himalaya : 0.12 UTC — Irgendjemand oder irgendeine Maschine muss einer Analyse zur Folge während der vergangenen Nacht einen Particlestext im World Wide Web mehrfach angesteuert haben. Ich habe meinen Text, den ich im Juni 2007 notierte, auf diesem Wege wiederentdeckt. Ich konnte mich noch erinnern, ihn geschrieben zu haben, nicht aber an mich selbst in der Zeit, da ich ihn notierte. Der Text geht so: Using the same code that computer keyboards use, the Japanese group, led by Masaru Tomita of Keio University, wrote four copies of Albert Einstein’s famous formula, E=mc2, along with “1905,” the date that the young Einstein derived it, into the bacterium’s genome, the 400-million-long string of A’s, G’s, T’s and C’s that determine everything the little bug is and everything it’s ever going to be. — International Harald Tribune / June 26, 2007. — Die Vorstellung eines menschlichen Lebewesens, das 15 Jahre in seinem persönlichen Code nach Informationen sucht, die nicht zu ihm gehören, add-ons, die Literatur sind. — stop
Aus der Wörtersammlung: computer
drummer man
bamako : 3.28 UTC – Wie wir auf den Schultern unseres Vaters durch die Welt schaukelten, als säßen wir auf dem Rücken eines Dromedars, das die menschliche Sprache sprechen konnte. Wie er uns das Licht erklärte, die Geschwindigkeit und die Zeit, die das Licht unterwegs gewesen war, um zu uns zu kommen. Seine großen Schuhe, in welchen wir durch den Garten segelten. Und Gene Kruppa, Drummer Man, dort, noch lange vor unserer Zeit, Vater mit Schlips im Anzug als junger Mann. Heute Nacht erzählen wir uns Geschichten. Und schon ist es kurz nach zwei Uhr geworden. Ich habe ganz heimlich meine Schreibmaschine angeschaltet, um eine weitere kleine Geschichte aufzuschreiben, weil Geschichten auf Papier oder Geschichten, die man von einem Bildschirm lesen kann, wie alle anderen Geschichten als leise betende Stimmen zu vernehmen sind. Diese Geschichte nun geht so. Immer an Freitagen, ich war fünf oder sechs Jahre alt gewesen, brachte mein Vater aus dem Institut, in dem er als Physiker arbeitete, Karten mit nach Hause, die ich bemalen durfte, Computerlochkarten, kräftige, beige Papiere, in welchen sich seltsame Löcher befanden. Diese Löcher waren niemals an derselben Stelle zu finden, und ich erinnere mich, dass ich mich über ihr Verhalten heftig wunderte. Ich war zu jener Zeit ein begeisterter Maler, ich malte mit Wachskreide und ich malte in allen Farben, über die ich verfügen konnte, weil ich das Buntsein schon immer mochte. Ich malte blaue Kamele und schwarze Blumen und rote Monde. Einmal fragte ich meinen Vater, was jene Löcher bedeuteten, über deren Existenz ich mich freute, weil sie versteckte Bilder zeigten, die ich solange suchte, bis ich sie gefunden hatte. Hör zu, sagte mein Vater. — stop
going to sleep
nordpol : 0.18 UTC — Einmal, während ich einen Text über Hände und Finger notierte, beobachtete ich meine eigenen, arbeitenden Hände und Finger, wie sie die Tastatur der Maschine bedienten, ohne dass ich ihnen bewusst Anweisung erteilte. Bald konnte ich nicht weiter, deshalb machte ich eine kleine Pause und betrachtete zunächst meine linke, dann meine rechte Hand. Sie ruhten Seite an Seite auf der Tastatur der Maschine und warteten. Sie warteten darauf, dass eine Stimme in meinem Kopf diktieren würde, was aufzuschreiben ist. Ich könnte jetzt vielleicht sagen, dass meine Hände darauf warteten, mein Gedächtnis entlasten zu dürfen, weil ich alle Sätze, die ich mit meinen Händen in die Tastatur der Maschine schreibe, nie lernen, nie speichern muss, weil ich bereits vor der Niederschrift weiß, dass ich bald wiederkommen und lesen könnte, was ich notiere und notierte. Ich betrachtete also meine Hände, und weil ich sehr lange Zeit nicht weiter wusste in meinem Text, habe ich in Nathalie Sarrautes wunderbarem Buch Kindheit gelesen. Nach einer Stunde schaltete sich mein Computer aus und ich konnte auf dem Bildschirm folgende Zeile lesen: no signal. going to sleep. — stop
