Aus der Wörtersammlung: hand

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salznamen

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2.01 — Dass die Fische eines Schwarms kei­ne Namen tra­gen. Auch die Som­mer­fä­den eines August­him­mels oder die Mole­kü­le eines Was­ser­trop­fens sind kaum je beschrif­tet, wie der Sand einer Wüs­te ohne jede Bezeich­nung ist, sodass man eine Hand­voll Sand nicht auf einen Tisch wer­fen könn­te und sagen, die­ser klei­ne Stein hier, das ist S‑sa­ha­ra-No 537675258386. Ich sehe Dich, aber ich gebe Dir kei­nen Namen. Statt­des­sen ver­su­chen wir den Him­mel. Wir sagen: Das ist Gala­xie M‑23. Und die­ser blaue Nebel hier ver­dun­kelt die Gala­xie M‑C58. Unse­re elek­tro­ni­schen Augen sind emp­find­lich. Wir könn­ten mit die­sen Augen viel­leicht einen Golf­ball auf dem Mond erken­nen oder eine Tele­fon­zel­le auf dem Mars, nicht aber einen Stern hin­ter einem Stern in einer 7 Mil­lio­nen Licht­jah­re ent­fern­ten Spi­ral­ga­la­xie. Viel­leicht soll­te ich, wenn ich wie­der ein­mal auf­ge­regt sein wer­de, weil mir der Him­mel auf den Kopf zu fal­len droht, einen Tee­löf­fel Salz auf mei­nen Schreib­tisch schüt­ten und eine Zäh­lung und Bezeich­nung der Kris­tal­le vor­neh­men. Wie lan­ge Zeit wür­de ich zäh­len? Könn­te ich je wie­der auf­hö­ren? — stop

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malcolm lowry

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3.18 — Ich erin­ner­te mich an eine Geschich­te, die von Mal­colm Lowry erzählt, genau genom­men von sei­ner Art und Wei­se zu schrei­ben, nach­drück­li­cher noch von der Metho­de zu ver­lie­ren, was gera­de eben noch notiert wor­den war. Mal­colm, so der Erzäh­ler der Geschich­te, soll Gedan­ken auf jedes Stück Papier geschrie­ben haben, das in sei­ne Reich­wei­te gekom­men war, auf Rech­nun­gen, Spei­se­kar­ten, Bil­letts bei­spiels­wei­se, sofern er in einem Café oder in einer Bar Platz genom­men hat­te, um so lan­ge notie­rend zu arbei­ten, bis er aus­rei­chend betrun­ken war damit auf­zu­hö­ren. Wie vie­le Wör­ter und Sät­ze sind wohl vom Wind in Wüs­ten oder auf Mee­re hin­aus­ge­tra­gen wor­den, wie vie­le Bücher haben sich in Luft auf­ge­löst? Ich stel­le mir immer wie­der lei­den­schaft­lich ger­ne vor, wie Mal­colm Lowry in unse­rer Zeit sei­ne Zei­chen­ket­ten für die Welt abge­legt haben könn­te. Sagen wir so: Lowry arbei­tet nie wie­der mit einem Blei­stift. Er notiert sei­ne Gedan­ken in eine feder­leich­te elek­tri­sche Maschi­ne, die am Gür­tel sei­ner Hose fest ver­an­kert wird. Sorg­fäl­tig von sei­ner Ehe­frau Mar­ge­rie Bon­ner pro­gram­miert, ver­bin­det Mal­colms per­sön­li­ches Notizge­rät unver­züg­lich Tas­ta­tur mit digi­ta­ler Sphä­re, sobald sich der Autor, gleich wel­cher geis­ti­gen Ver­fas­sung, mit der einen oder der ande­ren Hand nähert. Nun schreibt der Autor. Er arbei­tet, viel­leicht ste­hend, viel­leicht sit­zend, viel­leicht lie­gend. Und wäh­rend er so arbei­tet, wird Zei­chen für Zei­chen unver­züg­lich an einen gehei­men Ort der Spei­che­rung gesen­det. Dort, Drop­zo­ne, könn­te man sit­zen und war­ten und betrach­ten, wie der Text, um den Bruch­teil einer Atom­se­kun­de in der Zeit ver­rückt, voll­zo­gen wird. — stop
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take five

