Aus der Wörtersammlung: luft

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bild schlafen

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whis­key : 2.15 — Vor dem Fens­ter knis­tern Kas­ta­ni­en­bäu­me, viel­leicht davon sind Vio­let und Dai­sy auf­ge­wacht. Ein lei­ses Geräusch zunächst, das schnur­ren­de Geräusch einer Peda­le, dann das Klap­pern einer Schreib­ma­schi­ne im ange­nehm war­men Licht eines höl­zer­nen Zim­mers lan­ge vor mei­ner Zeit. Was für eine selt­sa­me Schreib­tisch­lam­pe! Und wie die Mäd­chen lächeln, in einer Wei­se lächeln, dass sie zu leuch­ten schei­nen. Es sieht ganz so aus, als hät­te das eine Mäd­chen dem ande­ren Mäd­chen gera­de eben noch eine Geschich­te erzählt. Zufrie­den lauscht sie ihren Wor­ten nach, wäh­rend das ande­re Mäd­chen die Geschich­te in die Maschi­ne notiert. Zwei Mäd­chen exakt glei­chen Alters, viel­leicht schon jun­ge Frau­en. In die­sem Moment, in die­ser Minu­te, da ich wie­der ein­mal notie­re oder bemer­ke oder erin­ne­re, dass Dai­sy und Vio­let Hil­ton an einer Stel­le ihres Kör­pers der­art inein­an­der ver­wach­sen sind, dass kein Luft­raum sie je von­ein­an­der tren­nen wird, wie­der der ver­trau­te Ein­druck, dass ich ihnen zu nahe kom­men könn­te, indem ich ihnen schrei­be. Und tat­säch­lich sind sie nun wach gewor­den. Wie Dai­sy ihren Kopf zur Sei­te neigt, eine kaum wahr­nehm­ba­re Bewe­gung. Wie ich müde wer­de von einer Sekun­de zur ande­ren. Wie Dai­sy noch sagt: Vio­let, schau, ist das nicht ein merk­wür­di­ger Mann? War­tet so lan­ge, war­tet und war­tet, dass wir uns bewe­gen. Und jetzt ist er eingeschlafen.

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am viktoriasee

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lima : 5.18 — Am Vic­to­ria­see Men­schen, jun­ge Men­schen und alte Men­schen, wie sie sich durch modern­de Abfäl­le einer Fisch­fa­brik wüh­len. Gel­be Augen. Salz­wun­de Hän­de. Ver­ei­ter­te Füße. Bauch­bal­lo­ne. stop. Beob­ach­te­te zum fünf­ten Male den Doku­men­tar­film Dar­wins Alb­traum war­um? Kurz dar­auf notier­te ich: Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. Und ich dach­te noch, das geht heu­te nicht, solch ein Satz doch nicht nach jenem Film in die­ser Nacht. Lan­ge Zeit schon ist von afri­ka­ni­schen Eis­fi­schen zu erzäh­len, von Luft­rei­sen­den in rus­si­schen Waren­trans­port­flug­zeu­gen gegen den Nor­den zu, von all dem Elend erzäh­len, das sie bewir­ken, vom Hun­ger, von dem ich mit eige­nen Ohren hör­te, von Nil­barsch­fi­lets, vom rasen-höl­zer­nen Fleisch auf kost­ba­ren Tel­lern euro­päi­scher Sand­ma­nu­fak­tu­ren. stop. Wie erzäh­len? stop. Wem erzäh­len? stop. Bald wie­der Däm­me­rung. stop. Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. — stop

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mauritius

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nord­pol

~ : louis
to : Mr. lichtenberg
sub­ject : MAURITIUS

Mein lie­ber Lich­ten­berg, wie uner­mess­lich mei­ne Freu­de, seit ich weiß, dass Sie lesen, was ich notie­re. Noch immer bin ich wie benom­men, sit­ze her­um und über­le­ge, ob sich nun mei­ne Schreib­welt mög­li­cher­wei­se wesent­lich ver­än­dern wird. Nicht leicht, für einen klei­nen Schrift­stel­ler, wie ich einer bin, zu wis­sen, wer von oben her zusieht, ohne sofort alle Unbe­fan­gen­heit zu ver­lie­ren. Neh­me an, Sie haben einen voll­stän­di­gen Blick auf mich, auf mei­ne Per­son, nicht nur auf Zei­chen und Bil­der. Ganz sicher beob­ach­te­ten Sie des­halb mei­nen Luft­sprung ges­tern, kurz nach­dem ich das Post­fach geöff­net hat­te. Ihr Brief, das wun­der­bar kräf­ti­ge und raue Papier des Cou­verts, ein Stem­pel auf einer blau­en Mar­ke. Eine Mau­ri­ti­us, nicht wahr? Ich habe, nein, nein, ich habe sie nicht über­se­hen und wenn ich mich nicht irre, aus­ge­sorgt, mit Ihrer Hil­fe bis an mein Lebens­en­de. Jetzt fra­ge ich mich natür­lich, schrei­ben Sie denn noch mit der Hand dort oben? Sit­zen Sie auf Stüh­len oder schwe­ben sie her­um und den­ken sich alles nur aus und sofort aufs Papier? Wird noch Nacht und Tag oder ist immer­zu das rich­ti­ge Licht, so wie Sie’s gera­de brau­chen? Ob sie mir wohl manch­mal zuhö­ren, ver­zeich­nen, was ich spre­che, wenn ich träu­me? — Ihr Lou­is, mit herz­li­cher Freude!

