Aus der Wörtersammlung: pen

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zungen

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del­ta : 18.
05 — Was ich hör­te im Gehen Ecke Lex­ing­ton Ave­nue zur 59. Stra­ße, ein Wort müss­te ich übers ande­re schrei­ben. Das Heu­len der Lösch­zü­ge, das Hupen der Taxim­o­bi­le, quiet­schen­de Brem­sen, Kra­wall aus Läden, Men­schen­stim­men, Pfei­fen, Quiet­schen, Äch­zen, Brau­sen, Lärm­zun­gen, die um jede Ecke strei­chen, ein Wort über das ande­re schrei­ben, bis sich die Zei­chen aus dem Papier erhe­ben. — stop

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penn station

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marim­ba : 23.
12 — Penn­sta­ti­on am spä­ten Abend. Namen, Leucht­stof­fe, Ziel­or­te, die auf Tafeln klap­pernd von Zei­le zu Zei­le fal­len. Montauk. stop. Baby­lon. stop. Syra­kus. stop. Keroo­kee. stop. Muscheln­de Geräu­sche, Wör­ter, Sät­ze fort­be­we­gend, Dos Pas­sos, sagen wir, Man­hat­tan Trans­fer, Edi­ti­on für Tief­see­tau­cher. stop. 700 selbst­leuch­ten­de Sei­ten a 1200 Gramm. stop. Funk­blät­te­rung. stop. 1 x 0.5 Meter Kan­ten­län­ge. stop. Him­mel, was für ein gro­ßes, schwe­res Buch. stop. Schwe­bend. stop. 550 Fuß Tie­fe. — stop
ping

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mann ohne mund

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tan­go : 22.16 — Drei­fach einem Mann ohne Mund begeg­net, jedes Mal unter der Lex­ing­ton Ave­nue gegen den Abend zu fah­rend, wenn sich die Züge fül­len mit Pend­lern in alle Rich­tun­gen des Him­mels. Das Pfei­fen der Luft, die den Saum einer Öff­nung am Hals des Man­nes in Schwin­gung ver­setzt, ich hör­te es in nächs­ter Nähe, ich hör­te es im Traum, ich erin­ner­te es bei einer zwei­ten Begeg­nung sofort, als wäre das pfei­fen­de Flat­tern eine Stim­me, da war er noch ent­fernt, da sah ich sein zer­stör­tes Gesicht durch die Men­ge der Rei­sen­den näher­kom­men, sah sei­ne gleich­wohl vom Feu­er ver­seng­ten Hän­de, rosa leuch­ten­de Haut da und dort, die Ahnung einer Nase, sein Auge, das letz­te, gerö­tet von der Anstren­gung und vom Aus­druck der Dank­bar­keit, mit dem er jeden unter der Stadt rei­sen­den Men­schen bedach­te, sobald er sich Davids Geschich­te lesend näher­te, spre­chen­den Foto­gra­fien vor einer ruhig atmen­den Brust: Ich, ich habe in Bag­dad mein Gesicht ver­lo­ren in einer Sekun­de an einem Abend wie die­sem Abend, in einem Som­mer wie die­sem Som­mer. Und wie er jetzt wei­ter­geht, wie er die Stil­le mit sich nimmt. Auch ich habe kein Wort zu ihm gesagt, als ob ein Mann ohne Mund nicht hören kön­ne. — stop

