Aus der Wörtersammlung: utc

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eine seerose perdu

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romeo : 8.55 UTC — Ges­tern, gegen Mit­ter­nacht, wur­de eine Per­son, die sich als deut­sche See­ro­se defi­nier­te, von Mit­ar­bei­tern und Mit­ar­bei­te­rin­nen der Twit­ter­ma­schi­ne dau­er­haft aus­ge­sperrt, weil sie in regel­mä­ßi­ger Wei­se Men­schen nicht­deut­scher Her­kunft an deut­schen Bäu­men erhän­gen woll­te. Ein Vor­gang, der ein sie­ben­jäh­ri­ges Twit­ter­le­ben abrupt been­de­te. Über zwölf­tau­send Kurz­nach­rich­ten sind sehr plötz­lich nicht wie­der­zu­fin­den, Geschich­ten aus einem Alb­traum­le­ben. Man (See­ro­se. deutsch) fängt ver­mut­lich, ohne das Erhän­gen, wie­der von vor­ne an. — stop

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wolkenserver

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tan­go : 8.32 UTC — Ich stell­te mir einen sehr klei­nen Vogel vor, so groß viel­leicht wie eine Frucht­flie­ge mit einem Plu­to­ni­um­herz, ein Geschenk der Eltern an ein Kind, eine Auf­zeich­nungs­ma­schi­ne, feder­leicht, wel­che das Leben des Kin­des beglei­tet, ver­zeich­net, was das Kind unter­neh­men wird in sei­nem Leben, was es notie­ren und spre­chen, wohin es rei­sen, wie gut oder schlecht es schla­fen wird. Ein Leben aus nächs­ter Nähe zuver­läs­sig auf­ge­nom­men und gespei­chert in einem Wol­ken­ser­ver. — stop

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nachtuhr

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india : 0.06 UTC — Die­se eine Minu­te in der Nacht. Ich ste­he in der Die­le im Licht und schaue auf mei­nen lin­ken Arm. Ich mei­ne, eine Uhr zu erken­nen, die sich unter mei­ner Haut befin­det, eine sehr klei­ne Uhr mit einem blau­en Zif­fer­blatt, es ist dort kurz nach 2 Uhr. Ich bin über­zeugt, die­se Uhr noch nie zuvor gese­hen zu haben. Ich gehe in die Küche und schrei­be im Halb­schlaf auf einen Zet­tel: Nachtuhr suchen. Dann schla­fe ich wie­der ein und fin­de am Mor­gen auf dem Tisch neben Äpfeln und Bana­nen mei­ne Notiz. Selt­sa­me Geschich­te. Ob viel­leicht Uhren die­ser Art exis­tie­ren, tau­chen­de Uhren. Es ist jetzt kurz nach Mit­ter­nacht. Bald wie­der schla­fen. — stop

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eine kurze pause

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lima : 0.08 UTC — Vor­ges­tern, am spä­ten Abend, führ­te ich ein inter­es­san­tes Twit­ter­ge­spräch. Eine Per­son, ein Herr oder eine Dame, erkun­dig­te sich auf direk­tem Kanal, ob es denn mög­lich sei, mei­nen eigent­li­chen Namen zu erfah­ren, weil er oder sie mich sehr ger­ne irgend­wann in naher Zukunft wegen Hoch­ver­rats an dem deut­schen Vol­ke ankla­gen wol­le. Ich hat­te mich kurz zuvor erkun­digt, ob er oder sie viel­leicht einen der ver­siff­ten Neger, die Euro­pa angeb­lich bedroh­ten, per­sön­lich ken­nen wür­de. Ich bat um etwas Geduld, ich wür­de mir Zeit neh­men, um ihre Anfra­ge zu ent­schei­den, müss­te zunächst dar­über nach­den­ken. Zeig Dich, Du Hund, schrie­ben der Mann oder die Frau. Ich ant­wor­te­te, ich, der Hund, befürch­te bei Offen­le­gung mei­nes wirk­li­chen Namens mög­li­cher­wei­se heu­te noch auf der Stra­ße vor mei­nem Haus wegen Hoch­ver­rats eli­mi­niert zu wer­den. Ein kur­ze Pau­se ent­stand im Gespräch, es dau­er­te fünf Minu­ten und 32 Sekun­den, dann ant­wor­te­te der Mann oder die Frau in groß­zü­gi­ger Wei­se, ich sol­le mich nicht auf­re­gen, ich kön­ne sicher sein, dass mir nichts gesche­hen wür­de. Wir kämp­fen für die Frei­heit der Mei­nung, gegen ein Dik­ta­tur, die Deutsch­land ver­nich­ten wol­le. Er oder sie frag­te sodann: Sind Dir Hans und Sophie Scholl bekannt? Es sei jetzt an der Zeit Wider­stand zu leis­ten, damit Deutsch­land nicht unter­ge­he, mutig und auf­recht. — stop

