himalaya : 0.12 — Menschen, die telefonierend in U‑Bahnen sitzen, machen Geräusche, als funkten sie aus einer anderen Zeit herüber, als wären sie Konserve, als würde eine uralte Schallplatte abgespielt, als würden sie in einem U‑Boot langsam sinken, kreischende, knisternde, krachende Töne aus tonnenschwerer Tiefe, aus dem Inferno spielender Kraken Stimmen, die Fragmente flüstern, so dass man nur noch verdammte letzte Dinge antworten kann. Dann aber Stille. Ein weiteres Ende. Man steht herum, man weiß nichts zu tun, man öffnet die Tür, Salz stürzt die Treppe herauf, und Luft, eine Welle feuchter Luft, vom Wasser gehetzt, das bereits um die Ecke donnert. Kaum hat man einen Gedanken gefasst, ist alles geflutet, der Flur, das Bad, die Lunge. Jetzt treiben sie herein, schweben in der Küche herum, machen Zeichen und Sätze, berichten von kleinen Schreibtischkriegen, Kommandanten der Tage.
Aus der Wörtersammlung: luft
sonarhupen
tango : 0.52 — Abends seewärts im Palmengarten. Notierte das Wort Venenstern in die Maschine. Ein Falter setzte sich auf den beleuchteten Bildschirm und tastete mit seinen Fühlern nach den Zeichen des Wortes, vielleicht deshalb, weil das leuchtende Weiß des Bildschirmhintergrundes Luft, die Zeichen dagegen ein Etwas bedeuteten, einen Schatten, mit dem kommuniziert werden konnte. — Habe beobachtet, dass ich, wenn ich mit meinen Ohren nach Geräuschen suche, die nicht hörbar sind, meine Augen öffne so weit ich kann. — Einmal, für eine Stunde nur, über das Vermögen verfügen, den Sonarhupen der Abendsegler lauschen zu können.
blutgefäss
romeo : 0.05 — Einmal, an einem heißen Sommerabend, durchwanderte ich eine Stadt. Sie lag bereits unterm Nachtzeppelin, weshalb ich nicht sofort bemerkte, dass an der Innenseite meines linken Oberschenkels ein voluminöses Blutgefäss aus der Fassung gesprungen war. Der seltsame Eindruck, während ich spazierte, ein kleines Tier würde mich kosend berühren. Kurz darauf notierten Fahrgäste eines U‑Bahnwagons, ich würde, derart weit geöffnet, vielleicht bald ernsthaften Schaden erleiden. Und tatsächlich, da war ein Schlauch von dunkelblauem Gummi, der nahe meiner Leistengegend unruhig durch die Luft zappelte. Ich konnte seine Bewegung sehr gut erkennen, weil ich, weiß der Himmel warum, insgesamt nicht bekleidet gewesen war. Eine ältere Dame, eine Ärztin, nahm dann Platz in meiner Nähe. Mit bloßen Händen erweiterte sie meinen Schenkel bis hin zum Knie, so dass weitere Schläuche aus dem Oberschenkel fielen, die sie sortierte, während sie gelassen eine Melodie vor sich hin summte. Da waren Strukturen, kein Blut, in gelber, in roter, in grüner, in blauer Farbe. Indem sie an einem der geschmeidigen Röhrchen zog, an einem filigranen Gefäß, nein, an einem hauchdünnen Seilzug, sandfarben, schloss sich das linke meiner Augen gegen meinen Willen, und die Ärztin lachte und sagte, schau her, wie schön bunt Du doch bist. Wenn ich hier ein wenig ziehen werde, machst Du auch noch das rechte Auge zu. Dann wach. — Heute ist Sonntag, bald wieder Nacht. Geträumt habe ich bereits am Samstag.
chatraupe
olimambo : 0.10 – Auf dem Fensterbrett. Schau auf die Straße hinunter und höre seltsamen Schwalben zu, wie sie pfeifend und fressend durch die Nachtluft flitzen. Angenehme Stunde, obwohl mir gerade nichts einfällt, weil befangen von Fernsehbildern, die ich vor einer Stunde noch beobachtet habe. Froh, dass ich das Fernsehgerät endlich ausschalten konnte. Und wenn ich nun vom Fenster aus ins Zimmer schaue, sehe ich einen weiteren Text, als meinen schweigenden Text, zeilenweise auf dem Bildschirm meiner großen Schreibmaschine entstehen, ohne dass ich zur Entstehung dieses Text etwas beitragen müsste. Der Text schreibt sich langsam schwingend wie eine Raupe vorwärts. Natürlich ist dieser Text auf dem Bildschirm kein Lebewesen, wie eine Raupe ein Lebwesen ist, das sterben, also aufhören könnte. Dieser Text ist das Ergebnis einer Schreibarbeit, die fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Menschen in diesem Moment in ihren Chatprogrammmasken verrichten. Der Verdacht, der Text schreibt sich auch dann, wenn ich nicht anwesend bin. — Acht Uhr zwölf in Rangen, Burma. — stop
pullmann
echo : 0.02 – Im Traum im Pullmannwagon durch eine seltsame Landschaft gereist. Ich stand an einem Fenster. Warmer Wind fuhr mir übers Gesicht, und die Luft duftete nach Zimt und blaue Frösche schwirrten wie Vögel herum. Sie waren blind, weshalb ich hören konnte, wenn sie in den Erdboden rasten oder gegen den Zug, Geräusche, für die auch in dieser frühen Mainacht noch kein angemessenes Wort in meinem Kopf existiert. Einmal fuhr der Zug an einem Fluss entlang. An den Ufern dieses Flusses standen tausende Angelruten in den Boden versenkt. Maschinen bezupften die Seile der Ruten, pling : pling : pling. Sie schleuderten Fisch um Fisch an Land, auch Menschen, ganze Menschen, oder Arme, oder Beine von Menschen. Diese Menschen zappelten, wie die Fische zappelten, und auch die Arme und Beine zappelten im Sand und schnappten vergeblich nach Luft.
