — stop



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