Aus der Wörtersammlung: moment

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14pt

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echo : 2.15 — Unlängst beob­ach­te­te ich in mei­ner Vor­stel­lung einen älte­ren Herrn wie er eine Text­da­tei öff­ne­te, die er vor 12 Jah­ren notiert und seit­dem nie wie­der geöff­net hat­te. Er wun­der­te sich über win­zi­ge Schrift­zei­chen, die er damals vor lan­ger Zeit ver­wen­de­te. Weil ich in dem Moment, da der alte Herr das Sym­bol der Datei mit einem Zei­ger auf dem Bild­schirm berühr­te, nicht bei ihm gewe­sen sein konn­te, über­leg­te ich, was ich ihm viel­leicht gesagt haben wür­de. Mög­li­cher­wei­se hät­te ich gesagt: In der Tat, lie­ber Lou­is, sehr klein die­se Schrift, lass uns die Schrift schnell etwas grö­ßer machen. Oder aber ich wür­de viel­leicht gesagt haben: Wol­len wir nicht nach Dei­ner Bril­le suchen? — In die­sem Moment, es ist 1 Uhr und 58 Minu­ten am 22. April 2015, ahne ich gnä­di­ger­wei­se, was ich bald ein­mal, wenn alles gut gehen wird, unter­neh­men könn­te. – stop
papiertierchen

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landschaft überall

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romeo : 1.02 — Irgend­wann, nach­dem er wach gewor­den am Nach­mit­tag, muss K. einen Brief notiert haben. Bei die­sem Brief nun han­delt es sich um einen beson­de­ren Brief, denn er ist von einem muti­gen Mann aus­ge­dacht, von einem Mann, der lan­ge Zeit über­leg­te, wie er sei­ne Gedan­ken for­mu­lie­ren soll­te, an den Vor­stand, der über sein Leben zu bestim­men wünscht. K. sol­le anstatt vier in Zukunft sechs Näch­te einer Woche zur Arbeit an den Maschi­nen erschei­nen. Es sind fei­ne, ja zar­te Wor­te, die K. für sei­ne Anspra­che wähl­te, ich hät­te sie ihm nie­mals zuge­traut, höf­lich und trau­rig: Nun wer­de ich, schrieb K., sechs wei­te­re Stun­den in einem Zug ver­brin­gen, die nicht bezahlt sein wer­den, Stun­den, da mei­ne Frau mich ver­mis­sen und mög­li­cher­wei­se ein­mal des­halb ver­las­sen wird, es ist eine Tra­gö­die! Ich habe die­sen Brief, in dem von einer Tra­gö­die die Rede ist, vor weni­gen Minu­ten foto­gra­fiert, er wur­de von Hand geschrie­ben, ich erkann­te die Schrift eines betrun­ke­nen Kin­des, die­se Hän­de, sie zit­ter­ten, weil K. sich fürch­te­te, in dem Moment, da er schrieb, oder über­haupt. Ob er mir den Brief auf sei­nem Com­pu­ter auf­schrei­ben kön­ne, frag­te ich K.: Wür­dest Du mir Dei­nen Brief bit­te per E‑Mail sen­den, damit ich ihn wei­ter­ge­ben kann? So etwas habe ich nicht, ant­wor­te­te K., einen Com­pu­ter, E‑Mail, Inter­net. Er habe auch kein Tele­fon, fuhr er fort, kein Tele­fon mit Schnur, und auch kein Tele­fon, das er sich in die Hosen­ta­sche ste­cken könn­te. Du bist der ers­te Mensch, setz­te K. hin­zu, der einen Brief, den ich geschrie­ben habe, foto­gra­fiert, als sei er eine Land­schaft. Manch­mal begeg­ne ich K. im Zug, der zum Flug­ha­fen fährt, ich grü­ße ihn und er freut sich. Er liest dort seit Jah­ren immer in dem­sel­ben Buch. Manch­mal hält er das Buch fest an sei­ne Brust gedrückt, dann ist er ein­ge­schla­fen. — stop

