Aus der Wörtersammlung: wesen

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yanuk : hört zupfende geigen

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marim­ba

~ : yanuk le
to : louis
sub­ject : GEIGEN
date : jan 12 09 6.52 a.m.

Däm­me­rung. Und doch schon war­me, wei­che, ja schmei­cheln­de Luft. Wer­de eini­ge Wochen hier auf Höhe 51O ver­wei­len. Bin glück­lich. Mehr­fach wäh­rend eines Tages pas­siert das Mäd­chen, von dem ich berich­te­te mit einem ras­seln­den Geräusch, das viel­leicht eine Spra­che dar­stel­len soll­te, unser Habi­tat. Eine fabel­haf­te Klet­te­rin! Ent­we­der ist sie leicht wie eine Feder, oder aber sie ver­fügt über außer­or­dent­li­che Mus­kel­kräf­te. Kein Tag, seit sie auf uns gesto­ßen ist, an dem sie nicht aus den Schat­ten der Blät­ter und Blü­ten tauch­te, um bewe­gungs­los für lan­ge Zei­ten mit­tels eines Armes an einem Ast befes­tigt vor uns über dem Abgrund zu schwe­ben. Sie scheint in die­ser Hal­tung doch zu schla­fen. Ein selt­sa­mes Wesen! Gespro­chen haben wir bis­lang noch nicht, kein ver­ständ­li­ches Wort kam über ihre Lip­pen, aber sie lauscht mei­ner Stim­me, indem sie den Kopf zu Sei­te neigt, wenn ich etwas sage, wenn ich erzäh­le, zum Bei­spiel, von Dir erzäh­le, und dass ich für Dich Gedan­ken und Beob­ach­tun­gen notie­re aus dem Gebiet der Rie­sen­bäu­me. Auch in die­sen Sekun­den, lie­ber Mr. Lou­is, ist sie hier bei uns. Sie muss vor kur­zem noch, wäh­rend eines Jagd­aus­flu­ges, den Erd­bo­den betre­ten haben. Der leb­lo­se Kör­per eines Kanin­chens bau­melt über ihrer lin­ken Schul­ter. Denk­bar, dass wir bald ein Geschenk erhal­ten wer­den. Cucur­ru­cu — Yanuk

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feuernelken

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nord­pol : 0.01 — In der ver­gan­ge­nen Nacht Feu­er­nel­ken geträumt, auch Wale, wie sie durch die Luft schwe­ben, wie sie am Fens­ter mei­nes Arbeits­zim­mers vor­über kom­men. Manch­mal hielt einer der Luft­wale an und späh­te zu mir her­ein und ich dach­te, sie lächeln viel­leicht. Ich bin dann doch noch auf­ge­wacht und habe gear­bei­tet und sehr ernst­haf­te Gesprä­che mit mei­nem Fern­seh­ap­pa­rat geführt, weil er sich immer wie­der ein­schal­ten woll­te und beweg­te Bil­der zei­gen von einem Krieg, des­sen sofor­ti­ges Ende ich für alle unschul­di­gen Men­schen dort sehr drin­gend erhof­fe. Die Gra­vi­ta­ti­on der Wut, der Ver­zweif­lung, der Trau­er, die wei­te­res Schwei­gen und wei­te­re Bewaff­nung erzeugt.

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anatomie der luft

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alpha : 0.02 — Wie­der eine hal­be Stun­de ver­sucht, einen sechs­ten Fin­ger an mei­ne lin­ke Hand zu den­ken. Und wie­der spür­te ich einen sechs­ten Fin­ger nur dann, wenn ich einen lin­ken und einen rech­ten sechs­ten Fin­ger dach­te zur sel­ben Zeit, wenn ich also bei­de Hän­de auf den Tisch leg­te und in mei­nem Kopf bear­bei­te­te. stop. Eine selt­sa­me Beob­ach­tung nach wie vor. stop. Auch, dass ich mit Duke Elling­ton im Kopf unver­züg­lich glau­be, wei­te­re sieb­te Fin­ger­we­sen illu­mi­nie­ren zu kön­nen. stop. Kurz nach Mit­ter­nacht. stop. Leich­ter Schnee­fall. stop.

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lichtspiel

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rum­ba : 0.08 — Ges­tern Abend gegen 22.00 Uhr ist etwas Merk­wür­di­ges gesche­hen. Ich hat­te drei Stun­den ver­tieft an einem Text gear­bei­tet, da wur­de ich von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de von einem hef­ti­gen Glücks­ge­fühl ange­sprun­gen, von einem Kat­zen­tier, das viel­leicht schon eini­ge Wochen in nächs­ter Nähe gewar­tet hat­te, um sich nun, — geschmei­di­ges, schnur­ren­des Wesen -, wär­mend um mei­nen Hals zu legen. stop. Was frisst die­ses Tier, was trinkt es, kann es schrei­ben? stop. Gute Nacht. — stop.

