Aus der Wörtersammlung: warten

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ventilatorpocken

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nord­pol : 9.16 — Däm­me­rung des Mor­gens. In den blau­grau­en Schat­ten der Häu­ser­spit­zen, die sich über Kreu­zun­gen bewe­gen, scheint die Zeit schnel­ler zu wer­den. Ein Wasch­bär has­tet Rich­tung Cen­tral Park geduckt der Bord­stein­kan­te ent­lang. Am sia­me­si­schen Hydran­ten hält er kurz an, trinkt, dreht sich immer wie­der nach mir um, unsi­cher viel­leicht, weil er bemerk­te, dass ich ihm fol­ge durch die See­wind­luft, die noch kühl ist von der Nacht. Das Rau­schen der Ven­ti­la­tor­po­cken an den Häu­ser­wän­den, sanft. Ver­ein­zel­tes Hupen. Eine Minu­ten­ge­schich­te im War­ten auf Uwe John­sons Wör­ter­licht, die Soh­le der Lex­ing­ton Ave­nue noch ver­schat­tet. — stop
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juli 14

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romeo : 22.38 — Stun­de um Stun­de auf Fähr­schif­fen zwi­schen Sta­ten Island und der süd­li­chen Spit­ze Man­hat­tans hin und her. Ein schau­keln­der Ort. Ein Ort, der im Moment mei­ner ers­ten Begeg­nung schon ver­traut gewe­sen war, als ob ich vor lan­ger Zeit gebo­ren wur­de auf einer der brum­men­den Bän­ke, ein frü­her Blick, Schat­ten rie­si­ger Möwen hin­ter Schei­ben, auf wel­chen Salz­kris­tal­le fun­kel­ten, der Klang der Nebel­hör­ner, und wie­der oder immer noch seit­her die­ser rote Ball, den die Bewe­gung des Mee­res über das unte­re Deck der Fäh­re spielt. Heiß und sti­ckig, der Tag mei­ner Notiz, auch über der Upper Bay ruh­te bewe­gungs­los die Luft, bereit zu sin­ken. Lun­ger­te mit Rei­se­schreib­ma­schi­ne auf den Knien hechelnd, Luv­sei­te, her­um und war­te­te. — stop

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jonglieren

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romeo : 0.25 — Stand in einer Schlan­ge war­ten­der Men­schen, mach­te Rechen­übun­gen im Kopf. Nach fünf oder zehn Minu­ten kon­zen­trier­ter Arbeit war ich dann so weit gekom­men, ein­zu­se­hen, dass jene Zah­len­grö­ßen, die ich jon­glier­te, mein Denk­ver­mö­gen deut­lich über­for­der­ten. Rech­ne­te bald in mei­nem Notiz­buch notie­rend, mit Blei­stift­zah­len wei­ter vor­an: Ers­tens / Ein Papier­tier­chen, sobald es sei­ne Arme streckt, misst 0,087 mm von Ost nach West. Zwei­tens / 2413 Papier­tier­chen säu­men den Rand eines beschreib­ba­ren leben­den Papiers an sei­ner schma­len Sei­te, 3218 Papier­tier­chen des­sel­ben Papiers an sei­ner län­ge­ren Sei­te. Drit­tens / 7765034 Papier­tier­chen sind Tei­le einer Struk­tur, der ich einen Namen zu geben habe. — Wun­der­ba­re, frü­he Nacht. Ein gro­ßer Frie­den in ange­neh­mer Span­nung. Alle sind sie jetzt da, sit­zen an mei­nen Zim­mer­wän­den und rüh­ren sich nicht. — Guten Morgen!

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fliegende berge

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india : 2.24 — Im Schlaf eine inter­es­san­te Erfah­rung der Zeit. Das war ges­tern, nach­dem ich mir vor­ge­nom­men hat­te, eine Zug­fahrt nach Montauk zu träu­men. Statt­des­sen, fei­ne Sache, träum­te ich, Sta­nisław Lem habe mir einen Brief geschrie­ben. Und weil ich die klei­ne Geschich­te nun ganz genau erzäh­len möch­te, muss ich an die­ser Stel­le notie­ren, dass Herr Lem im Nacht­ge­sche­hen kei­nen unmit­tel­ba­ren Kon­takt auf­zu­neh­men ver­moch­te, dass viel­mehr ein geheim­nis­vol­les Büro den ers­ten und ein­zi­gen Buch­sta­ben einer Nach­richt mit dem Hin­weis über­mit­tel­te, ich müs­se mich fort­an gedul­den, da die Zeit der jen­seits Leben­den sehr viel lang­sa­mer ver­ge­hen wür­de, als die Zeit der dies­seits leben­den Men­schen. Mit einem wei­te­ren Zei­chen, einem zwei­ten Zei­chen des Brie­fes, sei im Juni, und zwar doch im Juni des lau­fen­den Jah­res, zu rech­nen. Ich wach­te dann auf und war fröh­lich und mach­te mich unver­züg­lich an die Beob­ach­tung eines Nach­rich­ten­schat­tens, den flie­gen­de vul­ka­ni­sche Mikro­ge­bir­ge der­zeit über Euro­pa erzeu­gen. – Abwar­ten. stop. Tee­trin­ken. — stop
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herzgeschichte

