MELDUNG. Acht mit Handfeuer bewaffnete Beamte [ Soko K.a.i.r.o ] haben in Bologna drei Ägypter sichergestellt, filigrane Meißel weiterhin [ 0.3 Zoll Kantenlänge ], sowie zwei Handtäschchen [ gelbschwarz gestreift ]. Folgende kryptische Signatur war dem Sockelgestein der Bassilica San Petrino [ nahe Via dell’ Archiginnasio ] beigebracht : 6HHMZT5I8MDR5. Auch diese Ägypter [ Ägypter No 52, No 53 und No 54 des laufenden Jahres ], je 172 cm hoch, mittleres Alter, verweigern jede Aussage. – stop
Aus der Wörtersammlung: hand
polarlicht
nordpol : 0.01 — Irgendwann einmal würde ich gerne folgende Meldung notieren: Zoologischer Garten auf Grönland jenseits des Polarkreises eröffnet. Selbstverständlich wird es sich bei diesem arktischen Tierpark nicht um eine gewöhnliche Versammlung lebender Tiere handeln. Im Park dort, frei oder in Gehegen, werden vielmehr leuchtende Tiere wohnen, schimmernde, oder in allen wunderbaren Farben, die man sich auszudenken vermag, glühende Wesen, ihre Zellen nämlich werden glühen. So werden leuchtende Antilopen unter der Kuppel des Afrikahauses über künstliche Steppengräser springen, und leuchtende Menschenaffen durch das Geäst der Nachtbäume schwingen. Und da werden leuchtende Vögel sein und ebenso leuchtende Elefanten in ihren riesenhaften Volieren. Auch die Eisbären werden leuchten und die Seehunde und Robben und Schneefüchse. Es ist deshalb gut, dass in der Polarnacht immerzu Dunkel ist. Der zoologische Garten wird rund um die Uhr geöffnet sein, warum nicht! — stop
seawolf
ai : TÜRKEI
MENSCHEN IN GEFAHR: „Die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça sind am 23. Mai in Ankara in das Sincan-Gefängnis verlegt worden. Sie befinden sich in einem langen Hungerstreik, mit dem sie gegen ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst protestieren. Es besteht Sorge um ihr Wohlergehen, auch deshalb, weil sie gezwungen werden könnten, ihren Hungerstreik aufzugeben. / Am frühen Morgen des 22. Mai veröffentlichten die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça in sozialen Medien, dass sie zuhause festgenommen und dann in Polizeigewahrsam gebracht worden seien. Am 23. Mai ordnete ein Gericht in Ankara an, sie im Sincan-Gefängnis in Ankara in Untersuchungshaft zu nehmen. / Nuriye Gülmen und Semih Özakça protestierten seit November 2016 am Menschenrechtsdenkmal im Zentrum von Ankara gegen ihre Entlassung per Präsidialerlass. Während der ersten Monate ihres Sitzprotests wurden sie mehrfach von der Polizei festgenommen. Am 9. März traten Nuriye Gülmen und Semih Özakça im Polizeigewahrsam in den bis heute andauernden Hungerstreik. Sie wurden am 14. März 2017 freigelassen, setzten ihren Hungerstreik jedoch am Menschenrechtsdenkmal in Ankara fort. / Ein Gericht in Ankara akzeptierte am 2. Mai eine Anklage wegen „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“. Am 23. Mai entschied das Gericht, Nuriye Gülmen und Semih Özakça in Untersuchungshaft zu nehmen, da sie „trotz ihrer Strafverfolgung darauf bestehen, ihre Aktion für die Terrorgruppe DHKP‑C [Revolutionary People’s Liberation Party-Front, eine verbotene linksgerichtete bewaffnete Gruppe] fortzusetzen“ und dass sie „das Vorgehen der Justiz schädigen werden, wenn man sie nicht in Untersuchungshaft nehme“. Die beiden bestreiten jede Verbindung zu DHKP‑C. / Amnesty International befürchtet, dass Nuriye Gülmen und Semih Özakça zwangsernährt werden könnten. Paragraf 82 des Gesetzes Nr. 5275 über die Durchführung von Urteilen gestattet es den Gefängnisbehörden, auf Entscheidung der Gefängnisärzte hin Gefangene im Hungerstreik zwangszuernähren. Eine solche Behandlung kann grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen.“ - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen unter > ai : urgent action
ein name fern und nah
