Aus der Wörtersammlung: nacht

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zwei wale

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marim­ba : 12.01 UTC — An einem neb­li­gen Abend fuhr ich mit einem Fähr­schiff nach Sta­ten Island. Ich ging eine Stun­de spa­zie­ren, kauf­te etwas Brot und Käse, dann war­te­te ich in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Eini­ge Kin­der spiel­ten vor einem mäch­ti­gen Aqua­ri­um, sie toll­ten um den Glas­be­häl­ter her­um. Plötz­lich blieb eines der Kin­der ste­hen, auf­ge­regt deu­te­te es zum Aqua­ri­um hin. Wei­te­re Kin­der näher­ten sich. Sie schie­nen begeis­tert zu sein. Ich schlen­der­te zu ihnen hin­über, stell­te mich neben sie. Da war etwas Erstaun­li­ches zu sehen, da waren näm­lich Ele­fan­ten im glas­kla­ren Was­ser, sie wan­der­ten auf dem san­di­gen Boden des Aqua­ri­ums in einer Rei­he von Wes­ten nach Osten. Ihre meter­lan­gen Rüs­sel hat­ten sie zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der See­luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören, sobald ich eines mei­ner Ohren an das hand­war­me Glas des Was­ser­ge­he­ges leg­te. Auch Geräu­sche, wie ich sie von Mikro­fo­nen ken­ne, die Wal­ge­sän­ge nahe Grön­land auf­ge­zeich­net hat­ten. Wie ich zur Ober­flä­che des Was­sers hin blick­te, ent­deck­te ich zwei Wale, die durch das Was­ser schweb­ten, sie waren je groß wie eine Faust und stie­ßen etwas Luft aus von Zeit zu Zeit, wie man das von wil­den Walen kennt, die so groß sind, dass wir über sie stau­nen. Manch­mal tauch­ten die klei­nen Wale zu den Ele­fan­ten­tie­ren hin, behut­sam näher­ten sie und schau­ten sich inter­es­siert unter den Wan­dern­den um, man schien sich natür­lich zu ken­nen. — Ich konn­te nicht schla­fen. Noch in der­sel­ben Nacht fuhr ich nach Man­hat­tan zurück. Ich mach­te einen Text­ent­wurf für eine Zei­tung, obwohl ich noch kei­ne wirk­li­che Ahnung hat­te, wie von den Zwerg­wa­len zu erzäh­len sei. Ich notier­te: Man möch­te viel­leicht mei­nen, bei der Gat­tung der Zwerg­wa­le han­de­le es sich um Wale, die dem Wort­laut nach klei­ner sind, als ihre doch gro­ßen Ver­wand­ten, Pott­wa­le oder Grön­land­wale, sagen wir, oder Blau­wa­le. Nun sind sie bei genaue­rer Betrach­tung wirk­lich win­zig, nur 8 cm in der Län­ge. Als man sie in einer künst­lich erzeug­ten Gebär­mut­ter, eben­falls win­zig, her­an­wach­sen ließ, glaub­te im Grun­de nie­mand, dass sie lebend zur Welt kom­men wür­den. Plötz­lich waren sie da, und ver­schwan­den zunächst in einem Aqua­ri­um, das für sehr viel grö­ße­re Fisch­we­sen ange­legt wor­den war. Nun waren die Wale zu klein, sie ver­lo­ren sich in den Wei­ten des Beckens. Man leg­te zier­li­che Behäl­ter an, ver­sorg­te sie mit Mee­res­was­ser, kühl­te die Gewäs­ser, sorg­te für Wind und Wel­len, selbst an Eis­ber­ge wur­de gedacht, Eis von der Höhe eines mensch­li­chen Fin­gers, die dort in der künst­li­chen Natur­um­ge­bung ein­fach so vom Him­mel fie­len. Jetzt konn­te man sie gut sehen, aus der Nähe betrach­ten. Es waren zunächst drei Wale, sie exis­tier­ten zwei Jah­re, ehe man über eine Aus­stel­lung, dem­zu­fol­ge über ihre Ver­öf­fent­li­chung dis­ku­tier­te. Bis­lang hat­te man gesagt: Wir demen­tie­ren und wir bestä­ti­gen nicht. So viel sei bemerkt: Die­se win­zi­gen Wale ernäh­ren sich von Plank­ton, sie lie­ben Mee­res­wal­nüs­se, sie tau­chen oft stun­den­lang. Auch wur­den Sprün­ge beob­ach­tet, aber nur sel­ten und nur bei Nacht­licht. Der­zeit leben noch zwei klei­nen Wale, der Drit­te wur­de zwecks Erfor­schung geöffnet. 
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hinter glas

