Particles: Dezember 2018

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indulin

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echo : 20.55 UTC — Eine wunder­bare Geschich­te habe ich vor vie­len Jah­ren ent­deckt, eine Geschich­te der kata­la­ni­schen Schrift­stel­lerin Mer­cè Rodo­reda. Ich will sie an die­ser Stel­le an die­sem schö­nen Sams­tag­abend wie­der­be­le­ben. Mer­cè Rodo­reda schreibt: Sie ist weiß und sie ist blau. Das heißt, sie ist weiß wie die wei­ße Rose, und ganz plötz­lich wird sie blau. Ein Insekt färbt sie, so scheint es, aber nie­mand weiß, wie es das macht. Ein Augen­blick der Zerstreut­heit und schon ist sie blau. Die­ses Insekt trägt in einem Knie, mit fadi­gem Spei­chel fest­ge­näht, ein Päck­chen, und in die­sem Päck­chen, umge­ben von Eiern und von Blau – reins­tes Indu­lin – ist der Ehe­mann. Die­ser Ehe­mann schläft den gan­zen Tag und bebrü­tet die Eier, die durch ein Loch in das Päck­chen fal­len, das in dem Knie ist, wor­an es fest­ge­näht ist. Wenn die Stun­de kommt, kriecht das Insekt der Blu­me ins Herz, lädt das Päck­chen ab, und die Blu­me, die weiß war, wird blau von oben bis unten. Sie sagen: – Oh, es ist näm­lich so, daß der Ehe­mann, sobald er sich blumen­um­hüllt sieht, das Päck­chen auf­bricht und alles von blau­em Saft über­schwemmt wird und die Eier plat­zen und die Klei­nen sofort los­flie­gen, jedes mit sei­nem Päck­chen im Knie … einver­standen. Aber das sind blo­ße Vermu­tungen. Die Wahr­heit ist, daß die Blu­me in einem Nu blau wird. Wie? Dahin­ter kommt man nie, und jeder­mann ist ein biß­chen durch­ein­ander und ver­wirrt. — stop
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nabokov’s uhr

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romeo : 0.02 UTC — Vor eini­ger Zeit schrieb Nabo­kov einen Brief. Er habe mir, so Nabo­kov, eine unge­wöhn­liche Uhr geschickt, ich sol­le ihm notie­ren, sobald sie ange­kommen sei. Weni­ge Tage spä­ter mel­de­te sich Nabo­kov erneut: Lie­ber Lou­is, ist die Uhr, die ich Dir sen­de­te, ange­kommen? Weni­ge Tag zuvor war Nabo­kov’s Uhr in mei­nem Brief­kasten ange­kom­men, zoll­amt­li­cher Ver­merk: Zur Prü­fung geöff­net. Ich will an die­ser Stel­le bemer­ken, von der Öff­nung des Päck­chens war nicht die min­des­te Spur zu erken­nen, kein Schnitt, kein Riss, kei­ne Fal­te. Im Päck­chen nun eine Schach­tel von hel­lem Kar­ton, in der Schach­tel Seiden­pa­piere, von Nabo­kovs eige­ner Hand vermut­lich zer­knüllt. In wei­te­re Seiden­pa­piere einge­schlagen, besag­te Uhr, wunder­bares Stück, ova­les Gehäu­se, ble­chern, vermut­lich Trom­pete, wel­ches schwer in der Hand liegt. Kurio­ser­weise fehlt der Uhr das Ziffer­blatt, wei­ter­hin kei­ner­lei Zei­ger, weder Dioden noch Leucht­zei­chen. Ich ver­such­te das Gehäu­se der Uhr zu öff­nen, vergeb­lich. Erstaun­lich ist nun, dass, wenn ich auf das Gehäu­se der Uhr Druck aus­übe, sich ein schma­ler Schacht seit­lich öff­net, dem, wie zum Beweis der Exis­tenz der Zeit, ein Strei­fen feins­ten Papiers ent­kommt, auf wel­chem ein Uhrzeit­punkt aufge­tragen wor­den ist. Sechs­sieb­zehn­zwölf. Erstaun­li­che Sache, wirk­lich erstaun­lich! – stop