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10.16 — Eigen­ar­tig, wie sie vor mir sitzt, die fla­chen Schu­he gegen die Bei­ne des Stuh­les gestemmt, bei­de Hän­de auf dem Tisch, Innen­sei­ten nach oben, der­art ver­renkt, als gehör­ten die­se Hän­de nicht zu ihr, als sei­en sie vor­sätz­lich ange­brach­te Instru­men­te, Werk­zeu­ge des Fan­gens, Blü­ten. Jetzt schlie­ßen sie sich, Fin­ger für Fin­ger, Nacht wird. — ::: — Eine Foto­gra­fie kommt über den Tisch, Take Five, läs­si­ge Ges­te, als wür­de eine Kar­te aus­ge­spielt. „Was siehst Du?“, fragt sie. – ::: — „Land­schaft!“, — ant­wor­te ich, „Afri­ka. Süd­li­ches Afri­ka. Einen Affen­brot­baum und zwei Män­ner. Einen jun­gen Mann schwar­zer Haut­far­be, der einen hel­len Anzug trägt, und einen älte­ren, einen wei­ßen Mann, der einen dun­kel­grau­en Anzug trägt, einen Stroh­hut und eine Bril­le. Eine stau­bi­ge Stra­ße. Men­schen, die schwarz sind und bewaff­net. Geweh­re. Mache­ten. Har­te Schat­ten. Spu­ren von Hit­ze, infer­na­li­scher Hit­ze. Sie sehen alle so aus, als schwitz­ten sie. Jawohl, alle, die dort auf der Stra­ße ste­hen, schwit­zen.“ — ::: — „Was noch?“ -, fragt sie, — „was siehst Du noch?“ – ::: — Sie fährt sich mit ihrer rech­ten Hand über die Stirn. – ::: — „Ich sehe ein Auto. Das Auto steht rechts hin­ter dem wei­ßen Mann, eine dunk­le Limou­si­ne, ein schwe­rer Wagen. Ich sehe einen Chauf­feur, einen Chauf­feur von schwar­zer Haut, Schirm­müt­ze auf dem Kopf. Der Chauf­feur lächelt. Er schaut zu den bei­den Män­nern hin­über, die unter dem Baum im Schat­ten ste­hen. Der wei­ße Mann reicht dem schwar­zen Mann die Hand oder umge­kehrt. Sieht ganz so aus, als sei der wei­ße Mann mit dem Auto ange­kom­men und der schwar­ze Mann habe auf ihn gewar­tet. His­to­ri­scher Augen­blick, so könn­te das gewe­sen sein, ein bedeu­ten­der Moment, eine ers­te Begeg­nung oder eine letz­te. Bei­de Män­ner haben erns­te Gesich­ter auf­ge­setzt, sie ste­hen in einer Wei­se auf­recht, als woll­te der eine vor dem ande­ren noch etwas grö­ßer erschei­nen. Da ist ein merk­wür­di­ger Aus­druck in dem Gesicht des jun­gen, schwar­zen Man­nes, ein Aus­druck von Über­ra­schung, von Ver­wun­de­rung, von Erstau­nen.“ – ::: — „Das ist es!“, sie flüs­tert. „Tref­fer!“- ::: — Jetzt lacht sie, öff­net ihre Fäus­te und das Licht kehrt zurück, der gan­ze Film. “Die Kli­ma­an­la­ge. Der ver­damm­te Wagen dort unterm Baum. Der Wei­ße hat dem Schwar­zen eine küh­le Hand gereicht, Du ver­stehst, eine küh­le Hand. Der Kerl hat­te eis­kal­te Hän­de.” — stop

