Aus der Wörtersammlung: morgen

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von kevin und liesl im zug

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tan­go : 22.52 UTC — Ich hör­te, er hei­ße Kevin. Er sag­te, er sei ohne Dach über dem Kopf. Auch im Som­mer oder im Herbst sei das Leben nicht leicht, im Som­mer habe er viel Durst, im Herbst fürch­te er sich vor dem Win­ter. Er wür­de gern sei­ne Geschich­te erzäh­len, war­um er so arm gewor­den sei, dass er kei­ne Woh­nung habe und nichts zu essen. Wenn Kevin spricht, ist sei­ne Stim­me wun­der­schön anzu­hö­ren. Es ist eine Stim­me, die gut sin­gen könn­te, ein Tenor viel­leicht. Nur das mit Kevins Geschich­te ist so eine Sache, ich höre Kevins Lebens­ge­schich­te seit Anfang des Jah­res im Mor­gen­schnell­zug zum Flug­ha­fen immer wie­der. Ich soll­te sagen, Kevin erzählt täg­lich eine ande­re Geschich­te, er ist im Grun­de ein guter Erzäh­ler, und auch ein guter Erfin­der. Im Win­ter erzählt er Win­ter­ge­schich­ten, im Som­mer Som­mer­ge­schich­ten. Ges­tern wur­de Kevin von einer jun­gen, mage­ren Frau beglei­tet. Sie war sehr schmut­zig. Kevin erzähl­te ihr, dass ich ihm manch­mal etwas Geld geben wür­de oder eine Bre­zel, auch dass ich auf­schrei­ben wür­de, was er berich­te. Sie setz­ten sich neben mich. Die jun­ge Frau sag­te: Wenn man träumt, ist man im Inne­ren wach und warm. Am Flug­ha­fen stie­gen bei­de mit mir aus. Wir spra­chen eine hal­be Stun­de. Der Bahn­hof war wie­der ein­mal undicht. Regen kam von der Decke. Das Licht war teil­wei­se aus­ge­fal­len, an den Wän­den saßen ein paar dicke Krö­ten. Sie schnapp­ten mit arm­lan­gen Zun­gen nach Tau­ben, die über den Bahn­steig segel­ten. Ich hör­te, das Kno­chen­ge­spenst an Kevins Sei­te soll Lie­se­lot­te hei­ßen, sehr selt­sam die­ser Name für eine recht jun­ge Per­son. Ich erfuhr, dass sie Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten in Lon­don stu­dier­te, sie mag gern lesen, aber sie kom­me nicht dazu, weil sie das Bild ihres Vaters in sich tra­ge, der immer­zu betrun­ken war, ein schmer­zen­des Bild, das hell vor ihr leuch­te. Ich weiß jetzt, Bil­der eines betrun­ke­nen Vaters zu ver­dun­keln, erfor­dert unge­heu­re Kraft und Aus­dau­er. Lie­se­lot­te kann des­halb seit einem Jahr­zehnt nicht schla­fen. Sie mag Kevin, der so schö­ne Geschich­ten erzählt, dass sie bei­de von sei­nen Geschich­ten ein wenig wei­ter­le­ben kön­nen. Es ist jetzt Abend. — stop

