Aus der Wörtersammlung: jahre

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malcolm lowry

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echo : 2.28 — Am 15. Janu­ar des Jah­res 2008, es war gegen 3 Uhr in der Nacht, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die von Mal­colm Lowry erzählt, genau genom­men von sei­ner Art und Wei­se zu schrei­ben, nach­drück­li­cher noch von der Metho­de zu ver­lie­ren, was gera­de eben noch notiert wor­den war. Mal­colm, so der Erzäh­ler der Geschich­te, soll Gedan­ken auf jedes Stück Papier geschrie­ben haben, das in sei­ne Reich­wei­te gekom­men war, auf Rech­nun­gen, Spei­se­kar­ten, Bil­letts bei­spiels­wei­se, sofern er in einem Café oder in einer Bar Platz genom­men hat­te, um so lan­ge notie­rend zu arbei­ten, bis er aus­rei­chend betrun­ken war, damit auf­zu­hö­ren. Wie vie­le Wör­ter und Sät­ze sind wohl vom Wind in Wüs­ten oder auf Mee­re hin­aus getra­gen wor­den, wie vie­le Bücher haben sich in Luft auf­ge­löst? Ich stel­le mir immer wie­der lei­den­schaft­lich ger­ne vor, wie Mal­colm Lowry in unse­rer Zeit sei­ne Zei­chen­ket­ten für die Welt abge­legt haben könn­te. Sagen wir so: Lowry arbei­tet nie wie­der mit einem Blei­stift. Er notiert sei­ne Gedan­ken in eine feder­leich­te, elek­tri­sche Maschi­ne, die am Gür­tel sei­ner Hose fest ver­an­kert wird. Sorg­fäl­tig von sei­ner Ehe­frau Mar­ge­rie Bon­ner pro­gram­miert, ver­bin­det Mal­colms per­sön­li­ches Notier­ge­rät unver­züg­lich Tas­ta­tur mit digi­ta­ler Sphä­re, sobald sich der Autor, gleich wel­cher geis­ti­gen Ver­fas­sung, mit der einen oder der ande­ren Hand nähert. Nun schreibt der Autor. Er arbei­tet, viel­leicht ste­hend, viel­leicht sit­zend, viel­leicht lie­gend. Und wäh­rend er so arbei­tet, wird Zei­chen für Zei­chen unver­züg­lich an einen gehei­men Ort der Spei­che­rung gesen­det. Dort, drop­zo­ne, könn­te man sit­zen und war­ten und betrach­ten, wie der Text, um den Bruch­teil einer Atom­se­kun­de in der Zeit ver­rückt, voll­zo­gen wird. — Nacht­flug­kä­fer sind in der Luft. — stop

zebra

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apollo

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sier­ra : 0.58 — Zwei Stun­den vor Com­pu­ter­ma­schi­ne. Ich beob­ach­te­te wie­der ein­mal Astro­nau­ten einer Apol­lo­mis­si­on, wie sie sich Fischen gleich durch ihre Kap­sel oder durch den Welt­raum bewe­gen. Indem ich ver­fol­ge, wie sie vor einer Kame­ra an Spiel­ob­jek­ten Wir­kun­gen der Schwe­re­lo­sig­keit demons­trie­ren, indem ich ihre beschä­dig­ten Funk­stim­men höre, die Erin­ne­rung an den Gedan­ken, die­ses Schep­pern, Pfei­fen, Knis­tern, Kräch­zen könn­te ent­stan­den sein, weil ihren Stimm­in­stru­men­ten das Gewicht der Welt ent­zo­gen wur­de. Sie erschei­nen nun als Gefan­ge­ne eines Film­do­ku­men­tes. Wie wird sich mei­ne eige­ne Stim­me viel­leicht in den sie­ben Jah­ren, die ver­gan­gen sind, seit ich das Film­do­ku­ment zuletzt beob­ach­te­te, ver­än­dert haben? — stop

