Aus der Wörtersammlung: etwas

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odessa

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kili­man­dscha­ro : 22.52 UTC — Vor weni­gen Tagen habe ich eine klei­ne digi­ta­le Maschi­ne gekauft. Die­se Maschi­ne ver­mag die Zeit zu mes­sen, wel­che ich in der einen oder ande­ren Auf­ga­be befind­lich ver­brin­ge. Sie sum­miert sozu­sa­gen Sekun­den, Minu­ten, Stun­den heim­lich für mich, damit ich, sobald Abend gewor­den ist, nach­se­hen kann, wo ich mich über­all wäh­rend des Tages arbei­tend auf­ge­hal­ten habe. Nun ist etwas Selt­sa­mes zu bemer­ken, dass ich näm­lich Auf­ga­ben erfin­de, indem ich ver­trau­te Auf­ga­ben in klei­ne­re Auf­ga­ben­seg­men­te zer­le­ge, sodass sie wie neue Auf­ga­ben vor mei­nen Augen oder den Augen der Maschi­ne erschei­nen. Die Auf­ga­be der Kor­re­spon­denz bei­spiels­wei­se, lässt sich in E‑Mail‑, Papier­brief- und tele­fo­ni­sche Kor­re­spon­denz zer­glie­dern. Ganz neu ist außer­dem, dass ich der Maschi­ne Anwei­sung erteil­te, Lese­zei­ten zu notie­ren, wie lan­ge Zeit ich in den Erzäh­lun­gen John Updi­kes ver­brach­te. Oder der Vor­gang nächt­li­cher Fle­der­maus­be­ob­ach­tung. Auch die Betrach­tung der Maschi­ne selbst wird von der Maschi­ne wahr­ge­nom­men und auf­ge­zeich­net. — Das Radio erzählt von einer jun­gen Frau, die seit heu­te in der früh in der Stadt Odes­sa ohne Arme leben muss, obwohl sie ges­tern noch über zwei Arme ver­füg­te.  — stop

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stimmen

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vic­tor : 6.52 UTC — Seit ich ges­tern, gegen den Mor­gen zu, erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che ver­fü­gen, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist, immer wie­der die Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen soll­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen, das nur für mich bestimmt ist. Viel­leicht eine Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? Oder : Ich hör­te von Bäu­men! - Das Radio erzählt heu­te von Kin­dern, die den Tod ihrer Eltern anse­hen müss­ten. Ein Mäd­chen habe, so das Radio, mit den Leich­na­men ihres Vaters und ihrer Mut­ter meh­re­re Tage in einem Kel­ler ver­bracht, ehe sie ent­deckt und befreit wor­den sei. — stop

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von papieren

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char­lie : 16.58 UTC — Wie­der die Fra­ge, ob es viel­leicht mög­lich ist, Papie­re zu erfin­den, die ess­bar sind, nahr­haft und gut ver­dau­lich? Man könn­te sich in einen Park set­zen bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lowry oder Cal­vi­no, Bücher, die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schmeck­ten, nach Bir­nen, Gin, Petro­le­um oder sehr fei­nen Höl­zern. Einen spe­zi­el­len Duft schon in der Nase, wird die ers­te Sei­te eines Buches gele­sen, und dann blät­tert man die Sei­te um und liest wei­ter bis zur let­zen Zei­le, und dann isst man die Sei­te auf, ohne zu zögern. Oder man könn­te zunächst das ers­te Kapi­tel eines Buches durch­kreu­zen, und wäh­rend man kurz noch die Geschich­te die­ser Abtei­lung reka­pi­tu­liert, wür­de man Stür­me, Per­so­nen, Orte und alle Anzei­chen eines Ver­bre­chens ver­spei­sen, dann bereits das nächs­te Kapi­tel eröff­nen, wäh­rend man noch auf dem Ers­ten kaut. Man könn­te also, eine Biblio­thek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisi­ge Wüs­ten durch­strei­fen oder ein paar sehr hohe Ber­ge bestei­gen und abends unterm Gas­licht in den Zel­ten lie­gen und lesen und kau­en und wür­de von Nacht zu Nacht leich­ter und leich­ter wer­den. – Das Radio erzählt, ein klei­ner Jun­ge habe sein Kin­der­zim­mer in einem U‑Bahnwagon unter der Stadt Char­kiw ein­ge­rich­tet. — stop

