MENSCH IN GEFAHR : “Viachaslau Rahashchuks Gesundheitszustand ist so schlecht, dass er umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen werden müsste. Doch stattdessen befindet er sich in der Untersuchungshaftanstalt Nr. 6. Seine Verletzungen sind auf Folter und andere Misshandlungen zurückzuführen, denen er in der Haft ausgesetzt war. / Der Taxifahrer wurde am Abend des 10. August in Pinsk von mindestens fünf Polizeibeamt_innen gewaltsam und willkürlich festgenommen, als er mit seiner Schwester und ihrem zwölfjährigen Sohn spazieren ging. Am Vortag waren die Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahl offiziell bekanntgegeben worden und nach massiven Betrugsvorwürfen hielten die Proteste in der Stadt noch an. Viachaslau Rahashchuk hat keine Straftat begangen und seine Festnahme und nachfolgende Inhaftierung sind willkürlich. In der Zwischenzeit wurde er nach Paragraf 293 Teil 1 des belarussischen Strafgesetzbuches angeklagt, der im Zusammenhang mit dem Vorwurf von “Massenunruhen” steht. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. / Am 11. August nahm einer der damaligen Mithäftlinge von Viachaslau Rahashchuk Kontakt zu dessen Mutter auf und teilte ihr mit, dass ihr Sohn von Gefängniswärtern schwer misshandelt worden sei. Er habe ein Hämatom hinter dem Ohr, drei Schnittwunden am Kopf und Prellungen an der gesamten Wirbelsäule. Außerdem seien die Gefängniskorridore voller Blutlachen von all denjenigen, die geschlagen wurden. / Seitdem hat Viachaslau Rahashchuk ein permanentes Klingeln in seinem Kopf. Seine Angehörigen baten einen Gefängnismediziner darum, ihm eine Überweisung zur Computer-Tomografie auszustellen. Dieser meinte jedoch nur, dass es Viachaslau Rahashchuk gut gehe und dass die Familie weiterhin Medikamente zur Linderung der Symptome schicken solle. Glaubwürdigen und aktuellen Berichten zufolge hat Viachaslau Rahashchuk wiederholt für bis zu 20 Minuten das Bewusstsein verloren. Außerdem hat er auf der linken Seite des Brustkorbs einen Tumor entwickelt. Die wiederholten Bitten seiner Familie, ihn einer unabhängigen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, wurden allesamt abgelehnt. Viachaslau Rahashchuk wird die dringend benötigte medizinische Behandlung verweigert.”- Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 8.2.2021 unter > ai : urgent action
Aus der Wörtersammlung: öl
abschnitt neufundland
Abschnitt Neufundland meldet folgende gegen Küste geworfene Artefakte : Wrackteile [ Seefahrt – 28, Luftfahrt — 1, Automobile — 38 ], Grußbotschaften in Glasbehältern [ 18. Jahrhundert — 22, 19. Jahrhundert – 17, 20. Jahrhundert – 521, 21. Jahrhundert — 12211 ], Trolleykoffer [ blau : 8, rot : 32, gelb : 55, schwarz : 1002 ], Seenotrettungswesten [ 22309 ], physical memories [ bespielt — 211, gelöscht : 877 ], Ameisen [ Arbeiter ] auf Treibholz [ 3558 ], 7 hölzerne Damenhandtaschen [ Baujahr 1968 ], Brummkreisel : 58, Öle [ 1.56 Tonnen ], Prothesen [ Herz — Rhythmusbeschleuniger – 18, Kniegelenke – 17, Hüftkugeln – 453, Brillen – 1588 ], Halbschuhe [ Größen 28 – 39 : 112, Größen 38 — 45 : 12 ], Plastiksandalen [ 345 ], Reisedokumente [ 128 ], Kühlschränke [ 7 ], Telefone [ 134 ], Stethoskope [ 116 ], Puppenköpfe [ 28 ] Masken [ 358 ], Tiefseetauchanzüge [ ohne Taucher – 2, mit Taucher – 18 ], Engelszungen [ 33568 ] | stop |
katzenauge