verschwinden
ginkgo : 0.01 UTC — Vor Kurzem, vor fünfzehn Minuten präzise, ist mir eine merkwürdige Geschichte mit mir selbst passiert. Ich hatte diese Geschichte bereits vor Jahren genau so erlebt, wieder also vor dem Computerbildschirm. Ich beobachtete, wie ein Server Zeile um Zeile meldete, welche Datei einer digitalen Arbeit gerade aus der lesbaren Welt in eine nichtlesbare Welt befördert wird, als ich bemerkte, dass mir das Löschen gefällt, dass auch das Verschwinden, Zeile für Zeile, reizvoll sein kann. Für einen kurzen Moment hatte ich die Idee, dass der Server, nachdem er meine Geschichte zu Ende gelöscht haben würde, auf mich selbst zugreifen könnte, also die Person des Autors zu sich holen und löschen, wie kurz zuvor die Gedankenarbeit zweier Tage. Womit, fragte ich, würde er beginnen? Mit einer meiner Hände eventuell, oder mit meinen Augen oder mit meinen Ohren? Wie würde sich dieses Verschwinden bemerkbar machen? Würde ich den Eindruck haben, leichter zu werden, oder würde ich vielleicht vergeblich nach einem Bleistift greifen, weil meine zupackende Hand lichtdurchlässig geworden ist? – stop
eine stimme
sierra : 14.15 UTC — Regen und Sonntag. Ich hatte Mutter angerufen. Sie war unterwegs gewesen, vielleicht im Garten, vielleicht in den Bergen. Nach 10 Sekunden schaltete sich der Anrufbeantworter an. Eine Stimme, die die Stimme Mutters war, meldete vertraut: Hier ist der Anschluss von Paula und Jürgen. Ich sagte sofort meinen kleinen Spruch auf: Hallo, seid Ihr zu Hause? Wie geht es Euch? Mir geht es gut. Es regnet. Als mein Vater gestorben war, hatte ich immer wieder einmal gedacht, wie seltsam ist, dass meine Mutter, solange sie nicht bei sich selbst anrufen wird, nicht bemerken würde, dass ihre Begrüßung anrufende Freunde irritieren könnte. Ich überlegte, ob ich Mutter nicht vielleicht bei Gelegenheit darauf aufmerksam machen sollte, dass wir eine weitere Tonbandaufnahme anfertigen könnten. Der Eindruck unverzüglich, ich würde meinen Vater durch diese Handlung distanzieren, einen Geist hinauswerfen aus dem Haus, in dem er weiterlebt in seinen Spuren, in unseren Erinnerungen. Da ist noch immer sein Stuhl und da ist noch immer sein Computer. Und da sind seine Gartenschuhe, seine Schallplatten, seine Bücher und im Teich werden bald wieder Rosen blühen, Seerosen, weiß und rosa, die vor langer Zeit einmal von seiner Hand ins Wasser gesetzt worden waren. Ja, so war das gewesen. Heute wieder Regen und Sonntag. Und da sind nun Mutters Sommerschuhe verwaist und ihre Winterstiefelchen neben der Tür zum Garten. In einer Schublade in der Küche werde ich bald Mutters Bleistifte finden und Mutters Brillen und Rezepte von eigener Hand für Kuchen und Plätzchen für das Weihnachtsfest vor zwei Jahren. In einer weiteren Schublade ruhen ihr Reisepass, ihr Geldbeutel, ihr Telefonbuch, Broschen und Wanderkarten durch die Wälder am See. Und da ist ihre helle Stimme, ich weiss, dass sie im Telefon zu warten scheint, eine Stimme, die noch möglich ist. — stop
wieder koffer unsichtbar
