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siatista mittags jahre später

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echo : 5.08 — Vor Jah­ren ein­mal wur­de mir erzählt, ein sehr alter Mann habe sich aus Ver­zweif­lung über die poli­ti­sche Lage sei­nes Lan­des, ande­re mein­ten, weil er im hohen Alter noch hun­gern muss­te, an einem wun­der­schö­nen Mai­tag auf dem Markt­platz der male­ri­schen Stadt Sia­tis­ta, dem­zu­fol­ge in einer nörd­li­chen Pro­vinz Grie­chen­lands, erschos­sen. Er habe ein Sturm­ge­wehr für sei­nen letz­ten Schuss ver­wen­det, eine Waf­fe, die seit dem Jah­re 1944 im Kel­ler sei­nes Eltern­hau­ses in Ölpa­pier gewi­ckelt lager­te. Bei­na­he wäre das Gewehr, einst Stolz des jun­gen Man­nes im Kampf gegen deut­sche Faschis­ten, für immer in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Im Detail war damals zu erfah­ren gewe­sen, die Kugel habe zunächst den Unter­kie­fer des alten Man­nes durch­schla­gen, sei von dort aus in das Gehirn vor­ge­drun­gen und habe den Kopf über das lin­ke Auge hin wie­der ver­las­sen. Bruch­tei­le einer Sekun­de spä­ter soll das Pro­jek­til eine Flie­ge getö­tet haben, die sich kurz zuvor auf den Weg süd­west­wärts gemacht hat­te, um sich zuletzt in den Ast eines Salz­bau­mes zu boh­ren. — Ist das nun eine Geschich­te oder eine Nach­richt? Ich habe noch immer kei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge. — stop

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ai : SUDAN

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MENSCHEN IN GEFAHR: „Zwei Mit­glie­der der pres­by­te­ria­ni­schen Kir­che im Süd­su­dan, Rever­end Yat Micha­el und Rever­end Peter Yen, sind am 1. März auf der Grund­la­ge des suda­ne­si­schen Straf­ge­setz­buchs in acht Punk­ten unter Ankla­ge gestellt wor­den. Zwei der ihnen zur Last geleg­ten Straf­ta­ten kön­nen die Todes­stra­fe nach sich zie­hen. Rever­end Yat Micha­el und Rever­end Peter Yen waren am 21. Dezem­ber 2014 bzw. am 11. Janu­ar 2015 vom suda­ne­si­schen Geheim­dienst (NISS) fest­ge­nom­men wor­den und wur­den bis zum 2. März 2015 ohne Kon­takt zur Außen­welt in Haft gehal­ten. Sie wur­den am 1. März auf der Grund­la­ge des Straf­ge­setz­buchs von 1991 unter Ankla­ge gestellt. Die ihnen zur Last geleg­ten Straf­ta­ten sind “gemein­sa­me Hand­lun­gen zur Pla­nung einer kri­mi­nel­len Hand­lung”, “Unter­wan­de­rung der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Ord­nung”, “Krieg gegen den Staat”, “Spio­na­ge gegen das Land”, “Ent­hül­lung und Erhalt von Infor­ma­tio­nen und offi­zi­el­len Doku­men­ten”, “Schü­ren von Hass zwi­schen reli­giö­sen Grup­pen”, “Stö­rung des öffent­li­chen Frie­dens” und “Belei­di­gung von reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen”. Auf der Grund­la­ge des suda­ne­si­schen Straf­ge­setz­buchs kön­nen die Straf­tat­be­stän­de “Krieg gegen den Staat” und “Unter­gra­bung der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Ord­nung” mit der Todes­stra­fe geahn­det wer­den, wäh­rend die übri­gen sechs Straf­tat­be­stän­de eine Prü­gel­stra­fe nach sich zie­hen. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die bei­den Geist­li­chen wegen ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen fest­ge­nom­men und ange­klagt wur­den. Der NISS hielt die Gefan­ge­nen bis zum 2. März ohne Kon­takt zur Außen­welt fest. An die­sem Tag wur­den sie ins Gefäng­nis Kober in Khar­tum ver­legt, und man gestat­te­te ihnen ers­te Familienbesuche.Reverend Yat Micha­el und Rever­end Peter Yen tra­ten am 28. und 29. März zwei Tage in den Hun­ger­streik, um gegen ihre fort­ge­setz­te Inhaf­tie­rung und die Ver­wei­ge­rung des Zugangs zu Rechts­bei­stän­den zu pro­tes­tie­ren. Sie wer­den der­zeit von einem pro bono täti­gen Anwalts­team ver­tre­ten. Am 19. und am 31. Mai haben bereits Anhö­run­gen im Fall der bei­den Geist­li­chen statt­ge­fun­den. Am 15. Juni soll ihre Ver­fah­ren fort­ge­setzt wer­den. Amnes­ty Inter­na­tio­nal betrach­tet Rever­end Yat Micha­el und Rever­end Peter Yen als gewalt­lo­se poli­ti­sche Gefan­ge­ne, die allein wegen der fried­li­chen Wahr­neh­mung ihres Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung fest­ge­nom­men, inhaf­tiert und ange­klagt wur­den.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 21. Juli hin­aus, unter »> ai : urgent action