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vom sprechen

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tan­go : 16.55 UTC — Ich spre­che zu schnell, dach­te August, ich spre­che zu schnell, zu häu­fig und zu lang. Ich wer­de von nun an lang­sa­mer spre­chen und sel­te­ner und lei­se. Er hat­te sich, noch ein Kind, vor­ge­nom­men lang­sa­mer und deut­li­cher zu spre­chen, weil sei­ne Freun­de und sei­ne Eltern und sei­ne Leh­rer immer wie­der ein­mal bemerkt hat­ten, dass er viel zu viel spre­chen wür­de. Du sprichst, lie­ber August, zu lang und zu schnell. Wenn er sich erin­ner­te, ent­deck­te er zahl­rei­che Wochen, Mona­te, Tage sei­nes kur­zen Lebens, da er ver­such­te, stil­ler zu wer­den. Er war durch­aus erfolg­reich gewe­sen, aber immer nur so lan­ge er sich selbst zuhör­te und sich in Gedan­ken sag­te, lang­sam spre­chen, August, lang­sam spre­chen, jetzt hörst du auf zu spre­chen. Du sagst ein­mal zehn Minu­ten lang nichts. August sah auf sei­ne Uhr. Mut­ter frag­te ihn, wie es in der Schu­le gewe­sen war, aber August sag­te nichts, sah auf die Uhr und war­te­te. Warst du denn in der Schu­le, frag­te Mut­ter. Natür­lich, war ich in der Schu­le gewe­sen, dach­te August, ich erin­ne­re mich, gera­de eben bin ich zurück­ge­kehrt. Er sah auf die Uhr und war ganz still und er fühl­te sich wohl und dann waren zehn Minu­ten Zeit der Stil­le des klei­nen August ver­gan­gen. Kaum waren zehn Minu­ten Zeit ver­gan­gen, war August schon in den Gar­ten gerannt. Mut­ter saß im Gras in der Son­ne und schäl­te Kar­tof­feln. Heu­te habe ich kaum etwas gesagt in der Schu­le, erzähl­te August. Er sprach sehr lang­sam. Ich war ganz still, sag­te August, fast bin ich ein­ge­schla­fen. Dann habe ich etwas gesagt, aber ich war wie­der viel zu schnell. Da hab ich dann geschwie­gen, habe nur die Hälf­te erzählt von dem, was ich erzäh­len woll­te. Da bin ich dann ein­ge­nickt. Und als ich wach wur­de, habe ich die­se furcht­ba­re Stim­me gehört. — Das Radio erzählt heu­te von einem jun­gen Mann, der eine Nach­richt aus Mariu­pol an sei­ne Gelieb­te sen­de­te. Er schrieb: Ich habe Dei­ne Mut­ter in der Nähe des Kin­der­gar­tens begra­ben. — stop

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vom warten

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lima : 22.07 UTC — Über eine Mil­li­on Augen­paa­re wer­den in der digi­ta­len Sphä­re ver­zeich­net, die in den ver­gan­ge­nen 24 Stun­den das Live­bíld des Mai­d­an­plat­zes beob­ach­tet haben sol­len. Ein­mal fra­ge ich in eng­li­scher Spra­che im beglei­ten­den Chat, was prä­zi­se man erwar­tet zu sehen, wes­halb die­se Auf­merk­sam­keit. Es geschieht ja nichts. Nur der Platz ist zu sehen, kaum ein Mensch, aber ein paar Tau­ben, die über die Stra­ßen tucken. Ein Ant­wort etwas spä­ter gleich­wohl in eng­li­scher, dann von dem­sel­ben Ava­tar in rus­si­scher Spra­che: Alle hier war­ten auf Pan­zer! — stop
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maidan 23 uhr 15 MEZ