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zwergseerose no 2

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nord­pol : 0.02 UTC — Als ich heu­te Mor­gen erwach­te, knis­ter­te mein lin­kes Ohr. Das war ver­mut­lich dar­um gewe­sen, weil ich auf mei­nem lin­ken Ohr meh­re­re Stun­den lang träu­mend ruh­te. Für einen Moment dach­te ich, mei­ne Ohr­mu­schel wäre von Papier gemacht. Wäh­rend ich so lag und lausch­te, erin­ner­te mich an eine Geschich­te, die ich in einem schat­tigen Laden nahe der Roose­velt Island Tram­way Basis­sta­tion West in New York vor län­ge­rer Zeit erleb­te. Ich erzähl­te bereits von dem alten Mann, der hin­ter einem Tre­sen auf Kun­den war­te­te. Er war vermut­lich ameri­ka­ni­scher Staats­bürger, doch eher chine­si­schen Ursprungs. Als ich von dem klei­nen Park her, des­sen Linden­bäume Küh­le spen­deten, in den Laden trat, ver­beug­te sich der Mann, grüß­te, er kann­te mich bereits, wuss­te, dass ich mich für Schne­cken inter­es­siere, für Wasser­schne­cken prä­zi­se, auch für wan­dern­de Seeane­mo­nen­bäume, und für Pra­li­nen, die unter der Wasser­ober­fläche, also im Was­ser, hübsch anzu­sehen sind, schwe­bende Versu­chungen, ohne sich je von selbst aufzu­lösen. An die­sem hei­ßen Sommer­abend kamen wir sofort ins Gespräch. Ich erzähl­te dem alten Mann, ich wür­de nach einem beson­deren Geschenk suchen für ein Kiemen­mäd­chen namens Rose. Sie sei zehn Jah­re alt und nicht sehr glück­lich, da sie schon lan­ge Zeit den Wunsch ver­spür­te, wie ande­re Kin­der ihres Alters zur Schu­le zu gehen, leib­haftig am Unter­richt teil­zu­nehmen, nicht über einen Bild­schirm mit einem fer­nen Klas­sen­raum ver­bun­den. Ich glau­be, ich war genau zu dem rich­tigen Zeit­punkt in den Laden gekom­men, denn der alte, chine­sisch wir­ken­de Mann, freu­te sich. Er mach­te einen hel­len, pfei­fenden Ton, ver­schwand in sei­nen Maga­zinen, um kurz dar­auf eine Rei­he von Spiel­dosen auf dem Tre­sen abzu­stellen. Das waren Wal­zen- und Loch­plat­ten­spiel­dosen mit Kurbel­werken, die der Ladung einer Feder­span­nung dien­ten. Vor einer Stun­de gelie­fert, sag­te der alte Mann, sie machen schau­er­lich schö­ne Geräu­sche im Was­ser! Man kön­ne, setz­te er hin­zu, sofern man sich in dem­sel­ben Was­ser der Spiel­dosen befän­de, die fei­nen Stö­ße ihrer mecha­ni­schen Wer­ke über­all auf dem Kör­per spü­ren. Bald leg­te er eine der Dosen in ein Aqua­rium ab, in wel­chem Zwerg­see­rosen sie­del­ten. Kurz dar­auf fuhr ich mit der Tram nach Roose­velt Island rüber. Das Musik­werk, Ben­ny Good­man, das ich für Rose erstan­den hat­te, war in das Gehäu­se einer Jakobs­mu­schel ver­senkt. Die Schne­cke leb­te, wes­we­gen ich tropf­te, weil der Beu­tel, in dem ich Roses Geschenk trans­por­tierte, über eine undich­te Stel­le ver­füg­te. Gegen Mitter­nacht, ich war gera­de einge­schlafen, öff­ne­te tief in mei­nem rech­ten Ohr knis­ternd eine Zwerg­see­rose ihre Blü­te. – stop

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traumgeschichte

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fox­trott : 22.02 UTC — In der ver­gan­ge­nen Nacht träum­te ich von einem selt­sa­men Kind, das war näm­lich so im Traum, dass das Gehirn des Kin­des zu wach­sen schien, das Gehirn war in den Ohr­mu­scheln sicht­bar gewor­den, von einem dün­nen Häut­chen geschützt, das bei­na­he durch­sich­tig gewe­sen war. Es kit­zelt in mei­nen Ohren, sag­te das Kind. Wir saßen in einer Stra­ßen­bahn. Ich erwach­te. Es war ziem­lich heiß am Mor­gen, als ich erwach­te. — stop