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yanuk : fröhliche weihnachten

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del­ta

~ : yanuk le to : louis
sub­ject : FRÖHLICHE WEIHNACHTEN
date : dez 23 08 6.55 a.m.

In die­sen Minu­ten, Mr. Lou­is, will ich sehr lei­se und behut­sam von einer auf­re­gen­den Beob­ach­tung berich­ten. Du musst wis­sen, heu­te Mor­gen, als ich auf Höhe 385 schlaf­trun­ken mein Zelt ver­ließ, hat­te ich sofort bemerkt, dass wäh­rend der Nacht irgend­et­was gesche­hen sein muss­te, etwas Selt­sa­mes, etwas, das mei­ne klei­nen Affen­freun­de beun­ru­hig­te. Sie lagen nicht, wie üblich, vor sich hin däm­mernd lose auf dem höl­zer­nen Boden her­um, son­dern dicht anein­an­der gedrängt und beb­ten, als wür­den sie frie­ren. Alle sahen sie mit ihren zitro­nen­gel­ben Augen in ein und die­sel­be Rich­tung, starr­ten zum Stamm eines benach­bar­ten Bau­mes hin, ein Bün­del furcht­sa­mer oder viel­leicht stau­nen­der Bli­cke, das den schma­len, völ­lig unbe­klei­de­ten Kör­per eines Mäd­chens betas­te­te, der nur weni­ge Meter von uns ent­fernt über der Tie­fe hing. Ich hat­te natür­lich zunächst den Gedan­ken, dass das vor mir bau­meln­de Mäd­chen nur eine Erschei­nung gewe­sen war, viel­leicht ein Traum oder die Spur eines Trau­mes, die in einen wirk­li­chen Tag hin­über­reich­te. Beun­ru­higt wie mei­ne Freun­de, begann ich des­halb zunächst mit einer Kur­bel Strom für mei­ne Schreib­ma­schi­ne zu erzeu­gen. Eine kon­tem­pla­ti­ve Bewe­gung, eine, die ich auch im Schlaf ver­rich­ten könn­te. Wäh­rend ich so arbei­te­te, hör­te ich bald ein mensch­li­ches Lachen. Ja, Sie lesen ganz rich­tig, Mr. Lou­is, das Mäd­chen lach­te, ein fei­nes, hel­les Lachen war zu hören, und die Affen fauch­ten und wur­den so flach, als woll­ten sie spur­los ver­schwin­den im war­men Holz oder sonst wohin ganz unsicht­bar wer­den. Wie sich doch alle ver­trau­ten Geräu­sche ver­än­dern, sobald uner­war­te­te Din­ge gesche­hen. Ich hör­te mei­ne eige­ne Stim­me, wie sie sag­te, das ist unglaub­lich, das ist ganz unglaub­lich, und ich hör­te auf zu kur­beln und sah dem Mäd­chen in die Augen, und sofort klapp­te sie ihre Augen zu. Ich glau­be, sie schläft jetzt wäh­rend ich die­se Sät­ze so behut­sam schrei­be wie ich nur kann, um das Mäd­chen nicht zu wecken. Ja, stel­len Sie sich vor, Mr. Lou­is, sie scheint tat­säch­lich tief und fest zu schla­fen, wäh­rend sie den Ast, der sie trägt, mit ihrer lin­ken Hand umfasst. Die rech­te Hand liegt flach auf ihrem Bauch, einem mus­ku­lö­sen Bauch von hel­lem Schein, opak, als wür­de ein Teil des Son­nen­lichts sich im Kör­per des Mäd­chen ver­fan­gen und wei­ter­leuch­ten, von Innen her­aus wei­ter­leuch­ten. Wenn sie nur nicht los­las­sen wird in die­ser Höhe! Kein Haar auf dem Kör­per des Mäd­chens zu sehen. Das ist natür­lich selt­sam und ich weiß noch nicht genau, war­um das so ist. Ich will Dir, Mr. Lou­is, an die­ser Stel­le mei­ne herz­li­chen Weih­nachts­grü­ße über­mit­teln aus mei­nen tro­pi­schen Räu­men. Und so mache ich das jetzt, ehe ich einen ers­ten Ver­such unter­neh­men wer­de, mit dem Mäd­chen ein Gespräch zu füh­ren. Viel­leicht wer­de ich ihr mei­ne Blü­ten­zeich­nun­gen zei­gen, die ich wäh­rend der ver­gan­ge­nen Tage sam­mel­te. Fröh­li­che Weih­nach­ten! Cucur­ru­cu — Yanuk