marimba : 15.01 UTC – Ich konnte bereits stehen, aber ich sitze lieber, weil ich gerade mit meiner hölzernen Eisenbahn spiele. Mein Vater steht in diesem Augenblick vor mir. Ich erinnere ich an seinen roten Pullover. Er hält ein Kästchen in der Hand, das an einer seiner Seiten funkelt, eine Art farblosen Katzenauges. Ich kenne dieses Kästchen, ich konnte es einmal fangen, als es über mir in der Luft pendelte, da war ich noch so klein gewesen, dass ich das Kästchen in den Mund nehmen wollte. Ich weiß, dass mein Vater sich darauf vorbereitet, mich zu fotografieren, deshalb hält er das Kästchen in der Hand. Ich werde später einmal erfahren, dass mein Vater das Licht misst, wenn er das Kästchen in Händen hält. Er will wissen, wie weit er das Auge des Fotoapparates öffnen muss, um seinen Sohn, der Eisenbahn spielt, aufnehmen zu können. Manchmal sagt Vater: Louis, schau her. — stop
eine fotografie und ihre geschichten
tango : 15.08 UTC — Vater sitzt auf einer Bank nahe der Brooklyn Bridge. Es ist später Nachmittag. Vater lacht. Die Sonne steht tief, warmes Licht fällt auf hölzerne Blanken. Über den Schatten, den Mutter wirft, stolziert eine Möwe. Mutter fotografiert ihren Mann mit seinem persönlichen Fotoapparat, weshalb er plötzlich auf einer Dia — Fotografie zu sehen ist, unerwartet. Vater, im karierten Sakko, scheint überrascht zu sein, als habe er nicht bemerkt, dass Mutter seinen Fotoapparat entwendete. Es ist ein Augenblick, von dem Beide immer wieder erzählten. Gleich wird Vater aufstehen und sie werden von Brooklyn aus über die Brücke nach Manhattan spazieren. Als ich Jahre später selbst auf Reisen den Ort dieser Fotografie entdeckte, machte ich eine Aufnahme. Ich ging dann gleichwohl über die Brücke nach Manhattan zurück. Es war ein schöner Abend wie damals zur Elternzeit. Es war Mai, ich war zufrieden, weil ich jene Straßenkreuzung entdeckte hatte, die Auggie Wren in dem Film „Smoke“ Morgen für Morgen um acht Uhr fotografierte. Wochen später erzählte ich meinem Vater von diesem Nachmittag und wir setzen uns vor seinen Computer. Es war wie im Kino. — stop
ai : BELARUS
MENSCH IN GEFAHR : “Marfa Rabkova ist eine Menschenrechtsverteidigerin und arbeitet als Koordinatorin des Freiwilligendienstes des Menschenrechtszentrums Viasna. / Sie wurde am 17. September festgenommen und am 25. September unter Paragraf 293(3) des Strafgesetzbuchs (“Training oder andere Vorbereitung von Menschen zur Teilnahme an Aufständen, oder Finanzierung solcher Aktivitäten”) angeklagt. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre im Gefängnis. Sie befindet sich zurzeit in der Untersuchungshafteinrichtung Nr. 1 in Minsk./ Marfa Rabkova ist eine gewaltlose politische Gefangene, die allein wegen ihres rechtmäßigen Einsatzes als Menschenrechtsverteidigerin schikaniert wird. Sie beobachtet Demonstrationen und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder andere Misshandlungen an friedlichen Protestierenden durch Beamt_innen der Sicherheitsbehörden. Marfa Rabkova hat keine Straftat begangen. Ihre Strafverfolgung ist eine erhebliche Verletzung der internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen des Landes./ Die belarussischen Behörden müssen aufhören, Mitglieder des Menschenrechtszentrums Viasna und andere zivilgesellschaftliche Aktivist_innen strafrechtlich zu verfolgen. Sie müssen die Rechte auf Vereinigungs‑, Versammlungs- und Meinungsfreiheit der belarussischen Bevölkerung respektieren.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 1.12.2020 unter > ai : urgent action
ai : IRAN
MENSCH IN GEFAHR : “Der 47-jährige Kurde Arsalan Khodkam ist in Gefahr, im Gefängnis von Urumieh in der Provinz West-Asderbaidschan hingerichtet zu werden. Er war am 14. Juli 2018 wegen “Spionage” für die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI), eine bewaffnete Oppositionsgruppe, zum Tode verurteilt worden. Damals war er ein niedrigrangiger Angehöriger der Revolutionsgarden. Er hat diese Anschuldigungen immer bestritten und erklärt, dass die Behörden ihn der Spionage beschuldigten, nachdem sie erfahren hatten, dass er über Instagram mit einem Verwandten seiner Frau kommunizierte, der Mitglied der KDPI war. Arsalan Khodkam wurde weniger als drei Monate nach seiner Festnahme in einem unfairen Verfahren, das nur 30 Minuten dauerte, aufgrund von “Geständnissen”, die er seinen Angaben zufolge unter Folter und anderen Misshandlungen unterzeichnet hatte, zum Tode verurteilt. Er hatte zu keinem Zeitpunkt Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl. Im Februar 2020 versuchte sein Anwalt Einsicht in die Gerichtsunterlagen zu erhalten, um ein Gnadengesuch vorzubereiten. