Aus der Wörtersammlung: etwas

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contergan

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lima : 10.27 — Die Arme mei­ner Cou­si­ne sind kurz, an ihren Hän­den feh­len die Dau­men. Als ich noch ein Kind gewe­sen war, beob­ach­te­te ich gern ihre Füße, die sich beweg­ten, als wären sie nicht Füße, son­dern Hän­de. Man kann mit den Füßen malen, das wuss­te ich schon immer, und man kann mit den Füßen in Büchern blät­tern und einen Löf­fel zum Mun­de füh­ren, man kann auf Füßen gehen und man kann sich mit den Füßen die Haa­re käm­men. Je nach­dem, von wel­chem Stand­punkt aus man das betrach­tet, ist das selt­sam oder eben nicht. Mei­ne Cou­si­ne mach­te die Erfah­rung, dass man sie ver­steck­te, wenn Besu­cher zu ihrer Fami­lie nach Hau­se kamen. Ich selbst dage­gen wur­de geru­fen, damit ich betrach­tet wer­den konn­te. Mein Gott, ist er doch wie­der kräf­tig gewach­sen, der klei­ne Kerl! Er heißt Andre­as, nichts wei­ter. Mei­ne Cou­si­ne heißt Lil­li, und sie heißt noch das Wort Con­ter­gan dazu, weil das vie­le Men­schen sofort den­ken, wenn sie die Male­rin Lil­li Eben sehen. Da kann man nichts machen. Wenn etwas anders ist an einem Men­schen, wenn etwas zu viel ist oder fehlt, dann bekommt das Feh­len­de oder das Zusätz­li­che einen Namen, der ein Leben beglei­tet, wie das mei­ner Cou­si­ne, die eine star­ke Per­sön­lich­keit gewor­den ist. Aber die Hän­de und der Rücken tun außer­or­dent­lich weh mit dem Alter, und auch die Zäh­ne tun weh, weil sie so viel mit den Zäh­nen machen muss­te in ihrem Leben. Eine ein­zi­ge klei­ne Tablet­te, nicht wahr, die ihre Mut­ter, mei­ne Tan­te, zu sich genom­men hat­te zu einer Zeit, da sie noch nicht wuss­te, dass sie schwan­ger gewe­sen war. Tau­sen­de Tote. Zehn­tau­sen­de Men­schen mit einem oder meh­re­ren Han­di­caps. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag wur­de von dem Geschäfts­füh­rer der Fir­ma Grü­nen­thal der Ver­such einer Ent­schul­di­gung unter­nom­men, ohne wei­ter­füh­ren­de Ver­ant­wor­tung über­neh­men zu wol­len. Er sag­te: Wir bit­ten um Ent­schul­di­gung, dass wir fast 50 Jah­re lang nicht den Weg zu Ihnen von Mensch zu Mensch gefun­den haben. Wir bit­ten Sie, unse­re lan­ge Sprach­lo­sig­keit als Zei­chen der stum­men Erschüt­te­rung zu sehen, die Ihr Schick­sal bei uns bewirkt hat. — stop

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august august

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alpha : 1.02 — Der 23. August. Gewit­ter plus­tern sich über dem Haus. Ich bin ein wenig unru­hig, weil ich mich einem beson­de­ren Tag nähe­re. Ich habe für die­sen beson­de­ren Tag in mei­nem digi­ta­len Kalen­der vor bei­na­he fünf Jah­ren fol­gen­den Satz ver­merkt: Tru­man kehrt zurück! Noch drei Näch­te, dann ist es so weit, Tru­man wird zurück­ge­kehrt sein und mir viel­leicht auf eine Fra­ge ant­wor­ten, die ich ihm gestellt hat­te. Ein Par­tic­le aus dem Som­mer des Jah­res 2007 erzählt davon: > Frü­her Abend. Sehr hei­ße Luft. Ich wün­sche zu wis­sen, ob Geschöp­fe, die über 5 Bein­paa­re ver­fü­gen, noch als Käfer anzu­se­hen sind. Also schrei­be ich einem Freund eine E‑Mail. Kaum habe ich mei­ne Fra­ge notiert, abge­schickt und mich erho­ben, um etwas die Bei­ne zu ver­tre­ten, kommt mit einem Ping­ge­räusch sei­ne Ant­wort: Bin zurück > Sonn­tag, 26. August 2012. Haben Sie eine gute Zeit. Tru­man. — Es ist jetzt bei­na­he 5 Jah­re spä­ter. Und wie­der die Fra­ge: Habe ich die­se Geschich­te erfun­den? — stop