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tan­go : 17.38 UTC — Wäh­rend eines Besu­ches in einem Aqua­ri­um begeg­ne­te ich vor Jah­ren ein­mal einem Fet­zen­fisch. Die­se Begeg­nung war viel­leicht der ers­ten Begeg­nung eines Kin­des mit einer Weih­nachts­ku­gel ver­gleich­bar. Ich konn­te mei­nen Blick nicht von dem fili­gra­nen Wesen wen­den, das hin­ter etwas Glas vor mir laut­los im Was­ser schweb­te. Ich war ganz sicher nicht der ers­te Mensch gewe­sen, den die­ses fei­ne Wesen im Aqua­ri­um wahr­ge­nom­men haben könn­te, hun­dert­tau­sen­de Augen­paa­re, Nasen, Fin­ger, Men­schen eben da drau­ßen hin­ter den Schei­ben, unge­fähr­lich, manch­mal klei­ne Men­schen, die auf den Armen oder Schul­tern der gro­ßen Men­schen hock­ten. Vor eini­gen Mona­ten nun bemerk­te ich in einem Film­do­ku­ment eine Mee­res­wal­nuss, wun­der­ba­re Bezeich­nung, ihr Leuch­ten, und wie­der konn­te ich mich nicht abwen­den, habe meh­re­re Stun­den über Mee­res­wal­nüs­se geforscht in der digi­ta­len Sphä­re. Die Schei­be des Aqua­ri­ums war indes­sen ein Bild­schirm, Blick nur in eine Rich­tung, kei­ne Begeg­nung, viel­mehr eine Beob­ach­tung. Ich wer­de bald ein­mal den Ver­such unter­neh­men, Mee­res­wal­nüs­se tat­säch­lich leib­haf­tig zu besu­chen, wo sie leben. — stop
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vom walfischorchester

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india : 20.33 UTC — Manch­mal erfin­de ich eine Geschich­te. Kurz dar­auf ver­ges­se ich die Geschich­te oder ver­lie­re sie wie­der aus den Augen. Wenn ich die Geschich­te nach Wochen oder Jah­ren wie­der bemer­ke, scheint sie zu einer wirk­li­chen Geschich­te gewor­den zu sein, das ist selt­sam. Auch weil Geschich­ten, die ein­mal erfun­den wor­den sind, sich Lebe­we­sen ähn­lich ver­hal­ten, sie machen sich immer wie­der bemerk­bar, wie die Geschich­te von Lou­is Kekkola’s Eis­buch Das Wal­fisch­or­ches­ter. Es war damals kurz nach vier Uhr gewe­sen, Däm­me­rung. Ich trug Hand­schu­he. Ich schal­te­te mein Ton­band­ge­rät an und sprach lei­se, in dem ich das zer­brech­li­che Buch­we­sen in Hän­den hielt. Kaum war eine Sei­te des Buches von mei­nen Augen abge­tas­tet, schloss ich den Kühl­schrank, ging in der Woh­nung spa­zie­ren und ließ mir alles, was ich gele­sen hat­te, durch den Kopf gehen. Dann keh­rte ich zurück und las mit damp­fen­dem Atem vor dem Kühl­schrank sit­zend wei­ter. Es war die nächs­te Sei­te, die ich vor­sich­tig unter mei­ne Augen­lu­pe nahm, auch sie war sehr ver­traut, sie war wie erlebt, ver­mut­lich des­halb, weil ich sie erin­nern konn­te. Manch­mal muss nur eine Nacht ver­ge­hen, manch­mal ein Jahr. — stop

