Aus der Wörtersammlung: kreise

///

ein alter mann

pic

sier­ra : 4.03 — Auf dem Meer. Es ist Nacht, kaum Licht. Die Luft, feucht und warm, ich bin nicht im Was­ser, könn­te sein, dass ich flie­ge, ein Brum­men oder Sum­men ist zu hören. Bie­nen sind in der Luft, umkrei­sen ein Schiff, tau­sen­de Fin­ger­lu­ken im Rumpf, dort flie­gen Bie­nen­we­sen ein und aus. Man­che kom­men aus der Dun­kel­heit her­an, ande­re flie­gen in die Dun­kel­heit davon. Ihre Köp­fe leuch­ten, sie schei­nen über Lam­pen zu ver­fü­gen, Fin­ger von Licht, die durch die Dun­kel­heit zit­tern. Was da summt, Pro­pel­ler viel­leicht. Ich mag nicht schwim­men, den­ke immer wie­der, ich will nicht ins Was­ser fal­len. Dann bin ich plötz­lich in einer Woh­nung im 12. oder 14. Stock eines Hau­ses nahe Cen­tral Park, auch hier Pro­pel­ler­bie­nen. Ich ste­he nahe einem Fens­ter, leh­ne an einer Wand. Ich glau­be, ich selbst habe das Fens­ter geöff­net. Im Zim­mer lun­gern Stüh­le her­um, auf dem höl­zer­nen Boden eine Linie von blau­er Far­be, sie kommt aus einem wei­te­ren Zim­mer, führt durch das Zim­mer, in dem ich war­te, in ein ande­res Zim­mer. Atem­ge­räu­sche. Ein alter Mann, wei­ße Haut, kommt her­an, läuft auf der blau­en Linie, er ist unbe­klei­det, trägt nur ein Paar Turn­schu­he. Der Mann herrscht mich an, ich sol­le das Fens­ter schlie­ßen. Auch um sei­nen Kopf her­um Bie­nen, ein Schwarm, sie wol­len auf ihm lan­den, dann lan­ge Zeit Ruhe, Sire­nen­lau­te, dann wie­der das Geräusch des Atems, das näher kommt. Auf­ge­wacht bin ich gegen zwei. — stop

ping

///

nach ferney nach essaouira und von einer kaktusblüte

pic

nord­pol : 2.52 — In Genf, an einer Stra­ßen­kreu­zung von der Rue de Rho­ne zur Rue d’Italie, sind selt­sa­me Din­ge zu bemer­ken. Män­ner und Frau­en näm­lich, die sich krei­send oder auf und ab über das Pflas­ter bewe­gen, wäh­rend sie das Grün­licht der Ampeln erwar­ten. Bei genaue­rer Betrach­tung möch­te man mei­nen, sie könn­ten viel­leicht nicht in der Lage sein, still­zu­ste­hen. Sie tra­gen Damen­kos­tü­me, Her­ren­an­zü­ge, fei­ne Schu­he, sie sind ver­mut­lich gera­de aus dem Büro gekom­men, befin­den sich auf dem Weg viel­leicht nach Hau­se, zur Bus­sta­ti­on nach Fer­ney, oder ins Kino, ins Thea­ter, zum Jazz, die Son­ne scheint, ers­te war­me Stun­den. Aber auch an einem eis­kal­ten Tag im Win­ter wür­den sie sich genau so bewe­gen, in Krei­sen oder auf und ab. Man nimmt jetzt nur noch sel­ten den Auf­zug, man nimmt die Trep­pe, der Blick hin zum Hand­ge­lenk, zur Appa­ra­tur, die Pul­se, Tem­pe­ra­tu­ren, und auch den Schlaf aus­zu­mes­sen ver­mag. Und noch einen Kreis gleich hin­ter­her und über die Stra­ße, wie vie­le Schrit­te, wie vie­le Schrit­te heu­te, wie vie­le Schrit­te mehr als ges­tern, wie weit bin ich gekom­men in die­sem Monat, viel­leicht bis nach Cham­bé­ry, vor dem Som­mer noch könn­te ich Mont­pel­lier errei­chen, im Win­ter Valen­cia, am Ende des kom­men­den Jah­res wer­de ich in Essaoui­ra sein. – Es ist 2 Uhr und 44 Minu­ten. Gera­de eben noch habe ich mei­nen Kak­tus beob­ach­tet, wie er blüht. Wenn mein Kak­tus blüht, hält er sei­ne Blü­te auch bei Nacht geöff­net, als ob er ahn­te oder wüss­te, dass in mei­nen Zim­mern Nacht­bie­nen und Nacht­win­de woh­nen. — stop