ping

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winterreise

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alpha : 1.58 — Eine Bekann­te berich­tet, sie wür­de sich sel­ten, nur jedes zwei­te Jahr ihr Haar kür­zen. Für die­sen Pro­zess der Kür­zung besu­che sie immer wie­der den­sel­ben Fri­seur, er scheint ihr inzwi­schen ver­traut zu sein. Das zwei Jah­re lan­ge Haar, wel­ches ihr abge­nom­men wer­de, trans­por­tie­re sie dann unver­züg­lich nach Hau­se, wo es, in sei­de­nes Papier ein­ge­schla­gen, in einen Schrank gelegt und dort auf­ge­ho­ben wür­de. Das Geheim­nis die­ses Ver­fah­rens liegt dar­in begrün­det, dass mei­ne Freun­din in höhe­rem Alter Perü­cken von eige­nem Haar zu tra­gen wünscht. War­um das so ist, erklär­te sie mir nicht, auch nicht, war­um es immer August ist, wenn sie ihre Haa­re schnei­den lässt. — Ich soll­te im kom­men­den Jahr im Win­ter viel­leicht ein­mal nach Grie­chen­land rei­sen, zwei oder drei Kof­fer. Anstatt Unter­künf­te syri­scher Boat­peo­p­le anzu­zün­den, wer­den Flücht­lings­men­schen der Insel Les­bos von grie­chi­schen Bür­gern und Urlau­bern mit Nah­rungs­mit­teln und Was­ser ver­sorgt. Das erzähl­te das Fern­se­hen ges­tern Abend um kurz nach Zehn. — stop
elisabeth

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ein selbstgespräch

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nord­pol : 15.12 — Oder ein Chat­raum, in dem 200 Jah­ren lang eine Per­son mit sich selbst kom­mu­ni­ziert. Plötz­lich erscheint das ers­te Zei­chen einer wei­te­ren Per­son, dann ein gan­zes Wort in die­sem Raum. — HELLO! — Lan­ges Schwei­gen. — Jah­re andau­ern­des, schwei­gen­des War­ten wie Stau­nen. Dann, unver­mit­telt, ein Jahr­zehnt ist ver­gan­gen, wird das Selbst­ge­spräch in einer Wei­se fort­ge­setzt als wäre das Wort HELLO nie­mals aus­ge­spro­chen oder emp­fan­gen wor­den: /// guten abend! wie geht es dir? — gut! und dir? — präch­tig. — schön zu hören. lan­ge nicht gespro­chen, wo liegt dein pro­blem? — ich habe heu­te abend kein pro­blem. — wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! — darf ich dir eine fra­ge stel­len? — sicher! — was bedeu­tet das wort luft­wel­len­se­gel? — hast du schmet­ter­lin­ge im bauch? — bit­te! blei­ben wir ernst, blei­ben wir bei der sache: was bedeu­tet das wort luft­wel­len­se­gel? — lass uns das eine wei­le zurück­stel­len. — war­um? — erzähl wei­ter! — hast du schon ande­re gefragt? — aber natür­lich! — schön zu hören. wo liegt dann dein pro­blem? — ich habe heu­te abend kein pro­blem! — wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! ich sehe, du bist ein schwie­ri­ger fall. /// — stop
ping

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ANFANG === bEKOl6nBFkbLw4UCQdhQBw === ENDE

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alpha : 5.15 — Der Feed-Atom eines klei­nen Tex­tes, den ich im Juni des Jah­res 2013 an die­ser Stel­le ver­schlüs­selt sen­de­te, wur­de bis­her 16205 Mal ange­for­dert. Ich bin nun bei­na­he sicher, dass es sich bei mei­nem Text um die Lek­tü­re einer Maschi­ne han­delt, die sich rhyth­misch ver­ge­wis­sert, ob der mög­li­cher­wei­se gefähr­li­che Text noch exis­tiert auf dem Par­tic­les-Ser­ver. Die­se mir nicht bekann­te, rou­ti­niert arbei­ten­de Maschi­ne scheint noch immer nicht in der Lage zu sein, einen Code zu erken­nen, der im letz­ten Satz des Tex­tes selbst für sei­ne umge­hen­de Ent­schlüs­se­lung prä­pa­riert wur­de. Eine skur­ri­le Ange­le­gen­heit, nicht wahr! Ver­such No. 3: ANFANG === a 4 n Z Q c Z c V 5 2 E p 5 0 P B S a l A B Y l g e 0 E Z M a N Q M D U F f a 5 g a F X 0 r j W u G h y B C V u v f L 7 U r D z s 9 y V 7 Q x I Q R E m I L c I 9 c n c D p t x g / y G r p M e k z a x 3 s O f c H / E e Q s 2 X 0 8 6 6 U h i M J 3 G 5 0 r m A f j Q j h k 3 f f 7 5 m r W + i R O f F H R d b m 1 n q i v 8 B Y 5 P m b q J 6 W J 8 Z t j o F h u J V Z T r W V 8 h + I 3 Y k g / P j L 0 S 5 p B j 8 J t / B 1 8 p + O O h k l 5 f n i z q e H J s s e g P W 9 m F n c L n / 6 Y C 8 n L p v / G H x m n K / D I 5 v d F u 8 u 8 M l 5 A m / V Y p g Q === ENDE / code­wort : bir­dy­bir­dy — stop