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Rechtsbeistand jedoch mit, er könne Arsalan Khodkam nicht vertreten. Ein Gnadengesuch, das Arsalan Khodkam aus dem Gefängnis gestellt hatte, wurde abgelehnt. Im Mai 2020 wurden seine Familienangehörigen gewarnt, er könne jederzeit hingerichtet werden. / Nach seiner Festnahme am 23. April 2018 wurde Arsalan Khodkam in eine Hafteinrichtung der Revolutionsgarden in der Militärkaserne Almahdi in Urumieh gebracht. Dort hielt man ihn 36 Tage in Einzelhaft ohne Kontakt zu seiner Familie oder einem Rechtsbeistand. Während dieser Zeit wurde er seinen Angaben zufolge wiederholt gefoltert, um ihn zu einem “Geständnis” zu zwingen. Er sagte, er sei wiederholt ausgepeitscht bzw. mit Stöcken geschlagen und mit Fausthieben und Tritten traktiert worden, unter anderem auf den Rücken, wo er ein chirurgisches Implantat hat. Deshalb habe er mehrfach das Bewusstsein verloren. Die Verhörbeamt_innen sollen ihn über lange Zeiträume in schmerzhafter Weise die Hände gefesselt haben. Während dieser Zeit verweigerte man ihm den Gang zu Toilette, so dass er sich einnässte oder den Harn so lange einhielt, bis er Blasen- und Nierenschmerzen hatte. Er gab außerdem an, am Schlafen gehindert worden zu sein. / Arsalan Khodkam wurde von der Abteilung 1 des Militärgerichts in West-Aserbaidschan der “Feindschaft zu Gott” (moharebeh) durch “Spionage” für schuldig befunden. Er traf seinen vom Gericht bestimmten Rechtsbeistand zum ersten Mal während des Gerichtsverfahrens. Dieser habe vor Gericht nichts zu seiner Verteidigung vorgetragen. Die Abteilung 32 des Obersten Gerichtshof wies sein Rechtsmittel im Schnellverfahren zurück, ohne darauf einzugehen, dass unter Folter erpresste “Geständnisse” vor Gericht zugelassen wurden. Ein darauffolgender Antrag auf gerichtliche Überprüfung des Verfahrens wurde am 3. Oktober 2018 zurückgewiesen. Arsalan Khodkam hat bis heute keine schriftliche Fassung des Urteils gegen ihn erhalten. Die Anwendung der Todesstrafe wegen “Spionage” verstößt gegen das Völkerrecht, das die Todesstrafe auf die “schwersten Verbrechen”, wie vorsätzliche Tötungen, beschränkt. / Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 28.9.2020 unter > ai : urgent action
luftwellen
tango : 17.11 UTC — Traf ahnungslose Personen, traf sorglose Bürger, die unbeschwert sind oder nur vorgeben, unbeschwert zu sein. Morgen werde ich sie wieder treffen in der Straßenbahn, in einem Cafe, am Flughafen. Sie werden mich kaum ansehen, mich, der eine Maske trägt. Noch immer, das ist denkbar, denken sie sich, scheint Gefahr in der Luft zu liegen, unsichtbare, staubige Wölkchen. Der Mann hier trägt noch immer eine Maske, vermutlich ist er hysterisch. Vermutlich deshalb fürchten sie meinen Anblick, weil ich, indem ich spreche, sie mit meinen Augen, mit meiner unsichtbaren Nase, meinem unsichtbaren Mund, meinen Gedanken, die sich mittels Wellen durch die Luft bewegen, beschweren oder infizieren könnte. — stop
ai : GUATEMALA