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spieldose

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tan­go : 0.03 — Vor Jah­ren, zur Som­mer­zeit, an der Sei­te einer schwer­mü­ti­gen Frau durch trop­fen­den Wald nahe einem Kran­ken­haus. Es hat­te gereg­net, eine Sint­flut, das Kleid der Frau, von dem sie erzähl­te, dass es sich um ein bren­nen­des Kleid han­de­le, kleb­te an ihrem Kör­per fest. Schmal war sie gewor­den, zer­brech­lich, fast durch­sich­tig, die Haut ihrer Hän­de, ihrer Wan­gen, ihres Hal­ses. Ich erin­ne­re mich, dass ich ihr Libel­len zeig­te, sie jag­ten dicht über den damp­fen­den Boden hin, Wald­erd­bee­ren, einen Frosch. Ich frag­te nach ihren Gedan­ken, aber ich konn­te sie nicht errei­chen, auch mit mei­nen Bli­cken nicht, weil sie mich nicht anse­hen woll­te, son­dern vor sich hin starr­te, indem sie vor­sich­tig ihre Schrit­te setz­te, als wür­de der Boden unter ihren Füßen nicht wirk­lich exis­tie­ren. Ihr fei­nes Gesicht, ihre hel­len Augen, hell von Schmerz und Furcht. Wie sie nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens sag­te, nie­mand kön­ne ver­ste­hen, wie sie sich füh­le, kein Mensch, das sei schreck­lich, und das Atmen, die Angst, die Lee­re, der Ein­druck zu fal­len, und dass sie nicht wüss­te, wann das alles wie­der­kommt, wenn es doch ein­mal auf­ge­hört haben soll­te, und war­um. In einer ihrer Hän­de barg sie eine Spiel­do­se. Manch­mal hielt sie die klei­ne Maschi­ne vor ihr Gesicht und dreh­te an einer Kur­bel. Sie neig­te dann den Kopf zur Sei­te, und für einen Moment schien der Schmerz nach­zu­las­sen, eine Ahnung im Som­mer­re­gen, eine Erfah­rung größ­ter Fer­ne und Hilf­lo­sig­keit inmit­ten zir­pen­den, pfei­fen­den, rau­schen­den Lebens. Ges­tern in einer beson­de­ren Wei­se von dem erschüt­tern­den, hoff­nungs­fro­hen Film Helen in die Tie­fe erzählt. — Top five der schlech­tes­ten, gut gemein­ten Rat­schlä­ge von Leu­ten, die über­haupt kei­ne Ahnung haben: Fahr in die Feri­en, lies ein Buch, lass Dir die Haa­re schnei­den, reno­vier Dei­ne Woh­nung, ler­ne Joga. — stop

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avenue of the americas

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india

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : AVENUE OF THE AMERICAS

Ich muss Euch nicht erzäh­len, wo ich mich gera­de befin­de, lie­be Vio­let, lie­be Dai­sy, ich höre Eue­re Stim­men, hör, wie Ihr scherzt, was macht er nun schon wie­der, war­um ist er ein­ge­schla­fen, das muss ein betäu­ben­des Buch gewe­sen sein. Jetzt also bin ich wach gewor­den. Ich notie­re die­se Sät­ze in dem Wis­sen, dass Ihr lesen wer­det, Zei­chen für Zei­chen, wie in die­sem Augen­blick erscheint, was ich schrei­be. Das Notie­ren ist so etwas wie das Sicht­bar­ma­chen des Den­kens, nicht wahr, so könn­ten wir das viel­leicht sagen. > …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