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regen

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nord­pol : 0.22 UTC — Seit 1271 Tagen bereits ver­su­che ich von einem Zim­mer zu träu­men, in dem es immer­fort reg­net. Ich mache das so, dass ich in den Minu­ten, da ich einzu­schlafen wün­sche, über­lege, wie es wäre, wenn in dem Zim­mer, in dem ich mich gera­de befin­de, Regen fal­len wür­de. Die­se Metho­de des Regen­den­kens ist lei­der bis­lang nicht sehr erfolg­reich gewe­sen. Immer wie­der schla­fe ich ein, ohne je vom Regen­zim­mer zu träu­men. Ein­mal, als ich erwach­te, hör­te ich wirk­li­chen Regen draus­sen in den nächt­li­chen Bäu­men. Ich ging dann spa­zie­ren und dach­te dar­über nach, wie sich unse­re Menschen­welt verän­dern wür­de, wenn wir von einem Tag zum ande­ren Tag über arm­lan­ge Zun­gen der Geckos ver­füg­ten? In wel­cher Form kämen sie in einer voll­be­setzten Stra­ßen­bahn zum Ein­satz? Und wie bei der Lie­be? Und wie im Streit? Und was wür­den die­se Zun­gen wohl im Schlaf unter­nehmen? – stop

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signalleuchten

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nord­pol : 0.22 UTC — cnegw­si . dow­nes­ji . tlen­si­unei . bre­kak­co­rei . unle­ai­shi . bas­h­jki­ri­coh­me­coi . troack­te­ci . awf­mu­li . sotep­ma­ni­ai . kkai­zeni . jocur­ri­is­ket­elui . sket­elui . waren­d­jor­fi . waren­d­jor­fi . kuryt­la­ri . nzi­tratoi . vamp­ki­roi . skipfhi­rei. stop. Selt­sa­me Din­ge gesche­hen. Irgend­ein Mensch oder irgend­ei­ne digi­ta­le Maschi­ne pflanzt seit Tagen Zei­chen­ket­ten oder Wör­ter in den Code mei­ner Par­tic­les­welt. Hin­ter die­sen Zei­chen wie­der­um sind Wei­ter­lei­tun­gen ver­steckt, die mei­ne Augen in digi­ta­les Rot­licht füh­ren wie fan­gen. — stop

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erste fotografie

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tan­go : 15.00 UTC — Ich habe sie heu­te wie­der­ent­deckt in einer Schach­tel, die ich unter mei­nem Sofa ver­steck­te, eine Foto­grafie, die zeigt, wie ich kurz nach mei­ner Geburt ausge­sehen habe. Ich war schon geputzt, aber noch immer zer­furcht vom lan­gen War­ten unter Was­ser. Vor vie­len Jah­ren, als ich mich an die­se ers­te Foto­grafie mei­nes Lebens erin­nert hat­te, war mir bewusst gewor­den, dass eines Tages ein­mal eine wei­te­re Foto­grafie exis­tieren wird, eine Foto­grafie, die die letz­te Auf­nah­me gewe­sen sein wird mei­ner Per­son als einer leben­den Per­son. Auch war mir bewusst gewor­den, dass das ZUR WELT KOMMEN mit Entfal­tung zu tun haben könn­te. Mein ers­ter Schat­ten. Ich wäre im Jahr mei­ner Geburt in Far­be bereits mög­lich gewe­sen. — stop

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gedankenechse

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alpha : 0.25 — Seit Jah­ren tat­säch­lich, und mit Ver­gnü­gen, beob­ach­te ich einen Gedan­ken, der sich nicht bewegt, kein Buch­sta­ben­zei­chen des Gedan­kens rührt sich von der Stel­le. Manch­mal den­ke ich, der Gedan­ke bewegt sich heim­lich, wäh­rend ich ande­re Gedan­ken den­ke. — stop

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faltergeschichte

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sier­ra : 0.55 — Ein Nacht­fal­ter segel­te durch mein Arbeits­zim­mer als sei er eine Erin­ne­rung. Das Tier war so müde und so schwach, dass es sich der Luft anver­trau­te. Kurz dar­auf saß der Fal­ter auf dem Boden und ich hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. — Es ist jetzt bald 1 Stun­de nach Mit­ter­nacht. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ich wer­de den Fal­ter füt­tern, wer­de ihn mit­tels Zucker­was­ser über den Win­ter brin­gen. Er könn­te viel­leicht 250 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein, der bei mir zu Kräf­ten kom­men möch­te. — stop

