Aus der Wörtersammlung: tang

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lupenbuch

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nord­pol : 15.12 UTC — Eine Metho­de exis­tiert, die ich als posi­ti­ven Blick bezeich­nen möch­te, ein Fern­rohr­blick in Rich­tung Glücks. Das Buch der Lupen. Oder Rei­se­zie­le: Qui­to . Lis­sa­bon . Tasch­kent. Montauk. Tur­ku. Syra­kus. Tan­ger. Bue­nos Aires. Pata­go­ni­en. Uum­man­n­aq. — stop
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maskentier No 1

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tan­go : 0.06 UTC — In einer gezeich­ne­ten Vor­stel­lung der Mas­ken­tie­re sind Augen zu bemer­ken. Das ist sehr selt­sam, weil Augen nicht eigent­lich sinn­voll oder unver­zicht­bar sind für den Zweck, dem Mas­ken­tie­re bald ein­mal die­nen wer­den. Es ist näm­lich so, dass Mas­ken­tie­re in der Lage sein soll­ten, sich auf mensch­li­che Mün­der und Nasen nie­der­zu­le­gen, um die­sel­ben zu beatmen, dem­zu­fol­ge Luft aus der Atmo­sphä­re zu ent­neh­men, um die­se even­tu­ell kon­ta­mi­nier­te Luft für Men­schen oder ande­re Tie­re sorg­fäl­tigst zu fil­tern, indem sie in Stun­den, da sie ihrer Bestim­mung fol­gen, auf viel­fäl­tig gestal­te­ten Wan­gen, Nasen­rü­cken, Hals­par­tien so dicht zu lie­gen kom­men, dass kein Gramm einer Viren­last je an ihren Rän­dern oder Enden ent­wei­chen könn­te. Es ist statt­des­sen ganz wun­der­bar sau­be­re Luft, die sie spen­den, und es ist ganz wun­der­bar sau­be­re Luft, die sie im Gegen­zug wie­der an die Welt zurück­ge­ben wer­den. Natür­lich ist denk­bar, dass kein Wort, kein Schrei durch ihre Leder­haut hin­durch nach drau­ßen drin­gen wird, es wird also stil­ler unter den Men­schen, die schwei­gen und sich sicher füh­len, sobald sie mit ihren wär­men­den Mas­ken über Stra­ßen und durch Waren­häu­ser spa­zie­ren. Dann ist Abend gewor­den, und man legt das getra­ge­ne Tier zurück in einen Behäl­ter, der mit Was­ser gefüllt ist. Dort schwim­men sie dann auf­ge­regt unter wei­te­ren Mas­ken­tie­ren her­um und erzäh­len sich Geschich­ten, was sie hör­ten und was sie gese­hen haben, wäh­rend des Tages, indes­sen sie sich säu­bern und paa­ren, um wei­te­re Mas­ken­tie­re zu erzeu­gen. — Auch Ohren, jawohl! — stop

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eine fotografie und ihre geschichten

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tan­go : 15.08 UTC — Vater sitzt auf einer Bank nahe der Brook­lyn Bridge. Es ist spä­ter Nach­mit­tag. Vater lacht. Die Son­ne steht tief, war­mes Licht fällt auf höl­zer­ne Blan­ken. Über den Schat­ten, den Mut­ter wirft, stol­ziert eine Möwe. Mut­ter foto­gra­fiert ihren Mann mit sei­nem per­sön­li­chen Foto­ap­pa­rat, wes­halb er plötz­lich auf einer Dia-Foto­gra­fie zu sehen ist, uner­war­tet. Vater, im karier­ten Sak­ko, scheint über­rascht zu sein, als habe er nicht bemerkt, dass Mut­ter sei­nen Foto­ap­pa­rat ent­wen­de­te. Es ist ein Augen­blick, von dem bei­de immer wie­der erzähl­ten. Gleich wird Vater auf­ste­hen und sie wer­den von Brook­lyn aus über die Brü­cke nach Man­hat­tan spa­zie­ren. Als ich Jah­re spä­ter selbst auf Rei­sen den Ort die­ser Foto­gra­fie ent­deck­te, mach­te ich eine Auf­nah­me. Ich ging dann gleich­wohl über die Brü­cke nach Man­hat­tan zurück. Es war ein schö­ner Abend, wie damals zur Eltern­zeit. Es war Mai, ich war zufrie­den, weil ich jene Stra­ßen­kreu­zung ent­deckt hat­te, die Aug­gie Wren in dem Film Smo­ke Tag für Tag um acht Uhr in der früh foto­gra­fier­te. Wochen spä­ter erzähl­te ich mei­nem Vater von die­sem Nach­mit­tag und wir set­zen uns vor sei­nen Com­pu­ter. Es war wie im Kino. — stop

