Aus der Wörtersammlung: stimmen

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kairobildschirm

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echo : 5.38 — Ich erin­ne­re mich, dass ich im Schlaf zu mir sag­te: Das will ich nicht wei­ter träu­men. Unver­züg­lich wur­de ich wach. – Schnee ist gefal­len, ein wei­ßes Tuch liegt auf den Bür­ger­stei­gen. Das Kai­ro­fens­ter flim­mert seit bald vier­zehn Stun­den auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Kamel­rei­ter prü­geln auf Demons­trie­ren­de ein, Stei­ne flie­gen durch die Luft, Kühl­schrän­ke von Haus­dä­chern, um Men­schen zu töten. Mit der Däm­me­rung kom­men Bar­ri­ka­den, Ölfeu­er­fla­schen, tau­meln hin und her, bren­nen­de Autos, der hell­graue Rauch der Pan­zer­mo­to­ren, die Stim­men der Kom­men­ta­to­ren, die Zah­len ver­letz­ter und getö­te­ter Men­schen mel­den. Auf dem Platz der Befrei­ung wird nach Stei­nen gegra­ben. Mil­li­me­ter hohe Men­schen­fi­gu­ren schlei­fen lie­gen­de Mil­li­me­ter hohe Men­schen­fi­gu­ren über den Boden. Rei­ne Mord­lust scheint aus­ge­bro­chen zu sein. – Es ist jetzt 5 Uhr und 30 Minu­ten. Seit drei Stun­den wird scharf geschos­sen. Nie­mand weiß, woher die Schüs­se kom­men. Eine jun­ge Frau, 24, die sich auf dem Platz befin­det, erzählt wei­nend von Men­schen, die soeben getö­tet wur­den. Wie das mög­lich sein kön­ne, dass die Welt nicht ein­grei­fe, dass kei­ne Hil­fe kom­me. We will not lea­ving this place. Sie nennt ihren Namen. — stop

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kalkutta

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echo : 17.05 — Im Traum in Kal­kut­ta gewe­sen. Spa­zier­te unter einem Regen­schirm bis zu den Hüf­ten hin in schil­lern­dem Was­ser. Büch­sen und Tüten und Schu­he düm­pel­ten um mich her­um, dar­un­ter strah­len­de, lachen­de Gesich­ter von Kin­dern, die bade­ten, in dem sie mit hel­len Stim­men zu mir spra­chen. Bald zogen sie mich mit sich fort durch enge Stra­ßen, die höl­zer­ne Häu­ser säum­ten. In die Wand eines die­ser Häu­ser war ein Com­pu­ter­bild­schirm ein­ge­las­sen, dar­un­ter eine Tas­ta­tur mit Tas­ten je so groß wie eine aus­ge­wach­se­ne mensch­li­che Hand. Die Kin­der erzähl­ten, jene gefan­ge­ne Maschi­ne sei ihre Maschi­ne. Sie hüpf­ten vor der Wand hin und her, in dem sie einen Text notier­ten, den ich nicht lesen konn­te. Auch des­halb nicht lesen konn­te, weil ich mei­ne Arme und Bei­ne beob­ach­te­te, die je in eine ande­re Him­mels­rich­tung fort­ge­tra­gen wur­den. Eine Selbst­auf­lö­sung, die sich in Minu­ten­frist voll­zog, als sei der Text der Kin­der eine Beschwö­rung gewe­sen, die mei­ne ana­to­mi­sche Gestalt sorg­fäl­tig in klei­ne­re Tei­le zer­leg­te. Eines der Kin­der nahm mei­nen Kopf mit sich nach Hau­se. Behut­sam wur­de ich getra­gen und vol­ler Stolz her­um­ge­zeigt. Eine gespens­ti­sche Geschich­te viel­leicht, die sich ereig­ne­te am Mon­tag bereits gegen 3 Uhr am Nach­mit­tag. — stop
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time