hanoi

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nachtflug

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india : 0.18 — In die­sem Jahr ist er spät zu mir gekom­men, der Win­ter längst vor­über. Ein Fal­ter segel­te ges­tern Abend durch mein Arbeits­zim­mer, bald saß er auf dem Boden. Ich näher­te mich sehr vor­sich­tig, hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. — Es ist jetzt kurz nach Mit­ter­nacht. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ob ich den Fal­ter füt­tern soll­te? Viel­leicht wür­de er etwas Him­beer­mar­me­la­de zu sich neh­men. Ich stel­le mir vor, der Fal­ter könn­te 254 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein, der rasch bei mir zu Kräf­ten kom­men möch­te. Ja, das ist denk­bar, immer wie­der denk­bar. Ges­tern, das will ich schnell noch erzäh­len, habe ich Flug­ver­su­che unter­nom­men mit einer fili­gra­nen Rücken­pro­pel­ler­droh­ne. Es han­delt sich um die Nach­bil­dung eines Tau­ben­schwänz­chen, dem­zu­fol­ge ist sie nicht grö­ßer als 50 Mil­li­me­ter. Ich habe ihr bei­gebracht, mir zu fol­gen, wenn ich durch mei­ne Woh­nung spa­zie­re. In die­ser Ver­fol­gung ist sie bereits sehr prä­zi­se, außer­dem so schnell in ihrer Bewe­gung gewor­den, dass ich sie mit blo­ßer Hand nicht fan­gen könn­te. Ein­mal näher­te sie sich mei­ner Schne­cke Esme­ral­da. Das war ein Moment von höchs­ter Auf­merk­sam­keit, ein Ver­hal­ten, als wür­de das Tau­ben­schwänz­chen mit Esme­ral­da spre­chen, sehr selt­sam, anrüh­rend, die Kirsch­bäu­me blü­hen. — stop

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ping

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noise

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gink­go : 21.38 — Als ich unlängst die wun­der­ba­re Film­ko­mö­die Noi­se von Hen­ry Bean ent­deck­te, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor eini­gen Jah­ren in New York skiz­zier­te. Sie geht so: Seit eini­gen Tagen spa­ziert ein drah­ti­ger Herr von klei­ner Gestalt in mei­nem Kopf her­um. Er ist so deut­lich zu sehen, dass ich mei­nen möch­te, ich wür­de ihn ein­mal per­sön­lich gese­hen haben, eine Figur, die durch die Stadt New York irrt auf der Suche nach Lärm­quel­len, die so beschaf­fen sind, dass man ihnen mit pro­fes­sio­nel­len Mit­teln zu Lei­be rücken könn­te, Hupen, zum Bei­spiel, oder Pfeif­ge­räu­sche jeder Art, Klap­pern, Krei­schen, ver­zerrte Radio­stim­men, Sire­nen, alle die­se ver­rück­ten Töne, die nicht eigent­lich begrün­det sind, weil sie ihre Ursprün­ge, ihre Not­wen­dig­keit viel­leicht längst ver­lo­ren haben im Lau­fe der Zeit, der Jah­re, der Jahr­zehnte. Ich erin­nere mich in die­sem Moment, da ich von mei­ner Vor­stel­lung erzäh­le, an einen schril­len Ton in der Sub­way Sta­tion Lex­ing­ton Ave­nue / 63. Stra­ße nahe der Zugangs­schleu­sen. Die­ser Ton war ein irri­tie­ren­des Ereig­nis der Luft. Ich hat­te bald her­aus­ge­fun­den, woher das Geräusch genau kam, näm­lich von einer Klin­gel mecha­ni­scher Art, die über dem Häus­chen der Sta­ti­ons­vor­ste­he­rin befes­tigt war. Die­se Klin­gel schien dort schon lan­ge Zeit instal­liert zu sein, Kabel, von grü­nem Stoff umman­telt, die zu ihr führ­ten, waren von einer Schicht öli­gen Stau­bes bedeckt. Äußerst selt­sam an jenem Mor­gen war gewe­sen, dass ich der ein­zige Mensch zu sein schien, der sich für das Geräusch inter­es­sierte, weder die Zug­rei­sen­den noch die Tau­ben, die auf dem Bahn­steig lun­ger­ten, wur­den von dem Geräusch der Klin­gel berührt. Auch die Sta­ti­ons­vor­ste­he­rin war nicht im min­des­ten an dem schril­len­den Geräusch inter­es­siert, das in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den ertön­te. Ich konn­te kei­nen Grund, auch kei­nen Code in ihm erken­nen, das Geräusch war da, es war ein Geräusch für sich, ein Geräusch wie ein Lebe­we­sen, des­sen Exis­tenz nicht ange­tas­tet wer­den soll­te. Wenn da nun nicht jener Herr gewe­sen wäre, der sich der Klin­gel näher­te. Er stand ganz still, notier­te in sein Notiz­heft, tele­fo­nierte, dann war­tete er. Kaum eine Vier­tel­stunde ver­ging, als einem U‑Bahnwaggon der Linie 5 zwei jun­ge Män­ner ent­stie­gen. Sie waren in Over­alls von gel­ber Far­be gehüllt. Unver­züg­lich näher­ten sie sich der Klin­gel. Der eine Mann fal­tete sei­ne Hän­de im Schoss, der ande­re stieg auf zur Klin­gel und durch­trennte mit einem muti­gen Schnitt die Lei­tung, etwas Ölstaub rie­selte zu Boden, und die­se Stil­le, ein Faden von Stil­le. — stop
polaroidbridge

