Aus der Wörtersammlung: fragen

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trillerpfeife

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romeo : 15.42 UTC — Ich kann mich nicht erin­nern, wann genau ich mit der Samm­lung von Wör­tern begann, die ich an die­ser Stel­le ein­mal ver­wen­de­te, Wör­ter, die mich zu beob­ach­ten schei­nen, als wären sie Lebe­we­sen, fra­gen­de Per­sön­lich­kei­ten: Bin ich an die­ser Stel­le rich­tig ange­kom­men, kann ich mich ent­fal­ten, ist zu ver­ste­hen, was ich bedeu­te, was ich zu sagen wün­sche? Wenn man in die­ser Wei­se Wör­ter sam­melt, als wür­de man Käfer­we­sen fan­gen, kommt man aus dem Stau­nen nicht her­aus, was alles so exis­tiert in der Buch­sta­ben­welt, wovon man Kennt­nis zu haben meint, sagen wir Wör­ter wie die­se: Wind­stil­le . Tril­ler­pfei­fe . Trom­mel­fell . Amei­sen­pan­ther . Lauch­stan­ge . Zun­gen­kä­fer . Stau­nen Sie doch mit mir, sobald Sie Zeit fin­den, Zap­fen­zun­gen sind HIER hin­ter in die­sem geführ­ten ZUGRIFF sofort zu fin­den. — Wei­ter­hin Regen. Es reg­net bereits so lan­ge, dass man glau­ben möch­te, die­ser April­re­gen könn­te rei­ne Erfin­dung sein. — stop

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von sammlern

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echo : 22.01 UTC — Weil ich mich nun für 12 Mona­te (oder län­ge­re Zeit) mit der Beob­ach­tung von berühm­ten Käfer­samm­lern beschäf­ti­gen wer­de, mit Ernst Jün­ger, zum Bei­spiel, oder Carl von Lin­né, nach ihrem Wesen, ihren Samm­ler­mo­ti­ven, ihrer Lei­den­schaft fra­gen, erin­ner­te ich mich an einen Brief, den ich vor lan­ger Zeit ein­mal an Jean-Hen­ri Fab­re in der Hoff­nung sen­de­te, er wür­de doch irgend­wie in der Lage sein, ihn wahr­zu­neh­men. Ich notier­te: Mein lie­ber Mon­sieur Fab­re, an die­sem wun­der­schö­nen, eis­kal­ten Dezem­ber­tag gegen Zehn, habe ich ent­lang Ihrer fei­nen Zei­chen­ket­te die Bestei­gung des Mont Ven­toux in Angriff genom­men. Nun bin ich wie­der ein­mal begeis­tert von hin­rei­ßen­der Land­schaft, von der dün­ner wer­den­den Luft, von Ihren gelieb­ten Wes­pen, die ich noch nie in mei­nem Leben mit eige­nen Augen wahr­ge­nom­men habe. Heu­te Mor­gen sehr früh, als ich vor dem Fens­ter saß und mei­ne Polar­spin­ne beob­ach­te­te, wie sie sich freu­te, nach einer sehr lan­gen Zeit im Eis­fach end­lich unter der frei­en, kal­ten Luft die Ster­ne betrach­ten zu kön­nen, hat­te ich die Genau­ig­keit Ihres Sehens erin­nert, die Geduld Ihrer Augen, und sofort in Ihr klei­nes, bedeu­ten­des Buch von der Poe­sie der Insek­ten geschaut. Man kann das Atmen ver­ges­sen. Wie lan­ge Zeit wer­den Sie wohl eine gra­ben­de Sand­wes­pe betrach­tet haben, ehe Sie einen ers­ten Satz for­mu­lier­ten? Und was, zum Teu­fel, hat­ten Sie unter der Lupe, als Nadar Sie foto­gra­fier­te? — Ihr Lou­is, mit bes­ten Grü­ßen. — stop

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pompeo

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zou­lou: 0.01 — Plötz­lich wie­der Fra­gen, ver­traut: Wie schnell kön­nen wir den­ken? Wie schnell kön­nen wir spre­chen? Wie schnell kön­nen wir beten? Ver­fü­gen wir über Dol­met­scher für unse­re Göt­ter, für unse­re Pro­phe­ten? - stop / kof­fer­text