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luftpost

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alpha : 23.52 – Ein­mal lag ein bun­tes Stück Papier auf mei­nem Schreib­tisch, ein Luft­post­brief. Als ich das Cou­vert des Brie­fes genau­er betrach­te­te, das heißt, als ich den Brief so nahe an mei­ne Augen her­an­führ­te, dass ich die Stem­pel­ein­trä­ge sei­ner Anschrif­ten­sei­te ent­zif­fern konn­te, bemerk­te ich, dass der Luft­post­brief bereits vor lan­ger Zeit in Euro­pa auf­ge­ge­ben und über den Atlan­tik geflo­gen wor­den war. In Sant­ia­go de Chi­le dann ange­kom­men, konn­te der Brief nicht zuge­stellt wer­den, ver­mut­lich weil die Zei­chen, die den Brief beschrif­te­ten, kaum zu ent­zif­fern gewe­sen waren. Nach eini­gen Wochen War­te­zeit, reis­te der Brief, nun mar­kiert mit einem Schild­chen in blau­er, spa­ni­scher Far­be: Impo­si­ble de ent­re­gar! *, über den Atlan­tik zurück, um sich nur weni­ge Tage spä­ter erneut auf den Weg über das Meer nach Chi­le zu bege­ben. Ein wei­te­rer Schrift­zug war hin­zu­ge­kom­men, ein fei­ner, aber groß­zü­gi­ger Stem­pel­auf­druck: -Die­se Sen­dung wur­de von einem Blin­den geschrie­ben!- Zwei fri­sche Wert­mar­ken, nichts sonst ver­än­dert. Und so mach­te sich der Brief bald dar­auf ein vier­tes Mal auf den Weg über das Meer wie­der nach Euro­pa zurück und lan­de­te, weiß der Him­mel, war­um, in mei­ner Nähe, in der Nähe mei­ner Schreib­ma­schi­ne. — stop

* Nicht zustellbar

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nachtzeppelin

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echo : 2.18 — Ein Zep­pel­in­kä­fer, selt­sa­mes Wesen, schweb­te kurz nach 1 Uhr heu­te Nacht eine schnur­ge­ra­de, eine unsicht­ba­re Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. — Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. — Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit acht recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. – Guten Mor­gen! Heu­te ist Sams­tag. Leich­ter Regen viel­leicht. — stop

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dos passos

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Abschnitt Montauk mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : | stop | Wrack­tei­le [ See­fahrt — 8678, Luft­fahrt — 1887, Auto­mo­bi­le — 22851 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 12, 19. Jahr­hun­dert – 26, 20. Jahr­hun­dert – 577 , 21. Jahr­hun­dert — 332 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 257, gelöscht : 56 ], Manu­skript­sei­ten [ John Don Pas­sos – Man­hat­ten Trans­fer 3 ], Öle [ 1.3 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz – Rhyth­mus – Beschleu­ni­ger – 78, Knie­ge­len­ke – 3, Hüft­ku­geln – 46, Bril­len – 654 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 37 : 2112 , Grö­ßen 38 — 45 : 5932 ], Kühl­schrän­ke [ 295 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 10, mit Tau­cher – 53 ], Engels­zun­gen [ 18 ] | stop |