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ein aquarium

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tan­go : 22.02 UTC — Bob erzählt von einem Aqua­ri­um, kei­nem gewöhn­li­chen Aqua­ri­um, viel­mehr einem Aqua­ri­um, das ihm einer­seits gehö­ren, ande­rer­seits sehr weit ent­fernt sein soll, näm­lich bei­na­he auf der ande­ren Sei­te der Welt, in Thai­land in einem Vor­ort der Stadt Bang­kok in einem Café neben einer Tank­stel­le mit Gar­ten, in wel­chem Orchi­deen auf Bäu­men wach­sen. Auch Vögel sol­len dort im Gar­ten zahl­reich leben, und Kin­der spie­len, weil sich in der Nähe eine Schu­le befin­det. Er selbst, erzählt Bob, sei in die­se Schu­le gegan­gen, habe Eng­lisch gelernt und Mathe­ma­tik, gera­de in Mathe­ma­tik soll er gut gewe­sen sein. Jetzt lebt er also in Euro­pa und besucht eine Uni­ver­si­tät, um die Spra­che der Com­pu­ter­ma­schi­nen zu stu­die­ren. Das Café, das mei­ner Mut­ter gehört, und auch ein wenig mir selbst, läuft gut, sagt Bob, wir kön­nen von unse­ren Ein­künf­ten gut leben. Ich brau­che ja nicht viel Geld hier, klei­nes Zim­mer. Er holt sein Tele­fon aus der Hosen­ta­sche, tippt ein wenig auf dem Bild­schirm her­um, dann reicht er mir das klei­ne, fla­che Gerät über den Tisch. Schau, sagt er, das ist mein Café, das ist mei­ne Mut­ter in Echt­zeit, es ist gera­de frü­her Mor­gen, sie berei­tet sich auf ers­te Gäs­te vor, die kom­men bald. Tat­säch­lich erken­ne ich auf dem Bild­schirm eine älte­re Frau, die auf einem Brett von Holz irgend­wel­che Pflan­zen zer­teilt. Bob nimmt mir das Tele­fon kurz aus der Hand, tippt noch ein­mal auf den Bild­schirm. Nun sind Fische anstatt sei­ner Mut­ter zu sehen. Das ist mein Aqua­ri­um, sagt Bob, lei­der nur in schwarz-wei­ßer Far­be. Sie sind ziem­lich bunt. Zwei von ihnen habe ich selbst gefan­gen im ver­gan­ge­nen Win­ter. Es ist ein Salz­was­ser­aqua­ri­um. Gleich wird mei­ne Mut­ter die Fische füt­tern. Solan­ge kön­nen wir war­ten. — stop
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nasengeschichte

9

echo : 22.56 UTC — Auf mei­ner Nase wur­de zufäl­lig ein Haar ent­deckt, ein Haar für sich, ein ein­zel­nes Haar, kein Bewuchs in dem Sin­ne von Wald, aber doch eben ein Haar wie ein Baum. Kurz nach­dem ich die Mel­dung von der Ent­de­ckung des Haa­res ent­ge­gen­ge­nom­men hat­te, habe ich das Haar ent­fernt, kein Schmerz, aber Ver­wun­de­rung, weil ich doch sehr lan­ge Zeit ohne Haar auf mei­ner Nase leb­te. Ich frag­te mich, wie ich die­ses Haar über­se­hen konn­te, es soll sich um ein durch­aus gut sicht­ba­res Haar gehan­delt haben, ein sil­ber­grau­es Gewächs. Nun also mor­gens fort­an der kon­trol­lie­ren­de Blick zu mei­ner Nasen­spit­ze hin. Eigent­lich woll­te ich eine ganz ande­re Geschich­te erzäh­len an einem Tag, da die Bör­sen­kur­se stür­zen, weil sich der 49. Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka in einer Wei­se äußer­te, dass man für mög­lich hält, er könn­te Atom­waf­fen zün­den. — stop