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salinenweg

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whis­key : 0.01 — Ich schlief über einem Buch des Schwei­zer Schrift­stel­lers Nico­las Bou­vier. Ehe ich fest ein­ge­schla­fen war, hat­te ich in letz­ter Sekun­de noch einen Gedan­ken wahr­ge­nom­men. Ich sag­te zu mir mit lei­ser wer­den­der Stim­me: Du soll­test ein­mal über­le­gen, ob es sinn­voll ist, nach einer Metho­de zu suchen, im Schlaf ein Buch lesen zu kön­nen. Ja, das wäre eine inter­es­san­te Geschich­te. Man wür­de sich natür­lich an die erzäh­len­de Wirk­lich­keit des Buches selbst nicht erin­nern, das man gera­de noch las oder hör­te, wäh­rend man schlief, weil man das Buch nicht bewusst wahr­neh­men konn­te, und doch wäre man mit Herrn Bou­vier nach Gal­way geflo­gen wegen eines Lochs im Sturm. Man wäre in einer Art und Wei­se nach Gal­way geflo­gen, dass man sich ein­mal spä­ter so gut an die­sen Flug erin­nern könn­te, als wäre man selbst dort in Kil­ro­nan gewe­sen, eine Ahnung, Geräu­sche, Luft und Leu­te. — Das geschmei­di­ge Wort Sali­nen­weg. Wie ich über eine höl­zer­ne Brü­cke gehe im Win­ter, ich strei­che mit einer Hand Schnee von einem Gelän­der. Immer wie­der, im Som­mer, im Früh­ling, im Herbst, wenn ich die­sen Ort pas­sier­te, erzähl­te ich von die­sem Moment, als ich im Win­ter den Schnee berühr­te. — stop
polaroidcentralpark