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2 + 5 = 8

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alpha : 7.12 — Seit eini­gen Tagen wer­de ich von mei­ner Par­tic­les-Word­press­ma­schi­ne, sobald ich die Sei­te der Anmel­dung öff­ne, auf­ge­for­dert, unver­züg­lich nach­zu­wei­sen, dass ich ein Mensch bin: Pro­ve your huma­ni­ty. Die­ser prä­gnan­ten Auf­for­de­rung ist je eine Rechen­auf­ga­be nach­ge­stellt, Zah­len sind zu addie­ren, etwa die Zahl 4 zur Zahl 6, wes­we­gen ich mir zu die­sem Zeit­punkt noch kei­ne Sor­gen mache. Eigen­tüm­li­cher­wei­se jedoch emp­fin­de ich die Auf­for­de­rung, mei­ne mensch­li­che Eigen­art dar­zu­stel­len, als eine Zumu­tung. Ein­mal unter­läuft mir ein Rechen­feh­ler, und tat­säch­lich wer­de ich nicht wei­ter vor­ge­las­sen, obwohl ich mei­nen kor­rek­ten Benut­zer­na­men und mein kor­rek­tes Pass­wort, mehr­fach geprüft, in die Mas­ke des Log-ins notier­te. Es ist selt­sam, seit ich mich bewei­sen muss, habe ich den Ein­druck, mei­ne Par­tic­les-Word­press­ma­schi­ne sei selbst mäch­ti­ger oder mensch­li­cher gewor­den, eine Per­sön­lich­keit, die mir viel­leicht in weni­gen Tagen zum Beweis mei­nes mensch­li­chen Ursprungs die Lösung eines Drei­sat­zes abver­lan­gen wird. — stop

schleuse

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schlafwelt

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alpha : 5.02 — Sie ist eine fra­gi­le Welt, die Schlaf­welt der Nacht­men­schen, sobald sie in Städ­ten nahe der Tag­men­schen leben. In die­ser Welt ist es ein wenig so, als wür­de man mit einem Holz­stöck­chen bewaff­net in einem Wald unter rasen­den Wöl­fen leben. — stop
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vom fangen

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sier­ra : 6.52 — Eine merk­wür­di­ge Web­site exis­tiert im Inter­net, man kann dort näm­lich Wör­ter oder Sät­ze in eine Mas­ke trans­fe­rie­ren, nur um Sekun­den­bruch­tei­le spä­ter ange­zeigt zu bekom­men, wie vie­le Norm­sei­ten die­se oder jene ein­ge­ge­be­ne Zei­chen­fol­ge in der papie­re­nen Welt bede­cken wür­de. Ich stell­te mir vor, wie Tex­te in genau dem Moment, da sie von einer Autorin oder einem Autor in die vor­ge­ge­be­ne Mas­ke geschüt­tet wer­den, mit­tels einer Daten­bank fest­ge­hal­ten sind, frag­los, heim­lich, laut­los, um sie even­tu­ell einer wei­te­ren Ver­wen­dung zuzu­füh­ren, Gedan­ken, unge­wöhn­li­che For­mu­lie­run­gen, Ein­sich­ten, Erzäh­lun­gen, Roma­ne, Gedich­te. Es könn­te sich dem­zu­fol­ge um eine Web­sei­te han­deln, die sich in der Art und Wei­se der Ansitz­jä­ger ver­hält. Wir soll­ten das beob­ach­ten. — stop
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zebraspringspinne