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zeitoun

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whis­key : 9.35 UTC — In den letz­ten 10 Tagen des Okto­ber­mo­nats lern­te mei­ne Schreib­ma­schi­ne fol­gen­de Wör­ter, die in ihren Prüf­ver­zeich­nis­sen vor­dem nicht zu fin­den gewe­sen waren: Abstand­si­gna­le . Aqua­re­lia . Bang­sein . Bir­dy . Brief­tau­ben­wör­ter . Camar . Care­con . Clus­ter­su­che . Con­ta­gi­on . Coro­na­si­mu­la­ti­on . Droh­nen­au­ge . Droh­nen­sich­tung . Droh­nen­vo­gel . Droll­bir­ne . Ebo­la­vi­rus . Eich­hörn­chen­schat­ten . Fin­ger­cur­ser . Ina­ri. Inzi­denz. Jennifer.five . Koli­bri­we­sen . Kro­ko­dil­mo­dell . Kür­bis­sup­pe . Libel­len­lar­ven . Loo­ters . luren . Mee­res­ge­wäch­se . Mee­res­we­sen . Mon­roe . Mund­schutz­al­go­rith­mus . Nacht­schiff­tag . neu­ro­nal . Palan­ca . Pan­de­mie­to­te . Pan­de­mie­zeit . Par­tic­les­zei­chen . Pfuhl­schnep­fe . Ple­xi­glas­schei­ben . Resi­li­enz . Rotkopf­schild­krö­ten . Sars-Cov‑2 . Sars­lämp­chen . Schiff­pen­del­be­we­gung . Schlaf­durch­ein­an­der­zeit . See­ane­mo­nen­blü­te . See­tang­klum­pen . Spät­abend­men­schen . Spel­ling . Super­do­me­hal­le . Süß­was­ser­ane­mo­ne . Tän­zer­ra­ver . Teil­lock­down . Tress­pass­an­gers . Vak­zin . War­logs . Wort­kern­bil­der . Zat­te­re . Zeit­o­un . Zep­pe­lin­werk­statt . Zep­pe­lin­wol­ken. — stop
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oktoberklee

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nord­pol : 8.12 UTC — Vom Bild­schirm aus spricht eine älte­re Frau, erzählt von Kon­takt­ver­fol­gung, wie sie im Gesund­heits­amt, das sie lei­tet, ver­wirk­licht wird. Ruhi­ge Spra­che, klug, sie scheint wider­stands­fä­hig zu sein, gesund, man möch­te mei­nen, sie sei viel­leicht eine Alm­wir­tin, die in gro­ßer Höhe bei Wind und Wet­ter arbei­tet. Nur ihre Stirn, ihre Augen, ihr grau­es Haar sind zu sehen. Mund, Nase, Wan­gen lie­gen hin­ter einem Mund­schutz ver­bor­gen. Den möch­te ich gern ent­fer­nen, weil ich die­se ener­gisch und zugleich warm und freund­lich spre­chen­de Per­son, wahr­neh­men möch­te, als wäre nicht Pan­de­mie­zeit. Tat­säch­lich ent­de­cke ich in der digi­ta­len Sphä­re bereits im ers­ten Ver­such eine Foto­gra­fie, die sie zeigt, als sie noch ohne Mas­ke arbei­ten konn­te. — Heu­te leich­ter Regen, die Stra­ßen von Kas­ta­ni­en bedeckt, Eich­hörn­chen durch­su­chen das Meer der Früch­te nach genieß­ba­ren Nüs­sen, die sie nicht fin­den. Es wird einen war­men Win­ter geben. Unter den Bäu­men blüht der Klee. — stop
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von brillen