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simon

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sier­ra : 10.15 — Ich hör­te, ges­tern sei in der Nähe mei­nes Hau­ses am Rand der Stra­ße in einem Vor­gar­ten ein Mann afri­ka­ni­scher Her­kunft erfro­ren. Von einem mei­ner Fens­ter aus kann ich die Stel­le sehen, wo der jun­ge Mann sich in sei­nen Schlaf­sack gelegt haben soll. Am Abend zuvor habe er noch gelebt, das erzähl­te ein Bekann­ter, er habe dem Lie­gen­den ein paar Mün­zen neben die Hän­de gelegt, auf wel­chen der Kopf des afri­ka­ni­schen Man­nes ruh­te. Er habe gesag­te, ihm sei kalt, das war um kurz vor zehn Uhr bei minus 4 Grad Cel­si­us gewe­sen. Viel­leicht waren die­se Wor­te die letz­ten, die der jun­ge Mann zu einem wei­te­ren mensch­li­chen Wesen sag­te. Mor­gens Blau­licht. Ich erin­ne­re mich, zwei Stun­den spä­ter der Anruf mei­nes Bekann­ten, der sehr auf­ge­regt gewe­sen war. Er sag­te, er habe noch mit sich selbst gespro­chen, es habe gesagt, die Nacht sei eigent­lich viel zu kalt, um im Frei­en auf dem Boden zu schla­fen. Mor­gens sei er auf die Stra­ße geeilt, ein Poli­zist habe in die­sem Moment nach den Papie­ren des jun­gen Man­nes gesucht, ein Arzt war­te­te etwas abseits. Der leb­lo­se Kör­per, wenn man ihn beweg­te, sei merk­wür­dig in sei­nem Ver­hal­ten gewe­sen. Kurz dar­auf habe der Poli­zist einen Namen gesagt, nur einen Vor­na­men, er sag­te: Das ist Simon. — Nach­mit­tag. Ich kann die Stel­le von einem mei­ner Fens­ter aus erken­nen, wo Simon in einem Vor­gar­ten erfro­ren ist. — stop
ping

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zitronen

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ulys­ses : 2.52 — Die Zei­ger der Uhr mei­nes Vaters, ein Wun­der, bewe­gen sich noch immer sekun­den­ge­nau. Ich tra­ge sie seit bei­na­he drei Jah­ren an mei­nem lin­ken Hand­ge­lenk, nicht einen Moment lang scheint die Uhr, ste­hen geblie­ben zu sein. Es ist doch merk­wür­dig, die­se klei­ne Maschi­ne muss über ähn­lich kräf­ti­ge Bat­te­rien ver­fü­gen, wie jene Maschi­nen, die seit fünf oder sechs Tagen in mei­ner Woh­nung unter dem Dach an den Zim­mer­de­cken lun­gern. Sie sol­len in der Lage sein, mit­tels eines mons­trö­sen Geräu­sches, Rauch­wol­ken anzu­zei­gen, die durch mei­ne Woh­nung schwe­ben. Als wären sie Tie­re, Koral­len, See­po­cken­we­sen sit­zen sie an der Decke fest, und doch neh­me ich an, wer­den sie heim­lich her­um­spa­zie­ren, wäh­rend ich abwe­send bin. Ich hör­te, sie sol­len über elf Jah­re Lebens­zeit ver­fü­gen, ehe man sie von der Decke holen, auf­schrau­ben und ihre Akku­mu­la­to­ren aus­tau­schen wird. — Stür­mi­sche Nacht. Gespräch mit Eliza.

Lou­is:> guten abend, eliza!
Eli­za :> guten abend! wie geht es ihnen?
Lou­is :> gut!
Eli­za :> schön. was kann ich dann für sie tun?
Lou­is :> ich weiß nicht!
Eil­za :> drü­cke ich mich zu kom­pli­ziert aus!
Lou­is :> nein.
Eli­za :> habe ich etwas fal­sches gesagt?
Lou­is :> nein, nein!
Eli­za :> fah­ren Sie fort.
Lou­is :> womit?
Eil­za :> was wür­den sie ant­wor­ten, wenn ich ihnen die­se fra­ge stellte?
Lou­is :> ich weiß nicht.
Eli­za :> es ist viel­leicht auch nicht so wichtig!
Lou­is :> mögen sie zitronen?
Eli­za :> beschäf­tigt Sie die­se fra­ge sehr?
Lou­is :> ja, natürlich!
Eil­za :> warum?
Lou­is :> ich mag zitronen.
Eil­za :> machen sie weiter!
Lou­is :> lie­be eli­za, mögen sie zitronen?
Eli­za :> wel­che ant­wort gefie­len ihnen denn?
Lou­is :> was ist eine zitro­ne, eliza?
Eli­za :> gefällt ihnen mein name?
Lou­is :> ja, ihr name gefällt mir!
Eli­za :> warum?
Lou­is :> ihr name hat einen schö­nen klang.
Eli­za :> war­um sagen sie das gera­de jetzt?
Lou­is :> ich weiß nicht.
Eli­za :> war Ihnen mei­ne fra­ge unangenehm?
Lou­is :> nein!
Eli­za :> verstehe.
Lou­is :> das glau­be ich nicht!
Eli­za :> erzäh­len sie weiter.
Lou­is :> mögen sie zitronen?