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fox­trott : 0.28 — Merk­wür­dig, die Wahr­neh­mung der Zeit. Wenn ich kei­ne Zeit habe, kann ich die ver­ge­hen­de Zeit nicht bemer­ken, weil ich mich so schnell bewe­gen muss von einem Ort zum ande­ren, von Gespräch zu Gespräch, von Auf­ga­be zu Auf­ga­be, dass ich etwas spä­ter viel­leicht mei­nen möch­te, ich hät­te nicht exis­tiert. Auch dann, wenn ich traue­re, habe ich kei­ne Zeit, sagen wir, kei­ne wirk­li­che Zeit, weil ich aus mei­nem übli­chen Leben her­aus gefal­len bin. Ich ste­he zum Bei­spiel in einer U‑Bahn und unter­hal­te mich, ich lache, ich stel­le Fra­gen, und doch bin ich an einem ganz ande­ren Ort, spre­che mit der Ver­gan­gen­heit, viel­leicht mit einem Men­schen, von dem ich weiß, dass ich ihn nie wie­der berüh­ren wer­de, von dem ich hof­fe, dass er noch irgend­et­was zu hören ver­mag, indem ich mich zu ihm spre­chend an ihn erin­ne­re. Ich ver­wei­le also in die­ser selt­sa­men Zeit der Ver­gan­gen­heit, einer suchen­den Zeit, die des­halb zeit­los ist, weil sie sich wie­der­ho­len will, weil sie kei­nen Fort­gang kennt. Manch­mal sit­ze ich in einem Café, einer Biblio­thek, im Zug, im Kino oder einem Thea­ter her­um, ich schau auf die Uhr. Ich sage: Beweg Dich!
 — stop

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wörterstimmen

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kili­man­dscha­ro : 3.30 — Man stel­le sich ein­mal vor, man wach­te eines Tages auf und könn­te jedes Wort, das man von die­sem Moment des Erwa­chens an dach­te, erin­nern, all die Selbst­ge­sprä­che und for­schen­den Dis­kur­se, auch jene Gedan­ken, die man nie bemerk­te, weil sie so schnell vor­über­zie­hen, dass man sie ver­gisst, indem man sich schon in nächs­ten Gedan­ken befin­det. Nichts wür­de fort­an ver­lo­ren gehen. Auch alle jene Sät­ze nicht, die man hören wird, sobald man das Haus ver­lässt, Notiz­zet­tel, Ein­kaufs­lis­ten, Frag­men­te von Zei­le zu Zei­le fal­len­der Anzei­ge­ta­feln auf Flug­hä­fen, Zei­tungs­ar­ti­kel, Film­dia­lo­ge, alles das wür­de gespei­chert und könn­te zu jeder Zeit in genau der Rei­hen­fol­ge wie­der­holt wer­den, in der es von Wör­ter­stim­men auf­ge­zeich­net wur­de. Was wür­de gesche­hen? Wie lan­ge Zeit könn­te man mit die­sem Ver­mö­gen aus­ge­stat­tet über­le­ben? — stop

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safran

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echo : 2.26 — Das unent­weg­te Spre­chen mensch­li­cher Stim­men, nicht Werk­zeug der Ver­stän­di­gung, son­dern Radar zur Fort­be­we­gung in unbe­kann­tem Gebiet. So auch die Spur digi­ta­len Schrei­bens in ver­netz­ten Räu­men. Ich, Subseven88, habe mich dar­ge­legt, also bin ich. — Vor weni­gen Stun­den mel­de­te eine Ser­ver­ma­schi­ne, die zu mir gehört, als wär sie ein Teil mei­ner selbst: Modul Data Log­ger nicht bereit. Ursa­che unbe­kannt. Tele­fo­nier­te mit Men­schen mit Her­zen, die vie­le Flug­stun­den ent­fernt ihre Arbeit ver­rich­ten. Dort ist nun frü­her Abend, hier bei mir hohe Nacht. Leich­ter Regen. Auf dem Bild­schirm bewe­gen sich Zei­chen in der Geschwin­dig­keit mensch­li­cher Hän­de. Man beschäf­tigt sich mit der Lösung mei­nes Pro­blems. Blin­ken­de Geis­ter, flink vor und zurück, vor und zurück, tas­ten­de Erschei­nun­gen, zart wie die wei­sen Hän­de der Safran­fä­den­zu­pfer. — stop
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lippenstille seidenherz