MENSCHEN IN GEFAHR : “Im März hat die guatemaltekische Regierung in einem Industriepark in Guatemala-Stadt ein Krankenhaus für COVID-19-Patient_innen eingerichtet. Jetzt wurden 46 dort arbeitende Instandhaltungs- und Reinigungskräfte entlassen. Als Grund für die Kündigungen verwies das Gesundheitsministerium auf Verwaltungsvorschriften, denen zufolge diese Arbeiter_innen einen Oberstufen- oder Universitätsabschluss besitzen müssen, um in dem Krankenhaus arbeiten zu können. Ein Großteil dieser Beschäftigten verfügt nur über eine grundlegende Schulbildung und kann die geforderten Nachweise nicht erbringen. Hinzu kommt, dass die gekündigten Personen, ähnlich wie Teile des medizinischen Personals, seit dem 24. März keinen Lohn erhalten haben. Arbeitslosenunterstützung haben sie ebenfalls nicht bekommen. / Hintergrund: Bereits vor der COVID-19-Pandemie erhielt Guatemala aufgrund seines schwachen Gesundheitssystems besondere Unterstützungen von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation OPS. Am 9. Juni meldete Guatemala 7.055 COVID-19-Fälle und 252 Pandemietote. / Im März richtete die Regierung Guatemalas in einem Industriepark der Hauptstadt namens Parque de la Industria ein Krankenhaus für COVID-19-Fälle ein. Die Klinik hatte eine Anfangskapazität von 319 Betten und wurde am 21. März eröffnet. Anfang Mai beschwerte sich das medizinische Personal öffentlich über fehlende Arbeitsverträge, nicht ausgezahlten Lohn und gefährliche Arbeitsbedingungen. Presseberichten zufolge, die auf Informationen des nationalen Rechnungshofs basieren, hat das COVID-19-Krankenhaus weniger als zwei Prozent des ihm vom Kongress zugewiesenen Budgets in Anspruch genommen. Der Grund dafür liegt in der geringen operativen Kapazität und dem Fehlen von entsprechend qualifiziertem Personal. / Die Krankenhausleitung gab an, dass die in der Klinik arbeitenden Personen über das Gesundheitsministerium eingestellt werden, wobei die in Haushaltsbestimmung 189 (Titel: “Sonstige Leistungen”) des öffentlichen Haushalts festgelegten Anforderungen zu befolgen sind. Vertreter_innen des Gesundheitsministeriums wiesen darauf hin, das Gesetz über den öffentlichen Dienst verlange, dass unter dieser Haushaltslinie eingestellte Personen einen Nachweis über ihren Oberstufen- oder Universitätsabschluss erbringen müssen. Der nationalen Ombudsstelle für Menschenrechte Procuraduría de los Derechos Humanos zufolge wurden diese Belege noch nicht verlangt, als das Gesundheitsministerium das betreffende Personal einstellte. Da 46 der im COVID-19-Krankenhaus beschäftigten Instandhaltungs- und Reinigungskräfte nicht die entsprechenden Unterlagen vorlegen konnten, wurden sie kurzerhand entlassen. Sie hatten erst knapp drei Monate lang in der Klinik gearbeitet und mussten teilweise ihre eigenen Werkzeuge und Materialien zur Arbeit mitbringen. Das Gesundheitsministerium identifizierte 38 Personen, die die Anforderungen nicht erfüllten. Die nationale Ombudsstelle für Menschenrechte hingegen meldete 46 Kündigungen im Bereich Instandhaltungs- und Reinigungspersonal. / Entgegen der Begründung des Gesundheitsministeriums besagt der Klassifikationsplan für Beschäftigungen im öffentlichen Sektor in Übereinstimmung mit Paragraf 35 des Gesetzes über den öffentlichen Dienst, dass bei einer Reihe von Stellen mit überwiegend “körperlicher und repetitiver Arbeit” keine über die Grundschule hinausgehende Schulbildung notwendig ist. Zudem ist im Handbuch zur Klassifikation der Haushaltslinien für den öffentlichen Dienst (Ministervereinbarung 291‑2012) keine Regelung zur Notwendigkeit eines Oberstufenabschlusses für die Anstellung von Personen unter Haushaltsbestimmung 189 aufgeführt. / Im COVID-19-Krankenhaus im Parque de la Industria in Guatemala-Stadt sind die Rechte der dort Arbeitenden – sowohl die der Instandhaltungs- und Reinigungskräfte als auch die des medizinischen Personals – bedroht. Diese Beschäftigten nicht angemessen zu schützen, bedeutet, nicht nur ihre sondern auch die Gesundheit der guatemaltekischen Bevölkerung aufs Spiel zu setzen. Seit Beginn der Pandemie haben Beschäftigte im Gesundheitswesen im ganzen Land öffentlich und wiederholt das Fehlen angemessener Schutzausrüstung kritisiert. Laut der nationalen Ombudsstelle für Menschenrechte hatten sich bis zum 24. Mai 2020 mindestens 49 Pflegekräfte und Ärzt_innen mit COVID-19 infiziert. Am 30. Mai 2020 forderte das Verfassungsgericht das Gesundheitsministerium auf, unverzüglich alle Beschäftigten im Gesundheitswesen mit entsprechender Schutzausrüstung auszustatten.