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hima­la­ya : 5.02 — Ich beob­ach­te an die­sem Mor­gen auf dem Fens­ter­brett nach Süden eine Zebra­spring­spin­ne von höchs­tens 2 Gramm Gewicht. Sie spa­ziert dort unter mei­nen Augen furcht­los auf und ab. Mög­li­cher­wei­se ist sie kürz­lich erst durch die Luft geflo­gen oder aber den gan­zen Win­ter über in mei­ner Nähe gewe­sen, ohne dass ich sie bemerk­te. Für einen Moment hal­ten wir bei­de inne und schau­en in Rich­tung der Däm­me­rung. Eine Stra­ßen­bahn kommt um die Kur­ve gefah­ren, es ist die ers­te Stra­ßen­bahn die­ses Tages. Ich schlie­ße die Fens­ter. Mit die­ser ers­ten Stra­ßen­bahn kommt der Tag in die Nacht, Vögel stei­gen aus und hocken sich in Bäu­me und sin­gen, wäh­rend Flie­gen und Fal­ter aus mei­ner Woh­nung flüch­ten, um ein­zu­stei­gen und rasch davon­zu­fah­ren. Ich soll­te mor­gens ein­mal auf die Stra­ße tre­ten und zur Hal­te­stel­le gehen und war­ten, da nun die ers­te Fahrt der Linie 16 ein­tref­fen und der Fah­rer von Nacht­fal­tern bedeckt sein wird, und die Sit­ze und Lam­pen, und auch die Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen der Früh­schicht. Dich­te, bit­te­re, stau­bi­ge Luft, ein sono­res Sum­men zehn­tau­sen­der Flü­gel. Klei­ne, har­te Käfer­kör­per stür­men durch wei­chen, flie­gen­den Fal­ter­wald, ping, pong, ping. — stop

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larissa

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MELDUNG. Aus 38500 Fuß Höhe über dem Pazi­fi­schen Oze­an kurz vor Mon­terey abge­wor­fen: Bono­bo­da­me Laris­sa, 6 Jah­re, 5682 Gramm, sechs­te Über­le­ben­de der Test­se­rie Tef­lon-F87 {Haut­we­sen}. Man ist, der Schre­cken, noch voll­stän­dig ohne Bewusst­sein. — stop

drohne3

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von der wirbelkastenschnecke

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tan­go : 3.52 — Ges­tern war ein hei­ßer Tag gewe­sen, es war heiß in der Küche, heiß in den Zim­mern zum Schla­fen, zum Spa­zie­ren, heiß im Bad, im Trep­pen­haus, sogar im Kel­ler, auf der Stra­ße und in der Tram­bahn war es so heiß, dass ich mich gern sofort in einen Kühl­schrank gesetzt haben wür­de. Als ich das Wort Kühl­schrank dach­te, erin­ner­te ich mich an einen höl­zer­nen Kühl­schrank, den ich mir ein­mal aus­ge­malt hat­te, da war ich gera­de auf dem Post­amt, auch da war es heiß, und die Män­ner und Frau­en hin­ter dem Tre­sen schwitz­ten. Aus­ge­rech­net an einem Tag hei­ßer Luft erreich­te mich ein Päck­chen, auf das ich seit bei­na­he zwei Wochen in außer­or­dent­li­cher Käl­te war­te­te. Ich hat­te bei Hvalf­jör­dur Cor­po­ra­ti­on eine Schei­be aus dem Brust­bein eines Pott­wales bestellt, aber die islän­di­sche Post war acht Tage lang in einen Streik getre­ten, und so war das gekom­men, dass das Päck­chen einen erbärm­li­chen Gestank ver­ström­te, was mich nicht im Min­des­ten wun­der­te, da man ver­ges­sen hat­te, das Brust­bein des Wales, der bereits im Mai gefan­gen und zer­legt wor­den war, ganz und gar von Blut zu befrei­en. Nun aber ist alles wie­der in Ord­nung. Ich habe den Kno­chen, der erstaun­lich leicht in der Hand liegt, gründ­lich gerei­nigt, nur noch ein lei­ser Ver­dacht von Ver­we­sung liegt in der Luft, ist ver­mut­lich nicht tat­säch­lich, ist viel­mehr ein Faden von Erin­ne­rung. Sobald der Kno­chen getrock­net sein wird, wer­de ich einen ers­ten Ver­such unter­neh­men, eine Schne­cke aus ihm zu schnit­zen, die der Wir­bel­kas­ten­schne­cke einer Gei­ge ähn­lich sein wird. – Sams­tag, kurz vor Däm­me­rung. Es ist noch immer heiß. Vor den Fens­tern jagen Fle­der­mäu­se. – stop