alpha : 19.52 UTC — An diesem Abend spaziere ich hinüber zum Friedhof, um zwei Kerzen anzuzünden auf dem Grab meines Vaters, das nun auch das Grab meiner Mutter sein wird. Vater ist also schon da, und Mutter wird bald hierher zu ihm kommen. Das gefrorene Gras knistert unter meinen Schuhen. Es ist still, der Sternhimmel klar. Viel schöne kleine Lampen leuchten unter den Bäumen. Ein paar Katzenaugen werden auch darunter gewesen sein. Auf dem Heimweg erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich vor einigen Jahren notierte. Sie geht so: Mein Vater war ein Liebhaber technischer Messgeräte. Er notierte mit ihrer Hilfe Dauer und Kraft des Sonnenlichts beispielsweise, das auf den Balkon über seinem Garten strahlte. Die Temperaturen der Luft wurden ebenso registriert, wie die Menge des Regens, der in den warmen Monaten des Jahres vom Himmel fiel. Selbst die Bewegungen der Goldfische im nahen Teich wurden verzeichnet, Erschütterungen des Erdbodens, Temperaturen der Prozessoren seiner Computermaschine. Es ist merkwürdig, beinahe täglich gehe ich zur Zeit auf die Suche, weil wieder irgendeine dieser Messapparaturen einen piepsenden Ton von sich gibt, als ob mein Vater mittels seiner Maschinen noch zu mir sprechen würde. Indessen habe ich seit zwei Tagen Kenntnis von einer Fotografie, die mich neben meinem sterbenden Vater zeigt. Ich sitze auf einem Stuhl, mein Vater liegt in einem Bett. Es ist ein Bild, das ich zunächst kaum anzusehen wagte. Ich habe tatsächlich eine Hand vor Augen gehalten und zwischen meinen Fingern hervorgespäht. Jetzt ist mir warm, wenn ich das Bild betrachte. Die Fotografie zeigt einen friedlichen Moment meines Lebens. Etwas geschieht, wovor ich mich lange Zeit gefürchtet habe. Weinen und Lachen falten sich wie Hände sich falten. Mutter irrt zwischen Haus und Friedhof hin und her, als würde sie irgendeine unsichtbare Ware in gleichfalls unsichtbaren Koffern tragen. — stop
ein fahrrad
whiskey : 5.16 UTC – Einmal, vor fünf Jahren sprach ich mit Martha, die kürzlich gestorben ist, über das Vergessen oder Vergesslichkeit. Sie sagte, dass man, wenn man wirklich vergesslich wird, diese Vergesslichkeit nur dann bemerkt, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird. An Tagen, da sie sich allein in ihrer Wohnung aufhalte, könne sie vergessen, soviel sie wolle, es würde ihr selbst nicht und niemand anderem auffallen, dass sie eigentlich einen Film betrachten wollte, aber auf dem Weg zum Fernsehgerät plötzlich ein Buch auf dem Tisch entdeckte, weshalb ihr Filmwunsch verloren ging. – Liebe Martha, notierte ich, Du hast versäumt, nach einem Text zu suchen, von dem ich Dir erzählte. Ich sende diesen Text noch einmal und rufe Dich gleich an, damit Du ihn für mich vorlesen wirst. Hier ist der Text, den Martha damals vermutlich noch wahrgenommen hatte. Er geht so: Eines der letzten bewegten Bilder, die ich von meinem Vater in Erinnerung habe, zeigt ihn, wie er in seinem Arbeitszimmer am Computer arbeitet. Auf dem Bildschirm sind dutzende Programmfenster geöffnet. Der alte Mann sitzt fast bewegungslos in seinem Sessel. Manchmal tastet eine Hand durch die Luft, greift unsicher nach einem Glas Milch, bald stellt sie das Glas wieder auf den Tisch zurück. Ich sehe einen Zeiger über den Bildschirm fahren. Ein weiteres Programmfenster öffnet sich. Ein kleines Mädchen fährt in diesem Fenster auf einem Fahrrad über einen sandigen Weg. Sie bewegt sich in Schlangenlinien dahin, lacht hoch zur Kamera, die rückwärts durch die Luft zu fliegen scheint. Es ist ein heiterer Film. Sobald der Film zu Ende ist, spielt ihn mein Vater von vorne ab. Aber dann öffnet sich wie von Geisterhand noch