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oli­mam­bo : 0.02 — Das wei­ße Papier ist nie­mals leer. Die­sen Satz habe ich ges­tern Nach­mit­tag gegen 15 Uhr genau so notiert, wie er hier ver­zeich­net ist. Ich saß am klei­nen See im Pal­men­gar­ten und dach­te an Her­zen und sol­che Din­ge, und als ich den Satz eine Stun­de spä­ter noch ein­mal gele­sen habe, konn­te ich nicht sagen, war­um ich den Satz eigent­lich auf­ge­schrie­ben hat­te. Das war ein merk­wür­di­ger Moment gewe­sen, die­se Sekun­de, da ich bemer­ke, dass ich einen Satz, den ich selbst aus­ge­dacht, nicht erken­nen konn­te. Trotz­dem gefiel mir der Satz. Ich hat­te den Ein­druck, dass es sich um einen wah­ren Satz han­deln könn­te, und dass ich nur abwar­ten müs­se, bis sich sein fei­nes Wesen zei­gen wird. Und so lau­sche ich nun also. Irgend­et­was brummt in mei­ner nächs­ten Nähe. Däm­me­rung. Und ich stel­le mir vor, wie gut es doch wäre, wenn Men­schen für eine gewis­se Zeit ihre Her­zen tei­len könn­ten. Man mel­det sich zum Bei­spiel in einem Hos­pi­tal. Guten Abend, sagt man, guten Abend, wir haben heu­te Nacht etwas Zeit, mein Herz und ich. Und dann fährt man unver­züg­lich los, man fährt durch die Stadt und ihre Lich­ter und Düf­te und legt sich sehr bald zu einem Men­schen, des­sen Herz schwach gewor­den ist, ver­bun­den liegt man Stun­den still.

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am späten abend

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del­ta : 6.28 — Es war am spä­ten Abend und ich hat­te mei­ne Augen noch geöff­net, Cole Por­ter spiel­te ein paar fei­ne Sachen, zwei gol­den brau­ne Frosch­bal­lo­ne segel­ten durchs Zim­mer, und da war noch mein klei­ner Kof­fer, und ich sag­te zu ihm, als könn­te er mich ver­se­hen, um dich küm­me­re ich mich spä­ter! Und dann schlief ich ein und wach­te wie­der auf, noch immer spiel­te Cole Por­ter sei­ne fei­nen Sachen, und ich dach­te, du bist ein­ge­schla­fen und du bist wie­der auf­ge­wacht, das ist das Leben, ein­zu­schla­fen und wie­der auf­zu­wa­chen. Und da lag ein Engel, eine Man­go so groß, auf mei­nem Bauch, und der Engel schlief, wie ich geschla­fen hat­te, und ich dach­te, ist das nicht wun­der­bar, sein Herz, sein klei­nes Herz, wie es schlägt und schlägt und schlägt. Und dann schlief ich wie­der ein und schlief und schlief so selt­sam, ohne das Schla­fen zu bemer­ken, dass ich viel­leicht noch immer schla­fe, indem ich gera­de schrei­be, indem ich gera­de zärt­lich den­ke, an das Leben, an das Schla­fen, an das Wachen, an all die wil­den Din­ge, und dar­an, dass ich nun weiß, wir Men­schen sind für letz­te Geschich­ten nie­mals gemacht, auch in den Minu­ten schwers­ter Abschie­de ist da immer noch die­ser selt­sam schwe­ben­de Punkt in der Luft, ein lei­ses Licht, ein Blick, bis bald. — stop
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windstille

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echo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : WINDSTILLE