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ein schwebender löffel

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nord­pol : 22.01 UTC — Am Tele­fon mel­de­te sich ein Mann, der mir eine trau­ri­ge Geschich­te erzähl­te. Er sag­te: Mei­ne Frau ist selt­sam gewor­den, sie wur­de soeben 84 Jah­re alt, viel­leicht ist sie des­halb selt­sam gewor­den. Sie geht nicht mehr ins Bett um Mit­ter­nacht, und sie hat auf­ge­hört zu kochen, des­halb koche ich jetzt für uns bei­de, obwohl ich nie gekocht habe. Mei­ne Frau sitzt in der Küche und schaut mir zu. Manch­mal sagt sie, dass ich her­vor­ra­gend kochen wür­de. Der Mann am Tele­fon lach­te. Und ich erin­ner­te mich, dass ich vor Jah­ren ein­mal einen Aus­flug zu einer Tan­te mach­te, die damals seit bereits über zehn Jah­ren in einem Heim leb­te, weil sie sehr alt war und außer­dem nicht mehr den­ken konn­te. Es war Früh­ling und der Flie­der blüh­te, die Luft duf­te­te, mei­ne Tan­te saß mit wei­te­ren alten Frau­en an einem Tisch und schlief oder gab vor zu schla­fen. Ihr Gesicht war schmal, ihre Augen­li­der durch­sich­tig gewor­den, Augen waren unter die­ser Haut, blau, grau, rosa, eine Gischt hel­ler Far­ben. Ich drück­te mei­ne Stirn gegen die Stirn mei­ner Tan­te und nann­te mei­nen Namen. Ich sag­te, dass ich hier sei, sie zu besu­chen und dass der Flie­der im Park blü­hen wür­de. Ich sprach sehr lei­se, um die Frau­en, die in unse­rer Nähe saßen, nicht zu stö­ren. Sie schlie­fen einer­seits, ande­re betrach­te­ten mich inter­es­siert, so wie man Vögel betrach­tet oder Blu­men. Es ist schon selt­sam, dass ich immer dann, wenn ich glau­be, dass ich nicht sicher sein kann, ob man mir zuhört, damit begin­ne, eine Geschich­te zu erzäh­len in der Hoff­nung, die Geschich­te wür­de jen­seits der Stil­le viel­leicht doch noch Gehör fin­den. Ich erzähl­te mei­ner Tan­te von einer Wan­de­rung, die ich unlängst in den Ber­gen unter­nom­men hat­te, und dass ich auf einer Bank in ein­tau­send Meter Höhe ein Tele­fon­buch der Stadt Chi­ca­go gefun­den habe, das noch les­bar gewe­sen war und wie ich den Ein­druck hat­te, dass ich aus den Wäl­dern her­aus beob­ach­tet wür­de. Ich erzähl­te von Leber­blüm­chen und vom glas­kla­ren Was­ser der Bäche und vom Schnee, der in der Son­ne knis­ter­te. Doh­len waren in der Luft, wun­der­vol­le Wol­ken­ma­le­rei am Him­mel, Sala­man­der schau­kel­ten über den schma­len Fuß­weg, der auf­wärts führ­te. So erzähl­te ich, und wäh­rend ich erzähl­te eine hal­be Stun­de lang, schien mei­ne Tan­te zu schla­fen oder zuzu­hö­ren, wie immer, wenn ich sie besu­che. Ihr Mund stand etwas offen und ich konn­te sehen, wie ihr Bauch sich hob und senk­te unter ihrer Blu­se. Am Tisch gleich gegen­über war­te­te eine ande­re alte Frau, sie trug wei­ßes Haar auf dem Kopf, Haar so weiß wie Schreib­ma­schi­nen­pa­pier. Vor ihr stand ein Tel­ler mit Erb­sen. Die alte Frau hielt einen Löf­fel in der Hand. Die­ser Löf­fel schweb­te wäh­rend der lan­gen Zeit, die ich erzähl­te, etwa einen Zen­ti­me­ter hoch in der Luft über ihrem Tel­ler. In die­ser Hal­tung schlief die alte Frau oder lausch­te. — stop
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vom schnee