ping

///

ein apfel

pic

india : 1.02 — Der Blick vom 15. Stock eines Apart­ment­hau­ses mit­tels eines Fern­gla­ses über die Park Ave­nue hin­weg. Es ist Abend gewor­den in Man­hat­tan, schon dun­kel. Hin­ter einem unge­wöhn­lich gro­ßen Fens­ter schwebt ein älte­rer Herr unge­fähr einen Meter über dem Boden eines hell erleuch­te­ten Zim­mers. Es han­delt sich um ein geräu­mi­ges Zim­mer, beige­far­be­ne Wän­de. Der alte Herr bewegt sich lang­sam wie in Zeit­lu­pe. Er scheint mir zu win­ken, als ob er mich wahr­neh­men kön­ne, obwohl ich doch im Halb­dun­kel ste­he und zugleich weit ent­fernt bin. In sei­ner lin­ken Hand hält er einen Apfel fest, in der rech­ten Hand ein Mes­ser. Er beginnt den Apfel mit einer krei­sen­den Bewe­gung zu schä­len, schaut immer wie­der in mei­ne Rich­tung. Für einen Augen­blick hält er inne, dann lässt er die Scha­le des Apfels los, sie ent­fernt sich, von einer Strö­mung erfasst, lang­sam, sehr lang­sam, eine Schrau­be von Haut. In die­sen Minu­ten, da ich notie­re, was ich beob­ach­te­te, wird der alte Herr ein­ge­schla­fen sein, der Apfel, den er schäl­te, hat inzwi­schen sei­ne Hand ver­las­sen, sinkt auf den Boden des Zim­mers. — Vier Uhr und sie­ben Minu­ten im Flücht­lings­la­ger Jar­muk nahe Damas­kus. — stop

ping

///

helsinki turku

2

zou­lou : 0.05 — Ein­mal fol­ge ich einem Mann namens Nuuri durch einen Zug, der sich sehr lang­sam von Hel­sin­ki nach Tur­ku bewegt, es schneit. Der Mann, der stets eine hel­le wol­le­ne Müt­ze trägt, ist den Pend­lern, die ihre Sams­ta­ge und Sonn­ta­ge in Tur­ku ver­brin­gen, gut bekannt, sie schei­nen nur dar­auf zu war­ten, sei­ne hei­se­re Stim­me bald hören zu kön­nen: Wol­ken! Wol­ken! Das Stück Wol­ke zu 50 Cent zu ver­kau­fen. Wer Nuuri nicht bereits ein­mal erleb­te, wird ver­mut­lich mei­nen, ein sehr selt­sa­mer Mensch wan­de­re durch die Abtei­le des schep­pern­den Zuges. Aber das wür­de ein Irr­tum sein, Nuuri ver­kauft tat­säch­lich sehr klei­ne, wirk­li­che Wol­ken von Was­ser­dampf. Sie schwe­ben über Baum­mi­nia­tu­ren, wel­che dicht an dicht aus Fächern wach­sen, die Nuuri mit­tels eines Bauch­la­dens vor sich her­trägt. Ein fei­nes Netz glä­ser­ner Fäden ist wie eine Kup­pel über der wil­den Land­schaft auf­ge­spannt. Sobald man sich mit Augen, Ohren, Nase nähert, wird man wis­pern­de Affen­stim­men ver­neh­men, Vögel sind zu erken­nen, die über Baum­wip­fel krei­sen, und ein Pan­ther so groß wie eine Amei­se, der sich auf einer Lich­tung wälzt. Und eben Wol­ken, Wol­ken, die man kau­fen kann, sie blit­zen und knal­len von Zeit zu Zeit, es duf­tet sofort nach Schwe­fel, nach einem Löf­fel voll glim­men­den Schwe­fels. Sobald man nun eine Wol­ke zu kau­fen wünscht, eine Wol­ke zu 50 Cent, gebe man ein Hand­zei­chen. Nuuri wird dann unver­züg­lich Platz neh­men, ein freund­li­cher Mensch. Er wird sich erkun­di­gen, wel­che Wol­ke es denn sein soll. Und wäh­rend man nun unter den Wol­ken, es sind vie­le, eine geeig­ne­te Wol­ke suchen wird, wird Nuuri von Tur­ku und vom win­ter­li­chen Eis auf dem Meer und der Stil­le im Ohr erzäh­len, und wie es über­haupt mög­lich sein kann, einen Amei­sen­pan­ther zu füt­tern. — Ende der Wol­ken­ge­schich­te. — stop

polaroidmaedchen

///

in der rue de javel 151

pic

gink­go : 0.02 — Ich fah­re in einem Zug. Vor dem Fens­ter schlen­dert kar­ge Land­schaft, Büsche, kein Schnee, kein Gras, aber Moo­se und Stei­ne. Däm­me­rung. Stun­den­lang nicht Tag und nicht Nacht. Die Wag­gons des Zuges schei­nen von Holz zu sein, aus ihren Wän­den wach­sen win­zi­ge, wil­de Bäu­me in den Raum. Die­se Bäu­me sind nicht höher als ein Fin­ger, win­zi­ge Affen tur­nen her­um, auch Vögel krei­sen, wenn ich mich nähe­re mit einem Ohr, ver­mag ich Pfif­fe zu hören. Auf einer Bank vor dem Fens­ter sitzt ein älte­rer Herr mit einem Tele­fon. Er notiert gro­ße, unge­len­ke Buch­sta­ben in ein Heft. Sturz­pro­to­koll No 75: Im Nacht­hemd ist Made­moi­sel­le Livin, 92, über eine Trep­pe vom fünf­ten Stock des Hau­ses 151 in der Rue de Javel in den vier­ten Stock gestürzt. Paris, 10. Dezem­ber 2014, 3 Uhr 5 Minu­ten. — stop

