Aus der Wörtersammlung: op

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chelsea : ein stunde

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echo : 0.28 — In der 22. Stra­ße West exis­tiert ein klei­ner Laden für Lam­pi­ons und ande­re papie­re­ne Licht­be­häl­ter. Wenn man den Laden betritt, meint man sofort, sich selbst in einem Lam­pi­on zu befin­den, weil Wän­de, wie sie in Häu­sern üblich sind, dort nicht zu exis­tie­ren schei­nen, nur Licht und eben Papie­re in allen erdenk­li­chen For­men. Ein Ort von Stil­le, die Luft duf­tet feinst nach der Wär­me tau­sen­der Lam­pen, die im Inne­ren der Lam­pi­ons sta­tio­nie­ren. Men­schen sind zunächst nicht zu sehen, weil sich jene Men­schen, die zum Laden gehö­ren, weder bewe­gen noch sich über Spra­che äußern, viel­leicht des­halb, weil sie in den Laden ein­tre­ten­de Men­schen nicht stö­ren wol­len im Bestau­nen leuch­ten­der Kro­ko­di­le, Schwert­fi­sche, Zep­pe­li­ne. Es ist nun tat­säch­lich mög­lich, die­se ver­bor­ge­nen Per­so­nen in Bewe­gung zu ver­set­zen, in dem man sie bemerkt, sagen wir, mit einem Blick berührt. Genau in die­sem Moment einer Berüh­rung tre­ten sie aus dem Licht her­aus in den Raum, eine zier­li­che Frau und ein zier­li­cher Mann, sie wer­den ver­mut­lich schon sehr lan­ge Zeit ver­hei­ra­tet sein, so wie sie sich beneh­men, glück­li­che, freund­li­che Men­schen. Alle ihre Waren im Übri­gen beschrif­ten sie noch von Hand, zwei Mon­de von blau­er Far­be zu je 1 Dol­lar 48 Cent. Im Schau­fens­ter fin­det sich fol­gen­des Schild: Täg­lich von Mon­tag bis Sonn­tag 25 Stun­den geöff­net. — stop

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upper west side : broadway

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del­ta : 8.05 — Das Haus am River­si­de Dri­ve, in dem Uwe John­son leb­te und arbei­te­te. Pfa­de, die Uwe John­son spa­ziert haben könn­te. Eine Sub­way Sta­ti­on, 96. Stra­ße, uralte, dunk­le Bäu­me. Das Regen­licht über dem Hud­son. Was­ser­tanks, die auf Dächern wach­sen. Auf dem Broad­way tor­kelt eine Ampel. Klei­ne, schwar­ze, schweig­sa­me Män­ner in grü­nen Uni­for­men der Frei­heits­sta­tue ver­tei­len Ein­la­dun­gen zur Schiff­fahrt. Eine Kut­sche wei­ßer Pfer­de, damp­fen­de Nüs­tern, klap­pert in Rich­tung Cen­tral Park. Es ist Mon­tag, oder Diens­tag oder Sonn­tag. Eine Frau, sie tele­fo­niert in einer Spra­che, die ich noch nie zuvor hör­te. Ein Mann mit Kühl­schrank war­tet am Stra­ßen­rand. Schnel­le, scheue Bli­cke. — stop

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manhattan : canal street

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tan­go : 10.15 — Ich habe einen merk­wür­di­gen Kon­duk­teur der Sub­way mit Tau­cher­bril­le beob­ach­tet. Der Mann war auf der N‑Linie von Brook­lyn her kom­mend in die Canal Street ein­ge­fah­ren. Ein sel­te­ner Anblick. Sein schma­ler Kopf, der aus einem der mitt­le­ren Wag­gons des Zuges rag­te, im Fahrt­wind wehen­des, schloh­wei­ßes Haar, und eben sei­ne Bril­le, deren Schei­be Augen und Nase unwirk­lich ver­grö­ßer­te. Für einen Moment hat­te ich den Ein­druck, die Tau­cher­bril­le des Man­nes sei mit Was­ser gefüllt. Ich woll­te den Mann foto­gra­fie­ren, aber das Licht der Sta­ti­on war spär­lich und der Mann schau­kel­te ohne Pau­se sei­nen Kopf hin und her wie ein alter, müder Ele­fant, ver­mut­lich weil er sich um einen umfas­sen­den Blick der Ereig­nis­se auf dem Bahn­steig bemüh­te. Es ist nun denk­bar, dass ich eine Per­son beob­ach­tet habe, die fest mit dem Füh­rer­haus des Zuges ver­wach­sen war, denn der Mann füg­te sich har­mo­nisch in das Bild, das ich mir seit jeher von wirk­li­chen Zug­füh­rern mache, Men­schen, die auf Zug­stän­den gebo­ren wer­den, Men­schen, die auf Zügen fah­rend ihre Kind­heit ver­brin­gen, Men­schen, die letzt­lich ihren per­sön­li­chen Zug zur Leb­zeit nie­mals ver­las­sen. — stop