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gespräch

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tan­go : 17.01 UTC — Ich will schnell erzäh­len, wie ich unlängst mit einer Maschi­ne, wäh­rend sie mei­nen Cap­puc­ci­no zube­rei­te­te, gespro­chen habe. Ich sag­te: Hey, einen Cap­puc­ci­no bit­te. Und die Maschi­ne ant­wor­te­te: Hey, wird gemacht! Also war­te­te ich. Indem ich war­te­te, hör­te ich der Maschi­ne zu. Ich ver­nahm eini­ge plau­si­ble Geräu­sche aus dem Inne­ren des Gehäu­ses, außer­dem eini­ge Geräu­sche, die nicht sehr plau­si­bel waren. Das waren Geräu­sche des Pfei­fens oder Sin­gens, Geräu­sche, die ent­we­der mei­ner Unter­hal­tung dien­ten oder weil sich die Maschi­ne tat­säch­lich selbst, wäh­rend sie arbei­te­te, eine Freu­de mach­te. Ich habe schon oft genau so war­tend vor genau die­ser Maschi­ne gestan­den, ich ver­mu­te, dass mich die Maschi­ne inzwi­schen kennt, viel­leicht sogar Zeit­punk­te, da ich zu ihr kom­men wer­de, also Gewohn­hei­ten mei­nes Lebens. Ein­mal, als ich den Stand­ort der Maschi­ne erreich­te, war mein Cap­puc­ci­no bereits fer­tig gewe­sen. Das ist schon selt­sam, nicht wahr, ich begann über Fähig­kei­ten der Maschi­ne nach­zu­den­ken. Kann die­se Maschi­ne viel­leicht sehen oder ver­mag sie mei­nen Duft wahr­zu­neh­men? Dass sie über einen Hör­sinn oder über eine spe­zi­el­le Art eines hören­den Sen­sors ver­fügt, steht für mich schon lan­ge fest, weil sie mich begrüßt. Manch­mal erkun­digt sie sich nach mei­nen Wün­schen. Mein lie­ber Lou­is, will sie wis­sen, einen Cap­puc­ci­no oder doch etwas ande­res Hei­ßes zur Fei­er des Tages? An die­sem Mor­gen, von dem ich eigent­lich erzäh­len will, ist aber doch etwas sehr Selt­sa­mes gesche­hen. Viel­leicht war es der Wind, jeden­falls fiel eine Papp­tas­se aus dem Bauch der Maschi­ne auf einen Vor­satz unter einem Hahn, aus dem bald hei­ßer Kaf­fee kom­men soll­te. Die Tas­se lan­de­te etwas schräg und ver­harr­te in die­ser Posi­ti­on. Die Maschi­ne sag­te zu mir: Becher bit­te set­zen. Mein Gott, das war selt­sam! Ich dach­te, wer nur hat die­se Spra­che erfun­den, mög­li­cher­wei­se die Maschi­ne selbst? Ich streck­te mei­ne Hand nach dem Becher aus. In dem Moment, da ich den Becher anhe­ben woll­te, spritz­te hei­ßer Kaf­fee auf den Rücken mei­ner Hand, wes­we­gen ich mit lei­ser Stim­me pro­tes­tier­te. Ich sag­te: Ver­dammt! Die Maschi­ne ant­wor­te­te: Ver­zei­hung. — stop
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gespräch mit einem seemann