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elefanten

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zou­lou : 8.30 — In der ver­gan­ge­nen Nacht träum­te ich eine lus­ti­ge Geschich­te, das heißt, ich träum­te mich in ein Bild, das mir bekannt zu sein schien, wes­halb ich ein Selbst­ge­spräch führ­te, in etwa so, als wür­de ich einen Film kom­men­tie­ren. Als ich wach gewor­den war, erin­ner­te ich mich, vor eini­ger Zeit eine Traum­ge­schich­te auf­ge­zeich­net zu haben, die von selt­sa­men Men­schen­oh­ren erzähl­te. Und tat­säch­lich habe ich die­se Geschich­te und mit ihr den Traum der ver­gan­ge­nen Nacht soeben wie­der­ge­fun­den, sodass heu­te Mor­gen nichts zu tun ist, als die Wie­der­ho­lung des Trau­mes von den selt­sa­men Ohren und sei­nen Zei­chen­schat­ten auch an die­ser Stel­le zu doku­men­tie­ren. Ich saß also vor län­ge­rer Zeit und noch vor weni­gen Stun­den > in einem Café nahe einem Meer unter Män­nern, die Go oder etwas ande­res spiel­ten mit klei­nen, run­den, bern­stein­far­be­nen Stei­nen. Die Luft an die­sem Ort war heiß und tro­cken, des­halb wun­der­te ich mich nicht, dass die Män­ner, die von hohem Alter gewe­sen waren, sich mit gewal­ti­gen Ohren Luft zufä­chel­ten in der Art und Wei­se der Ele­fan­ten. Selt­sa­me Geräu­sche waren zu hören, schwe­re, knar­zen­de Töne, als wür­de an höl­zer­nen Schrau­ben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hin­durch sehen konn­te. Sobald sie hin­ter den ver­wit­ter­ten Köp­fen zusam­men­schlu­gen, wur­den die Augen der Her­ren zu Schlit­zen, beweg­ten sich die luf­ti­gen Häu­te zurück, öff­ne­ten sie sich. Hin­ter dem Tre­sen däm­mer­te ein wei­te­rer Mann, der hat­te sich mit sei­nem Per­ga­ment das Gesicht zuge­deckt. Ich betrach­te­te ihn eine Wei­le, und schon war ich, noch im Ste­hen, dem heu­ti­gen Tag zu ein­ge­schla­fen. – Guten Mor­gen! Heu­te ist Sonntag.

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feuerbäume

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nord­pol : 2.15 — Im Süden, in den Ber­gen, liegt ein Tal in gro­ßer Höhe, eine Hoch­ebe­ne, die dicht von Ahorn­bäu­men bewach­sen ist. Jedes Jahr im Herbst möch­te man mei­nen, ein gro­ßes Feu­er sei im Tal unter den Bäu­men aus­ge­bro­chen, eine Feu­ers­brunst, die nicht nur alle die ver­wit­ter­ten Bäu­me ver­schlin­gen woll­te, son­dern gleich noch ein paar Berg­gip­fel und Dör­fer dazu. Aber das ist natür­lich Unsinn, die Luft ist für ein wirk­li­ches Feu­er viel zu kalt und die Wie­sen unter den Bäu­men sind saf­tig und feucht. Libel­len, schon lang­sam gewor­den, flie­gen auf und ab. Sie ahnen den Win­ter, wie die Sumpf­dot­ter­blu­men, die mor­gens nur noch außer­ge­wöhn­lich auf­ste­hen wol­len. Nichts Auf­re­gen­des also in die­ser Land­schafts­be­schrei­bung. Alles das kommt vor in den Ber­gen, auch Schu­len blut­jun­ger Ken­tau­ern, die in der Däm­me­rung ver­geb­lich nach Hasen jagen. Wenn da nicht jene selt­sa­men Pil­ze wären, die noch ohne Namen sind, weil man sich bis­her nicht eini­gen konn­te, ob sie nun tat­säch­lich noch Pil­ze oder nicht doch schon ganz ande­re Wesen sind. Solan­ge das Son­nen­licht ins Tal ein­fal­len kann, ver­ste­cken sie sich zwi­schen den Grä­sern der Berg­wie­se in Gestalt der Bovis­te, sobald es aber dun­kel gewor­den ist, ich kann ihnen sagen, flie­gen sie los. Sie ent­fal­ten Schir­me von unglaub­li­cher Grö­ße und leuch­ten in zitro­nen­gel­ber Far­be und schwe­ben stun­den­lang und laut­los dicht über die Kro­nen der Ahorn­bäu­me dahin. Was haben Pil­ze dort oben am Him­mel ver­lo­ren? Und wie fin­den sie wie­der zurück auf die Erde? War­um über­haupt kom­men sie zurück? Selt­sa­me Sub­stan­zen. Ich muss das im Auge behal­ten. – Es ist jetzt kurz nach 2 Uhr. Eigent­lich hat­te ich vor, einen klei­nen Brief an Kenzabu­ro Oe zu schrei­ben, um ihm mit­zu­tei­len, dass Mrs. Cal­las ges­tern in den frü­hen Mor­gen­stun­den end­gül­tig abrei­sen konn­te, dass sie für mich wie­der zu rei­nen Schrift­zei­chen gewor­den ist. Für die­sen Brief ist es jetzt zu spät. Wer­de mor­gen eine Depe­sche notie­ren. — stop

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