Aus der Wörtersammlung: net

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segelspinne

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3.08 — Eine Stun­de genau ist ver­gan­gen, seit ein sehr klei­ner Gegen­stand den Luft­raum über der Tas­ta­tur mei­ner Schreib­ma­schi­ne durch­quer­te. Er kam von links, also von Wes­ten, und flog nach rechts, also gegen Osten, und weil nicht das gerings­te Geräusch zu hören war, das Geräusch eines Auf­pralls in etwa, war ich zunächst über­zeugt, mich geirrt zu haben. Aber dann konn­te ich im Licht der Tisch­lam­pe einen sehr fei­nen Faden erken­nen, der sich über die Tas­ten gelegt hat­te. Ich erin­ner­te mich sofort an eine Spin­ne, die ich im Früh­jahr zuletzt auf mei­nem Schreib­tisch gese­hen habe, ein hüb­sches, geräusch­lo­ses Wesen. — Es ist jetzt kurz nach halb fünf Uhr und ich bin zufrie­den. Ich habe eine Stun­de lang nichts getan, als mit einem fei­nen Pin­sel bewaff­net auf der Schreib­tisch­plat­te unter dem Licht des Elek­tro­mon­des einen Kampf gegen eine Spring­spin­ne zu fech­ten, die kaum grö­ßer ist als ein Steck­na­del­kopf, schwarz und weiß geti­gert, und so ver­spielt wie eine jun­ge Kat­ze. — Habe ich die­sem Text nicht bereits vor lan­ger Zeit ein­mal nach­ge­dacht? — stop

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libelle

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17.57 — Eine Libel­le, die dicht über der Was­ser­ober­flä­che nach Flie­gen jagt. Höre das Brum­men ihrer Flü­gel. Ein kraft­vol­les Geräusch. Eines die­ser Geräu­sche, die man mit dem Bauch zu hören meint, als wären dort gehei­me Ohren für Libel­len­ge­räu­sche ange­bracht. In die­sem Moment nun, die Libel­le schwebt fast bewe­gungs­los vor mir in der Luft, der Gedan­ke, man soll­te win­zi­ge Gene­ra­to­ren auf den Rücken der Libel­len ver­schal­ten, genau dort, wo die Mecha­nik des Flu­ges aus ihrer Brust ent­steht. — Das schö­ne Licht der Dioden über den Som­mer­seen. — Exis­tie­ren viel­leicht heim­li­che Struk­tu­ren in mei­nem Kör­per, die nicht bereits mit einem grie­chi­schen oder latei­ni­schen Namen bezeich­net sind? — stop

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pergament

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17.32 — Saß traum­wärts in einem Café nahe eines Mee­res unter Män­nern, die Go oder etwas ande­res spiel­ten mit klei­nen, run­den, bern­stein­far­be­nen Stei­nen. Die Luft an die­sem Ort war heiß und tro­cken. Ich wun­der­te mich nicht, dass die Män­ner, die von hohem Alter gewe­sen waren, sich mit gewal­ti­gen Ohren Luft zufä­chel­ten in der Art und Wei­se der Ele­fan­ten. Selt­sa­me Geräu­sche waren zu hören, schwe­re, knar­zen­de Töne, als wür­de an höl­zer­nen Schrau­ben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hin­durch sehen konn­te. Sobald sie hin­ter den ver­wit­ter­ten Köp­fen zusam­men­schlu­gen, wur­den die Augen des Herrn zu Schlit­zen, beweg­ten sich die luf­ti­gen Häu­te zurück, öff­ne­ten sie sich. Hin­ter dem Tre­sen däm­mer­te ein wei­te­rer Mann, der hat­te sich mit sei­nem Per­ga­ment das Gesicht zuge­deckt. Ich betrach­te­te ihn eine Wei­le, und schon war ich, noch im Ste­hen, dem heu­ti­gen Tage zu, ein­ge­schla­fen. — stop

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luftbeben

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2.15 — Heu­te Nacht, weiß der Him­mel war­um, knis­tern die Wän­de mei­ner höl­zer­nen Zim­mer. Viel­leicht ist der Boden unter der Stadt nach Nor­den vor­ge­rückt, und ich höre in die­sen Stun­den das Nach­fe­dern des Hau­ses. Oder aber feins­te Sub­stan­zen der Luft sind in elek­tri­scher Bewe­gung, weil hin­ter den wan­dern­den Erd­ma­gne­ten bereits Win­ter wird. Um eins gehe ich aus dem Haus. Um zwei bin ich zurück. Jetzt ist es fünf­zehn Minu­ten spä­ter und in New York gera­de kurz nach sie­ben Uhr Abend, bes­te Zeit einen klei­nen Imbiss zu mir zu neh­men. Dann wie­der an die Arbeit. Habe noch ein paar Namen zu erfin­den. Geräu­sche, sagen wir: — Bur­ma 8. Man­drill. Sub­se­ven. Mila­n­o­ma­ki. — Gern würd ich die kom­men­den 500 Jah­re über­le­ben. — stop