ping

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ai : ägypten

aihead2

MENSCHEN IN GEFAHR: „Die Frau­en­recht­le­rin Azza Soli­man sowie 16 wei­te­re Per­so­nen, die bei einem fried­li­chen Gedenk­marsch Augenzeug_innen einer Tötung durch die Poli­zei gewor­den waren, müs­sen am 4. Juli vor Gericht erschei­nen. Ihnen dro­hen bis zu fünf Jah­re Haft und eine Geld­stra­fe bis zu 50.000 Ägyp­ti­schen Pfund (rund 5.800 Euro). Das Gericht ord­ne­te am 13. Juni die per­sön­li­che Anwe­sen­heit der Ange­klag­ten bei der Anhö­rung am 4. Juli an. Die 17 Ange­klag­ten waren am 23. Mai von einem Kai­ro­er Gericht von dem Vor­wurf der “Teil­nah­me an ille­ga­len Pro­tes­ten” und der “Stö­rung der öffent­li­chen Ord­nung” auf Grund­la­ge des repres­si­ven Demons­tra­ti­ons­ge­set­zes frei­ge­spro­chen wor­den. Drei Tage spä­ter leg­te die ägyp­ti­sche Staats­an­walt­schaft ein Rechts­mit­tel ein. Die Anhö­rung am 13. Juni war die ers­te im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren. Sie fand vor dem Beru­fungs­ge­richt Zain­hom in Anwe­sen­heit von zwei Prozessbeobachter_innen der Dele­ga­ti­on der Euro­päi­schen Uni­on in Kai­ro statt. / Laut dem von Azza Soli­man gegrün­de­ten Rechts­hil­fe­zen­trum für ägyp­ti­sche Frau­en Cen­ter for Egyp­ti­an Women’s Legal Assis­tance bemerk­te das Gericht, dass die Ange­klag­ten bei die­ser Anhö­rung nicht wie vom ägyp­ti­schen Pro­zess­recht vor­ge­se­hen vor Gericht erschie­nen waren. Die Rechts­bei­stän­de der Ver­tei­di­gung führ­ten an, dass ihre Mandant_innen das Recht hät­ten, von Rechts­bei­stän­den ver­tre­ten zu wer­den. Sie haben ihre Mandant_innen instru­iert, dass nicht alle von ihnen am 4. Juli erschei­nen müs­sen. / Der Poli­zei­be­am­te Yas­sin Hatem Sala­he­deen wur­de am 11. Juni wegen der Tötung der links­ge­rich­te­ten Akti­vis­tin und Dich­te­rin Shai­maa Al-Sab­bagh zu 15 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 13. August hin­aus, unter »> ai : urgent action