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roman opalka

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lima : 0.05 — Sobald ich mich in mei­ner Woh­nung auf­hal­te, begeg­ne ich mehr­fach täg­lich einer Foto­gra­fie, die Roman Opal­ka bei der Arbeit zeigt. Manch­mal blei­be ich vor ihr ste­hen und freu mich über das Pro­jekt der Zah­len, dem der Künst­ler bis an sein Lebens­en­de folg­te. Ich notier­te: Eines Tages im Jah­re 1965, viel­leicht an einem Sams­tag, viel­leicht an einem Sonn­tag, ich konn­te schon lau­fen und hat­te gelernt, mir die Schu­he zu bin­den, nahm Roman Opal­ka den kleins­ten sei­ner ver­füg­ba­ren Pin­sel in die rech­te Hand und mal­te mit titan­wei­ßer Far­be das Zei­chen 1 auf eine schwarz grun­dier­te Lein­wand­flä­che. Bevor er die­se ers­te Zif­fer mal­te, foto­gra­fier­te er sich selbst. Er war gera­de 34 Jah­re alt gewor­den, und als er etwas spä­ter sei­ne Arbeit unter­brach, – er hat­te wei­te­re Zif­fern, näm­lich eine 2 und eine 3 und eine 4 auf die Lein­wand gesetzt -, foto­gra­fier­te er sich erneut. Er war nun immer noch 34 Jah­re alt, aber doch um Stun­den, um Zif­fern geal­tert. Auch am nächs­ten und am über­nächs­ten Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr wur­de er älter, in dem er Zif­fern mal­te, die an mathe­ma­ti­scher Grö­ße gewan­nen. Wenn eine Lein­wand, ein Detail (196 × 135 cm), zu einem Ende gekom­men war in einer letz­ten Zei­le unten rechts, setz­te er fort auf einer wei­te­ren Lein­wand oben links, die um eine Licht­spur hel­ler gewor­den war, als die Grun­die­rung des Bil­des zuvor. Bald sprach er Zahl für Zahl laut­hals in die Luft, um mit sei­ner Stim­me auf einem Ton­band die Spur sei­ner Zei­chen zu doku­men­tie­ren. – In unse­rer Zeit, heu­te, ja, sagen wir HEUTE, oder nein, sagen, wir mor­gen, ja, sagen wir MORGEN, wird Roman Opal­ka mit wei­ßer Far­be auf wei­ßen Unter­grund malen, Zif­fern, die nur noch sicht­bar sind durch die Erhe­bung des Mate­ri­als auf der Ober­flä­che des Details. Der Betrach­ter, stel­le ich mir vor, muss das Bild von der Sei­te her betrach­ten, um die Zei­chen in ihren Schat­ten erken­nen zu kön­nen. — Am 6. August 2011 ist der Maler Roman Opal­ka in Rom gestor­ben. Sei­ne letz­te auf eine Lein­wand gesetz­te Zif­fer war fol­gen­de gewe­sen: 5607249. — stop