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abenteuer auf dem tisch

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3.15 – Kaum drei Minu­ten zurück, über­quer­te sehr lang­sam, Stelz­schritt für Stelz­schritt, eine Spin­ne von enor­mer Grö­ße mei­nen Schreib­tisch. Sie kam von rechts über die Tisch­kan­te, also von Wes­ten, und mar­schier­te auf einer schnur­ge­ra­den Linie ost­wärts. Als sei ich schon immer hier gewe­sen, der Tisch, der mein Tisch ist, zwei Bücher, die mei­ne Lese­bü­cher sind, mei­ne Schreib­ma­schi­ne, mei­ne Hän­de und mei­ne gro­ßen Augen, klet­ter­te sie an einem Mann vor­über, der die Luft anhielt, der Flucht­in­stink­te zähm­te, der sich sag­te, dass die­se Spin­ne, eine sehr ent­schei­den­de Spin­ne dar­stell­te, dass, wenn er die Gegen­wart die­ser Spin­ne nicht ertra­gen könn­te, er, der gan­ze Mann, für Urwald jeder Art nicht geeig­net sei. — Haben Spin­nen die­ser Grö­ße einen per­sön­li­chen Geruch? — Könn­te ich je eine Spin­ne ver­zeh­ren? — Ist es mög­lich, einen Gedan­ken zu erfin­den? — stop

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sekundengeschöpfe

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20.14 — Im Haus sind alle Fern­seh­ge­rä­te aus­ge­schal­tet. Eine bei­na­he geräusch­lo­se Welt. Aber da ist die Stim­me einer indi­schen Frau in mei­nem Kopf, wie sie vor dem Meer ste­hend nach ihren Kin­dern ruft. Eine lan­ge Zeit ist das her, das Meer und die­se Frau. Ich scan­ne uralte Foto­gra­fien der Stadt Paris : Stei­ne : Metal­le : Wol­ken : Män­tel : schwarz und weiß und grau. Das sum­men­de Geräusch der Maschi­ne, sobald Foto­gra­fien aus der Welt des Zel­lu­loids in die Welt der digi­ta­len Spei­che­rung wan­dern. Ein Mann, der in der geöff­ne­ten Tür eines Metro­wag­gons unter Art­ge­nos­sen steht. Eine jun­ge Frau. Der Indi­sche Oze­an. Sie kniet jetzt. Sekun­den­ge­schöp­fe. — stop

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büchermenschen

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15.02 — Ich hör­te mich von Bücher­men­schen erzäh­len, von Bücher­men­schen, jawohl. Das sind Per­so­nen, die selbst dann noch lesen, wenn sie spa­zie­ren gehen. Wenn sie ein­mal nicht spa­zie­ren gehen, sit­zen sie stu­die­rend auf Bän­ken in Park­land­schaf­ten her­um, in Cafés oder in einer Unter­grund­bahn. Dort, aus hei­te­rem Him­mel ange­spro­chen, wenn man sich nach ihrem Namen erkun­dig­te, wür­den sie erschre­cken und sie wür­den viel­leicht sagen, ohne den Kopf von der Zei­chen­li­nie zu heben, ich hei­ße Anna oder Vic­tor, obwohl sie doch ganz anders hei­ßen. Wenn man sie frag­te, wo sie sich gera­de befin­den, wür­den sie behaup­ten, in Petusch­ki oder in Brook­lyn oder in Kai­ro oder auf einem Amzo­nas­re­gen­wald­fluss. — Heu­te habe ich mir gedacht, man soll­te für die­se Men­schen eine eige­ne Stadt errich­ten, eine Metro­po­le, die allein für lesend durch das Leben rei­sen­de Men­schen gemacht sein wird. Man könn­te natür­lich sagen, wir bau­en kei­ne neue Stadt, son­dern wir neh­men eine bereits exis­tie­ren­de Stadt, die geeig­net ist, und machen dar­aus eine ganz ande­re Stadt, eine Stadt zunächst nur zur Pro­be. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen sind Biblio­the­ken zu fin­den wie Blu­men auf einer Wie­se. Da sind also gro­ße Biblio­the­ken, und etwas klei­ne­re, die haben die Grö­ße eines Kiosks und sind geöff­net bei Tag und bei Nacht. Man könn­te dort sehr kost­ba­re Bücher ent­lei­hen, sagen wir, für eine Stun­de oder zwei. Dann macht man sich auf den Weg durch die Stadt. Wäh­rend man geht, wird gele­sen. Das ist sehr gesund in die­ser Art so in Bewe­gung. Auf alle Stra­ßen, die man pas­sie­ren wird, sind Lini­en auf­ge­tra­gen, Stre­cken, die lesen­de Men­schen durch die Stadt gelei­ten. Da sind also die gel­ben Krei­se der Stunden‑, und da sind die roten Lini­en der Minu­ten­ge­schich­ten. Blau sind die Stre­cken mäch­ti­ger Bücher, die schwer sind von feins­ten Papie­ren. Sie füh­ren weit aufs Land hin­aus bis in die Wäl­der, wo man unge­stört auf sehr beque­men Pini­en­bäu­men sit­zen und schla­fen kann. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen haben Auto­mo­bi­le, sobald ein lesen­der Mensch sich nähert, den Vor­tritt zu geben, und alles ist sehr schön zau­ber­haft beleuch­tet von einem Licht, das aus dem Boden kommt. — stop

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