ein Fenster, das den heiteren Film verdeckt. Eine Fotografie, Mutter nahe Lissabon an einem Strand. Neben ihr liegt der Mann, der vor dem Computer sitzt, im Sand. Er trägt Turnschuhe. Auch meine Mutter trägt Turnschuhe. Ich fragte mich, wer diese Aufnahme machte, und komme nicht darauf. Ein Schatten ist zu erkennen, der Schatten eines Fotografen vielleicht. In diesem Moment ruft die Frau, die auf der Fotografie zu sehen ist, von unten, vom Wohnzimmer her, dass das Mittagessen bald fertig sei. Wie nun mein Vater sich an die Arbeit macht, alle Fenster, die er im Laufe des Vormittages geöffnet hatte, wieder zu schließen. Nein, alles muss aufgeräumt werden. Mein Vater steht nicht einfach auf, um sich sofort unsicheren Schrittes auf die Treppe zu wagen. Ich sehe, wie sich der Zeiger auf dem Bildschirm den Rahmen der Programmfenster nähert. Er scheint das Symbol für das Schließen der Fenster zu suchen, aber das Symbol ist nicht zu entdecken, nicht zu erkennen. Der Zeiger irrt auf dem Bildschirm herum, Fenster drängen sich in den Vordergrund und verschwinden wieder. Dann kommt Mutter herbei, sie ruft zärtlich: Komm, komm, das Essen ist fertig. Schritte auf der Treppe. Das Geräusch der Bestecke. Das Zwitschern der Vögel vom Garten her. Im Zimmer auf dem Schreibtisch ist der Computer längst eingeschlafen. – stop
elisabeth
charlie : 0.05 UTC – Vor einigen Wochen besuchte ich das Haus der alten Menschen, in dem meine Mutter wohnt. Ich spazierte über die Flure des Hauses mit einem Apfel in der Hand, und wartete, dass ich in das Zimmer meiner Mutter gerufen würde. Auf einem Sofa am Ende eines der Flure vor einem Fenster sass eine alte Frau wie zu einer Salzsäule erstarrt. Als ich zum dritten Male an ihr vorüber kam, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich einmal in Brooklyn erlebte. Ich hatte sie vor Jahren notiert. Ich schrieb: Im Winter des vergangenen Jahres, an einem windig kalten Tag, besuchte ich in Brooklyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszweska und seine Frau Elisabeth. Sie wohnen nahe der Clark Street in einem sechsstöckigen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hatte den alten Mann während einer Fahrt auf einem Fährschiff zufällig kennengelernt. Er beobachtete wie ich Fahrgäste fotografierte, die ihre Namen heimlich in die hölzernen Sitzbänke des Schiffes ritzten. Er sprach mich freundlich an, wollte mir einen Schriftzug zeigen, den er selbst drei Jahrzehnte zuvor an Ort und Stelle in der gleichen Weise wie die beobachteten Passagiere eingetragen hatte. Wir führten ein kurzes Gespräch über die New Yorker Hafenbehörde, Eisenbahnen und Flugzeuge, weiß der Himmel, wie wir darauf gekommen waren. Als wir das Schiff verließen lud Mr. Tomaszweska mich ein, einmal zu ihm zu kommen. Darum stieg ich nur wenige Tage später in den sechsten Stock des schmalen Hauses auf den Höhen Brooklyns. Die Tür zur Wohnung stand offen, warme Luft kam mir entgegen, die nach süßem Teig duftete, nach Zimt und Früchten. Die Räume hinter der Tür waren verdunkelt. Ich hatte sogleich den Eindruck, dass ich vielleicht träumte oder verrückt geworden sein könnte, weil in diesem Halbdunkel an den Wänden, auch auf dem Boden, Lampen, Diodenlichter, glühten. Modelleisenbahnzüge fuhren auf schmalen Geleisen herum. Ich höre noch jetzt das leise Pfeifen einer Dampflokomotive, das meinen Besuch begleitete. Es war eine rasende Zeit, Stunden des Staunens, da in der Wohnung des alten Herrn eine sehr besondere Modellanlage gastierte, ja, ich sollte sagen, dass die Wohnung selbst zur Anlage