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harlem : artist südwärts

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char­lie : 0.06 — Kurz nach 8 Uhr abends betritt ein hoch­ge­wach­se­ner, schö­ner Mann den Sub­way­wa­gon, in dem ich sit­ze. Er trägt eine rote Hose, die schil­lert, Turn­schu­he von schwar­zer Far­be, einen Gür­tel von Schlan­gen­haut, davon abge­se­hen scheint der Mann unbe­klei­det zu sein, die schwar­ze Haut sei­nes Ober­kör­pers glänzt, auch die Haut sei­nes Kop­fes, auf dem sich kei­ner­lei Haar befin­det. Er kommt also her­ein, Höhe 168. Stra­ße, geschmei­dig, voll­zieht einen Hand­stand­über­schlag und hängt sich, Kopf nach unten, an eine der Hal­te­stan­gen, die sich in den Wag­gons der Linie C befin­den. Eine leich­te, schau­keln­de Bewe­gung, ich könn­te sagen, eine Bewe­gung der Ruhe vor dem Sturm, die Augen geschlos­sen, gleich wer­den sich die Arme des Man­nes über das Gestän­ge des Wag­gons bewe­gen, er wird den Rei­se­be­häl­ter, der von zahl­rei­chen Men­schen bewohnt, durch den Unter­grund der Insel Man­hat­tan rat­tert und schep­pert, durch­mes­sen, ohne den Boden mit sei­nen Füßen zu berüh­ren, laut­los, beben­de Mus­keln, Arme, Rücken, Bauch, indem sich ein Arm des Man­nes von der Stan­ge löst, wird er an den Schwin­gen einer Hand gegen den Süden flie­gen, um einen wei­te­ren Hand­vo­gel nach sich zu zie­hen, bald mit Hand No 3 und Hand No 4, die bei­de Schu­he tra­gen, nach offe­nen Räu­men zie­len, um Fahrt auf­zu­neh­men, ein segeln­der Kör­per, mal gestreckt, dann wie­der zu einem Ball gewor­den, der sich um eine der senk­rech­ten Stan­gen win­det, die das Dach des Zuges zu hal­ten schei­nen, ein Hut indes­sen, der mal da mal dort unter den Nasen der Stau­nen­den vor­über kommt, gleich ist es so weit, 166. Stra­ße, noch eine, noch eine hal­be Sekun­de. — stop

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midtown : library

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alpha : 0.22 — Im Laden der New York Public Libra­ry ent­de­cke ich einen Brief, den Emi­lie Dick­in­sons im Jah­re 1852 an Sus­an Gil­bert notier­te. Wei­ter­hin Brie­fe des Schrift­stel­lers H.D.Lawrence an Ernest Weekly, Jack Lon­dons an Anna Strun­sky, sowie Mark Twa­ins an Enid Joce­lyn Agnew. Die­se Brie­fe kos­ten in einer Samm­lung 50 $. Sie sind auf Tisch­tü­chern fest­ge­hal­ten, fei­ne, hel­le Stof­fe, Hand­ar­beit: Made in India. Selt­sa­me Sache. — stop