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tan­go : 20.10 UTC — Im Schnell­zug heu­te Mor­gen beob­ach­te­te mich ein Mann von viel­leicht acht­zig Jah­ren, wie ich auf mei­ner fla­chen Bild­schirm­schreib­ma­schi­ne einen Text notier­te. Ich hat­te die Schreib­ma­schi­ne quer auf mei­ne Knie abge­legt und schrieb mit fünf oder sechs Fin­gern recht flink auf einer vir­tu­el­len Tas­ta­tur. Das war ein fast laut­lo­ser Vor­gang gewe­sen, viel­leicht des­halb sag­te der Mann plötz­lich: Frü­her waren die Schreib­ma­schi­nen sehr laut gewe­sen! Ich hob mei­nen Blick und lächel­te den Mann an. Er frag­te sofort wei­ter: Das ist doch eine Schreib­ma­schi­ne? Ich nick­te. Ja, sag­te ich, das ist eine Schreib­ma­schi­ne und zugleich auch ein Gerät, mit dem ich Tex­te sen­den kann und Nach­rich­ten emp­fan­gen, sogar mor­sen könn­te ich. — Ich habe frü­her auch gemorst, sag­te der Mann, ich bin auf einem Segel­schiff zur See gefah­ren, da war ich sehr jung gewe­sen. Er schwieg für einen Moment, dann sag­te er: Sie brau­chen gar kein Papier, nicht wahr? Ich ant­wor­te­te: Das ist rich­tig, im Grun­de brau­che ich kein Papier. — Was schrei­ben sie denn? Woll­te der Mann wis­sen. Ich schrei­be eine Geschich­te, sag­te ich. Ist das denn gut, dass sie eine Geschich­te ohne Papier schrei­ben? frag­te der Mann. Ich sag­te: Dar­über muss ich nach­den­ken. Der Mann lach­te: Sie ist wirk­lich nicht groß, die­se Schreib­ma­schi­ne. Sagen sie, wie vie­le Geschich­ten pas­sen denn in die­se Schreib­ma­schi­ne hin­ein? Ich ant­wor­te­te: Ich glau­be, sehr vie­le Geschich­ten, ja, ver­mut­lich unvor­stell­bar vie­le Geschich­ten. — Das ist gut, sag­te der Mann, so vie­le Geschich­ten, dass sie im Zug sit­zen und schrei­ben kön­nen, so lan­ge sie wol­len, ohne je aus­stei­gen und eine neue Schreib­ma­schi­ne kau­fen zu müs­sen. Vor­über­ge­hend schau­te er zum Fens­ter hin­aus. — stop
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sisulu

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del­ta : 6.15 UTC — In der ver­gan­ge­nen Nacht hat­te ich einen merk­wür­di­gen Traum. Ich war in der Däm­me­rung mit mei­nem Trom­pe­ten­kä­fer abends spa­zie­ren im Pal­men­gar­ten. Die Luft duf­te­te nach Flie­der, obwohl schon Juni gewor­den war. Der Käfer, dem ich kurz nach sei­ner Ent­wick­lung den Namen Sisu­lu 8 gege­ben hat­te, hock­te auf mei­ner rech­ten Schul­ter, wes­we­gen ich vor­sich­tig einen Fuß vor den ande­ren Fuß setz­te, weil ich natür­li­cher­wei­se von der Flug­un­fä­hig­keit des klei­nen Wesens wuss­te, er war nicht zum Flie­gen aus­ge­dacht, son­dern zum Trom­pe­ten­spie­len. Ich ging also ganz lang­sam nord­wärts vor­bei an einer wun­der­ba­ren Som­mer­wie­se, die von den Schlaf­ge­räu­schen der Heu­schre­cken lei­se knis­ter­te, erreich­te dann nach zwei Stun­den lang­sa­men Gehens eine höl­zer­ne Bank am Ran­de einer wei­ten Step­pen­land­schaft, es war schon Nacht gewor­den. Ich nahm Platz auf der Bank, über­schlug die Bei­ne und setz­te den klei­nen Käfer auf mein rech­tes Knie. Unver­züg­lich begann Sisu­lu 8 zu spie­len in einer Wei­se, wie ich es vor lan­ger Zeit schon ein­mal zu beschrei­ben ver­such­te. Bald war ich ein­ge­schla­fen, ich weiß nicht genau, wie lan­ge Zeit ich geschla­fen hat­te, als ich erwach­te, saß Maceo Par­ker neben mir auf der Bank. Er hat­te sich mit sei­nem rech­ten Ohr mei­nem Knie genä­hert, ich wag­te in die­sem Augen­blick kaum zu atmen, das muss man sich ein­mal vor­stel­len, Maceo Par­ker auf einer Nacht­bank neben mir sit­zend, wie er mei­nem Käfer­freund Sisu­lu lauscht. Es ist jetzt schon bald Mor­gen­däm­me­rung, mei­ne Güte, und ich bin noch immer nicht wirk­lich wach gewor­den. — stop
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ein millionstel gramm wort