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am telefon

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nord­pol : 15.15 UTC — Merk­wür­dig: Im Notie­ren kom­men Gedan­ken und Fra­gen wie Vogel­schwär­me her­an, zunächst kommt ein Gedan­ke allein und setzt sich und war­tet und schaut mich an. Dann kommt der nächs­te Gedan­ke, der schon zu zweit ist. — In der ver­gan­ge­nen Nacht träum­te ich von mir selbst. Ich saß in einem Roll­stuhl mit vie­len wei­te­ren alten Men­schen in einem Saal groß wie der War­te­saal eines Metro­po­len­bahn­ho­fes. Immer­zu woll­te ich tele­fo­nie­ren, ein klin­geln­des Tele­fon war zwar sicht­bar, aber nicht erreich­bar. Ich hör­te mei­ne Stim­me. Sie rief: Nun rufen Sie doch end­lich Mon­sieur Proust an, haben Sie denn sei­ne Num­mer nicht! Eine jun­ge, betö­rend schö­ne Frau beug­te sich zu mir hin­un­ter. Sie sag­te: Lou­is, bit­te, es ist jetzt wirk­lich genug, wir haben den Vor­mit­tag über ver­sucht Herrn Proust zu errei­chen, er nimmt den Hörer nicht ab. Aber der Bal­zac ruft andau­ernd an, wol­len sie nicht end­lich dran gehen! — Heut Regen, nas­se Vögel über­all. — stop

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in der straßenbahn

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nord­pol : 15.02 UTC — Fol­gen­des. Wenn ich mich schrei­bend mit deut­schen Men­schen aus­ein­an­der­set­ze, die über­zeugt sind, afri­ka­ni­sche Men­schen, die sich auf die Flucht nord­wärts nach Euro­pa bege­ben, sei­en selbst schuld, wenn sie im Meer ertrin­ken, man soll­te Ihnen nicht hel­fen oder nur im Not­fall, wenn jemand da ist, also wenn Hil­fe unver­meid­bar ist, wenn sie dem­zu­fol­ge nicht unsicht­bar und unge­hört zu ertrin­ken dro­hen, stel­le ich mir immer wie­der ein­mal vor, was die­se Men­schen an die­sem schö­nen Sonn­tag wohl gefrüh­stückt haben? Ich fra­ge mich, ob sie gut geschla­fen haben und wie sie woh­nen, ob sie glück­li­che Men­schen oder eher unglück­li­che Men­schen sind? Haben die­se Men­schen Kin­der? Wür­de ich sie in einer Stra­ßen­bahn sit­zend erken­nen? Also sit­ze ich etwas spä­ter in einer Stra­ßen­bahn. Und plötz­lich spü­re ich einen Blick auf mir las­ten, der nicht freund­lich ist. — stop