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east village : gehschläfer

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marim­ba : 0.18 — So, stel­le ich mir vor, könn­te das sein. Es ist Abend gewor­den, Zeit das Büro zu ver­las­sen. Man tritt vor das Gebäu­de, in dem man sei­ne Tage fris­tet, setzt sich ein elek­tri­sches Häub­chen auf den Kopf und schon schließt man die Augen und schläft und geht in die­ser Wei­se schla­fend auf Wegen nach Hau­se, die für schla­fen­de Men­schen vor­ge­se­hen sind. Nie­mand wür­de je auf die Idee kom­men, einen schla­fen­den Pend­ler zu wecken. Drei Stun­den, sagen wir, im Tief­schlaf schrei­tet man die 5th Ave­nue down­town, biegt bald in die 23. Stra­ße ein, folgt ihr, weiß der Him­mel wovon man gera­de träumt, bis zur 1st Ave­nue, um kurz dar­auf in der 20. Stra­ße zu lan­den, Haus No 431, dort wird man geweckt und fin­det sich im Auf­zug wie­der, wie frisch geba­det im Kopf, um eine Nacht rei­cher gewor­den, zu fei­ern, zu lie­ben, mit Kin­dern zu spie­len. Am nächs­ten Mor­gen macht man sich wie­der auf den Weg, setzt sich sein Häub­chen, und auch die Kin­der set­zen sich ihre Häub­chen auf den Kopf, und so wei­ter und so fort. Irgend­wo soll­te eine zen­tra­le Sta­ti­on exis­tie­ren, die Schlaf und Schrit­te jener schlum­mern­den Men­schen steu­ert. — stop

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manhattan : 22. etage

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del­ta : 0.52 — In der Nähe des Him­mels zu woh­nen, das ist schon eine selt­sa­me Sache. Wäh­rend ich ges­tern Mor­gen ein Bad genom­men habe, ver­such­te ich mir vor­zu­stel­len, dass sich unter mir wei­te­re 21 Bade­wan­nen befin­den könn­ten, und dass sich genau in die­sem Moment 21 Per­so­nen unter mir sich in der­sel­ben Situa­ti­on, näm­lich in der Bade­wan­ne auf­hal­ten wer­den, viel­leicht sin­gen, Radio hören, in der Zei­tung lesen, oder einen Kaf­fee trin­ken. Ich kom­me, genau­ge­nom­men, mit­tels mei­ner Fan­ta­sie noch in die Eta­ge unter mir, wei­ter kom­me ich nicht. Ich bin außer­stan­de, mir vor­zu­stel­len, wie hoch ich doch sit­ze, in der Flug­hö­he der Möwen, ich höre den Wind um die Fens­ter strei­chen, ich glau­be, es ist denk­bar, dass ich der ein­zi­ge Mensch in die­sem Hau­se bin, der sich Gedan­ken macht um das Baden oder das Schla­fen oder Spa­zie­ren in die­ser Höhe. — stop

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brooklyn : verrazano

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nord­pol : 0.25 — Geträumt in der ver­gan­ge­nen Nacht, das Fähr­schiff John F. Ken­ne­dy wäre der Küs­te Sta­ten Islands ent­lang unter Ver­raza­no-Nar­rows Bridge hin­durch aufs offe­ne Meer hin­aus­ge­fah­ren. — stop

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union square : funkempfänger