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libellengeschichte

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echo : 1.28 — Heut Nacht sitz ich zum fünf­ten Male im Dun­keln, weil ich heraus­zu­finden wün­sche, ob Libel­len auch in licht­leeren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich vor eini­gen Jah­ren ein­mal gegen den Mit­tag zu erwach­te, balan­cierte eine Libel­le, mari­neblau, auf dem Rand einer Karaf­fe, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te, schau­te mir beim Aufwa­chen zu und nasch­te vom Tee, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­benen Gewäs­sers tauch­te. Ich dach­te, viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend­heiß, die küh­ler gewor­den sein moch­ten wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te Geschmack gefun­den an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich in zahl­rei­chen Näch­te seit­her je einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um kurz dar­auf das Licht zu löschen. Dann war­ten und lau­schen. Auch jetzt höre ich selt­same Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

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schlaf

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romeo : 15.08 UTC — Ich könn­te viel­leicht sagen, dass sich mein Gehirn mit­tels fei­ner Mus­keln, die mei­ne Augen umrin­gen, selbst zu berüh­ren ver­mag. Ich könn­te wei­ter­hin sagen, dass ich, sobald ich eine Foto­grafie betrach­te, mit mei­nen Augen mein Gehirn bewe­ge und in mei­nem Gehirn eine Welt: Das sind mei­ne Augen vor lan­ger Zeit, mei­ne Augen als Kind. Noch immer kann ich sie sehen. Wenn ich sage: mei­ne schla­fenden Augen, spre­che ich von Augen, die ICH nie gese­hen habe. — stop
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vom träumer

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india : 6.28 UTC — Ich soll­te bald ein­mal Visi­ten­kar­ten für einen Träu­mer dru­cken, fei­ne Papie­re, die akku­rat senk­recht in Cafes an ein­sa­men Scho­ko­la­den­tas­sen leh­nen. Zu lesen sind je die­se Sät­ze: War wie­der in Pata­go­ni­en heut Mor­gen. Was­ser­hahn, auch Porte­mon­naie, ver­ges­sen. Bin gleich wie­der da. Lou­is — stop

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von birnen

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nord­pol : 15.01 UTC — In der chi­ne­si­schen Regi­on Sichu­an, einer hüge­li­gen Gegend, sol­len hun­der­te Men­schen auf Lei­tern in Bir­nen­bäu­me stei­gen, um sie mit­tels Enten­fe­der­bü­scheln mit Pol­len zu bestäu­ben. Das alles sei not­wen­dig gewor­den, weil weder Bie­nen noch Hum­meln exis­tie­ren, die von Pes­ti­zi­den getö­tet wor­den sei­en. Die­se Infor­ma­tio­nen habe ich einem Film ent­nom­men, des­sen Ein­zel­bil­der ich mit eige­nen Augen gese­hen habe. Ich woll­te ihn mei­ner Mut­ter zei­gen. Sie liegt seit lan­ger Zeit in einem Bett im Haus der alten Men­schen. Vor­sich­tig näher­te ich mich mit mei­ner fla­chen Bild­schirm­schreib­ma­schi­ne, aber sie woll­te ihre Augen nicht öff­nen. Des­halb erzähl­te ich ihr mei­ne Geschich­te von den mensch­li­chen Bie­nen, die in Birn­bäu­me stei­gen, und kann noch immer nicht sagen, ob sie in den Ohren mei­ner Mut­ter einen Platz fin­den konn­te. — stop

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im haus der alten menschen : ein zimmer