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synopse

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gink­go : 12.08 — In einem mehr­stün­di­gen, äußerst stra­pa­ziö­sen Ver­such, Gedan­ken aus­zu­tau­schen mit Men­schen, die eine Twit­ter­höl­len­kam­mer befeu­ern, habe ich Fol­gen­des gelernt. Es ist näm­lich so, dass in der Vor­stel­lung die­ser Men­schen bald Anker­zen­tren exis­tie­ren wer­den, umzäun­te Gebie­te, die Per­so­nen beher­ber­gen, Per­so­nen­men­schen, wel­che aus dem Süden bereits zu uns gekom­men sind oder furcht­ba­rer Wei­se noch kom­men wer­den. Wei­ter­hin habe ich bemerkt, dass Men­schen­per­so­nen, die sich in jenen umzäun­ten und bewach­ten Gebie­ten zwangs­wei­se auf­hal­ten soll­ten, in der Wahr­neh­mung der Höl­len­kam­mer­be­woh­ner immer­zu jung sind und gesund und Män­ner. Man ver­mu­tet, dass die­se männ­li­chen Men­schen­per­so­nen mög­li­cher­wei­se schwä­che­re Men­schen auf hoher See vor­sätz­lich von Bord gesto­ßen haben könn­ten, vor­wie­gend Kin­der und Mäd­chen, das ist selbst­ver­ständ­lich rei­ne Behaup­tung, die durch ste­ti­ge Wie­der­ho­lung in der Höl­len­kam­mer ste­tig zur Gewiss­heit wird. Die­se jun­gen Män­ner nun, sie sind sehr häu­fig von schwar­zer oder dunk­ler Haut bedeckt, sol­len außer­dem über finan­zi­el­le Mit­tel gebie­ten, die ihre Flucht oder Rei­se über­haupt erst mög­lich mach­ten, sie sei­en also, so erzählt man, weder arm noch in irgend­ei­ner Wei­se hilfs­be­dürf­tig, sie wür­den bei­lei­be nicht süd­li­chen Hun­ger­ge­bie­ten ent­kom­men oder vor Bür­ger­krie­gen geflo­hen sein, viel­mehr sol­len sie von irgend­wo­her ange­reist sein wie aus dem Nichts, um auf Kos­ten ver­arm­ter Urein­woh­ner in der Mit­te Euro­pas Misch­be­völ­ke­rung zu erzeu­gen. Weil sie sich sorg­fäl­tig klei­den, weil sie über Tele­fo­ne gebie­ten, weil sie mit­nich­ten aus­ge­hun­ger­te Elends­ge­stal­ten sind, wer­den sie ver­däch­tigt, gut orga­ni­sier­te Anker­men­schen zu sein, Vor­hut oder Schlim­me­res. Ja, so in die­ser Art und Wei­se wird vor­ge­stellt, wird aus­ge­dacht, wird Gewiss­heit erzeugt. Ich stel­le fest: Men­schen, die kei­ne Men­schen­per­so­nen, son­dern Patrio­ten sind, Men­schen, die in die­ser skiz­zier­ten Gewiss­heit leben, sind emp­find­lich, sind wütend, sobald man sich mit­tels Wör­tern fra­gend nähert. Sie schrei­ben unver­züg­lich zurück, dass man den Fra­gen­den selbst sehr ger­ne pfäh­len wür­de bei leben­di­gem Lei­be, erschie­ßen, nach Afri­ka ver­ja­gen, da doch der Fra­gen­de ein lin­ker Faschist sei, ein Anti­se­mit, ein Mit­ver­ge­wal­ti­ger, das Böse schlecht­hin. stop. Die Son­ne ist rund. — stop

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verwandlung

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echo : 0.52 UTC — Vor weni­gen Tagen führ­te ein Gedan­ken­aus­tausch mit einer Per­son, die mir in der digi­ta­len Sphä­re begeg­ne­te, zu einer selt­sa­men Situa­ti­on. Spä­ter Abend. Ich stand in der Küche und schau­te aus dem Fens­ter und über­leg­te, ob es sein kann, dass ein Mensch, der mei­nen tat­säch­li­chen Namen nicht kennt, weil ich mit ihm unter einem Deck­na­men dis­ku­tier­te, in der Lage sein könn­te, her­aus­zu­fin­den, wer ich tat­säch­lich bin, in wel­cher Stadt ich woh­ne, in wel­cher Stra­ße noch dazu. Er hat­te mich näm­lich als Tier bezeich­net, nach­dem ich ihn gefragt hat­te, ob er denn jemals mit einem Men­schen, der in Afri­ka gebo­ren wor­den war, per­sön­lich gespro­chen habe. Er schrieb: Du Zecke, so kön­nen nur Schma­rot­zer fra­gen. Ich ant­wor­te­te, ich müs­se doch anneh­men, dass er sehr vie­le afri­ka­ni­sche Men­schen ken­ne, weil er doch andau­ernd über sie schrei­ben wür­de, dass man oder gar er per­sön­lich inzwi­schen dar­an gewöhnt sei, dass Afri­ka­ner Babys Köp­fe abschnei­den. Und schon woll­te er mich besu­chen, nicht sofort, in ein paar Tagen, viel­leicht in der kom­men­den Woche, er wür­de mir dann das Licht aus­knip­sen. Des­halb stand ich in der Küche und über­leg­te. Es war kurz nach Mit­ter­nacht. — stop

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neufundland 08.10.12 uhr : zimt