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ulys­ses : 0.08 — Im Taxi, in eine Wand ein­ge­las­sen, die den Raum des Fah­rers von mei­nem Raum sorg­fäl­tig trennt, ein Fern­seh­ge­rät, das sich nicht aus­schal­ten lässt. Über­haupt schep­pert das Fahr­zeug in einer Wei­se, als wären sämt­li­che Schrau­ben, die am Mor­gen die­ses schö­nen Tages zu lösen gewe­sen waren, mit Absicht frei­ge­las­sen. Es ist ein altes Taxi, eines, das man foto­gra­fie­ren könn­te, es wäre nicht mög­lich, zu sagen, in wel­chem Jahr in New York man sich genau befin­det, nicht ein­mal das Jahr­zehnt wäre ein­deu­tig fest­zu­stel­len, in die­sem Taxi könn­te mein Vater noch gefah­ren sein, zu einer Zeit, da ich selbst noch kaum des Lau­fens mäch­tig gewe­sen war. Viel­leicht lässt sich das Fern­seh­ge­rät des­halb nicht aus­schal­ten, weil es eigent­lich nicht in die­ses Fahr­zeug gehört, es ist eine nach­träg­lich ein­ge­bau­te Per­sön­lich­keit, die Sequen­zen einer aktu­el­len Wirk­lich­keit emp­fängt und wie­der­gibt. Irgend­wo muss das Auto über einen Funk­emp­fän­ger ver­fü­ge für Fern­seh­wel­len. Gera­de sehen wir Mr. Rom­ney, aber wir hören ihn nicht, weil das Auto­mo­bil schep­pert und weil der Fah­rer ver­sucht sich mit mir zu unter­hal­ten, wäh­rend ich ver­su­che, ihm mit­zu­tei­len, dass ich das Fern­seh­ge­rät ger­ne lei­ser stel­len wür­de, oder aus­schal­ten noch viel lie­ber, um ihn, den Fah­rer ver­ste­hen zu kön­nen. Am Uni­on Squa­re hal­ten wir an, und der Mann, der mich fährt, ein sehr jun­ger, sehr kor­pu­len­ter schwar­zer Mann ver­lässt sein Auto­mo­bil, um sich die Sache mit dem Fern­seh­ge­rät näher anzu­se­hen. Eine beson­de­re Situa­ti­on ist nun ent­stan­den, weil der Fah­rer eigent­lich sein Fahr­zeug nie ver­lässt, so sieht er jeden­falls aus, es könn­te sein, dass er nicht wie­der hin­ein­fin­det in sei­nen Wagen und es ist noch dazu kei­ne Zeit für sol­che Din­ge, wir ste­hen inmit­ten des Ver­kehrs, es könn­te alles mög­li­che pas­sie­ren an die­ser Stel­le. – stop

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downtown south ferry : lorra

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nord­pol : 0.22 — Elends­men­schen unter Decken, unter Män­teln, unter Kar­tons ver­bor­ge­ne Per­so­nen­we­sen, zer­schla­ge­ne, gefro­re­ne, eitern­de Gesich­ter zu Tau­sen­den auf der Stra­ße, in Tun­nels, Haus­ein­gän­gen, Parks. Ich kann nicht erken­nen, ob sie Frau­en oder Män­ner sind, sie spre­chen und bewe­gen sich nicht, oder nur sehr lang­sam, als wür­den sie sich in einer ande­ren Zeit befin­den. Wer noch gehen kann, wer noch über Kraft zu spre­chen ver­fügt, wan­dert in der Sub­way, eine äußerst schwie­ri­ge Arbeit, das Erzäh­len immer wie­der ein und der­sel­ben Geschich­te: Guten Abend, mei­ne Damen und Her­ren! Ich bit­te um ihre Auf­merk­sam­keit! Ich bin Lor­ra, ich bin 32 Jah­re alt, ich bin woh­nungs­los, ich habe kei­ne Arbeit, ich habe Kin­der, wir müs­sen über den Win­ter kom­men. Von Wag­gon zu Wag­gon. Von Zug zu Zug. Stun­de um Stun­de. Sie nimmt auch zu essen, zu trin­ken, Papier oder lee­re Fla­schen an. Alles hilft, sagt Lor­ra, alles hilft. Sie wird nicht ver­höhnt, ver­trie­ben oder miss­ach­tet, sie bekommt, sooft ich ihr in der Linie 5 down­town South Fer­ry begeg­ne­te, zwei oder drei Dol­lar über­reicht. Abends sitzt sie im War­te­saal der Fäh­re und schläft. Ein­mal nähert sich ein Poli­zist. Lor­ra war ein wenig zur Sei­te gefal­len. Er spricht sie an, er berührt sie an der Schul­ter: Mam, ist alles in Ord­nung? Aber Lor­ra ant­wor­tet nicht. Ein zwei­ter Poli­zist kommt hin­zu. Er fragt: Ist sie noch am Leben? Sie rich­ten die schla­fen­de Frau gemein­sam auf. Sie tra­gen jetzt Hand­schu­he von Plas­tik. Sie spre­chen so lan­ge lei­se auf Lor­ra ein, bis sie die Augen öff­net. Dann macht sie die Augen wie­der zu. — stop

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