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PRÄPARIERSAAL : verwandlung

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alpha : 1.55 — Mein Ton­band­ge­rät wird viel­leicht bald auf­hö­ren zu exis­tie­ren. Ein Knis­tern ist zu ver­neh­men, sobald sich die Moto­ren der Maschi­ne in Bewe­gung set­zen. Wenn ich sie schüt­te­le, scheint etwas in ihr her­um zufal­len, wes­halb ich sie in die­ser Nacht öff­nen wer­de, um nach­zu­se­hen, ob ich etwas tun kann, um ihren Ver­fall auf­zu­hal­ten. Es ist jetzt 1 Uhr 32 Minu­ten. Noch dre­hen sich die Räder der Maschi­ne. Gera­de eben erzähl­te Yolan­de aus Kame­run von ihrer Erfah­rung der Ver­wand­lung in der Umge­bung ana­to­mi­scher Arbeit : > Ich habe schon am ers­ten Abend gespürt, dass sich in mei­nem Leben etwas ver­än­dern wür­de. Ich kann mich, wie ich schon sag­te, nicht sehr gut an mei­nen ers­ten Tag im Prä­pa­rier­saal erin­nern. Als ich nachts vor dem Spie­gel stand, waren mei­ne Augen gerö­tet. Das mach­te mir Sor­gen. Ich konn­te nicht ein­schla­fen und dar­um bin ich im Zim­mer auf- und abge­lau­fen. Und plötz­lich hat­te ich ein ganz star­kes Gefühl von Leben­dig­keit in mir. Ich hat­te das Gefühl, dass die­se all­täg­li­chen, klei­nen Schwie­rig­kei­ten unter Men­schen, unbe­deu­tend sind. Alles voll­kom­men unwich­tig. Ich habe dann erhol­sam geschla­fen. — Wenn ich von mei­ner Erfah­rung des Prä­pa­rier­kur­ses erzäh­le, reagie­ren die Men­schen mit respekt­vol­lem Stau­nen. Ihre Augen wer­den groß und immer grö­ßer, je mehr sie erfah­ren. Sie mei­nen, dass sie das selbst nie­mals aus­hal­ten wür­den. Dann erzäh­le ich gern von mei­nen Freun­den am Tisch. Ich habe als sehr wert­voll emp­fun­den, in einem Team arbei­ten zu kön­nen. Wir mach­ten die­sel­ben Erfah­run­gen und hat­ten ein gemein­sa­mes Ziel: das Erler­nen der Struk­tu­ren des mensch­li­chen Kör­pers. Außer­dem fand ich sehr ange­nehm, mit den Hän­den arbei­ten zu kön­nen, ich konn­te die Mate­rie anfas­sen, Mus­keln und Ner­ven und Blut­ge­fä­ße. Wir waren alle weiß geklei­det, viel­leicht fühl­ten wir uns des­halb wie in einer ande­ren Haut. In dem Moment, da ich mei­nen wei­ßen Kit­tel anzog und mei­ne Hand­schu­he, hat­te ich das Gefühl mich zu ver­wan­deln. Auch dann, wenn ich mir nur aus­mal­te, wie ich mei­ne Hand­schu­he über­streif­te, ver­wan­del­te ich mich auf der Stel­le. — stop

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nachtfalter

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alpha : 0.25 — Kurz nach Mit­ter­nacht stürz­te ein Fal­ter auf mei­nen Schreib­tisch. Ich hat­te die Fens­ter geöff­net, küh­le und doch wür­zi­ge, feuch­te Luft von drau­ßen und eben der Fal­ter, der plötz­lich vor mir auf dem Rücken lag und sich nicht mehr rühr­te, als wäre er wäh­rend sei­nes Nacht­flu­ges tief und fest ein­ge­schla­fen. Und da war nun eine selt­sa­me Fra­ge. Wie wecke ich einen schla­fen­den Fal­ter, ohne ihn in Angst und Schre­cken zu ver­set­zen? Ich könn­te mit mei­nem Atem etwas Wind erzeu­gen oder aber ich könn­te nach einem fei­nen Pin­sel suchen. Ich könn­te ande­rer­seits vor­ge­ben, als wäre der Fal­ter nicht wirk­lich. Ich muss das nicht sofort ent­schei­den. stop. Cole­man Haw­kins Quin­tet South. — stop