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echo : 22.08 UTC — Vor zwei Jah­ren notier­te ich eine Geschich­te von zwei alten Frau­en, die seit Mona­ten auf­ge­hört haben zu sein. Die Geschich­te aber, die ich erzähl­te, exis­tiert wei­ter fort. Sie geht so: Vor dem Roll­stuhl, in dem die alte Dame hock­te, knie­te ein Mäd­chen im Alter von 6 Jah­ren. Die alte Dame erzähl­te dem Mäd­chen eine Geschich­te. So lei­se war die Stim­me der alten Dame gewor­den, dass sie kaum noch zu hören war, man­che der lei­sen Wör­ter waren nur in Gedan­ken zu ver­neh­men, waren Ver­mu­tung. Je mehr der Ver­mu­tun­gen sich in den laut aus­ge­spro­che­nen Wör­tern der Erwach­se­nen, die links und rechts des Roll­stuh­les ste­hend, in gebück­ter Hal­tung lausch­ten, anein­an­der reih­ten, des­to stren­ger wur­de der Blick der alten Dame, sie schien unzu­frie­den, viel­leicht sogar ver­zwei­felt zu sein. Plötz­lich sag­te das Mäd­chen: Ihr hört nicht rich­tig zu! Die Tan­te sagt, dass sie an Weih­nach­ten immer den Got­tes­dienst in der Kir­che St. Paul besuch­te. Sie sagt über­haupt gar nichts über das Wet­ter mor­gen. Unver­züg­lich begann die alte Dame zu lächeln. Sie wink­te das Mäd­chen zu sich her­an und flüs­ter­te ihm etwas ins Ohr. Ja, sag­te das Mäd­chen, das stimmt, ich kann gut hören, ich glau­be, ich kann auch Fle­der­mäu­se hören, wenn sie bei uns im Gar­ten her­um­flie­gen. Die alte Dame flüs­ter­te etwas Wei­te­res in das Ohr des Mäd­chens, sofort stand das Mäd­chen auf und schob den Roll­stuhl der alten Dame auf den Flur hin­aus. Im Flur vor einem Fens­ter hock­te eine wei­te­re alte Dame in einem Roll­stuhl, sie schien zu schla­fen. Schnee fiel vor dem Fens­ter, dich­te, gro­ße und run­de Flo­cken. Bald saßen nun zwei alte Damen Sei­te an Sei­te in ihren Stüh­len. Und das Mäd­chen ging vor den Damen in die Hocke. Sie weck­te die schla­fen­de alte Dame und sag­te mit ihrer hel­len Stim­me: Du, du woll­test heu­te Mor­gen mei­ner Tan­te etwas erzäh­len. Ich bin jetzt ganz Ohr! — stop

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nachtfeuer

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gink­go : 2.33 UTC — Ich wähl­te mei­ne eige­ne Tele­fon­num­mer, ich woll­te mich in die­ser Wei­se erkun­di­gen, ob mei­ne Woh­nung noch exis­tier­te. Ich dach­te, wenn mei­ne Woh­nung viel­leicht unter Was­ser stün­de oder in Brand gera­ten sei, da wäre auch mein Tele­fon selbst schwer betrof­fen, dem­zu­fol­ge müss­te, wenn mein Tele­fon sich mit einem lang­sa­men Frei­zei­chen mel­den wür­de, eine Aus­sa­ge mög­lich sein wie die­se in etwa: Weder Was­ser noch Feu­er! Ich lausch­te ein oder zwei Minu­ten jenem beru­hi­gen­den Ton­zei­chen, plötz­lich aber mel­de­te sich eine Stim­me: Ja bit­te? Das war nun mei­ne eige­ne Stim­me gewe­sen, die sich mel­de­te und behaup­te­te, gera­de erst auf­ge­wacht zu sein. Es ist noch Nacht, sag­te mei­ne Stim­me, und ich sag­te noch, Du hörst Dich an, als wäre ich es selbst, der sich mel­de­te. Kann ich nur bestä­ti­gen, ant­wor­te­te die Stim­me, die mei­ne Stim­me zu sein schien, das machst Du gut! Ist alles in Ord­nung, frag­te ich? Ich habe über­legt, ob viel­leicht ein Brand aus­ge­bro­chen sein könn­te wegen Ver­gess­lich­keit, oder Was­ser bis an die Decke wegen Ver­gess­lich­keit. Eini­ge Minu­ten lang spra­chen wir noch über das Wet­ter, es reg­ne­te da und dort, und dar­über, dass wir viel­leicht nicht ganz wach gewe­sen waren, als wir tele­fo­nier­ten. — stop

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reykjavik

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MELDUNG. In der Nacht zum Mon­tag bereits haben vier­zehn wei­ße Wale ein US-ame­ri­ka­ni­sches Unter­see­boot der Trid­ent­klas­se auf das Schreck­lichs­te miss­han­delt. Das Wrack, men­schen­leer, wur­de nun schon zum zwei­ten Male zur Behand­lung nach Reykja­vik geschleppt. — stop
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ai : TÜRKEI