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del­ta : 7.28 — Es gebe, notiert René Char in sei­ner Gedicht­samm­lung Lob einer Ver­däch­ti­gen, nur zwei Umgangs­ar­ten mit dem Leben: ent­we­der man träu­me es oder man erfül­le es. In bei­den Fäl­len sei man rich­tungs­los unter dem Sturz des Tages, und grob behan­delt, Sei­den­herz mit Herz ohne Sturm­glo­cke. — Bald ein­mal zwei oder drei Tage schwei­gen, um den Kopf­stim­men stum­mer Men­schen nach­zu­spü­ren. Ich könn­te mich kurz vor Beginn des Silen­ti­ums ver­ab­schie­den von Freun­den: Bin tele­fo­nisch nicht erreich­bar! Oder einen Block besor­gen, Fra­gen zu ver­zeich­nen, sagen wir so: Füh­ren sie in ihrem Sor­ti­ment Hör­ge­rä­te für Engel­we­sen fin­ger­groß? Eine Kärt­chen­samm­lung zu erwar­ten­der Wie­der­ho­lungs­sät­ze wei­ter­hin: Habe vor­über­ge­hend mein Ton­ver­mö­gen ver­lo­ren! — Dass einer, der nach einer trau­ma­ti­schen Erfah­rung ohne Stim­me ist, in drin­gen­den Fäl­len kopf­seits zu brül­len beginnt, dass er in der Lip­pen­stil­le mit den Ohren noch nach gerings­ten Spu­ren eines Geräu­sches sucht. — stop
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taschenspielzeug

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romeo : 2.01 — Träum­te, obwohl ich New York besu­chen woll­te, nahe Montauk gelan­det zu sein. Hat­te mei­nen Impf­pass ver­ges­sen und man sag­te mir noch an Bord des Flug­zeu­ges, dass ich ohne Impf­pass nie­mals nach New York hin­ein­ge­las­sen wer­den wür­de. Man lan­de­te also rasch an nächs­ter Küs­te und setz­te mich dort ab. Die Stadt Montauk nun bestand aus fla­chen Hüt­ten. Selt­sa­me Men­schen leb­ten in die­sen Hüt­ten. Sobald ich mich einer Hüt­te näher­te, tra­ten sie zu mir auf die Stra­ße und erzähl­ten, wie ich den Flug­ha­fen wie­der fin­den könn­te, weil ich mich in der Stadt sofort ver­irrt hat­te. Als sie hör­ten, dass ich ohne Impf­pass sei, sag­ten sie: Ver­ges­sen Sie New York. Alle die­se freund­li­chen Men­schen, denen ich auf der Stra­ße vor ihren höl­zer­nen Häu­sern begeg­ne­te, führ­ten eine Plas­tik­ta­sche mit sich, die sie an einem Leder­rie­men nahe der Ach­sel­höh­le befes­tigt hat­ten. In die­ser Tasche leb­ten ihre Kin­der in einer wei­te­ren Stadt, die den Namen Montauk trug. Die Stadt muss­te jeweils sehr leicht gewe­sen sein, weil die Men­schen weder gebückt gin­gen, noch ihre Taschen auf den Boden stell­ten, um sich mit mir über mei­ne ver­geb­li­che Rei­se nach New York zu unter­hal­ten. Manch­mal, wenn es lei­se wur­de, wenn die Wel­len des nahen atlan­ti­schen Mee­res gera­de ein­mal Pau­se mach­ten, konn­te ich sehr fei­ne, hel­le Stim­men ver­neh­men, Auto­mo­bil­hu­pen und Flug­zeu­ge, Geräu­sche direkt von der nächs­ten Tasche her. — stop

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lamellenohr

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ulys­ses : 17.
52 — Ich hat­te, selt­sa­me Geschich­te, die Idee, dass ich, in dem ich schla­fend oder wachend durch Man­hat­tan spa­zie­re, ler­nen soll­te, mei­ne Ohren in der Wei­se der See­hun­de durch Mus­kel­kraft zu ver­schlie­ßen. Denk­bar, dass mir bald Lamel­len feins­ter Haut gewach­sen sein wer­den, Innen­ohr­se­gel, deren Bewe­gung ich ver­fü­gen könn­te, wie ich die Bewe­gung mei­ner Hän­de vor­her­sa­gen kann. — Mensch­li­che Stim­men im Vor­über­ge­hen in den Far­ben sanf­ter Traum­ge­sprä­che. Der Schlaf der Augen in der Sub­way, die Wild­heit zufäl­li­ger Bli­cke. — stop
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zungen

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del­ta : 18.
05 — Was ich hör­te im Gehen Ecke Lex­ing­ton Ave­nue zur 59. Stra­ße, ein Wort müss­te ich übers ande­re schrei­ben. Das Heu­len der Lösch­zü­ge, das Hupen der Taxim­o­bi­le, quiet­schen­de Brem­sen, Kra­wall aus Läden, Men­schen­stim­men, Pfei­fen, Quiet­schen, Äch­zen, Brau­sen, Lärm­zun­gen, die um jede Ecke strei­chen, ein Wort über das ande­re schrei­ben, bis sich die Zei­chen aus dem Papier erhe­ben. — stop



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