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mrs. callas : at covent garden

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tan­go : 0.15 — Hat­te einen lus­ti­gen Traum. Saß im Zug und nasch­te Scho­ko­la­de. Ich nasch­te so viel Scho­ko­la­de, dass sich mei­ne Stirn und mei­ne lin­ke Hand in eine Stirn und eine Hand von reins­ter Scho­ko­la­de ver­wan­del­ten. Ein Kind kam vor­bei, kos­te­te von mei­nem Zei­ge­fin­ger und sag­te: Du schmeckst gut. Und dann war schon Sams­tag geworden.

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mrs. callas pfeift

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echo : 3.15 — Man stel­le sich das ein­mal vor, Mrs. Cal­las kann pfei­fen. Sie war zu Besuch gekom­men und hat­te eine beson­de­re Foto­gra­fie ent­deckt. Auf die­ser Foto­gra­fie sitzt sie unter Men­schen an einem Tisch, den sie nicht erin­nern konn­te, und dar­über war sie ver­wun­dert oder beun­ru­higt, also mach­te sie merk­wür­di­ge Geräu­sche mit dem Mund. Wer sind die­se Leu­te, woll­te sie wis­sen. Wann war das gewe­sen? Woher haben Sie die­se Foto­gra­fie? — Wir gin­gen dann noch spa­zie­ren um kurz nach Mit­ter­nacht. Ange­neh­mes Papier­licht, die Son­ne war nicht unter­ge­gan­gen, strahl­te etwas schläf­rig am Him­mel her­um. Noch immer leich­ter See­gang, aber zwei schö­ne Stun­den hei­te­rer Gesprä­che. Wie ich mich freu­te, Mrs. Cal­las stau­nen zu sehen. Ich habe kei­ne Kin­der, nein, nein, ich habe kei­ne Kin­der. Doch, doch sag­te ich, Sie haben Kin­der gebo­ren, sie sind eine fabel­haf­te Mut­ter. Sie­ben Töch­ter, jawohl, sie­ben sehr selt­sa­me Töch­ter, Sie wer­den sich doch um Him­mels­wil­len an ihre Töch­ter erin­nern, an Sven­ja, Mar­le­ne, Bob­by, Lyd­wi­en, Vass­il­li­ki, Eleo­no­re, Bumu­bai. Soll ich Ihnen von Ihren Gebur­ten erzäh­len, Mrs. Cal­las? – Kaum zurück, leg­te sie sich aufs Sofa und ver­tief­te sich wie­der in jenes Bild, das von ihr, wie sie glaub­te, abge­nom­men wor­den war. Manch­mal näher­te sie sich mit einem Fin­ger, flüs­ter­te, oh, ich glau­be, da ist etwas, die­sen Herrn ken­ne ich viel­leicht, ja, das könn­te ein Musi­ker sein, ein Bas­sist, nein, das ist einer, der Cel­lo spielt. — Seit Stun­den nun liegt sie so her­um. Sie hat etwas von einer Kat­ze, ganz ohne Zwei­fel. Ich weiß, sie wird sich bald erhe­ben, und sie wird zu mir her­über kom­men, wird die Foto­gra­fie auf den Schreib­tisch legen und sagen: Irgend­et­was stimmt hier nicht, Mr. Lou­is! Ich glau­be, ich wer­de jün­ger. Ich glau­be, die Zeit geht falsch her­um. Was haben Sie dazu zu sagen? Spre­chen Sie!

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eisblumen

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nord­pol : 8.05 — Ich muss eine bemer­kens­wer­te Erschei­nung gewe­sen sein. Stand vor dem Schreib­tisch, hat­te mei­nen rech­ten Arm senk­recht in die Luft gestreckt, übte mit dem Zei­ge­fin­ger die krei­sen­de Bewe­gung eines Pro­pel­lers. Beob­ach­te­te das sub­ku­ta­ne Spiel der Mus­keln, bemerk­te wei­te­re Bewe­gung unterm Hemd, krem­pel­te das Hemd bis zum Ellen­bo­gen hoch. stop. Die klei­ne uralte Nar­be am Dau­men. stop. Spur einer gro­ßen Geschich­te. stop. Der Geschmack von Honig im Mund. Das Sum­men der Bie­nen. Die nack­ten Bei­ne eines Mäd­chens. Ihre hei­ße Hand, die mei­nen schwel­len­den Dau­men unter­sucht. Atem, der kühl ist. Eine hel­le Stim­me, so vie­le Jah­re alt. Som­mer­blu­men. Wol­ken. Schlaf. Das schmel­zen­de Eis auf mei­ner Stirn.

