Aus der Wörtersammlung: mensch

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papiere

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marim­ba : 5.02 — Auf einer Brief­mar­ke sind deut­lich Men­schen zu erken­nen, die im Was­ser schwe­ben. Sie bewe­gen sich lang­sam, grü­ßen oder alar­mie­ren mit win­ken­den Bewe­gun­gen ihrer Arme und Hän­de, drei Gestal­ten, drei Per­so­nen. Der Brief, auf dem das merk­wür­di­ge Post­wert­zei­chen vor län­ge­rer Zeit augen­schein­lich mit Spei­chel befes­tigt wor­den war, ruht auf mei­nem Küchen­tisch. Dort herrscht Unord­nung, weil ich für Unord­nung sorg­te. Am Frei­tag habe ich mit der Unord­nung ange­fan­gen, indem ich mei­ne alte mecha­ni­sche Schreib­ma­schi­ne zer­leg­te. Zunächst ent­fern­te ich das Gehäu­se der Schreib­ma­schi­ne, dann die Tas­ta­tur, kurz dar­auf die Papier­wal­ze der Schreib­ma­schi­ne, sowie eine Klin­gel, deren Geräusch ich mit der Metho­de des Schrei­bens zu frü­he­ren Zei­ten ver­bin­de. Sie war gedacht, wenn ich mich recht erin­ne­re, den schrei­ben­den Men­schen dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass das Ende der Zei­le, an der er gera­de arbei­te­te, bald erreicht sein wird, auch damals ging man schon davon aus, dass Men­schen exis­tie­ren, die wäh­rend des Schrei­bens ins­be­son­de­re ihre Hän­de betrach­ten, Fin­ger, wie sie über die Tas­ta­tur hüp­fen, so dass sie das Papier, das sie beschrei­ben, über­haupt nicht wahr­neh­men, wes­halb sie ver­säu­men könn­ten, den Papier­wal­zen­schlit­ten der Schreib­ma­schi­ne zurück­zu­set­zen, um eine wei­te­re Zei­le zu begin­nen. Wäh­rend ich die Maschi­ne zer­leg­te, bemerk­te ich, dass jedes ihrer Ein­zel­tei­le in wei­te­re Ein­zel­tei­le zer­legt wer­den konn­te. Bald arbei­te­te ich mit einer Lupe, bald waren Schrau­ben, Stre­ben, metal­le­ne Häu­te von einer Klein­heit, dass ich fürch­te­te, ich könn­te sie ver­se­hent­lich atmend zu mir neh­men. Ich arbei­te­te Stun­de um Stun­de vor­an, ohne dar­an zu den­ken, einen Plan zu fer­ti­gen, der mich in die Lage ver­set­zen wür­de, die zer­leg­te Schreib­ma­schi­ne wie­der zu einer voll­stän­di­gen funk­tio­nie­ren­den Ein­heit zu fügen. In die­ser Zeit der Auf­lö­sung, lag der Brief win­ken­der Brief­mar­ken­men­schen in nächs­ter Nähe. Eine wun­der­vol­le blaue Brief­mar­ke, auf einem Brief, den ich zur­zeit noch immer nicht geöff­net habe, ich neh­me an, weil ich noch ein wenig wei­ter schla­fen will. — stop