… > Spa­zier­te in Eue­rer Ange­le­gen­heit, wie ver­spro­chen, durch Man­hat­tan. Ich hat­te mei­nen klei­nen Foto­ap­pa­rat in der Hand, stand mit­ten auf der Ave­nue of the Ame­ri­cas, um das neue Hip­po­drom-Gebäu­de abzu­lich­ten. Auch das wisst Ihr natür­lich, wie wir dann Rich­tung Bryant Park spa­zier­ten, unser Gespräch über gehei­me Ten­ta­keln der Bäu­me, die den Lärm der Stadt aus der Luft zu fan­gen schei­nen. Und mein Begeh­ren, gewiss, ein Eich­hörn­chen zu fan­gen, das war­me Licht des hupen­den Abends, mei­ne Über­le­gung, wie ich Euch eines Tages ein­mal per­sön­lich begeg­nen könn­te, und mein Ver­spre­chen, ein wei­te­res Eue­rer Jugend­bil­der zu sen­den. Was Euch nicht bekannt sein wird, weil ich’s nur dach­te, ich hat­te in all den gemein­sa­men Stun­den eine ver­we­ge­ne Fra­ge in mei­nem neu­gie­ri­gen Kopf. Nun, es ist kurz nach Mit­ter­nacht, wer­de ich die­se Fra­ge für Euch buch­sta­bie­ren, unsi­cher ein wenig, was gesche­hen wird, ob ich Euch nicht zu Nahe kom­me, sodass Ihr aus mei­nen Augen ver­schwin­den wer­det. Gebt gut acht! Es ist näm­lich so, dass ich mich fra­ge, wie auch immer die Räu­me beschaf­fen sind, die für Euch aus­ge­dacht, ob Ihr dort Oben für die Ewig­keit noch immer leib­lich mit­ein­an­der ver­wach­sen seid? – Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht eine gute Nacht!

gesen­det am
18.05.2010
0.05 MESZ
1775 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

ping

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winde

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sier­ra : 0.02 — Ver­gan­ge­ne Nacht ein fei­ner Traum. Pen­del­te unter rie­si­ger Stadt in einem U‑Bahnzug. Kost­bar geschmück­te saßen zwi­schen zer­lump­ten Men­schen. Amei­sen pro­zes­sier­ten, kreis­run­de Papie­re in ihren Zan­gen, ein zer­teil­tes Buch durchs Abteil. Kin­der spiel­ten mit Ping­pong­bäl­len, feder­lo­se Täub­chen fackel­ten über offe­nen Koh­le­feu­ern. Und da waren Libel­len von vor­neh­mer Grö­ße, bit­ter duf­ten­de, blau­häu­ti­ge Tie­re, sie schweb­ten mit der rei­sen­den Luft. Nie wur­de Dun­kel im Zug, Jah­re fuh­ren wir so dahin, ohne je ein­mal anzu­hal­ten. Eine Laut­spre­cher­stim­me, schep­pernd, pfei­fend. Immer wie­der der­sel­be Satz: It was a wrong num­ber that star­ted it. – stop. — Mein Hand­no­tiz­com­pu­ter, so lei­se, so lei­se, dass ich mich zu ihm nei­ge, um sei­nen Wind wahr­neh­men zu kön­nen. — stop
ping

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suspense

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gink­go : 0.55 — Im for­schen­den Gespräch mit Tai­ni*. Vor eini­ger Zeit hat­te sie auf mei­ne Fra­ge hin, ob sie sich jetzt, da sie schon vie­le Jah­re in Euro­pa lebt, als Euro­päe­rin wahr­neh­men wür­de, geant­wor­tet, sie sei doch eher noch immer eine India­ne­rin und das wür­de sich wohl nie­mals ändern, schon des­halb nicht ändern, weil ihre Gesichts­zü­ge, weil das tie­fe Schwarz ihres Haa­res und ihre äußerst zier­li­che Gestalt sie an ihren Ursprung täg­lich erin­ner­ten. Ich sehe mich, sagt sie, ja, ich sehe mich! Wie sie jetzt lachend erzählt, dass sie einst schlei­chend ihre Spra­che ver­lo­ren habe, die ver­bo­te­ne Spra­che ihrer Kind­heit, und dass sie nun die Spra­che jener Män­ner den­ken und spre­chen wür­de, vor wel­chen sie sich als Mäd­chen in die Bäu­me flüch­ten muss­te. Lang­sam for­mu­liert sie, Wort für Wort, betrach­tet auch dann, wenn ich sie nicht anse­he, mein Gesicht, indem ich notie­re, was sie erzählt. Sel­ten wirft sie einen Blick auf das Notiz­buch, das neben der Ton­band­ma­schi­ne auf dem Tisch zwi­schen uns liegt, macht manch­mal eine Kopf­be­we­gung, die bewirkt, dass ich mein Werk­zeug her­um­dre­he, damit sie sehen kann, was ich auf­ge­schrie­ben habe. Dei­ne Schrift ist nicht zu lesen, bemerkt sie und schüt­telt amü­siert den Kopf, viel­leicht weil ich noch immer nicht gelernt habe, so zu schrei­ben, dass sie mei­ne Gedan­ken ent­zif­fern könn­te. Also lese ich ihr vor, zum Bei­spiel die Fra­ge, wie Amei­sen schme­cken oder das Stich­wort Schu­le. Kannst Du Dich noch an Dei­nen ers­ten Schul­tag erin­nern? Ihr Schwei­gen. Eine anmu­ti­ge, in sich suchen­de Erschei­nung. Du musst eine span­nen­de Geschich­te dar­aus machen, sagt sie ein­mal. Ihr Blick, als ich sie fra­ge, was sie denn unter einer span­nen­den Geschich­te ver­ste­hen wür­de. — stop