echo : 18.55 — Im Schnellzug saß eine junge Frau. Als der Zug längere Zeit halten musste, kamen wir ins Gespräch. Die junge Frau sagte, dass sie bewundere, wie schnell ich auf meiner Schreibmaschine mit den Fingern tippen könne. Sie erwähnte, dass sie in Sri Lanka geboren worden sei, aber schon lange in Europa lebe. Tatsächlich hörte ich kaum einen Akzent in ihrer Stimme. Ich fragte sie nach ihrem Namen. Welchen ihrer Namen ich wissen wolle, erkundigte sie sich, ihren europäischen, den Namen ihres Mannes, der sich mit einem Bruchteil ihres Geburtsnamens verbunden habe, oder eben den Namen ihrer Kindheit? Mit einer scheuen Handbewegung rief sie meine kleine flache Schreibmaschine zu sich herüber, nahm sie in ihre linke Hand und begann mit ihrer rechten Hand Zeichen um Zeichen zu tippen. Sie sagte: Ich schreibe ihnen, wie ich in Sri Lanka als unverheiratete Frau gerufen wurde. Vorsichtig berührte sie mit einer Fingerspitze die Tastatur auf dem Bildschirm, es dauerte lange Zeit, ehe sie fertig geworden war. Immer wieder schien sie ihren Namen zu prüfen, ob auch alles stimmte. Kurz darauf las sie mir ihren Namen vor, ein schönes Geräusch in meinen Ohren. Dann gab sie mir meine Schreibmaschine zurück und ich buchstabierte meinerseits Folgendes vorsichtig nach: Malvala Sri Brahmana Rinnayaka Tannkoan Mydiuanselage Langt Mahehika Tannkoan Sanatonga. Es war an einem Donnerstag gewesen, gegen 18 Uhr. — stop
max
charlie : 20.45 UTC — Ich habe meinen Freund Max besucht, der in München wohnt in der Briennerstraße unter dem Dach in einem Loft, das derart weiträumig ist, dass man darin Hallenfußball spielen könnte. Seine Vögel, zwei Kakadus, fliegen dort gern frei herum, sie sollen, so Max, niemals bislang irgendeinen Schaden an seinen Möbeln angerichtet haben. Das liegt vielleicht auch daran, dass Max’ Vögel möglicherweise nicht ganz echt sind, ich meine, dass sie kühle Tiere von äußerst leichtem Metall sein könnten unter dichtem Federkleid verborgen, dass sie also nur vorgeben, Vögel zu sein, während sie vielmehr Drohnen sind, die sich von Max’ Computer gesteuert durch die Wohnung bewegen, als wären sie natürliche Wesen. Ich habe beide Tiere immer nur im Flug beobachtet, nie aus nächster Nähe, denn wenn sie einmal nicht fliegen, sitzen sie in einem Käfig, der dicht unter der Decke des Raumes unerreichbar weit entfernt montiert wurde. Wunderbare Algorithmen steuern den Flug der Kakadus, auch ihre Gespräche, die sie beständig führen. Es ist spät geworden, eigentlich wollte ich eine ganz andere Geschichte erzählen, von Max’ Computer, der über eine Taste für Cappuccino verfügen soll. Diese Geschichte werde ich im nächsten Jahr erzählen. — stop
eine lampe
nordpol : 10.28 UTC — Gestern, ehe ich das Haus der alten Menschen besuchte, dachte ich noch, das Altwerden, das Alt- oder Uraltsein habe mit Unruhe zu tun, mit Schlaf, dessen Zeiträume kürzer und kürzer werden. Heute nun würde ich sagen, das Alt- oder Uraltsein hat etwas mit Schlaf über lange Zeiträume hinzutun, auf einem rollenden Stuhl sitzen und schlafen oder dämmern. Da war wieder eine Frau im Licht einer gelben Lampe, die im Wohnsaal vor einem Tisch saß und einen Telefonhörer in der Hand hielt. Der Telefonhörer war mit einem Telefon mit Wählscheibe verbunden, ein derart altes Telefon, dass man, um eine Nummer zu wählen, eine kreisende Bewegung ausführen muss. Dieses Telefon nun war nicht mit der Wand in Verbindung, vielmehr ragte aus dem Gehäuse des Telefons ein kurzes Stück Kabel, das anzeigte, dass das Telefon einmal tatsächlich mit der elektrischen Welt verbunden gewesen war. Als ich an der alten telefonierenden Dame vorbeikam, dachte ich für einen Moment, vielleicht liest ihr gerade jemand vor, vielleicht Hrabal, der aus seinem Roman Ich habe den englischen König bedient zitiert. Es wird Herbst, in jeder Hinsicht. 288P, ein Doppelasteroid, wurde entdeckt. Hurrikane Maria verwüstet die Karibik. Mr. Un droht mit Wasserstoffbombentest. — stop