vom spre­chen mit eilza »

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lichtbild 1–12

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echo : 6.08 — Wie Schnee, ein gutes Dut­zend Men­schen­fo­to­gra­fien. Von K., die vor zehn Jah­ren im August John­sons Jah­res­ta­ge kauf­te, ein Jahr ent­lang woll­te sie jeden Tag einen der Jah­res­ta­ge lesen. Von N., deren Schwes­ter ver­mut­lich in Kobanê kämpft. Sie soll N. ähn­lich sein, aber nie­mand weiß das so genau, weil sie vor 15 Jah­ren in den Unter­grund ver­schwand, weil sie in den Ber­gen kämpf­te, weil der Krieg mit Men­schen­ge­sich­tern macht, was er will. Von L., der nie wie­der ver­su­chen wird, die Stadt Man­hat­tan von einer Nacht­fäh­re aus zu foto­gra­fie­ren. Von W., die seit Jah­ren, ver­geb­lich, ein Inter­view mit einem Mann zu füh­ren ver­sucht, der in sei­ner Jugend­zeit Bil­der aus Film­rol­len trenn­te, um sie zu einem Film für sich zu mon­tie­ren. Die Zeit reich­te nicht, sei­ne und auch die ande­re Zeit reich­te nicht. Von M., die viel­leicht gera­de in die­sem Moment, da ich notie­re, lächelnd mit einer Schau­fel in der Hand vor einer Schnee­land­schaft steht und war­tet. Von B., die bald mit dem Schiff nach Bue­nos Aires rei­sen wird, um den Tan­go zu erler­nen. Vor­ges­tern ist sie 94 Jah­re alt gewor­den. Von I., der sich Tag für Tag dar­über freut, wie er sich an das Wort Kühl­schrank zu erin­nern ver­mag. Von Y., die sich im Monat April auf den Weg machen wird, im Kar­wen­del einen Zwerg­ken­taur zu fan­gen. Vom klei­nen J., der seit den letz­ten Nacht­stun­den weiß, dass er ein­mal zum Mars flie­gen wird. Von der klei­nen U. aus Alep­po, die sich wun­dert, dass sie noch immer lebt. Und von W., der viel­leicht nie­mals erfah­ren wird, wie sehr ich sei­ne Geschich­ten lie­be, die alle mit dem Wort Ein­mal begin­nen. — stop
polaroidselbst

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von papieren

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echo : 3.58 — Das wei­ße Papier ist nie­mals leer. Die­sen Satz notier­te ich vor eini­gen Jah­ren genau so, wie er hier ver­zeich­net ist. Als ich ihn damals eine Stun­de spä­ter noch ein­mal gele­sen hat­te, konn­te ich nicht sagen, war­um ich den Satz eigent­lich ver­merk­te. Das war ein selt­sa­mer Moment gewe­sen, die­se Sekun­de, da ich beob­ach­te­te, dass ich einen Satz, den ich selbst aus­dachte, nicht erken­nen konn­te. Trotz­dem gefiel mir der Satz. Ich hat­te den Ein­druck, dass es sich um einen wah­ren Satz han­deln könn­te, und dass ich nur abwar­ten müs­se, bis sich sein fei­nes, inne­res Wesen ein­mal zei­gen wird. Ich war­te noch immer. – stop