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radioteilchen

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tan­go : 6.06 — Das Radio erzählt heu­te Mor­gen wie­der gefähr­li­che Geschich­ten. Man habe näm­lich ges­tern in der Luft und am Boden nahe Fuku­shi­ma Plu­to­ni­um­teil­chen ent­deckt. Gefähr­lich für Men­schen, so berich­tet das Radio, sei­en die­se Par­tic­les nicht, weil sie bereits seit den 50er- und 60er-Jah­ren gleich­mä­ßig über die Erde ver­teilt exis­tie­ren, da man test­wei­se Inseln mit­tels Was­ser­stoff­bom­ben spreng­te. Jetzt ist das aber so, dass zwei von fünf vor­ge­fun­de­nen Teil­chen jün­ge­rer Zeit ent­stam­men, ver­mut­lich aus einem Reak­tor in nächs­ter Nähe selbst, dem­zu­fol­ge einer oder meh­re­re der Reak­to­ren undicht gewor­den sein könn­ten. — stop

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aleppo

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char­lie : 0.32 — Er wer­de lang­sam alt, erzähl­te der Jour­na­list L., alt und müde. Manch­mal füh­le er sich morsch, wie ein Kno­chen, der lan­ge Zeit in feuch­ter Luft unter frei­em Him­mel her­um­ge­le­gen hat­te, da wird man bald stau­big, und dann kommt ein Wind und schon ist man so leicht gewor­den, dass man ganz und gar für immer auf­hö­ren möch­te. Des­halb habe er ein Haus an der Küs­te gekauft, mit einem Reet­dach, das links und rechts des Hau­ses nahe­zu bis auf den Boden rei­che. Er benö­ti­ge einen Ort, an den er sich zurück­zie­hen, einen Ort, an dem er leich­ter wer­den kön­ne, wan­dern am Meer stun­den­lang und spre­chen mit sich selbst. Wenn er Selbst­ge­sprä­che füh­re, wür­de er in sich hin­ein­se­hen, Wör­ter und Sät­ze bewir­ken, dass er für eini­ge Zeit nicht mehr auf­hö­ren kön­ne zu spre­chen, weil er doch in den ver­gan­ge­nen Jah­ren eigent­lich so schweig­sam gewor­den war, weil er doch immer, als er noch dis­ku­tier­te und erzähl­te, ver­ges­sen habe, was er sag­te, wes­halb er tage­lang dar­über nach­den­ken muss­te, ob er nicht etwas gesagt haben könn­te, das unmög­lich gesagt sein durf­te, die­se Wör­ter, die­se Sät­ze, die man so lie­bend gern zurück­ho­len woll­te, weil sie nicht pas­send oder ganz ein­fach zu vie­le Wör­ter gewe­sen waren. Des­halb nun ein Haus an der Küs­te, mit einem Reet­dach, das links und rechts des Hau­ses nahe­zu bis auf den Boden rei­che, wo er mit sich selbst spre­chen kön­ne so lan­ge er wol­le, wo ihm nie­mand zuhö­ren wür­de, nur das Haus und er selbst und manch­mal der Sand und ein paar Vögel, wenn er von Alep­po erzäh­le, wo er vor weni­gen Wochen, ein Him­mel­fahrts­kom­man­do, noch gewe­sen sei. — stop
flieger