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julio cortazar

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20.15 — Kur­ze Anlei­tung zum Glück­lich­sein, sagen wir so: Man ver­las­se das Haus. Auf­merk­sam jede Bewe­gung des Ver­kehrs beach­tend, gehe man so lan­ge durch die Stadt, bis man auf eine Buch­hand­lung trifft. Dort kau­fe man: Cor­ta­zar, Julio — Geschich­ten der Cro­nopi­en und Famen. Dann gehe man wei­ter spa­zie­ren, tra­ge den schma­len Band durch die Stra­ßen, bis man einen Park erreicht, wenn Som­mer, oder ein Café, wenn Win­ter ist. Dort neh­me man Platz und lese. Über den Umgang mit Amei­sen bei­spiels­wei­se, oder wie wun­der­bar ange­nehm es ist, ein Spin­nen­bein pos­ta­lisch an einen Außen­mi­nis­ter auf­zu­ge­ben. Oder man las­se sich im Uhren­auf­zie­hen oder im Trep­pen­stei­gen unter­wei­sen. Jetzt bereits wird man eine leich­te Wär­me spü­ren, die aus der Gegend des Bau­ches nach oben und unten in Arme und Bei­ne aus­wan­dert. Also lese man wei­ter, lau­sche jenen ange­neh­men Geräu­schen im Kopf, die­sem sagen wir: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf­fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenem: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. It works! — stop
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cinema

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12.52 — Neh­men wir ein­mal an, jen­seits der uns bekann­ten Lebens­zeit­räu­me wür­de eine Zeit exis­tie­ren, ein Zeit­ort, an dem wir unbe­grenzt anwe­send sein könn­ten, eine Gegend wei­ter­hin, von der aus wir in ein ver­gan­ge­nes Leben zurück­schau­en und rei­sen könn­ten, indem wir Fil­me geleb­ter Tage betrach­te­ten. Neh­men wir also an, die­ses Kino wür­de exis­tier­ten, dann soll­te ich von die­ser Stun­de an, — nicht eine Minu­te soll­te ich ver­schwen­den -, Fil­me von star­kem Licht ver­zeich­nen, Gedan­ken wie Erleb­nis­se behan­deln, sodass sie spä­ter gleich­wohl als Fil­me zu besich­ti­gen wären. Ich set­ze mich also in eine U‑Bahn oder in einen Park oder vor mei­nen Schreib­tisch und mache je einen Film für spä­ter nur mit dem Kopf. — stop

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gorilladame

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18.52 — Wäh­rend einer U‑Bahnfahrt eine zar­te Hand in einem schwar­zen Leder­hand­schuh, die sich mit ihrer Rück­sei­te in mei­ne Hand schmiegt. Für einen Augen­blick der Ein­druck, neben einer fein­glied­ri­gen Goril­l­a­da­me zu sit­zen. — stop
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uwe johnson

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3.05 — Ich weiß nicht wes­halb, heu­te Nacht fin­de ich mich mit Zoll­stock vor Uwe John­sons Jah­res­ta­gen wie­der. Ich beob­ach­te mei­ne Hän­de, wie sie das Maß einer Zei­le mes­sen, wie sie mit einem wan­dern­den Fin­ger die Lini­en einer Sei­te zäh­len, wie sie das Buch mit Luft durch­fä­chern, wie sie Zif­fern notie­ren auf ein Blatt Papier. Kurz dar­auf lie­gen lin­ke, als auch rech­te Hand ruhig auf dem Tisch, wäh­rend das Gehirn, das ihnen zuge­ord­net ist, laut­los rech­nend vor sich hin arbei­tet. Ich notie­re: Die gesam­mel­ten Zei­chen der Jah­res­ta­ge in ihrer Frank­fur­ter Son­der­aus­ga­be wür­den eine les­ba­re Ket­te von 6.4 Kilo­me­tern Län­ge bil­den, wenn sie in genau jener Rei­hen­fol­ge dem Buch ent­kom­men wür­den, wie von Uwe John­son ein­mal aus­ge­dacht. — stop