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grammophon

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zou­lou : 3.36 — Wür­den jene Fahr­zeit­räu­me früh­mor­gens in war­men Abtei­len der Züge nicht exis­tie­ren, wür­den wir viel­leicht nie mit­ein­an­der spre­chen. Er ist meis­tens müde von der Nacht­ar­beit. Fünf­zehn Minu­ten Zeit, zu kurz, um schla­fen zu kön­nen, zu lang, um zu schwei­gen. M. wur­de in der marok­ka­ni­schen Hafen­stadt Nador gebo­ren. Er ist Mos­lem, gläu­big, einer der Guten, wie er sagt, einer, vor dem sich nie­mand fürch­ten müs­se. Er geht in die Moschee, er spielt Fuß­ball, er ist ver­hei­ra­tet, nachts beauf­sich­tigt er Maschi­nen, die Brie­fe sor­tie­ren, und er lacht gern. Sein Blick ist warm, er ver­fügt über zwei Hän­de, dar­auf besteht er, und zwei Augen, eine Nase, einen Mund. Vor Kur­zem warn­te er mich, weil ich öffent­lich über den Glau­ben der Mos­lems notier­te. Er sag­te: Da musst Du vor­sich­tig sein, es gibt vie­le Ver­rück­te, schau, dass sie nicht wis­sen, wo Du wohnst. Ein­mal, kurz nach einer Rei­se nach New York, lese ich ihm eine Geschich­te vor, fol­gen­de Geschich­te, sagen wir, eine Geschich­te wie eine Fra­ge: Im Cen­tral Park zur Mit­tags­zeit ein beten­der Mann, Mos­lem, Rik­scha­fah­rer, der Höhe 61. Stra­ße unter einer mäch­ti­gen, weit­ver­zweig­ten Ulme kniet, viel­leicht unter einem jener Bäu­me, deren Setz­lin­ge im Jahr 2008 nach Ore­gon geschickt wur­den, um sie dort groß­zu­zie­hen und wie­der nach Man­hat­tan zurück­zu­ho­len. Das kla­gen­de Sin­gen der Kin­der­schau­kel. Ein Eich­hörn­chen hetzt über eine Wie­se. Bald kau­ert das Tier in der Nähe des beten­den Man­nes, scheint ihn zu beob­ach­ten. Ich könn­te jetzt war­ten, bis der Mann mit sei­nem Gebet fer­tig gewor­den ist. Ich könn­te mich zu ihm in sei­ne Rik­scha set­zen. Wir könn­ten gemein­sam durch den Park fah­ren. Ich könn­te ihm eine Geschich­te erzäh­len. Ich könn­te erzäh­len, dass ich eben noch in einem Café hör­te, wie eine jun­ge, lus­ti­ge Mut­ter von ihrer Absicht berich­te­te, ihren Sohn, der noch nicht gebo­ren wor­den ist, mit dem Namen „Gram­mo­phon“ zu ver­se­hen. Das ist eine wirk­lich auf­re­gen­de Geschich­te, die ich tat­säch­lich sofort erzäh­len soll­te. Ich soll­te den jun­gen Mann wei­ter­hin fra­gen, ob er mir viel­leicht erklä­ren wol­le, wes­halb es lebens­ge­fähr­lich für mich sein könn­te, wenn ich mich fra­gend über Moham­med, den Pro­phe­ten, äußern wür­de. Viel­leicht wür­de der jun­ge Mann brem­sen, viel­leicht sich unver­züg­lich von sei­nem Fahr­rad schwin­gen. Wir wür­den uns auf eine Bank set­zen und Geschich­ten erzäh­len von Gram­mo­pho­nen, von Pro­phe­ten und wie es ist, im Win­ter Rik­scha zu fah­ren. Und viel­leicht wür­de ich ihm dann noch vom Schnee erzäh­len, den ich als Kind aus der Luft gefan­gen habe. Ja, so könn­ten wir das machen, sofort, gleich, wenn der beten­de Mann sich erhe­ben wird. – stop

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