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gink­go : 23.30 UTC — Der Platz in oran­ge­far­be­nem Licht. Eine Liv­e­film­auf­nah­me von einer Web­ka­me­ra aus. Von dort Stil­le, Stil­le, die kei­ne wirk­li­che Stil­le ist, rau­schen­de Stil­le, das Geräusch des Mikro­phons selbst ver­mut­lich, wel­ches sich bemüht etwas jen­seits der Stil­le da draus­sen ein­zu­fan­gen. Hin und wie­der, sehr sel­ten, das Fau­chen eines Auto­mo­bi­les, auch viel­leicht Luft­sum­men von Ven­ti­la­to­ren. Dann plötz­lich Sire­nen, unheim­lich, laut, Sire­nen­ge­heul, das ich von Kind­heit her ken­ne. Als noch Tages­licht, waren Pan­zer­sper­ren zu sehen in Rich­tung umge­ben­der Stras­sen. Um Mit­ter­nacht beginnt es leicht zu schnei­en. Kein Mensch, wirk­lich kein Mensch. In die­ser Nacht leuch­ten die Ampeln des Plat­zes rot, vor Tagen waren sie noch grün und blie­ben grün. Ver­ein­zelt Leucht­re­kla­men. Ein Auto für eine Minu­te, groß wie ein Fiat 500, ein zivi­les Fahr­zeug, viel­leicht eine Patrouil­le. Unter einer Arka­de blinkt lang­sam ein Licht: Sin­ging Moun­ta­ins — Vor­über­ge­hend geschlos­sen. Die Stadt scheint hell beleuch­tet zu sein, viel­leicht um Angrei­fer zu erfas­sen, die in Grup­pen vom Him­mel fal­len könn­ten. — stop

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jenseits

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tan­go : 20.55 UTC — Ein­mal, vor Jah­ren, war ich in der digi­ta­len Sphä­re auf der Suche nach Pro­pel­ler­flug­ma­schi­nen gewe­sen, die von Hand zu bedie­nen sind. Ich ent­deck­te eine Leih­sta­ti­on für Droh­nen­vö­gel nahe des St. Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals, und zwar in der Bay Street, Haus­num­mer 54. Obwohl ich mich in Mit­tel­eu­ro­pa befand, muss­te ich, um Kun­de wer­den zu kön­nen, kei­ne wei­te­ren Anga­ben zur Per­son hin­ter­le­gen als mei­ne Kre­dit­kar­ten­num­mer, nicht also begrün­den, wes­halb ich den klei­nen Metall­vo­gel, sechs Pro­pel­ler, für drei Stun­den nahe der Stadt New York aus­lei­hen woll­te. Auch erkun­dig­te sich nie­mand, ob ich über­haupt in der Lage wäre, eine Droh­ne zu steu­ern, selt­sa­me Sache. Ich bezahl­te 24 Dol­lar und star­te­te unver­züg­lich mit Hil­fe mei­ner Com­pu­ter­tas­ta­tur vom Dach eines fla­chen Gebäu­des aus. Ich flog zunächst vor­sich­tig auf und ab, um nach weni­gen Minu­ten bereits einen Flug ent­lang der Metro­ge­lei­se zu wagen, die in einem sanf­ten Bogen in Rich­tung des offe­nen Atlan­tiks nach Tot­ten­ville füh­ren. Ich beweg­te mich sehr lang­sam in 20 Metern Höhe dahin, kein Schnee, kaum Wind. Die fer­ne und doch zugleich nahe Welt unter mir auf dem Bild­schirm war sehr gut zu erken­nen, ich ver­moch­te selbst Gesich­ter von Rei­sen­den hin­ter stau­bi­gen Fens­ter­schei­ben pas­sie­ren­der Züge zu ent­de­cken. Nach einer hal­ben Stun­de erreich­te ich Clif­ton, nied­ri­ge Häu­ser dort, dicht an dicht, in den Gär­ten mäch­ti­ge, alte Bäu­me, um nach einer wei­te­ren Vier­tel­stun­de Flug­zeit unter der Ver­ranz­a­no-Nar­rows Bridge hin­durch­zu­flie­gen. Nahe der Sta­ti­on Jef­fer­son Ave­nue wur­de gera­de ein Feu­er gelöscht, eine Rauch­säu­le rag­te senk­recht hoch in die Luft als wäre sie von Stein. Dort bog ich ab, steu­er­te in der­sel­ben Höhe wie zuvor, der Lower Bay ent­ge­gen. Am Strand spa­zier­ten Men­schen, die wink­ten, als sie mei­nen Droh­nen­vo­gel oder mich ent­deck­ten. Als ich etwas tie­fer ging, bemerk­te ich in der Kro­ne eines Bau­mes in Ufer­nä­he ein Fahr­rad, des Wei­te­ren einen Stuhl und eine Pup­pe, auch Tang war zu erken­nen und ver­ein­zelt Vogel­nes­ter. Es war spä­ter Nach­mit­tag  gewor­den jen­seits des Atlan­tiks, es wur­de lang­sam dun­kel. — Das Radio berich­tet von einem schwer­hö­ri­gen Opa, der in Kyjiw vor einem Fern­seh­ge­rät sitzt mit dem Ton so laut, dass sei­ne Enkel­kin­der im Neben­zim­mer die Ein­schlä­ge von Rake­ten­spreng­köp­fen nicht hören. — stop
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auf der flucht