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pergament

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0.37 — In ein schüt­zen­des Kor­sett von Schaum­gum­mi gepresst, ruh­te eine Apfel­bir­ne unter wei­te­ren Früch­ten, sie glänz­te, als hät­te sie hohes Fie­ber. Habe sie mit nach Hau­se genom­men und ver­su­che gera­de eben her­aus­zu­fin­den, ob es sich bei die­ser Apfel­bir­ne um eine Bir­ne oder doch eher um einen Apfel han­deln könn­te. Zu die­sem Zeit­punkt, es ist kurz nach zwölf Uhr, mei­ne ich bereits her­aus­ge­fun­den zu haben, dass eine Apfel­bir­ne nach Bir­ne, nicht aber nach Apfel duf­tet, dass sie jedoch in Gestalt und Far­be einem gewöhn­li­chen Apfel ähn­li­cher ist, aller­dings wie­der­um in die Per­ga­ment­haut einer Bir­ne geklei­det. Ein gelun­ge­nes Objekt. Ein Objekt, das in mei­nem Gehirn leich­te Ver­wir­rung zu erzeu­gen ver­mag. Ein wenig ist das so, als wür­de man von einer Frau, die man liebt, eine zärt­lich aus­ge­führ­te Ohr­fei­ge erhal­ten. — stop

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liebeslaute

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1.55 — Seit ich ges­tern, gegen den Mor­gen zu, erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che ver­fü­gen, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich ist, immer wie­der die Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen soll­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen, das nur für mich bestimmt ist. Viel­leicht eine Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? Oder : Ich hör­te von Bäu­men! - Es ist 2 Uhr 10 und ich bin sehr gut gelaunt, weil ich etwas Lich­ten­berg gele­sen habe. Er schreibt um das Jahr 1774 her­um: Eine Fle­der­maus könn­te als eine nach Ovids Art ver­wan­del­te Maus ange­se­hen wer­den, die, von einer unzüch­ti­gen Maus ver­folgt, die Göt­ter um Flü­gel bit­tet, die ihr auch gewährt wer­den. – Wie aber soll­te ich einem Wal­freund Abu-Ghraib, Gros­ny, Dar­fur, Sim­bab­we, Tibet und Bur­ma erklä­ren, das Fol­tern, das Okku­pie­ren, das offe­ne und das heim­li­che Töten von Men­schen­hand? Und wie den Hun­ger? Und wie das Schwei­gen? — stop

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kinderwelten

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9.55 — Ich hat­te ein Kin­der­buch, das ich zufäl­lig in einer Kis­te ent­deck­te, vor mir auf den Schreib­tisch gelegt, illus­trier­te Erzäh­lun­gen aus Tau­send und einer Nacht. Ich konn­te mich an bei­na­he jedes Detail der Zeich­nun­gen, die sich in dem Buch befan­den, erin­nern, das heißt, ich erkann­te die Zeich­nun­gen wie­der, auch den Geruch des Papiers, einen Tin­ten­fleck, mei­ne kind­li­che Schrift, die eine der Erzäh­lun­gen kom­men­tier­te. Heu­te, ange­sichts zwei­er Buben, — sie kämpf­ten in einer U‑Bahn mit­tels hand­li­cher Kon­so­len ver­bis­sen gegen­ein­an­der -, die Vor­stel­lung, wie in Zukunft uralte Men­schen nicht Büchern, son­dern ihren Spiel­zeug­ma­schi­nen aus Kin­der­ta­gen begeg­nen, vir­tu­el­len Wel­ten von unge­heu­rer Rechen­leis­tung. — stop

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