unterwassertapete7

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aleppo

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romeo : 0.15 — Ärz­te ohne Gren­zen notie­ren am 15. Okto­ber 2016: „Syri­sche und rus­si­sche Luft­an­grif­fe haben inner­halb von 24 Stun­den vier Kran­ken­häu­ser im bela­ger­ten Ost-Alep­po getrof­fen. Eines der Kran­ken­häu­ser wur­de dabei schwer­be­schä­digt, min­des­tens zwei Ärz­te wur­den ver­letzt. Auch ein Kran­ken­wa­gen wur­de bei den Angrif­fen zer­stört und des­sen Fah­rer getö­tet. / Das Gesund­heits­sys­tem im bela­ger­ten Ost-Alep­po erlitt damit am 14. Okto­ber die schwers­ten Schä­den seit dem Schei­tern der kur­zen Waf­fen­ru­he Ende Sep­tem­ber. Die Inten­si­tät der Luft­an­grif­fe auf die nord­sy­ri­sche Stadt nahm in den Tagen zuvor wei­ter zu. / Laut der Direk­ti­on für Gesund­heit sowie dem foren­si­schen Zen­trum in Ost-Alep­po star­ben dort zwi­schen dem 11. und dem 14. Okto­ber min­des­tens 62 Men­schen, 467 Men­schen wur­den ver­letzt, dar­un­ter 98 Kin­der. Die Zahl der Toten und Ver­wun­de­ten liegt mög­li­cher­wei­se noch höher, denn vie­le Fami­li­en begra­ben ihre Toten selbst, ohne sie in ein Kran­ken­haus zu brin­gen. / “Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men” / „Die rück­sichts­lo­sen Luft­an­grif­fe sind ein­deu­tig noch schlim­mer gewor­den“, sagt Car­los Fran­cis­co, Lan­des­ko­or­di­na­tor von Ärz­te ohne Gren­zen für Syri­en. „Eines der Kran­ken­häu­ser, die ges­tern getrof­fen wur­den, wur­de stark beschä­digt. Es ist ein wich­ti­ges chir­ur­gi­sches Zen­trum, das in den ver­gan­ge­nen Wochen schon drei­mal getrof­fen wor­den ist. Die Inten­si­tät der Angrif­fe erstickt die weni­gen medi­zi­ni­schen Kapa­zi­tä­ten, die das Gesund­heits­sys­tem in Alep­po noch hat. Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men, Tag für Tag, Stun­de für Stun­de. Syri­en und Russ­land zer­stö­ren die letz­ten Orte, an denen noch Leben geret­tet wer­den kön­nen. Damit zei­gen sie, dass sie in Ost-Alep­po jeg­li­ches Leben unmög­lich machen wol­len.“ / Laut Berich­ten von Kran­ken­haus­mit­ar­bei­tern in Ost-Alep­po wur­den bei den Angrif­fen vom 14. Okto­ber zwei Ärz­te ver­letzt, ein Lager­ver­wal­ter eines der Kran­ken­häu­ser erlitt Ver­bren­nun­gen. Bis­lang gab es in Alep­po noch 35 Ärz­te für rund 250.000 Men­schen. Nur sie­ben von ihnen sind Chir­ur­gen, die Kriegs­ver­letz­te ope­rie­ren kön­nen. Seit dem Beginn der Bela­ge­rung des Ost­teils im Juli wur­den die weni­gen ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser 27 Mal getrof­fen, nicht ein ein­zi­ges Kran­ken­haus ist bei den Luft­an­grif­fen ohne Scha­den geblie­ben. / Nur noch elf funk­ti­ons­tüch­ti­ge Kran­ken­wa­gen / Auch ein Kran­ken­wa­gen der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO) Al-Scham-Huma­ni­ta­ri­an-Foun­da­ti­on (AHF) wur­de am 14. Okto­ber kom­plett zer­stört, der Fah­rer wur­de getö­tet. Die AHF stellt den Men­schen in Syri­en seit 2011 kos­ten­lo­se medi­zi­ni­sche Hil­fe zur Ver­fü­gung. Erst eini­ge Tage zuvor hat­te die Direk­ti­on für Gesund­heit berich­tet, dass auf­grund der Luft­an­grif­fe sowie der feh­len­den Ersatz­tei­le nur noch elf funk­ti­ons­fä­hi­ge Kran­ken­wa­gen in Ost-Alep­po bereit­ste­hen. Frei­wil­li­ge und NGOs nut­zen ein­fa­che Fahr­zeu­ge, um Ver­wun­de­te zu trans­por­tie­ren. / „Wir haben es bereits gesagt und sagen es erneut: Alle Kon­flikt­par­tei­en müs­sen ermög­li­chen, dass schwer Ver­wun­de­te und Kran­ke aus der Stadt gebracht wer­den, bevor es zu spät ist“, sagt Pablo Mar­co, Lei­ter der Nah­ost-Pro­gram­me von Ärz­te ohne Gren­zen. „Über­le­bens­wich­ti­ge Güter und medi­zi­ni­sches Mate­ri­al müs­sen in die Stadt gebracht wer­den kön­nen. Die Men­schen dort lei­den nicht nur unter dem anhal­ten­den Bom­ben­ha­gel, son­dern auch dar­un­ter, dass sie über­haupt kei­ne Unter­stüt­zung erhal­ten.“ / Ärz­te ohne Gren­zen unter­stützt in Ost-Alep­po alle acht ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser. Lan­des­weit unter­stützt die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on mehr als 150 Gesund­heits­zen­tren und Kli­ni­ken. Im Nor­den Syri­ens betreibt Ärz­te ohne Gren­zen selbst sechs medi­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen. Zu den von der syri­schen Regie­rung kon­trol­lier­ten Gebie­ten ein­schließ­lich West-Alep­po erhält die Orga­ni­sa­ti­on kei­nen Zugang. - stop