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engelware

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nord­pol : 6.50 — Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an. stop. Jener war­me Som­mer­tag. stop. Mein Vater trägt hel­le Hosen, ein wei­ßes Hemd, Turn­schu­he, Hosen­trä­ger. Immer wie­der erhebt er sich, geht über­le­gend auf und ab, weil ich ihm Fra­gen stel­le, vie­le, schwie­ri­ge Fra­gen. An eine die­ser Fra­gen kann ich mich noch gut erin­nern. Ich woll­te wis­sen, ob es grund­sätz­lich mög­lich sei, die Dau­er eines Momen­tes mathe­ma­tisch in einer For­mel dar­zu­stel­len, in wel­chem ein Trop­fen, der von einem Was­ser­spiel gegen den Him­mel gewor­fen wird, in der Luft ver­harrt, ohne sich wei­ter auf­wärts oder schon abwärts zu bewe­gen, also ohne Schwe­re ist. Lei­der kann ich mich an die Ant­wort mei­nes Vaters nicht erin­nern, aber an eine Geschich­te, die mein Vater an genau jenem Tag der Was­ser­trop­fen erzähl­te. Die­se Geschich­te han­del­te von mir selbst. Sie soll sich ereig­net haben, als ich noch sehr jung und klein gewe­sen war. Ich konn­te damals schon lau­fen und spre­chen, das wohl, und ich wuss­te, dass Weih­nachts­fes­te sich wie­der­ho­len, dass zur hei­li­gen Nacht Geschen­ke unter einem Baum zu fin­den sind, und dass die­se Geschen­ke von Engeln her­bei­ge­bracht wer­den. Der Geschich­te mei­nes Vaters zur Fol­ge kau­er­te ich an einem Dezem­ber­tag meh­re­re Stun­den vor einem Fens­ter zum Gar­ten. Schnee war gefal­len und es schnei­te immer wei­ter ohne Unter­bre­chung. Mei­ne Eltern beob­ach­te­ten mich genau, sie wun­der­ten sich, weil ich mich kaum beweg­te und weil ich in mei­ner Obser­va­ti­on der Schnee­land­schaft kei­ne Pau­sen mach­te. Nach einer gewis­sen Zeit kam mein Vater zu mir. Er frag­te, was ich da tue, ob ich viel­leicht etwas Beson­de­res ent­deckt haben wür­de. Ich ant­wor­te­te, dass ich auf das Erschei­nen eines Engels war­ten wür­de. Wie ich denn dar­auf kom­me, dass ich gera­de an die­sem Tag oder über­haupt je einen Engel sehen kön­ne, woll­te mein Vater wis­sen. Ich erklär­te, dass ich hör­te, jene Geschen­ke, die bald unter unse­rem Weih­nachts­baum lie­gen wür­den, sei von Engeln gelie­fer­te Ware, ich kön­ne also sicher sein, dass Engel den Luft­raum vor dem Fens­ter zum Wohn­zim­mer in Stun­den­zeit pas­sie­ren wür­den, ich müss­te nur lan­ge genug war­ten, um die Erschei­nung eines oder meh­re­rer Engel beob­ach­ten zu kön­nen. Eine Wei­le, erzähl­te mein Vater, habe er sich dann neben mich gesetzt, zwei gedul­di­ge Beob­ach­ter des Schnees, Schul­ter an Schul­ter. — stop

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lichtprobe

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hima­la­ya : 3.10 — Ein Minu­ten­aus­schnitt aus der fürch­ter­li­chen Wirk­lich­keit eines Bür­ger­krie­ges. Im Film­do­ku­ment, das ich vor zwei Tagen beob­ach­tet habe, sind in der syri­schen Stadt Alep­po Män­ner zu sehen, sehr jun­ge, bei­na­he kind­lich wir­ken­de und etwas älte­re Män­ner, sie erschie­ßen wei­te­re Män­ner, die teil­wei­se kaum noch beklei­det waren und offen­sicht­lich von Schlä­gen ver­letzt. In einer Art Rausch, so neh­me ich das aus gro­ßer Ent­fer­nung wahr, wur­de getö­tet, auf­ge­nom­men von Han­dy­ka­me­ras. Kurz dar­auf waren die­se Hand­lun­gen auf Ser­ver­ma­schi­nen gela­den und sind seit­her von jedem Ort die­ser Welt, der über einen Inter­net­zu­gang ver­fügt, für unbe­stimm­te Zeit abruf­bar. Man kann den einen oder ande­ren der schie­ßen­den Män­ner für Sekun­den eben­so gut erken­nen wie jene Män­ner, die durch Schüs­se getö­tet wur­den. Hun­der­te, wenn nicht Tau­sen­de die­ser Doku­men­te lie­gen vor. Was wird mit die­sen Doku­men­ten gesche­hen? Wer­den Sie bereits gesi­chert? In die­ser Minu­te viel­leicht? Und vom wem und in wel­cher Absicht? – stop