nahe warrenstreet
alpha : 22.28 UTC — Louis erzählte mir eine heitere Geschichte, die er nicht erfunden, vielmehr von Monroe erzählt bekommen haben will, Monroe, die in Brooklyn in der Baltic Street seit fünf Jahren lebt. Sie habe, erzählte Monroe, ihre Freundin Lilly besucht in der Warrenstreet an einem fürchterlich heißen Tag im August. Sie habe Lillys Wohnung betreten und sofort gespürt, dass etwas seltsam ist. Das linke Augenlid Lillys flatterte nämlich wie ein wild gewordener Falter über ihrem Augapfel herum. Dieses Flattern habe nicht aufgehört, sagte Lilly, seit in der Nacht vor drei Tagen über ihrem Bett ein Feueralarmmelder angesprungen sei, ein äußerst strenger heller Ton, der so komponiert worden sei, dass man unbedingt wach werden müsse, weswegen sie sogleich senkrecht im Bett hockte und nach Feuer suchte, aber keinerlei Feuer gefunden habe. Sie habe dann etwas abgewartet, aber das Wesen an der Decke wollte sich nicht beruhigen, da sei sie dann auf einen Stuhl gestiegen und habe das pfeifende, blinkende Tier flugs abgeschraubt, habe versucht, das Tier zu beruhigen, habe Schalter und Knöpfe gedrückt, dann das Tier in einen Pullover gewickelt, eine Decke darüber gelegt, und noch eine Decke, schließlich habe sie ihre Handtasche geöffnet, sei auf die Straße getreten, um zu Fuß in Richtung der Brooklyn Bridge zu marschieren. Indessen flatterte ihr Augenlid noch immer herum wie ein gefangener Falter, weswegen sie sich sehr konzentrieren musste im wilden Straßenverkehr. Das Tier, das in einer Weise in der Handtasche pfiff, dass Seemöwen Lillys Gegenwart flüchteten, habe sie dann in den East River geworfen, was ihrem Auge ganz offensichtlich nicht sofort geholfen habe. — stop
herbst
marimba : 8.12 UTC — Ich gehe spazieren, wo die alten Menschen wohnen, über Flure, wo die alten Menschen sitzen vor den Türen, hinter welchen uralte Menschen liegen, die in ihren letzten Betten schlafen. Eine alte Dame zieht sich im Rollstuhl sitzend Stunde um Stunde am hölzernen Wandgeländer voran. Wie viele Kilometer ist sie so schon unterwegs gewesen? Ich hörte, sie sei 88 Jahre alt. Wenn sie mir begegnet, lächelt sie wie ein junges Mädchen, fragt, warum sie hier sei, antwortet sofort: Wohl, weil ich alt bin. Auf einem Tisch, um den herum weitere schlafende Menschen sitzen, steht ein Telefon von grauer Farbe mit einer Ziffernwählscheibe. Der Hörer des Telefons schwebt an einer mageren Hand neben einem Ohr, das lauscht. Eine weitere magere Hand wählt Nummer für Nummer Stunde um Stunde. Draußen vor den Fenstern kühler, herbstlicher Regen. Und hier, gleich komme ich an ihm vorüber, das Zimmer der alten Claudine Tulla, sie schläft schon seit zehn Jahren in ihrem letzten Bett. Wie doch die Zeit vergeht. — stop
erwärmung
olimambo : 22.06 UTC — In der 38 Minute des faszinierenden Films Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte erzählt Peter Handke: Heutzutage scheint mir, dass man wirklich nur nachstellt, was eh schon durch Filme, durch Fernsehen und Zeitung eh schon sozusagen ausgespuckt ist. Es muss erfunden werden. Und eine Erfindung ist ganz was Seltenes. Erfinden zu dürfen, zu können, zu sollen, das ist nicht normal. Es ist eine Art von Vision. Ohne Vision gehts nicht. / Der Ludwig Hohl, der Schweizer Schriftsteller, hat gesagt: Fantasie ist nicht Gaukelei, sondern ist die Erwärmung, ich füge vielleicht hinzu — die herzliche Erwärmung des Vorhandenen, dessen, was vorhanden ist. Das ist Fantasie. Und nicht das Storytelling. — — stop / Und Bosnien? Wie ist das gewesen? Wie erzählt und wie nicht erzählt? Ich muss wieder das Lesen lernen und üben. Anmerkung 15.10.2019