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beobachtung

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ulys­ses : 6.12 — Wäh­rend ich Jack Kerou­acs Roman On the Road in der unge­kürz­ten Fas­sung als E‑Book las, bemerk­te ich, dass ein Com­pu­ter , ver­mut­lich von Nord­ame­ri­ka aus ver­zeich­ne­te, wel­che Zei­len die­ses Romans von Lesern oder Lese­rin­nen wäh­rend ihrer Lek­tü­re mar­kiert wor­den waren. Eine aus­ge­dehn­te, prä­zi­se Leser­be­ob­ach­tung scheint kaum merk­lich Stun­de, um Stun­de voll­zo­gen zu wer­den. Ich stell­te mir vor, Licht­ma­schi­nen, die von Men­schen in der Hand gehal­ten wer­den, doku­men­tie­ren, wie lan­ge Zeit sich lesen­de Men­schen mit einem bestimm­ten Text beschäf­ti­gen, wie sie den Text stu­die­ren, ob sie die Lek­tü­re der ein oder ande­ren Sei­te wie­der­ho­len, an wel­chen Text­or­ten ihre Augen inne­hal­ten oder ihre Hän­de über den Bild­schirm strei­chend vor­wärts blät­tern, wie vie­le Leser sich zunächst mit dem Ende einer Geschich­te beschäf­ti­gen, ehe sie die ers­te Sei­te des Tex­tes öff­nen, um nun tat­säch­lich mit der Lek­tü­re zu begin­nen, so wie sich der Autor oder Autorin die Lek­tü­re ihres Tex­tes ein­mal vor­ge­stellt haben könn­ten. Dass fun­ken­de Bücher Kör­per­tem­pe­ra­tu­ren mes­sen, Feuch­tig­keit, Sal­ze der Hän­de, wel­che sie berüh­ren, ist nicht unwahr­schein­lich. Man will wis­sen, weil man es wis­sen kann, an wel­cher Stel­le des Tex­tes Leser ver­lo­ren gehen oder von wel­cher Stel­le des Tex­tes an Leser rest­los ein­ge­fan­gen sind, ja, das ist denk­bar. Guten Mor­gen. Es ist der 16. Okto­ber, leich­ter Regen. — stop

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ai : VIETNAM

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MENSCH IN GEFAHR: „Die Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­rin Nguyễn Ngọc Như Quỳnh, die als Blog­ge­rin unter dem Namen Mẹ Nấm (Mut­ter Pilz) bekannt ist, wur­de am 10. Okto­ber fest­ge­nom­men und wegen “Pro­pa­gan­da” gegen den Staat nach Para­graf 88 des viet­na­me­si­schen Straf­ge­setz­buchs ange­klagt. Ihr dro­hen Fol­ter und ander­wei­ti­ge Miss­hand­lung. Es ist nicht bekannt, wo sie zur­zeit fest­ge­hal­ten wird. / Nguyễn Ngọc Như Quỳnh wur­de am 10. Okto­ber um 10 Uhr in ihrer Hei­mat­stadt Nha Trang in der Pro­vinz Khánh Hòa in der Regi­on Nam Trung Bộ fest­ge­nom­men. Zum Zeit­punkt ihrer Fest­nah­me beglei­te­te Nguyễn Ngọc Như Quỳnh die Mut­ter eines Akti­vis­ten, die ihren Sohn in einem ört­li­chen Gefäng­nis besu­chen woll­te. Sicher­heits­kräf­te brach­ten Nguyễn Ngọc Như Quỳnh gegen 11:30 Uhr zu ihrem Zuhau­se und führ­ten dort eine Durch­su­chung durch. Dabei beschlag­nahm­ten sie ihren Com­pu­ter, elek­tro­ni­sche Gerä­te und Demonstrationsplakate./ Nguyễn Ngọc Như Quỳnh wur­de wegen “Pro­pa­gan­da” gegen den Staat nach Para­graf 88 des viet­na­me­si­schen Straf­ge­setz­buchs ange­klagt. Bei einer Ver­ur­tei­lung dro­hen ihr zwi­schen drei und 20 Jah­re Haft. Es ist nicht bekannt, wo sie zur­zeit fest­ge­hal­ten wird. In Viet­nam kön­nen Per­so­nen, die mut­maß­li­cher Straf­ta­ten im Zusam­men­hang mit der natio­na­len Sicher­heit beschul­digt wer­den, bis zu zwei Jah­re in Haft ohne Kon­takt zur Außen­welt fest­ge­hal­ten wer­den, bevor es zu einem Pro­zess kommt. / Staat­li­che Medi­en berich­te­ten, dass Nguyễn Ngọc Như Quỳnh straf­recht­lich ver­folgt wer­de, da sie auf Face­book Arti­kel geschrie­ben und gepos­tet sowie Vide­os und Tex­te geteilt hat­te, in wel­chen die seit 2012 regie­ren­de Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Viet­nams (KPV) und der Staat kri­ti­siert wur­den. In dem Bericht wur­de ein Doku­ment zitiert, wel­ches Nguyễn Ngọc Như Quỳnh auf Face­book geteilt hat­te, und in dem 31 Per­so­nen genannt wur­den, die nach Ver­hö­ren durch die Poli­zei gestor­ben waren. Ihnen war »Beein­träch­ti­gung der natio­na­len und sozia­len Sicher­heit und Ord­nung« vor­ge­wor­fen wor­den. / Nguyễn Ngọc Như Quỳnh ist Mit­grün­de­rin des Unab­hän­gi­gen Viet­na­me­si­schen Blog­ger­netz­werks, wel­ches im Dezem­ber 2013 gegrün­det wur­de. Sie ist allein­er­zie­hen­de Mut­ter zwei­er Kin­der und wur­de wegen ihrer fried­li­chen Akti­vi­tä­ten mehr­mals schi­ka­niert, fest­ge­nom­men und ver­hört. Es ist ihr außer­dem nicht gestat­tet, ins Aus­land zu rei­sen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jah­ren für Men­schen­rech­te und gegen Unge­rech­tig­keit ein und ist eine belieb­te und bekann­te Blog­ge­rin.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 24. Novem­ber 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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kein einziges wort