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stimmen

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nord­pol : 22.08 — Ges­tern habe ich bemerkt, dass ich mich für einen Moment nicht mehr an die Stim­me mei­nes Vaters erin­nern konn­te. Wie ich auch such­te, ich fand sie nicht. Ich war natür­lich sehr erschro­cken gewe­sen. Anstatt der Stim­me mei­nes Vaters, hör­te ich die Stim­me des gro­ßen Erzäh­lers Isaak B. Sin­ger, eine hel­le und zugleich raue Stim­me, die der Stim­me mei­nes Vaters sicher ähnel­te. Ich hat­te vor ein oder zwei Jah­ren Sin­gers Stim­me in einem Film­in­ter­view gehört. Foto­gra­fien zei­gen den alten Mann spa­zie­rend am Atlan­tik. Auch mein Vater war mehr­fach in Brigh­ton Beach gewe­sen, wenn ich nicht irre. Plötz­lich kehr­te die Erin­ne­rung an die Stim­me mei­nes Vaters zurück. Isaac B. Sin­gers Geschich­te im Übri­gen geht so: Kurz nach mei­ner Ankunft (in Ame­ri­ka) betrat ich zum ers­ten Mal eine Cafe­te­ria, ohne zu wis­sen, was das ist. Ich hielt es für ein Restau­rant. Ich sah lau­ter Leu­te mit Tabletts und frag­te mich, war­um man in so einem klei­nen Restau­rant so vie­le Kell­ner brauch­te. Ich gab jedem, der mit einem Tablett vor­bei­kam, ein Zei­chen. Ich hielt sie alle für Kell­ner und woll­te etwas bestel­len. Aber sie igno­rier­ten mich, man­che lächel­ten auch. Und ich dach­te, was für ein unwirk­li­cher Ort! Es war wie in einem Traum. Ein klei­nes Café mit so vie­len Kell­nern, und nie­mand beach­tet mich! Irgend­wann begriff ich dann, was eine Cafe­te­ria ist. Sie wur­de mein zwei­tes Zuhau­se. Die Cafe­te­ri­en wur­den eine Art Zuhau­se für Flücht­lin­ge aus Polen, Russ­land und ande­ren Län­dern. Vie­le mei­ner Geschich­ten spie­len in Cafe­te­ri­en, wo all die­se Men­schen auf­ein­an­der­tra­fen: die Nor­ma­len, die weni­ger Nor­ma­len und die Ver­rück­ten. Das ist also der Hin­ter­grund mei­ner Geschich­ten, die in Cafe­te­ri­en spie­len. – stop
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bienengeschichte