* Name geändert
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denkfalter

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india : 0.02 — Begeis­tert, nach­dem ich in einem Wör­ter­buch der eng­li­schen Spra­che zur Über­set­zung der Zitro­nen­fal­ter Varia­tio­nen gesam­melt habe. Brims­tone but­ter­fly, herr­li­cher Klang! Ich erin­ner­te mich, dass mir das Wort brims­tone schon ein­mal begeg­ne­te, ich mei­ne das Wort vor lan­ger Zeit in Jan Gabri­als Buch My Life with Mal­colm Lowry ent­deckt zu haben, ein vul­ka­ni­sches Wort, und weil ich mir nicht ganz sicher gewe­sen war, noch ein­mal der Blick ins Kom­pen­di­um. Eine Mee­res­ge­schich­te der Schwe­fel­fal­ter wird nun denk­bar, wie sie von sal­zi­gen Win­den über Zin­no­ber­sand gewir­belt wer­den. Und da ist noch eine wei­te­re, eine viel­leicht selt­sa­me Beob­ach­tung an die­sem Abend. Das ist näm­lich so, ich kann nichts sagen über den eigent­li­chen Duft der Schmet­ter­lings­we­sen. — stop

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lufthupe

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gink­go : 6.25 — Ob sich die Trom­pe­ten­spra­che der Tief­see­ele­fan­ten von der Trom­pe­ten­spra­che der Step­pen­ele­fan­ten unter­schei­det? — Lässt sich die­se Fra­ge foto­gra­fie­ren? — stop
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amerikafahrt

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marim­ba : 0.02 — Sekun­den­brief­mar­ke aus dem Jahr 1959, zu einer Zeit notiert, da ich selbst, auch als Idee, noch nicht gebo­ren war: Das Taxi war groß wie eine Loko­mo­ti­ve. Und es war grell­gelb ange­stri­chen wie ein deut­scher Brief­kas­ten. Auf sei­nem Dach funk­te es blau­ro­te Licht­si­gna­le, sie ähnel­ten dem blit­zen­den wach­sa­men Auge der Poli­zei, und für eine Wei­le hat­te ich das Gefühl, ein Ehren­gast zu sein, der eskor­tiert und ohne Berüh­rung mit Land und Leu­ten an ein Ziel gebracht wer­den soll. Die Pols­ter des Wagens waren hart, und der nack­te Stahl­bo­den war schmut­zig; man bot dem Fahr­gast den Trans­port, man bot ihm nicht mehr. Andau­ernd erreich­ten den Wagen­len­ker durch die Luft gesand­te Bot­schaf­ten; Unsicht­ba­re spra­chen zu ihm, beschwo­ren ihn, quäl­ten ihn, hetz­ten ihn. Zuwei­len ant­wor­te der Mann den Stim­men der befeh­len­den Luft­geis­ter. Wolf­gang Koep­pen A m e r i k a f a h r t
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