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nord­pol : 3.18 — Ipek (Name geän­dert), die in einem Dorf der ana­to­li­schen Regi­on Der­sim (Tun­ce­li) gebo­ren wur­de, erzähl­te in weni­gen Wor­ten, wes­halb sie vor drei Wochen um Haa­res­brei­te von einer Rei­se nicht nach Hau­se nach Ber­lin zurück­ge­kom­men wäre. Ihr Vater, sag­te sie, sei gestor­ben. Ihre Fami­lie und sie selbst sei­en des­halb nach Ana­to­li­en gereist, um den Leich­nam ihres Vaters in der Hei­mat zu bestat­ten. Auf der Hin­rei­se habe sie kei­ner­lei Pro­ble­me gehabt, viel Mili­tär auf den Stra­ßen, aber das ken­ne sie schon von Kind­heit an. Sie habe einen Tag vor der Beer­di­gungs­ze­re­mo­nie vom Dorf aus die Stadt besucht, um eini­ge Stan­gen Ziga­ret­ten ein­zu­kau­fen, die ihre Fami­lie den Trau­er­gäs­ten anbie­ten woll­te. Das sei so üblich in ihrer Gegend, das wüss­te jeder Mensch, auch die Kin­der. Bei der Rück­fahrt sei der Bus in eine Poli­zei­kon­trol­le gera­ten. Man habe sie aus dem Bus geholt, man woll­te wis­sen, für wen genau die Ziga­ret­ten bestimmt sei­en. Da habe sie erzählt, war­um sie die Ziga­ret­ten gekauft habe, aber man woll­te ihr nicht glau­ben, man sag­te, sie habe Nach­schub für Ter­ro­ris­ten gekauft. Da habe sie gesagt, dass das nicht so sei, aber die Män­ner in Uni­form sag­ten, dass das eben doch so sei, und dass sie jetzt still sein sol­le, andern­falls wür­de man ihren deut­schen Rei­se­pass zer­rei­ßen, den hat­te einer der Män­ner bereits in der Hand. Der Mann sag­te, dass das mit den Ziga­ret­ten nur genau­so sein kön­ne, wie er es sage, dass sie für die Ber­ge bestimmt sei­en, kön­ne man dar­an erken­nen, wo sie, Ipek, gebo­ren wor­den sei, in Der­sim näm­lich, das bedeu­tet in Tun­ce­li, so hei­ße die Regi­on Der­sim in der tür­ki­schen Spra­che. Er fuhr fort, wenn sie, Ipek, jetzt noch ein wei­te­res Wort sagen wür­de, dann wür­de sie nie wie­der nach Hau­se kom­men. Also war sie still gewe­sen. Sie habe kein ein­zi­ges Wort gesagt, auch nicht im Bus, noch min­des­tens eine Stun­de lang kein ein­zi­ges Wort. — stop
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nachtbild