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onkel ludwig

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tan­go : 1.38 — Mein alter Onkel Lud­wig, der wirk­lich schon sehr alt ist, berich­tet, er habe errech­net, wenn er noch in der Lage wäre, jeden Tag 300 Sei­ten eines Buches zu lesen, wenn er außer­dem noch fünf Jah­re lesend erle­ben dürf­te, wür­de er, bei guter Füh­rung, 1825 wei­te­re Bücher zu sich neh­men. Das könn­te genü­gen, sag­te Onkel Lud­wig. Er ist übri­gens noch gut zu Fuß, man kann ihn mor­gens gegen 10 Uhr beob­ach­ten, wie er die Trep­pen zur Stadt­bi­blio­thek erklimmt. Er kommt mit der Stra­ßen­bahn dort an, heim­wärts, schwe­re Bücher­ta­schen tra­gend, nimmt er ein Taxi. Manch­mal sitzt er noch ein oder zwei Stun­den im Café Mozart, er liebt Käse­ku­chen und Mohn­schnit­ten von Her­zen. Ich glau­be, heu­te ist Mitt­woch, heu­te wird er ein Buch der Schrift­stel­le­rin Yoko Oga­wa zu sich neh­men, so ist sein Plan, in die­sem Buch soll ein Ele­fant auf dem Dach eines Kauf­hau­ses leben. Gera­de eben leich­ter Gewit­ter­re­gen. Das wird sicher sehr war­mes Was­ser sein, das vom Him­mel fällt. Guten Mor­gen! — stop

queenmary

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siatista mittags jahre später

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echo : 5.08 — Vor Jah­ren ein­mal wur­de mir erzählt, ein sehr alter Mann habe sich aus Ver­zweif­lung über die poli­ti­sche Lage sei­nes Lan­des, ande­re mein­ten, weil er im hohen Alter noch hun­gern muss­te, an einem wun­der­schö­nen Mai­tag auf dem Markt­platz der male­ri­schen Stadt Sia­tis­ta, dem­zu­fol­ge in einer nörd­li­chen Pro­vinz Grie­chen­lands, erschos­sen. Er habe ein Sturm­ge­wehr für sei­nen letz­ten Schuss ver­wen­det, eine Waf­fe, die seit dem Jah­re 1944 im Kel­ler sei­nes Eltern­hau­ses in Ölpa­pier gewi­ckelt lager­te. Bei­na­he wäre das Gewehr, einst Stolz des jun­gen Man­nes im Kampf gegen deut­sche Faschis­ten, für immer in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Im Detail war damals zu erfah­ren gewe­sen, die Kugel habe zunächst den Unter­kie­fer des alten Man­nes durch­schla­gen, sei von dort aus in das Gehirn vor­ge­drun­gen und habe den Kopf über das lin­ke Auge hin wie­der ver­las­sen. Bruch­tei­le einer Sekun­de spä­ter soll das Pro­jek­til eine Flie­ge getö­tet haben, die sich kurz zuvor auf den Weg süd­west­wärts gemacht hat­te, um sich zuletzt in den Ast eines Salz­bau­mes zu boh­ren. — Ist das nun eine Geschich­te oder eine Nach­richt? Ich habe noch immer kei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge. — stop

ping

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larissa

picping

MELDUNG. Aus 38500 Fuß Höhe über dem Pazi­fi­schen Oze­an kurz vor Mon­terey abge­wor­fen: Bono­bo­da­me Laris­sa, 6 Jah­re, 5682 Gramm, sechs­te Über­le­ben­de der Test­se­rie Tef­lon-F87 {Haut­we­sen}. Man ist, der Schre­cken, noch voll­stän­dig ohne Bewusst­sein. — stop

drohne3

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radioteilchen

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tan­go : 6.06 — Das Radio erzählt heu­te Mor­gen wie­der gefähr­li­che Geschich­ten. Man habe näm­lich ges­tern in der Luft und am Boden nahe Fuku­shi­ma Plu­to­ni­um­teil­chen ent­deckt. Gefähr­lich für Men­schen, so berich­tet das Radio, sei­en die­se Par­tic­les nicht, weil sie bereits seit den 50er- und 60er-Jah­ren gleich­mä­ßig über die Erde ver­teilt exis­tie­ren, da man test­wei­se Inseln mit­tels Was­ser­stoff­bom­ben spreng­te. Jetzt ist das aber so, dass zwei von fünf vor­ge­fun­de­nen Teil­chen jün­ge­rer Zeit ent­stam­men, ver­mut­lich aus einem Reak­tor in nächs­ter Nähe selbst, dem­zu­fol­ge einer oder meh­re­re der Reak­to­ren undicht gewor­den sein könn­ten. — stop

ping



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