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MENSCH IN GEFAHR: „Am Abend des 15. Juli 2016 ver­such­ten Tei­le der tür­ki­schen Streit­kräf­te mit Waf­fen­ge­walt, die Regie­rung zu stür­zen. Doch der Putsch­ver­such wur­de schnell nie­der­ge­schla­gen. Tau­sen­de Men­schen pro­tes­tier­ten auf den Stra­ßen dage­gen und die Put­schis­ten wur­den von Sicher­heits­kräf­ten über­wäl­tigt. In einer Nacht vol­ler Gewalt wur­den Hun­der­te getö­tet und Tau­sen­de ver­letzt. Unmit­tel­bar nach dem geschei­ter­ten Staats­streich beschul­dig­te die Regie­rung den in den USA leben­den Pre­di­ger Fet­hul­lah Gülen und sei­ne Anhänger_innen, sich zum Sturz der Regie­rung ver­schwo­ren zu haben. Die reli­giö­se Gülen-Bewe­gung wird von den tür­ki­schen Behör­den als ter­ro­ris­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on ein­ge­stuft. Am 20. Juli 2016 rief die Regie­rung den Aus­nah­me­zu­stand aus, der zwei Jah­re lang in Kraft blieb. Es folg­te eine mas­si­ve Ver­haf­tungs­wel­le gegen Jour­na­lis­tin­nen, Schrift­stel­le­rin­nen, Rich­te­rin­nen, Staats­an­wäl­tin­nen sowie ver­meint­li­che und tat­säch­li­che Kri­ti­ke­rin­nen der Regie­rungs­par­tei AKP. / Ahmet Altan und sein Bru­der Meh­met Altan nah­men am 14. Juli – dem Vor­abend des Put­sches – an einer Live-Fern­seh­sen­dung mit der Mode­ra­to­rin Naz­lı Ilı­cak teil. Wäh­rend der Sen­dung dis­ku­tier­ten sie auch über tür­ki­sche Poli­tik. Anschlie­ßend wur­den alle drei unter dem Vor­wurf fest­ge­nom­men, in der Sen­dung „unter­schwel­li­ge Bot­schaf­ten“ über den bevor­ste­hen­den Putsch ver­brei­tet zu haben. Naz­lı Ilı­cak kam Ende Juli, Ahmet Altan und Meh­met Altan kamen im Sep­tem­ber 2016 in Unter­su­chungs­haft. Ahmet Altan, Meh­met Altan, Naz­lı Ilı­cak und drei wei­te­re Ange­klag­te wur­den dann im Febru­ar 2018 wegen des Vor­wurfs, „die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung umstür­zen zu wol­len“ zu einer lebens­lan­gen Haft­stra­fe ohne die Mög­lich­keit einer Bewäh­rung ver­ur­teilt. Als das Obers­te Beru­fungs­ge­richt die Schuld­sprü­che im Juli 2019 auf­hob, wur­de ein neu­es Ver­fah­ren gegen fünf der Ange­klag­ten ein­ge­lei­tet. Meh­met Altan wur­de dage­gen frei­ge­spro­chen. / Am 4. Novem­ber 2019 wur­den mit­hil­fe der Ankla­ge „Unter­stüt­zung einer ter­ro­ris­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on, ohne deren Mit­glied zu sein“ Ahmet Altan zu zehn­ein­halb Jah­ren und die Jour­na­lis­tin Naz­lı Ilı­cak zu acht Jah­ren und neun Mona­ten Haft ver­ur­teilt. Bei­de wur­den bis zum Urteil in ihrem Rechts­mit­tel­ver­fah­ren vor dem Straf­ge­richt für schwe­re Straf­sa­chen Nr. 26 in Istan­bul frei­ge­las­sen und mit einem Rei­se­ver­bot belegt. Das Gericht sprach in dem unfai­ren Ver­fah­ren drei wei­te­re Per­so­nen schul­dig, dar­un­ter zwei Medi­en­schaf­fen­de, und ent­schied, dass sie in Unter­su­chungs­haft blei­ben müss­ten. Die Staats­an­walt­schaft leg­te am 6. Novem­ber 2019 Rechts­mit­tel gegen Ahmet Alt­ans Frei­las­sung ein. Am 8. Novem­ber wies das Gericht für schwe­re Straf­sa­chen Nr. 26 in Istan­bul den Antrag des Staats­an­walts zurück, Ahmet Altan erneut in Haft zu neh­men und ver­wies die Straf­sa­che an das Gericht für schwe­re Straf­sa­chen Nr. 27. Die­ses Gericht akzep­tier­te das Rechts­mit­tel der Staats­an­walt­schaft am 12. Novem­ber. Ahmet Altan und sein Rechts­bei­stand erfuh­ren nicht direkt von die­ser Ent­schei­dung des Gerichts, son­dern durch regie­rungs­na­he Medi­en. Noch am glei­chen Abend wur­de Ahmet Altan zuhau­se in Istan­bul fest­ge­nom­men und in Poli­zei­ge­wahr­sam über­stellt. / Die erneu­te Fest­nah­me von Ahmet Altan scheint poli­tisch moti­viert, will­kür­lich und unver­ein­bar mit dem Recht auf Frei­heit nach Para­graf 5 der Euro­päi­schen Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten zu sein, der jeden will­kür­li­chen Frei­heits­ent­zug ver­bie­tet. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te stell­te fest, dass vor­sätz­li­che Hand­lun­gen der Behör­den zu Will­kür füh­ren kön­nen. Die erneu­te Inhaf­tie­rung von Ahmet Altan ver­stößt ekla­tant gegen sei­ne Rech­te.“ - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 8.1.2020 unter > ai : urgent action
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vorletztes telefon