gehörte, wie der Himmel zur wirklichen Welt. Alle Züge fuhren automatisch von einem Computer gesteuert, die Luft über den Geleisen roch scharf nach Zinn. Wir sprachen indessen nicht viel, Mr. Tomaszweska und ich, sondern schauten dem Leben auf dem Boden in aller Stille zu. An einem Fenster, dessen Vorhänge zugezogen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Elisabeth. Sie beachtete mich nicht, starrte vielmehr lächelnd auf eine kleine Klappe, die in die Wand des Hauses eingelassen war. Manchmal öffnete sich die Klappe und ich konnte für Momente das Meer erkennen, das an diesem Tag von grüngrauer Farbe gewesen war, wunderbare Augenblicke, denn immer dann, wenn das Meer in dem kleinen Fenster erschien, lachte die alte Frau mit glockenheller Stimme auf, um kurz darauf wieder zu erstarren. Einmal setzte sich Mr. Tomaszweska neben seine Frau und fütterte sie mit warmem Orangenkuchen, den er selbst gebacken hatte. Und wie wir uns wieder auf den Boden setzten, um ein Modell des Orientexpress durch die Zimmer der Wohnung kreisen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemeinsam hier oben sehr glücklich seien. Er könne mit seiner Frau zwar nicht mehr sprechen, er könne sie nur noch streicheln, was sie irgendwie verstehen würde oder sich erinnern an die Sprache seiner Hände. Verstehst Du, sagte er, sie vergisst immer sofort, alles vergisst sie, auch wer ich bin, aber sie vergisst niemals nach den kleinen Engeln zu sehen, die uns besuchen, sie kommen dort durch die Klappe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wunder, sagte der alte Mann, wie schön sie lacht, mein junges Mädchen, nicht wahr, mein junges Mädchen. – stop
denkbar
marimba : 22.45 — Wenn einer schreibt in seiner Wut, dass er den ein oder anderen Menschen gerne vertreiben oder schlagen oder pfählen würde, würde er in der Wirklichkeit jenseits der Computerschreibmaschine vor seinem Haus nicht sofort tun, was er beschrieb. Aber vielleicht, wenn viele Menschen schreiben, dass sie den ein oder anderen Menschen gerne vertreiben oder schlagen oder pfählen würden, und er das liest und sich selbst wiederholt, wird er sich vielleicht bald staunend bei der Pfählung eines Menschen beobachten, einer Handlung, die ihm kurz darauf schon selbstverständlich und richtig vorkommen wird. Das ist denkbar. — stop
linie 8
echo : 10.06 UTC – Nächste Haltestelle Max-Weber-Platz. Ich hab Weiß Ferdls Gesang noch im Ohr, wie er die Geschichte erzählt von der Linie 8, die durch München fährt zu einer Zeit, da ich noch nicht geboren worden war. Wie oft habe ich diese Aufnahme als Kind vielleicht gehört? Die Stimme des alten Münchner Kabarettisten ist mir heut Morgen vermutlich deshalb ins Gehör geraten, weil ich Informationen einer modernen Straßenbahn zuhörte, einer Stimme präzise, die von einem Computer erzeugt wird: Bitte in Fahrtrichtung rechts aussteigen. Diese Stimme, wie sie mir bewusst wurde, scheint sich bereits in viele weitere Städte fortgesetzt zu haben, es ist eine weibliche Stimme, die auch komplizierte Straßennahmen zu formulieren vermag. Manchmal dehnt sie Wörter in einer seltsam unbeholfenen Art. Das hört sich an, als würde eine Schallplatte für einen Moment beschleunigt, dann wieder abgebremst. Auch Kinder hören zu, oder Menschen, die gerade eben die deutsche Sprache lernen. Vielleicht, stelle ich mir vor, werden sich in dieser Weise beständiger Wiederholung nach und nach jene unbeholfen klingenden Sentenzen der Straßenbahnansagen in unsere alltägliche Sprache schleichen. Das ist denkbar. Ich muss das beobachten. — stop