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von magnetbändern

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lima : 0.06 UTC — Ein­mal, vor lan­ger Zeit, traf ich einen Freund. Sei­ne Frau war kurz zuvor gestor­ben. Wir saßen in einem Café im bota­ni­schen Gar­ten. Mein Freund erzähl­te von der See­fahrt als jun­ger Mann in Maschi­nen­räu­men, von him­mel­blau­en fin­ni­schen Win­ter­näch­ten, Polar­lich­tern, Ker­zen. Sei­ne Trau­rig­keit an die­sem Tag, weil er ein­sam gewor­den war, weil er sein eige­nes Alt­wer­den spür­te. Er erzählt von den letz­ten Tagen sei­ner Frau. Wie sie auf­räum­te in der Woh­nung, wie sie Bücher beschrif­te­te, dann wie­der ins Kran­ken­haus, in Sicher­heit, aber ohne zu viel Mor­phi­um, um nicht ein­zu­schla­fen. Die letz­ten 30 Stun­den war sie dann doch bewusst­los gewe­sen. Ein­mal sprach sie wun­der­schö­ne Sät­ze für ihn auf den Anruf­be­ant­wor­ter, die er ver­se­hent­lich lösch­te. Auf Magnet­bän­dern, 30 Jah­re sind sie alt, fin­den sich Auf­nah­men, das weiß er genau, der Cem­ba­lis­tin, aber es fehlt das Abspiel­ge­rät dazu. Es geht mir ans Herz, wie ich den alten Mann in Rich­tung einer blü­hen­den Kas­ta­nie davon­ge­hen sehe. Ich hat­te ihn gefragt, ob er sich mit sei­ner Gelieb­ten noch unter­hal­te, und er sag­te, irgend­wie schon, es ist ja so vir­tu­ell, und es kom­men kei­ne Ant­wor­ten. — stop

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von grammophonen

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marim­ba : 18.52 UTC — Ein­mal gehe ich im Traum eine Stra­ße spa­zie­ren. Da und dort Waren­häu­ser und Läden, schön warm beleuch­tet, selt­sa­mer­wei­se ohne Aus­nah­me Schall­plat­ten­lä­den. Gram­mo­pho­ne sind zu erken­nen, ganz alte Kis­ten. Plötz­lich kommt mein Bru­der auf einem Fahr­rad vor­bei, kurz dar­auf Vater im Roll­stuhl sehr kraft­voll. Er leuch­tet vor Begeis­te­rung, die­se Geschwin­dig­keit, er ist unge­heu­er geschickt mit sei­nem Stuhl. Der Roll­stuhl ist von Kirsch­baum­holz, er blüht. Bald sind Vater und Bru­der in einer Sei­ten­stra­ße ver­schwun­den. — Kurz nach­dem ich erwach­te, erzähl­te ich Mut­ter mei­nen Traum, er gefiel ihr. Jetzt sitzt sie selbst im Roll­stuhl. Wenn die­ser, ihr klei­ner Roll­stuhl doch nur blü­hen wür­de, es ist Mai, sie trägt einen Som­mer­hut und schläft. — stop

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nicht atmen

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nord­pol : 18.15 UTC — Heu­te ist ein glück­li­cher Tag. Der Wind rast ums Haus, nur noch weni­ge Stun­den Zeit, April­wind zu sein. Und die­se Blei­stif­te, die heu­te ange­kom­men sind, so spitz und hart, wie ich sie mir kaum vor­zu­stel­len trau­te. Um 17 Uhr und drei Minu­ten erreicht mich die Nach­richt der Biblio­thek, Robert Walsers Mikro­gram­me Aus dem Blei­stift­ge­biet sei­en ein­ge­trof­fen, ich könn­te sie abho­len bis 18 Uhr, also dann am Mitt­woch. Wie bin ich auf Robert Wal­ser gesto­ßen nach lan­ger Zeit? Nun, weil ich vor weni­gen Tagen einen Mann in der Schnell­bahn beob­ach­te­te, der mit einer Lupe einen Zet­tel stu­dier­te, auf dem Schrift­zei­chen zu erken­nen waren, so klein, dass ich nicht vor­zu­stel­len wag­te, ein mensch­li­ches Wesen könn­te sie von Hand auf das Papier auf­ge­tra­gen haben. Der Mann schien sehr müde gewe­sen zu sein, und ich dach­te: Ein Mensch, der in die­ser Wei­se schreibt, schreibt lei­se, war­um? — stop
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