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vik­to­ry : 15.02 UTC — D. rief an. Sie habe, sag­te sie, eben noch ein­mal unse­re gemein­sa­me Freun­din B. besucht, die im Ster­ben lie­ge. Es war spät am Abend und ich dach­te, ich kön­ne nicht anru­fen am Bett einer Ster­ben­den um die­se Uhr­zeit. Ich war­te­te also und schlief, dann war die Nacht vor­über. B. mel­de­te sich mit kaum noch hör­ba­rer Stim­me. Ihre Toch­ter sit­ze neben ihr und wür­de das Tele­fon hal­ten, ja, es wird lang­sam Zeit, sag­te sie, 94 Jah­re, nein, ins Kran­ken­haus mag sie nicht mehr gehen, sie möch­te jetzt auf­hö­ren, sie sei dank­bar, es gehe ihr gut, ich sol­le an sie den­ken und wün­schen, dass es nicht lang dau­ern möge, ja, sie kön­ne schla­fen. Schö­ne Gesprä­che, sag­te sie, haben wir geführt in die­sem Som­mer, Wal­ter Kem­pow­ski, ja, den ken­ne ich per­sön­lich. Ich ant­wor­te­te, dass ich ihr dank­bar sei für ihre Geschich­ten von der Geschich­te, von Ros­tock, und die­sen Din­gen, wie sie den Krieg gera­de so über­leb­te. Und ich hör­te, dass sie immer müder wur­de, und ich fra­ge noch, ob ich sie viel­leicht mor­gen noch ein­mal anru­fen dür­fe. Du kannst es ver­su­chen, sag­te sie. — stop

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notizen aus sarajevo

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nord­pol : 20.18 UTC — Das Bänd­chen Noti­zen aus Sara­je­vo von Juan Goy­tiso­lo, das im Jahr 1993 in der Edi­ti­on Suhr­kamp erschien, muss ein­mal feucht oder nass gewor­den sein. Es wellt sich noch immer, obwohl es Jah­re gepresst unter wei­te­ren Büchern im Regal dar­auf war­te­te, wie­der gele­sen zu wer­den. Ich erin­ne­re nicht, wo ich das Buch gele­sen hat­te, viel­leicht in einem Park, ver­mut­lich war Regen gefal­len. Seit Tagen liegt es auf mei­nem Küchen­tisch, ich habe es bis­her nur ein­mal kurz geöff­net, bemerk­te fol­gen­den mit Blei­stift mar­kier­ten Absatz: „Gleich nach sei­ner Ankunft in Sara­je­vo muss der Frem­de in die Geset­ze und Regeln eines Ver­hal­tens­ko­dex ein­ge­weiht wer­den, der Grund­vor­aus­set­zung für sein Über­le­ben ist. Er, der an ein frei­es Leben ohne Hemm­nis­se gewöhnt ist, muss in sei­nem neu­en Lebens­raum, der Mau­se­fal­le, die er mit 380000 ande­ren Men­schen teilt, schnell ler­nen. Er muss die hoch­ge­fähr­li­chen Gebie­te und die­je­ni­gen ken­nen, in denen er sich ohne all­zu gro­ße Gefahr bewe­gen kann, er muss wis­sen in wel­chen Stadt­tei­len Mör­ser­gra­na­ten nie­der­ge­hen, wel­ches die belieb­tes­ten Stra­ßen­ecken und Kreu­zun­gen der Hecken­schüt­zen sind, wo er gebückt gehen und wo er schnell los­ren­nen muss. Jede Unacht­sam­keit oder ein Feh­ler bei der Aus­wahl des Weges kön­nen töd­lich für ihn sein. Jedes Hin­aus­ge­hen — und jeder muss ein­mal raus­ge­hen, um Was­ser, Holz oder Nah­rungs­mit­tel zu holen — ist, wie die Men­schen in Sara­je­vo sagen, rus­si­sches Rou­lette.“ — stop / S.32/33
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