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glücklicher brief an vladimir nabokov : propeller

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marim­ba

~ : louis
to : Mr. vla­di­mir nabokov
sub­ject : PROPELLER

Lie­ber Mr. Nabo­kov, ges­tern Abend, nach einem lan­gen Spa­zier­gang und dem Besuch einer Bar, in der ein paar halb­wegs betrun­ke­ne Freun­de saßen, hab ich mich an ihre Vor­le­sung­über Franz Kaf­kas Ver­wand­lung erin­nert, an Ihre lie­be­vol­le und akri­bisch genaue Unter­su­chung des Tex­tes, an ihre Käfer­zeich­nun­gen von eige­ner Hand, mit wel­chen Sie ver­such­ten eine Vor­stel­lung zu gewin­nen von Wesen und Gestalt jener Hül­le, in die Gre­gor Samsa ein­ge­schlos­sen wor­den war. Ja, die Genau­ig­keit, mit der man sich erfin­dend einem Gegen­stand nähert oder die Genau­ig­keit, mit der man einen erfun­de­nen Gegen­stand sezie­ren kann, immer wie­der begeg­ne ich wäh­rend mei­ner Arbeit Ihren Unter­su­chun­gen, Ihrer Metho­de. Vor­ges­tern hat­te ich bei einer ers­ten Annä­he­rung an eine Geschich­te, die von leben­den Papie­ren erzäh­len wird, das Wort Pro­pel­ler­flü­gel in den Mund genom­men, ohne zu ahnen, dass Pro­pel­ler in der Welt leben­der Orga­nis­men nur sehr schwer zu ver­wirk­li­chen sind, weil ein Pro­pel­ler sich doch frei bewe­gen muss, dre­hend in einer Fas­sung, die ihn lose hält, sodass ein leben­der Orga­nis­mus aus einem wei­te­ren Kör­per bestehen müss­te, der ganz zu ihm gehö­ren wür­de und doch nicht ganz zu ihm gehö­ren kann. Nun habe ich beschlos­sen, die Vor­stel­lung der Pro­pel­ler­flü­gel nicht so ohne wei­te­res auf­zu­ge­ben. Ich habe mir gedacht, dass ein Pro­pel­ler, der aus orga­ni­schen Mate­ria­len bestehen wird, viel­leicht auf ato­ma­rer Ebe­ne einem flug­fä­hi­gen Kör­per ver­bun­den sein könn­te, ver­bun­den durch Mole­kü­le, die im Moment einer Flug­be­we­gung, den Rotor von Haut und Kno­chen einer­seits anzu­trei­ben in der Lage sind und ande­rer­seits je für einen kur­zen Moment in die Frei­heit ent­las­sen. Und jetzt bin ich glück­lich und hof­fe, dass sie an mei­nem Ent­wurf Gefal­len fin­den wer­den. – mit aller­bes­ten Grü­ßen Ihr Louis

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animals : eine luftgeschichte

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del­ta : 7.45 — Im Wesent­li­chen exis­tie­ren drei Arten von Geschich­ten. Fer­tig anwe­sen­de, erleb­te Geschich­ten. Rein aus der Luft gefan­ge­ne, das heißt, erfun­de­ne Geschich­ten. Recher­chier­te Geschich­ten. stop. Ani­mals, zum Bei­spiel, die Geschich­te der Ent­de­ckung leben­der Papie­re. stop. Eine Luft­ge­schich­te. stop. Es ist jetzt zwei Uhr nachts. stop. Was brau­che ich? stop. Zwei Kühl­schrän­ke, fünf U‑Bahnwaggons, drei Kaf­fee­häu­ser, eine Hand voll Abend­seg­ler, Stadt­men­schen, ein Radio­ge­rät. stop. Und Papier­tie­re stop. Sehr klei­ne Her­zen, eben­so klei­ne Gehir­ne, Mün­der und Ver­dau­ungs­trak­te. stop. Auch Pro­pel­ler­flü­gel. stop. Feins­te Ware. stop. Was brau­che ich noch? stop. Räu­me der Zeit und einen ers­ten Satz. stop. Geduld. stop. Das Geräusch mei­nes Blei­stifts auf gro­bem Papier.

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