oe
marimba : 1.15 — Saß frühabends am See unter blühenden Akazienbäumen. Vielleicht deshalb, weil die Akazien blühn, niesen in diesen Tagen und Nächten die Schwäne und auch die Rotwangenschildkröten niesen und alle Enten. Hör sie noch aus großer Entfernung, feine, helle Luftgeräusche, während ich am Schreibtisch sitze und Kenzaburo Oe’s Roman Der Stolz der Toten beobachte, das geschlossen vor mir liegt. Gleich werd ich das Buch öffnen und seine Zeichen zählen.
bagdad
nordpol : 0.05 — In Bagdad spricht ein Reporter vor einer Fernsehkamera. Menschen, Passanten, schauen ihm über die Schulter, sie machen Victoryhandzeichen in Richtung der Kamera und lachen. Im Hintergrund kreuzt ein Cruise Missile eine Straße. Der Flugkörper kommt von rechts und fliegt nach links, er fliegt genau in Ampelhöhe und gerade so schnell, dass er nicht zu Boden fällt. Er fliegt in einer Art und Weise, als würde er sich an Verkehrsregeln halten. Kurze Zeit später eine Detonation, kaum hörbar, aber gut sichtbar, eine Erschütterung des Bodens, eine Erschütterung der Luft, eine Erschütterung, die auf den Körper des Kameramannes einwirkt, die sich durch den Körper des Kameramannes fortsetzt bis zur Kamera hin und die Stabilität des Bildes beeinflusst. Auch Horizont und Himmel sind erschüttert, wie die Menschen und ihre Victoryzeichen. stop. Würden SIE eine 500-Pfund-Bombe nach einem Menschen werfen?
doppelhelix
echo : 0.01 — Eine Fotografie, die James Watson und Francis Crick vor ihrem Modell einer DNA-Doppelhelix zeigt. Der Eindruck, Watson würde einen an der Zimmerdecke lungernden Trompetenkäfer betrachten, dessen Gattung zum Zeitpunkt der Aufnahme sich bereits abzuzeichnen beginnt.
Vielleicht sollte ich sagen, dass Trompetenkäfer rein pneumatische Arbeiter sind, während Posaunenkäfer sowohl pneumatische als auch mechanische Verfahren der Tonerzeugung in sich vereinigen. Drummer knallen elektrisch. Bassisten verfügen über einen Körper von ungewöhnlicher Länge, über ein Gehäuse, welches von feinsten Lamellenknochen ausgebildet sein wird. Gerade diese wohlklingenden Wesen werden eines Tages mit Zigarren leicht zu verwechseln sein. Das Erstaunliche an musizierenden Käferwesen ist, dass sie den Musiker sowohl, als auch ein Instrument, das von Menschen erfunden wurde, mit sich führen, dass sie also symbiotische Wesen sind.
nachtblüten
echo : 7.01 — Hörte Nachtblüten. Wie sie sich öffnen. Wie sie sich schliessen. Luft pumpende Wesen
marlene
echo : 8.15 — Drei Wochen zurück schrieb ich einen Brief an Y. Ich schrieb folgenden Satz : Hast Du schon einmal Deine Hände aus der Luft betrachtet? Heute erreicht mich seine Antwort : Apollo. Apollo. stop. Begeistert etwas Zeit in Sidney Lumets Verdict verbracht. Ein herrlich spielender Newman. Feine, knisternde Glasgeräusche, als würde der Film in jedem nächsten Moment in tausend Stücke zerspringen. Kurz darauf nähert sich Maximilian Schell in Paris Marlene Dietrich. Ihre Stimme aus dem Off, die von dort ein wenig so klingt, als würde sie ein Glas Cognac getrunken haben oder zwei. Eine singende Stimme. Eine Stimme, die singt und spricht zur gleichen Zeit. Einmal will Maximilian Schell ihr eine männliche Frage stellen. Marlene Dietrich : Was isn das?