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tan­go : 22.22 UTC — Da sind Bil­der und Foto­gra­fien an den Wän­den, eine Kat­ze und noch eine Kat­ze, ein Mann unter einem Schnee­kirsch­baum, der die Arme in die Luft wirft. Hän­de, die sich in ihren Fin­gern umar­men. Und zwei Lam­pen. Eine Lam­pe zum Knip­sen und eine zum Strei­cheln, Licht an, Licht aus. Ein Hase von Bron­ze mit lan­gen Ohren von Bron­ze. Ein höl­zer­nes Kreuz auf einem Tisch. Ein wei­te­res höl­zer­nes Kreuz an einer Wand. Und ein guss­ei­ser­ner bemal­ter Baum. Zwei blü­hen­de Orchi­deen, weiß. Ein Christ­stern, rot. Und ein Strauß geschnit­te­ner Blu­men, wild. Ein Stern von Papier und eine Zeich­nung von Kin­der­hand, dies und das. Pfle­ge­schaum­do­sen. Creme­tu­ben. Tücher. Tup­fer. Klin­gen. Ein Radio. Vinyl­hand­schu­he. Und eine Nah­rungs­mit­tel­pum­pe. Ein Bett. Eine Matrat­ze, die sich bewegt. Ein Bün­del getrock­ne­ter Blu­men. Kom­pres­sen. Ein Mess­ge­rät. Ein Pil­len­zer­stäu­ber. Fünf Bücher. Auch Proust, Brie­fe zum Leben. Ein klei­nes Schaf und ein Ted­dy­bär. Ein Engel von Por­zel­lan. Ein Duft­was­ser­fla­con, Ohr­stäb­chen, Hand­voll­men­ge. Ein Rosen­kranz und ein Tan­nen­zap­fen. Holz­löf­fel für Zun­ge und Hals. Eine Sche­re. Eine Pin­zet­te. Eine Sprit­ze. Ein Mund­schaum­stäb­chen. Eine Win­del. Ter­min­plan für Logo­pä­die gegen ver­lo­re­nes Spre­chen. Laven­del­duft­kis­sen. Kei­ne Uhr, nur die eine, die mit mir ins Zim­mer gekom­men ist. — stop

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am telefon

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nord­pol : 15.15 UTC — Merk­wür­dig: Im Notie­ren kom­men Gedan­ken und Fra­gen wie Vogel­schwär­me her­an, zunächst kommt ein Gedan­ke allein und setzt sich und war­tet und schaut mich an. Dann kommt der nächs­te Gedan­ke, der schon zu Zweit ist. — In der ver­gan­ge­nen Nacht träum­te ich von mir selbst. Ich saß in einem Roll­stuhl mit vie­len wei­te­ren alten Men­schen in einem Saal groß wie der War­te­saal eines Metro­po­len­bahn­ho­fes. Immer­zu woll­te ich tele­fo­nie­ren, ein klin­geln­des Tele­fon war zwar sicht­bar, aber nicht erreich­bar. Ich hör­te mei­ne Stim­me. Sie rief: Nun rufen Sie doch end­lich Mon­sieur Proust an, haben Sie denn sei­ne Num­mer nicht! Eine jun­ge, betö­rend schö­ne Frau beug­te sich zu mir hin­un­ter. Sie sag­te: Lou­is, bit­te, es ist jetzt wirk­lich genug, wir haben den Vor­mit­tag über ver­sucht Herrn Proust zu errei­chen, er nimmt den Hörer nicht ab. Aber der Bal­zac ruft andau­ernd an, wol­len sie nicht end­lich dran gehen! — Heut Regen, nas­se Vögel über­all. — stop

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schlafende mutter

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del­ta : 22.02 UTC — Wie vie­le Tage schon sit­ze ich an Dei­nem Bett, lie­be schla­fen­de Mut­ter, Stun­de um Stun­de. Immer wie­der den­ke ich, wie schwer es doch ist, zu einem Men­schen zu spre­chen, der schläft. Ob Du mich hören kannst? Hör zu, ich wer­de Dir eine Geschich­te vor­le­sen, die ich Dir schon ein­mal las vor über einem Jahr. Einen Win­ter und einen Früh­ling und einen Som­mer lang warst Du auf­ge­wacht, um nun wie­der zu schla­fen. Ich ahne, dass Du mei­ne Stim­me hören kannst, ich habe gelernt. Erin­nerst Du Dich an mei­ne Geschich­te, die von Dei­nen Bril­len erzählt: Es war noch dun­kel im Haus. Ich hör­te ein sir­ren­des Geräusch. Das Geräusch näher­te sich, es kam über die Trep­pe abwärts her­an. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine Dei­ner drei Bril­len, lie­be Mut­ter, die über zar­te Roto­ren ver­fü­gen, wel­che in der Lage sind, Bril­len­kon­struk­tio­nen durch die Luft zu bewe­gen, durch Räu­me oder den Gar­ten. Dei­ne Bril­le kam näher, durch­quer­te das Wohn­zim­mer, kreis­te ein­mal um mei­nen Kopf, lan­de­te schließ­lich sanft auf dem Ess­ti­sch in der Nähe des Stuh­les, auf dem Du, wie ich ver­geb­lich hoff­te, ein­mal wie­der Platz neh­men wür­dest. Über drei Bril­len ver­fügtest Du, lie­be Mut­ter, und jede die­ser Bril­len konn­te flie­gen. Eine Bril­le sta­tio­nier­te im Dach­ge­schoss, eine wei­te­re Bril­le im Erd­ge­schoss, die drit­te Dei­ner Bril­len, lie­be Mut­ter, zu ebe­ner Erde. Wie sie blin­kten, Dioden in gel­ber Far­be, Zei­chen, dass sie sich mit­tels unhör­ba­rer Funk­si­gna­le ori­en­tie­rten. Jetzt lie­gen sie auf dem Tisch­chen reg­los neben Dei­nem Bett, als wür­den sie schla­fen wie Du, lie­be Mut­ter. – stop
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warten