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sier­ra : 15.38 UTC — Ich ver­fü­ge jetzt über eine wei­te­re Schreib­ma­schi­ne. Das ist so, weil ich sie mir gekauft habe. Leicht ist sie und flach. Wenn mei­ne neue Schreib­ma­schi­ne in der Hit­ze der Tag- oder Abend­luft atmet, um sich zu küh­len, ist von ihren Atem­ge­räu­schen nichts zu hören. Selbst dann, wenn ich ein Ohr an ihr Gehäu­se lege: Stil­le. Ich könn­te sie unter mei­nem Hemd ver­ber­gen, weil sie so flach ist, nie­mand wür­de sie bemer­ken. Ein­mal notier­te ich: Wenn das so wei­ter geht mit dem Leich­ter­wer­den der Schreib­ma­schi­nen, wer­de ich bald Schreib­wer­ke zur Ver­fü­gung haben, die von gerin­ge­rer Schwe­re sind als die Papie­re, die ich mit ihren Zei­chen fül­le. — Wie viel genau wiegt eigent­lich die­ses elek­tri­sche Wort, das gera­de vor mir auf dem Bild­schirm erscheint? S i e r r a. Wie vie­le Male wird das Wort S i e r r a heu­te oder mor­gen auf wei­te­ren Bild­schir­men auf­ge­ru­fen wer­den, wie lan­ge Zeit jeweils sicht­bar sein? Es ist denk­bar, dass das Wort S i e r r a , das in Euro­pa vor weni­gen Minu­ten ver­zeich­net wur­de, schwe­rer wiegt, sobald es in Aus­tra­li­en auf einem Bild­schirm erscheint, als das­sel­be Wort, wenn wir es in Euro­pa lesen, 1 Mil­li­ons­tel Gramm schwe­rer, sagen wir, um 1 Mil­li­ons­tel Gramm Koh­le schwe­rer und um den Bruch­teil einer Sekun­de. — stop

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nikolai wassiljewitsch

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marim­ba : 0.12 UTC — Eigent­lich soll­te ich nie­mals das Ende eines Trau­mes erzäh­len, Trau­men­den befin­den sich nicht sel­ten bereits mit einem Bein im neu­en Tag, in einem Bezirk der Welt, den wir Wirk­lich­keit nen­nen, ich bin dann schon wach gewor­den auf einem Bein, habe die Fens­ter geöff­net, es reg­net zum Bei­spiel, auf der Stra­ße weit unter mir bewe­gen sich Regen­schir­me, Men­schen sind kei­ne zu erken­nen, aber ein paar nas­se Tau­ben, die sich, von der Schwe­re ihres Gefie­ders in die Tie­fe gezo­gen, kaum noch in der Luft zu hal­ten ver­mö­gen. Eine Exkur­si­on zur Kaf­fee­ma­schi­ne hin nüt­ze ich, um mein Mikro­skop vom Tisch zu holen. Tat­säch­lich erken­ne ich jetzt eine Her­de gold­grü­ner Frö­sche, die sich an der Haus­wand gegen­über west­wärts bewe­gen. Zu hören ist von ihnen nichts, aber der Regen rauscht sehr schön, pras­selt auf die Blät­ter der Bäu­me, tropft von den Regen­rin­nen auf ble­cher­ne Fens­ter­sim­se, was für ein wun­der­schö­ner Mor­gen, schon habe ich den Traum, den ich träum­te, bei­na­he ver­ges­sen. Wie gut die Luft heu­te riecht, das den­ke ich noch, und erken­ne in die­sem Augen­blick zwei mensch­li­che Nasen, die dicht neben­ein­an­der auf dem Rücken einer Stra­ßen­lam­pe sit­zen, sie sind sicher aus einem Buch gehüpft, das ich nicht lesen kann, weil es in rus­si­scher Spra­che auf­ge­schrie­ben wur­de, ich erin­ne­re mich, Gogol, nicht wahr, ich soll­te bald Gogols Nase lesen, auch soll­te ich ein wenig der rus­si­schen Spra­che lau­schen, um bald wie­der glück­lich ein­zu­schla­fen. — stop
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