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tan­go : 0.25 UTC — In einer agen­ten­ba­sier­ten Simu­la­ti­on des Infek­ti­ons­ver­lau­fes einer SARS-CoV‑2 Pan­de­mie scheint zwi­schen einem Agen­ten ohne und einem Agen­ten mit Bril­le, ein grund­sätz­li­cher Unter­schied zu bestehen. Bril­len auf Nasen schüt­zen Augen vor Hän­den, die infek­ti­ös sein kön­nen. Fort­an im Dschun­gel der Stadt eine Bril­le tra­gen. — stop

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~/library/spelling

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gink­go : 9.35 UTC — Von Mon­tag­mor­gen die­ser Woche bis heu­te, Mitt­woch­abend, lern­te mei­ne Schreib­ma­schi­ne fol­gen­de Wör­ter, die in ihren Prüf­ver­zeich­nis­sen bis­lang nicht zu fin­den gewe­sen waren: Appa­la­chen . Droh­nen­ge­stalt­man­tel . Eva­ku­ie­rungs­ge­bie­te . Gras­wur­zel­be­we­gung . Grill­wa­gen . Herz­nuss­text . Home­l­es­s­peo­p­le . Hur­ri­ca­ne . Kie­men­men­schen . Lakritz­was­ser . Löt­lam­pen­ef­fekt . Maki­mensch . Montauk . Nacht­haus­ge­schich­te . Plas­tik­ton­nen­boo­te . Ran­dom­ge­fäß . Schlaf­durch­ein­an­der­zeit . See­tang­klum­pen . Street­wor­ker . Lakritz­was­ser . Such­zet­tel­wäl­der . Teig­ta­sche . Topor­mo­dus . Tria­ge . Umspann­werk . Vital­funk­ti­on. Nacht­spei­cher­poe­ten. — Fas­zi­nie­ren­de Sache.  — stop
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metamorphosen

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tan­go : 15.38 UTC — Eine Frau sitzt an einem Tisch, sie notiert Ovids Meta­mor­pho­sen auf eine Papier­luft­schlan­ge. Wie behut­sam sie vor­geht, um das Papier nicht zu zer­rei­ßen. Kaum ist sie mit der Beschrif­tung einer der papie­re­nen Stre­cken zu Ende gekom­men, ver­bin­det sie mit einem Tröpf­chen Kleb­stoff eine wei­te­re noch unbe­schrif­te­te Schlan­ge. Kurz dar­auf notiert sie wei­ter, sehr fei­ner Pin­sel. Vor drei Jah­ren war ich die­ser Frau zum ers­ten Mal begeg­net. Heu­te ist sie noch immer frisch, eine Blü­te, viel­leicht des­halb, weil ihre Auf­ga­be, ihr Pro­jekt, unend­lich zu sein scheint. Vic­tor Klem­pe­rers Tage­bü­cher bereits seit Mai, dem 5. — stop

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eine uhr

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tan­go : 0.58 UTC — Dach­te an Mut­ter, wie sie noch vor zwei Jah­ren reg­los in einem Bett lag, nicht spre­chen, nur schau­en konn­te. Im nahen Wohn­zim­mer, zwei Stra­ßen­zü­ge weit nur um die Ecke, ihre Stand­uhr, die schon Groß­mutter Abend für Abend auf­ge­zo­gen haben muss­te. Wie Mut­ter, als sie noch gehen konn­te, klei­ner und immer klei­ner wur­de, stell­te sie einen Sche­mel vor die Uhr. Und als sie noch klei­ner wur­de, stand sie dort auf dem Sche­mel, wie­der­um auf den Spit­zen ihrer Zehen, um mit ihrem rech­ten Zei­ge­fin­ger behut­sam den Minu­ten­zei­ger einer wun­der­schö­nen, geräusch­voll ticken­den Uhr zu berüh­ren, deren Zeit mit Mut­ters Sturz ende­te. Ich erin­ne­re mich, Abend für Abend stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie zur Schlaf­zeit anzu­hal­ten. Und mor­gens stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie wie­der in Bewe­gung zu ver­set­zen bis zuletzt. Ein­mal erzähl­te ich Mut­ter, die mich indes­sen im Bett lie­gend unver­wandt betrach­te­te, von Kie­men­men­schen. Gegen Mit­ter­nacht kehr­te ich ins Haus zurück. Stil­le. Es war Win­ter. Schnee lag im Gar­ten. — stop



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