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oli­mam­bo : 20.28 UTC — Wie nach der Mel­dung eines Ter­ror­an­schla­ges Men­schen damit begin­nen, ihre Umge­bung abzu­su­chen nach Ver­däch­ti­gem. M., der in Mit­tel­eu­ro­pa lebt, erin­ner­te sich an L., der mor­gens im Zug auf dem Weg nach Hau­se im Koran gele­sen hat­te. Das war ein sehr klei­nes Buch gewe­sen, ein Buch wie aus einer Match­box, eine Art Miniko­ran oder etwas Ähn­li­ches. L., die vor lan­ger Zeit ihre Geburts­stadt in Sibi­ri­en ver­liess, befin­det sich seit Wochen in einem beben­den Zustand. Sie schläft kaum noch, erzählt, dass sie sich fürch­te. Ihre Mut­ter arbei­te in einer Biblio­thek der Hafen­stadt Odes­sa. L. sagt, sie ver­mei­de in der Öffent­lich­keit laut die rus­si­sche Spra­che zu spre­chen, auch mit der deut­schen Spra­che gehe sie vor­sich­ti­ger um, man höre sofort, dass sie aus dem Osten kom­me. Ein ira­ni­scher Freund, Z., der aus sei­nem Land flüch­te­te, um nicht in den Krieg gegen den Irak zie­hen zu müs­sen, berich­tet, er sor­ge sich um oder wegen der schla­fen­den, stau­bi­gen Män­ner am Flug­ha­fen, die auf ihre Flü­ge war­te­ten zurück nach Buka­rest oder Sofia. — Eine gro­ße Flucht hat begon­nen im Osten. Aus dem Radio und von den Bild­schir­men her kom­men Fäden her­an, die vom Krieg berich­ten. Men­schen an den Grenz­bahn­hö­fen erzäh­len: Wir haben klei­ne Ruck­sä­cke auf dem Rücken damit wir ren­nen kön­nen. Vor irgend­wel­chen Com­pu­ter­ma­schi­nen hocken Men­schen und betrach­ten Live-Bil­der des nächt­li­chen Mai­dan zu Kyjiw. War­um! — stop
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prypjat