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oli­mam­bo : 8.10 UTC — Noe mel­det sich am spä­ten Mor­gen. Ver­mut­li­che Tie­fe: 852 Fuß. Posi­ti­on: 77 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands seit nun­mehr 2526 Tagen im Tief­see­tauch­an­zug unter Was­ser. ANFANG 08.10.12 | | | > mei­ne laut­los arbei­tenden hän­de. s m a l l r e d f i s h f r o m d o w n s i d e. s t o p ob ich wohl wei­ter­hin ein mensch­li­ches wesen bin? s t o p hier in die­ser tie­fe eine hal­tung der demut. s t o p fra­gen. s t o p auch fra­gen ohne ant­wor­ten. s t o p ich fra­ge. s t o p ich war­te. s t o p und war­te. s t o p habe den ver­dacht ein kind gewor­den sein. s t o p ich tra­ge kei­ne schu­he. r u s t y c a b l e s f r o m a b o v e. s t o p ich kann mich an mein gesicht nicht erin­nern. s t o p war­um? s t o p wie lan­ge zeit bin ich bereits hier? s t o p schluss jetzt. s t o p fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne an. s m a l l b l u e f i s h t o p l e f t. s t o p ich hei­ße noe. s t o p ich befin­de mich 851 fuß tief unter dem meeres­spiegel kurz vor neufund­land. s t o p ich zäh­le fische. s t o p das radio in mei­nem helm macht selt­same geräu­sche. s t o p es geht mir gut. s t o p ich notie­re : die luft die ich atme duf­tet nach zimt. s t o p | | | ENDE 08.12.15

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nachts

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romeo : 5.22 — Es war Nacht und ich hock­te in mei­ner Küche und schäl­te sehr lang­sam einen Apfel. Kurz dar­auf hör­te ich ein rascheln­des Geräusch, des­sen Ursa­che sich in mei­nem Kühl­schrank auf­zu­hal­ten schien. Ich war­te­te eini­ge Minu­ten. Zunächst wie­der Stil­le, dann erneut ein rascheln­des Geräusch. Unver­züg­lich öff­ne­te ich die Tür zum küh­len Raum, der hell beleuch­tet war. Wie ich so auf einem Stuhl im Licht mei­nes Kühl­schran­kes saß und war­te­te, dass sich dort etwas Unbe­kann­tes zei­gen möge, das Geräu­sche ver­ur­sacht, begann ich damit, das sicht­ba­re Gut im Schrank zu befra­gen, die Mar­me­la­de zum Bei­spiel, ein Gläs­chen voll Apri­ko­sen­ge­lee, ob es denn mög­lich wäre? Oder der Senf, die Fei­gen in ihrer Fei­gen­box, But­ter­wa­ren. Aber auch das ita­lie­ni­sche Brot rühr­te sich nicht. Ich erin­ner­te mich in die­sem Augen­blick der Kühl­schrank­be­ob­ach­tung an ein Kind, das immer wie­der ein­mal die Tür eines längst ver­schwun­de­nen Eis­schranks auf­riss, um nach der Dun­kel­heit zu sehen, die angeb­lich ver­läss­lich ein­tre­ten soll­te, sobald die Tür des Kühl­schran­kes geschlos­sen wur­de. Ich leg­te mich dann wie­der ins Bett. — stop

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nachtwärts

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char­lie : 11.08 — Im Schnell­zug hör­te ich vor Wochen, wie eine Frau von der geis­ti­gen Umnach­tung ihrer Freun­din erzähl­te. Sie sprach von Zeit­lo­sig­keit, es sei dort in ihrer Wahr­neh­mung, in der Wahr­neh­mung der Freun­din, immer die­sel­be Zeit, gleich ob Tag ist oder Nacht. Sie sag­te noch, ihre Freun­din spre­che kein Wort. Woll­te ich fra­gen, wie sie ob der Stumm­heit ihrer Freun­din der­art genau Bescheid wis­sen konn­te, aber da war sie schon aus­ge­stie­gen am Sport­feld. Seit­her kehrt das Wort Umnach­tung immer wie­der zu mir zurück. stop. So nimmt man für den aus­druck der trau­er, der inne­ren ver­wüs­tung, der umnach­tung des geis­tes die far­be der nacht. Hegel w. (1832) — stop

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