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 20.7.2020 unter > ai : urgent action
früh auf der straße
marimba : 8.56 UTC — Einmal, Jahre sind vergangen, hatte ich mir vorgenommen, eine Notiz über eine Ameise zu schreiben, die ich an einem Nachmittag in einem U‑Bahnwaggon angetroffen hatte. Aber dann beobachtete ich meine Hände, Hände, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine schwebend auf Anweisung warteten. Ich bemerkte damals, dass meine Hände jene anatomischen Strukturen meines Körpers sind, die ich am Besten kenne, weil ich sie sehr oft betrachtet habe. Alle meine Hände, die ich erinnern kann, sind die Hände eines Menschen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erinnere mich an Bewegungen, die Kissen in einem Kinderwagen sortieren. Ich erinnere mich an meinen Wunsch, in meinem Kinderwagen Ordnung zu halten. An hölzernes Spielzeug erinnere ich mich, das vor meiner Nase baumelte. Da sind jetzt sehr kleine, blaue Schuhe in meinem Kopf. Sie bewegen sich, wenn ich wünsche, dass sie sich bewegen. — Heute am frühen Morgen wartete ich vor einem Laden auf Einlass. Ich trug eine Mundbedeckung, noch immer versuche ich mich an Stoffstreifen vor meinem Gesicht zu gewöhnen. In meiner nächsten Nähe ging eine uralte Frau auf ihren Stock gestützt auf und ab. Ich glaube, sie wollte trainieren. Sie war sehr klein, zierlich, zerbrechlich. Auch sie trug einen Mundschutz vor dem Gesicht, der zerknittert war, als würde sie ihn bereits seit Jahren tragen. Ich wollte sie auf den Arm nehmen, um sie zu beschützen. ich glaube, sie fürchtete meinen Blick. — stop
rosetta
romeo : 3.12 UTC — Nabokov schrieb vor langer Zeit, er habe mir eine ungewöhnliche Uhr geschickt, ich solle ihm notieren, sobald sie angekommen sei. Wenige Wochen später erneute Frage: Lieber Louis, ist die Uhr, die ich vor zwei Monaten sendete, angekommen? Eine erste Uhr Nabokovs lag kurz darauf im Briefkasten, zollamtlicher Vermerk: Zur Prüfung geöffnet. Nun, in diesem seltsamen Mai, habe ich eine weitere Uhr von Nabokov erhalten. Zollamtlicher Vermerk, derselbe. Ich will an dieser Stelle bemerken, von der Öffnung des Päckchens war wiederum nicht die mindeste Spur zu erkennen, kein Schnitt, kein Riss, keine Falte. Im Päckchen diesmal eine Schachtel von rotem Karton, in der Schachtel Seidenpapiere, von Nabokovs eigener Hand vermutlich zerknüllt. In weitere Seidenpapiere eingeschlagen, besagte Uhr, wunderbares Stück, rechteckiges Gehäuse, blechern, vermutlich Trompete, welches schwer in der Hand liegt. Kurioserweise fehlt auch dieser Uhr das Zifferblatt, weiterhin keinerlei Zeiger, weder Dioden noch Leuchtzeichen. Ich versuchte das Gehäuse der Uhr zu öffnen, erneut vergeblich. Wenn ich auf das Gehäuse der Uhr Druck ausübe, öffnet sich am Uhrboden ein schmaler Schacht, dem, wie zum Beweis der Existenz der Zeit, ein Streifen feinsten Papiers entkommt, auf welchem ein Uhrzeitpunkt aufgetragen worden ist: Achtzehnzwölf. — Es ist Nacht geworden. Ich liege im Halbschlaf auf dem Sofa. Meine Schreibmaschine atmet leise, ein beständiges Fauchen. Seit einigen Tagen arbeitet sie auch während ich schlafe, rechnet vor sich hin für ein besonderes Projekt: Rosetta@home — stop