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hima­la­ya : 5.52 — Die fol­gen­de Geschich­te ist natür­lich eine erfun­de­ne Geschich­te. Aber ich tue so als wäre sie nicht erfun­den. Am bes­ten begin­ne ich in die­ser Wei­se: Seit zwei Wochen hal­te ich mich stun­den­lang unter frei­em Him­mel auf. Das ist des­halb so gekom­men, weil ich eine Auf­ga­be über­nom­men habe, die mir nach wie vor sehr inter­es­sant zu sein scheint. Ich beob­ach­te Bie­nen, wie sie sich über eine Wie­se fort­be­we­gen. Des­halb lie­ge oder knie ich oder lau­fe gebückt dahin, den Kopf dicht über dem Boden, was nicht immer leicht ist, weil Bie­nen doch schnel­le Flie­ger sind. Jene Bie­nen­tie­re, die ich beob­ach­te, woh­nen in nächs­ter Nähe am Saum eines Wal­des, des­sen prä­zi­se Posi­ti­on ich nicht ver­ra­ten darf. Sie tra­gen Num­mern von 1 bis 100 auf ihren Rücken, was für mei­ne Arbeit sehr bedeu­tend ist, da ich Bie­nen, die ohne eine Num­mer sind, nie­mals beach­te. So lau­tet mei­ne Instruk­ti­on, Bie­nen ohne Num­mer ist nicht zu fol­gen, viel­mehr ist so lan­ge Zeit am Ran­de der Wie­se zu war­ten, bis eine Bie­ne mit Kenn­zeich­nung auf der Wie­se erscheint. Ich tra­ge eine Schirm­müt­ze gegen die Blend­wir­kung der Son­ne und eine Mon­okel­lu­pe, die vor mei­nem rech­ten Auge sitzt und mir einen prä­zi­sen Blick in die klei­ne Welt der Bie­nen in der Nähe des Bodens ermög­licht. Genau­ge­nom­men ist es mei­ne vor­neh­me Auf­ga­be, eine Bie­ne, die ich ein­mal in den Blick genom­men habe, solan­ge wie mög­lich zu beglei­ten auf ihrem Flug von Blü­te zu Blü­te. Ich bin indes­sen nicht ein­mal stumm. Ich sage zum Bei­spiel: Hier spricht Lou­is. Es ist 15 Uhr und 12 Minu­ten. Ich fol­ge Bie­ne No. 58. Wir nähern uns einer But­ter­blu­men­blü­te. Ja, das genau sage ich laut und deut­lich. Ich spre­che in ein Funk­ge­rät, von dem ich weiß, dass mir in der Fer­ne im See­bad Brigh­ton an der eng­li­schen Küs­te irgend­je­mand an einem ande­ren Funk­ge­rät zuhört. Ich sage: Hier spricht Lou­is. Bie­ne No 58: Lan­dung But­ter­blu­me. OVER! Dann betrach­te ich die Bie­ne, wie sie in der Blü­te arbei­tet und war­te. Bald fliegt die Bie­ne wei­ter und ich sage kurz dar­auf: Bie­ne No 58: Lan­dung Feu­er­nel­ke. OVER! Ja, so mache ich das. Ich wer­de immer bes­ser dar­in. Ich glau­be, die Bie­nen mögen mich. Ich bin ihnen ver­traut gewor­den. In eini­gen Tagen wer­de ich viel­leicht etwas genau­er erzäh­len, war­um ich Bie­nen beob­ach­te. Jetzt bin ich müde. Es ist Sams­tag. Nacht­wol­ken rasen über den Him­mel. Was Fran­kie wohl gera­de macht? — stop
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abend : morgen

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char­lie : 5.08 — Ein Ohr gegen den Him­mel, das ande­re Ohr gegen die Erde gerich­tet, lie­ge ich in einer Wie­se und höre Grä­sern und sehr klei­nen Tie­ren zu, wie sie sich auf die Nacht vor­be­rei­ten. Es ist frü­her Abend. Ich war­te, dass es dun­kel wird, ein War­ten vol­ler Freu­de, nichts ist zu tun, als der gro­ßen Welt am Him­mel und der klei­nen Welt unter mir zuzu­hö­ren. Es ist selt­sam, je glück­li­cher ich bin, des­to beweg­li­cher kann ich den­ken. So beweg­lich bin ich gewor­den, dass ich von Zeit zu Zeit über­haupt auf­hö­re, an irgend­et­was zu den­ken. Und doch bin ich nie­mals abwe­send, son­dern hier und war­te und höre den Grä­sern zu und atme und hal­te etwas Papier fest in der Hand. 1 X schla­fe ich kurz ein. Plötz­lich ist Mor­gen. Vögel pfei­fen. Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. Alle Wör­ter, sobald ich sie anhal­te, wer­den zu einem Geräusch. — stop



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