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echo : 22.06 — Der Vor­däm­me­rungs­schein der Schnee­kirsch­bäu­me im Halb­dun­kel eines Zim­mers im Haus der alten Men­schen, indem sie ihre Nacht­pa­pie­re ent­fal­ten. Kla­gen­der Atem. — stop

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schnee

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romeo : 20.05 UTC — Es ist spä­ter Nach­mit­tag gewor­den eines Tages nach einer lan­gen Nacht. Wie­der, ich erin­ner­te mich, liegt ein Buch Julio Llama­zares’ vor mir auf dem Schreib­tisch. Ich habe das Buch geöff­net, um nach einem zärt­li­chen Satz zu sehen, ob er noch da ist. Er geht so: Für mei­ne Mut­ter, die schon Schnee ist. Die­ser Satz ist nun auch mein Satz. – stop

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wieder koffer unsichtbar

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alpha : 19.52 UTC — An die­sem Abend spa­zie­re ich hin­über zum Fried­hof, um zwei Ker­zen anzu­zün­den auf dem Grab mei­nes Vaters, das nun auch das Grab mei­ner Mut­ter sein wird. Vater ist also schon da, und Mut­ter wird bald hier­her zu ihm kom­men. Das gefro­re­ne Gras knis­tert unter mei­nen Schu­hen. Es ist still, der Stern­him­mel klar. Viel schö­ne klei­ne Lam­pen leuch­ten unter den Bäu­men. Ein paar Kat­zen­au­gen wer­den auch dar­un­ter gewe­sen sein. Auf dem Heim­weg erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor eini­gen Jah­ren notier­te. Sie geht so: Mein Vater war ein Lieb­ha­ber tech­ni­scher Mess­ge­rä­te. Er notier­te mit ihrer Hil­fe Dau­er und Kraft des Son­nen­lichts bei­spiels­wei­se, das auf den Bal­kon über sei­nem Gar­ten strahl­te. Die Tem­pe­ra­tu­ren der Luft wur­den eben­so regis­triert, wie die Men­ge des Regens, der in den war­men Mona­ten des Jah­res vom Him­mel fiel. Selbst die Bewe­gun­gen der Gold­fi­sche im nahen Teich wur­den ver­zeich­net, Erschüt­te­run­gen des Erd­bo­dens, Tem­pe­ra­tu­ren der Pro­zes­so­ren sei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne. Es ist merk­wür­dig, bei­na­he täg­lich gehe ich zur Zeit auf die Suche, weil wie­der irgend­ei­ne die­ser Mess­ap­pa­ra­tu­ren einen piep­sen­den Ton von sich gibt, als ob mein Vater mit­tels sei­ner Maschi­nen noch zu mir spre­chen wür­de. Indes­sen habe ich seit zwei Tagen Kennt­nis von einer Foto­gra­fie, die mich neben mei­nem ster­ben­den Vater zeigt. Ich sit­ze auf einem Stuhl, mein Vater liegt in einem Bett. Es ist ein Bild, das ich zunächst kaum anzu­se­hen wag­te. Ich habe tat­säch­lich eine Hand vor Augen gehal­ten und zwi­schen mei­nen Fin­gern her­vor­ge­späht. Jetzt ist mir warm, wenn ich das Bild betrach­te. Die Foto­gra­fie zeigt einen fried­li­chen Moment mei­nes Lebens. Etwas geschieht, wovor ich mich lan­ge Zeit gefürch­tet habe. Wei­nen und Lachen fal­ten sich wie Hän­de sich fal­ten. Mut­ter irrt zwi­schen Haus und Fried­hof hin und her, als wür­de sie irgend­ei­ne unsicht­ba­re Ware in gleich­falls unsicht­ba­ren Kof­fern tra­gen. — stop

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