Es war Mitt­woch, lie­ber Jona­than, trau­ri­ger Tag, mein letz­ter Fisch ist von mir gegan­gen. Als ich ihn besu­chen woll­te, ruh­te er seit­wärts auf san­di­gem Boden, eine schein­bar schla­fen­de Gestalt. Das Gewicht sei­nes Kör­pers kurz dar­auf in mei­ner Hand, nicht erwar­te­te Küh­le und die Rau­heit sei­nes Kop­fes, den ich nie zuvor berührt hat­te, ein selt­sa­mer, ein bewe­gen­der Moment. Sie wer­den, lie­ber Kek­ko­la, mei­ne lei­se Trau­er nach Jah­ren gemein­sa­men Lebens ver­ste­hen, Sie ganz gewiss! — Sagen Sie, wie geht es Ihren Lun­gen, haben Ihre Atem­flü­gel den Win­ter gut über­stan­den, ist alles so wie gewünscht, oder sind Sie viel­leicht Stun­den oder Tage ins Was­ser zurück­ge­kehrt, um Luft zu holen in ver­trau­ter Art und Wei­se? Eine kurio­se Vor­stel­lung, wie mir scheint, Mr. Kek­ko­la tau­chend unter der Eis­haut eines nord­ame­ri­ka­ni­schen Sees. Ich darf Ihnen sagen, dass ich mich ein wenig vor Ihnen fürch­te! Trotz­dem hof­fe ich, Sie haben sich bereits auf süd­öst­li­chen Kurs bege­ben. Ein wol­ken­lo­ser Him­mel soll­te Sie erwar­ten, Wind­stil­le bei 17° Cel­si­us, dort, wo ich Sie lebend ver­mu­te. – Ihr Lou­is, ahoi!

gesen­det am
18.03.2010
4.38 MESZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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standardminute

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del­ta : 6.05 — Wie ich abends im Waren­haus eine moder­ne Stan­dard­mi­nu­te erleb­te, das will ich rasch noch berich­ten, eh mir die Augen zufal­len, müde vom Wun­dern. Eine gan­ze Minu­te also. In die­ser Minu­te, an ihrem Anfang genau­er, befin­det sich eine Kas­sie­re­rin mitt­le­ren Alters, unru­hig sind Augen und Mund, und ihre flat­tern­den Hän­de, Werk­zeu­ge, die Waren über Licht­tas­ter zie­hen. Eine alte Dame ist da noch, eine Dame mit Hut, die sich sehr lang­sam bewegt, ein wah­res Rep­til, wür­de­voll, bedäch­tig. Ein wenig zer­streut scheint sie zu sein, hebt immer wie­der den Blick, beob­ach­tet scheu die Bewe­gung des Ban­des, die Rei­se ihrer per­sön­li­chen Ware: eine Schach­tel Pra­li­nen, ein Fläsch­chen Jäger­meis­ter, Salz­stan­gen, drei Dosen Kat­zen­fut­ter, ein duzend Scho­ko­la­den­os­ter­ei­er in Grün, in Gelb, in Rot, und ein wei­te­res Fläsch­chen noch hin­ter­her. Das alles muss jetzt in die Tasche, sofort, und doch ist es schon zu spät. Zwei Apri­ko­sen­saft­tü­ten schie­ben sich, einem Eis­bre­cher ähn­lich, in den war­ten­den Bezirk der alten Frau hin­ein, fal­ten Eier, Salz­stan­gen und ande­re Waren­tei­le steil zur Sei­te. Man kann jetzt hören, wie das klingt, wenn eine Dame höf­lich um Geduld bit­tet, um Nach­sicht, eine freund­li­che, eine herz­er­wär­men­de Stim­me, und das Geräusch einer Fla­sche, die zu Boden fällt. Wie sich die alte Dame nun auf­rich­tet, wie ihre hel­len Augen mei­ne Hän­de beob­ach­ten, die ver­su­chen, wei­te­res Unglück abzu­wen­den. Ungläu­big schaut sie mich an, dann das För­der­band ent­lang, das wei­te­re Waren vor­an trans­por­tiert. Ja, bald ste­hen wir und stau­nen zu zweit, und auch die Ver­käu­fe­rin ist zur mit­füh­len­den Beob­ach­te­rin gewor­den. Sie lurt zum Waren­strom hin, der über die Kan­te der Roll­band­the­ke in die Tie­fe stürzt. Ihre Hän­de, die­se selt­sa­men Hän­de, sie arbei­ten wei­ter und wei­ter, schie­ben und schie­ben, als führ­ten sie ein eige­nes Leben oder gehör­ten schon der Maschi­ne mit ihrem Rot­licht­au­gen­ge­hirn. stop. Minu­te zu Ende. stop. Guten Mor­gen. — stop

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blattlicht

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lima : 0.01 — Und schon ist wie­der März gewor­den. War­me Luft pfeift übers Dach, und Blät­ter, Blät­ter von Son­nen­licht, sie schau­keln vor dem Fens­ter. So fein sind sie gewirkt, dass nichts sie zu berüh­ren ver­mag als mei­ne Gedan­ken. Höchs­te Zeit von kleins­ten Wesen zu erzäh­len, wie man sie fin­det, da sie doch unsicht­bar sind, und wie man mit ihnen spre­chen oder rei­sen oder gemein­sam war­ten könn­te, sobald man ihnen begeg­net sein wird. — Papie­re­ne Her­zen. — stop
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