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nord­pol : 6.57 UTC — Film­auf­nah­me der Stadt Pryp­jat an einem son­ni­gen April­tag des Jah­res 1986. Duns­ti­ge Haut liegt über far­bi­gen Bil­dern des Films, spie­len­de Kin­der vor Häu­ser­blocks, ein Karus­sell, ein Rie­sen­rad, fla­nie­ren­de Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, All­tag, Frie­den. Man­che der Men­schen tra­gen Taschen, ande­re hal­ten ihre Söh­ne und Töch­ter an der Hand, ein Drei­rad, Bäu­me von hel­lem Grün, und der Him­mel, wol­ken­los. Aber da ist noch etwas ande­res, etwas Unheim­li­ches, da sind Punk­te, Krei­se, hel­le Erschei­nun­gen zu erken­nen, in Bruch­tei­len rasen­der Zeit tau­chen sie auf und sind sofort wie­der ver­schwun­den. So rasch und so uner­war­tet tre­ten sie aus der Bewe­gung des Fil­mes her­vor, dass ein mensch­li­cher Betrach­ter nicht sicher sein kann, ob die Erschei­nung, die er gera­de noch wahr­zu­neh­men glaub­te, tat­säch­lich zu sehen oder nicht ein Irr­tum sei­nes Gehirns gewe­sen war, hel­le Schir­me, pel­zig, weich. Die­ses blit­zen­de Licht zeigt Ver­let­zun­gen des bild­tra­gen­den Mate­ri­als an, Ver­hee­run­gen, die durch strah­len­de Teil­chen des bren­nen­den Gra­phit­re­ak­tors zu Tscher­no­byl ver­ur­sacht wur­den, Teil­chen­spur­licht, des­halb so unheim­lich, so tra­gisch, weil die­ses Licht in den Augen des Film­be­trach­ters von einer spä­te­ren Wirk­lich­keit aus wahr­ge­nom­men wer­den kann, nicht aber von jenen Men­schen, die sich in der Wirk­lich­keit der Auf­nah­me vor der Kame­ra beweg­ten durch einen lebens­ge­fähr­li­chen Tag, den sie viel­leicht für einen glück­li­chen Tag ihres Lebens gehal­ten haben, weil nie­mand sie vor der unsicht­ba­ren Bedro­hung, die sich in der Atmo­sphä­re befand, warn­te. — stop /Kof­fer­text

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tintenzeit

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echo : 14.32 UTC — Am Tele­fon mel­de­te sich ein Mann, der mir eine trau­ri­ge Geschich­te erzähl­te. Er sag­te: Mei­ne Frau ist selt­sam gewor­den, sie wur­de gera­de eben 84 Jah­re alt, viel­leicht ist sie des­halb selt­sam gewor­den. Sie geht nicht mehr ins Bett um Mit­ter­nacht und sie hat auf­ge­hört zu kochen, des­halb koche ich jetzt für uns bei­de, obwohl ich nie gekocht habe. Mei­ne Frau sitzt in der Küche und schaut mir zu. Manch­mal sagt sie, dass ich sehr gut kochen wür­de. Der Mann am Tele­fon lach­te. Und ich erin­ner­te mich, dass ich vor Jah­ren ein­mal einen Aus­flug zu einer Tan­te mach­te, die damals seit bereits über zehn Jah­ren in einem Heim leb­te, weil sie sehr alt war und außer­dem nicht mehr den­ken konn­te. Es war Früh­ling und der Flie­der blüh­te, die Luft duf­te­te, mei­ne Tan­te saß mit wei­te­ren alten Frau­en an einem Tisch und schlief oder gab vor zu schla­fen. Ihr Gesicht war schmal, ihre Augen­li­der durch­sich­tig gewor­den, Augen waren unter die­ser Haut, blau, grau, rosa, eine Gischt hel­ler Far­ben. Ich drück­te mei­ne Stirn gegen die Stirn mei­ner Tan­te und nann­te mei­nen Namen. Ich sag­te, dass ich hier sei, sie zu besu­chen und dass der Flie­der im Park blü­hen wür­de. Ich sprach sehr lei­se, um die Frau­en, die in unse­rer Nähe saßen, nicht zu stö­ren. — In die­sem Augen­blick hob ich mei­nen Füll­fe­der­hal­ter vom Papier, auf das ich mei­nen Text mit mei­ner rech­ten Hand notiert hat­te. Es war sehr fei­nes Papier, eines durch das man hin­durch­se­hen kann, wenn man das Papier gegen etwas Licht hält, rascheln­des Papier, Luft­pa­pier. Ich hob mei­nen Blick, um gera­de noch wahr­neh­men zu kön­nen, dass sich das Wort Tele­fon auf­zu­lö­sen begann. Zei­chen für Zei­chen ver­schwand das Wort von links nach rechts, kurz dar­auf lös­te sich auch das nach­fol­gen­de Wort vom Papier, dann ein gan­zer Satz in etwa der Geschwin­dig­keit, mit der ich kurz zuvor noch geschrie­ben hat­te. Das war doch selt­sam gewe­sen. Und ich dach­te noch: Du musst Dich beei­len, lie­ber Lou­is, schnell, schreib wei­ter. — stop