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char­lie : 2.02 — Noch dun­kel, aber doch soviel Licht, dass ich eine Hand ent­de­cke, die sich genau­so bewegt, als wür­de sie malen. Der Mensch, zu dem die­se malen­de Hand gehört, schläft, ver­mut­lich ereig­nen sich im Augen­blick mei­ner Beob­ach­tung Träu­me, die die Hand bewe­gen. Ich ver­su­che in der Beob­ach­tung her­aus­zu­fin­den, das heißt, vor­zu­stel­len, was die­se Hand gera­de malen oder zeich­nen könn­te. Dar­über schla­fe ich ein. Als Mor­gen gewor­den ist, sage ich fröh­lich: Du hast heu­te Nacht viel­leicht im Schlaf gemalt! Kannst Du Dich erin­nern, an wel­chem Bild Du gear­bei­tet haben könn­test? — Es ist die Zeit der Hum­mer­ern­te. Ers­te kal­te Win­de flie­ßen über die gro­ßen Seen süd­ost­wärts. Ecke Wil­low St. pas­siert ein Legu­an die Cran­ber­ry St., ein Poli­zist, der sich freut, regelt den Ver­kehr. Plötz­lich eine Fra­ge wie eine bren­nen­de Lun­te, eine Fra­ge, die ich in einer frem­den Spra­che vor­sich­tig notie­re, ob sich Hum­mer­tie­re an mensch­li­chen Kör­pern ver­grei­fen? Beun­ru­hi­gend, wie damals, Ende des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts, die Fra­ge nach den Vor­lie­ben der Vik­to­ria­see­bar­sche? — stop
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an einem frühen morgen

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oli­mam­bo : 8.05 — An einem frü­hen Mor­gen spricht ein Mann im Schwein­wer­fer­licht einer Fern­seh­ka­me­ra. Er ist Abge­ord­ne­ter des Deut­schen Bun­des­ta­ges, ein tap­fe­rer Mann, er ver­tei­digt die Poli­tik sei­ner Par­tei, sei­ner Bun­des­kanz­le­rin. Er spricht unge­fähr so: Wir haben viel geschafft. Wir haben uns bemüht. Wir haben den Men­schen­schleu­sern das Hand­werk gelegt. Es kom­men weni­ger Men­schen zu uns, die flüch­ten wol­len. Nicht län­ger müs­sen Men­schen im Mit­tel­meer ertrin­ken. – Es ist frü­her Mor­gen, ein Mor­gen eines Tages im Sep­tem­ber. Es ist das Jahr 2016. Wenn ich über die Fern­be­die­nung mei­nes Fern­seh­ge­rä­tes einen wei­te­ren Fern­seh­ka­nal anwäh­le, erfah­re ich, dass der Som­mer zurück­keh­ren wird, obwohl doch schon Herbst gewor­den ist. – stopschaltung6

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wörterbilder

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echo : 2.12 — In der Stadt Kyiv sol­len noch Mona­te nach der Hava­rie des Reak­tors 4 in Tscher­no­byl Stra­ße um Stra­ße ent­lang der Häu­ser­wän­de per­fo­rier­te Roh­re instal­liert wor­den sein, aus wel­chen Was­ser ström­te, um das strah­len­de Gift von den Stra­ßen zu schwem­men. Eine Bekann­te erzähl­te mir von der Exis­tenz die­ser Roh­re, sie war damals in Kyjiw für eini­ge Tage. Ich ken­ne die­ses Bild, ich erin­ne­re mich, das ein Wör­ter­bild ist, kein Licht­bild, da ich kei­ne Foto­gra­fie in der digi­ta­len Sphä­re ent­de­cke. Wie lan­ge Zeit soll­te ich suchen? Stun­den? Oder Tage? Das Wör­ter­bild scheint plau­si­bel zu sein, oder sogar wahr­schein­lich. Wie vie­le Men­schen exis­tie­ren in der Stadt, in der ich lebe, also in mei­ner unmit­tel­ba­ren Nähe, die mit dem Tod bedroht wer­den, weil sie sich Glau­ben und wei­te­ren Ritua­len wider­set­zen? — stop

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