ping

///

geckos

pic

echo : 8.02 — Was für ein wun­der­schö­ner Mor­gen. Der Nacht­wind hat einen leuch­ten­den Tep­pich von Blät­tern auf die Stra­ße gelegt. Ich möch­te mei­nen, aus dem Fens­ter eines Spiel­zeug­zim­mers in ein wei­te­res Zim­mer zu spä­hen. Zwei Krä­hen spa­zie­ren auf der Stra­ße, krei­sen umein­an­der, viel­leicht weil sie sich wun­dern, dass die Far­ben der Bäu­me auf den Asphalt gefal­len sind. Nur zwei oder drei Meter wei­ter jagt ein Rudel hell­blau­er Geckos den Stamm einer Kas­ta­nie rauf und run­ter, so auf­ge­regt habe ich sie noch nie gese­hen. Auch die Wara­ne, 5 an der Zahl, sel­te­ner Anblick, wie sie so fried­lich lun­gern auf dem Dach eines Auto­mo­bils. Wenn ich mich nicht irre, haben sie damit begon­nen, vom Fahr­zeug­blech zu kos­ten. Ja, was für ein wun­der­schön bun­ter Mor­gen! Nichts ist heu­te zu tun, als ein Buch zu öff­nen und dem Abend ent­ge­gen zu lesen. — stop

ping

///

josephine begegnet louis armstrong

ping
ping
ping

nord­pol : 5.02 — Im Sep­tem­ber des Jah­res 2010 fah­ren Jose­phi­ne und ich auf der Sta­ten Island Fäh­re John F. Ken­ne­dy spa­zie­ren. Ein schwül­war­mer Tag. Gewit­ter­wol­ken, vom Meer her gekom­men, hän­gen tief über der Upper Bay. Die Luft knis­tert. Möwen umkrei­sen das Schiff, wie irr stür­zen sie immer wie­der her­ab, schnap­pen nach Pas­sa­gie­ren, die auf der Pro­me­na­de foto­gra­fie­ren, als ob jede ein­zel­ne von ihnen bereits von einem Blitz getrof­fen wor­den sei. Wir sit­zen, unte­res Deck, auf einer der Holz­bän­ke der mitt­le­ren Rei­hen. Ich erin­ne­re mich noch gut an die Stim­me der alten Dame, wie sie auf­ge­regt erzählt. An einem ähn­li­chen Tag im Jahr 1966, sie war noch eine jun­ge Frau gewe­sen, habe sie an Bord der John F. Ken­ne­dy Lou­is Arm­strong beob­ach­tet. Dort, genau dort saß er, sagt sie, und deu­tet auf eine Bank in der Nähe der Fens­ter, die an die­sem Tag voll­kom­men leer ist. Ein Foto­graf und zwei wei­te­re Män­ner sei­en damals um die bedeu­ten­de Per­son her­um­ge­lau­fen, man habe ihn foto­gra­fiert. Ein schö­ner Mann, sagt Jose­phi­ne, ein wirk­lich schö­ner Mann, und so berühmt. Sie lacht jetzt und macht eine kur­ze Pau­se, schaut ost­wärts nach Brook­lyn hin. Ich war ein jun­ges Mäd­chen, erzählt sie wei­ter, und plötz­lich saß dort Lou­is Arm­strong, ganz unglaub­lich, ich war starr vor Schreck gewe­sen. Er sah müde aus, und er hat­te gro­ße Füße und war sehr schwarz für mei­ne Ver­hält­nis­se, ein wirk­lich schwar­zer Mann, der vor­nehm geklei­det war und ich glau­be, wenn ich mich erin­ne­re, dass sie auf etwas gewar­tet haben, immer­zu sahen sich die Män­ner um, sie wirk­ten ein wenig gehetzt, nur Lou­is Arm­strong nicht. Ich glau­be, er hat mich damals gese­hen, wie ich ihn anstarr­te. Ich war erst 26 Jah­re alt, und ich war glück­lich, die­sem Mann per­sön­lich zu begeg­nen. Seit­her habe ich immer, wenn ich die John F. Ken­ne­dy gese­hen habe, an Lou­is Arm­strong gedacht, jedes ein­zel­ne Mal. Die alte Dame Jose­phi­ne erhebt sich, schlen­dert zu einer der Türen, die auf die Pro­me­na­de füh­ren. Ich muss ihr schnell fol­gen, sie kann die schwe­ren Türen mit ihren eige­nen Hän­den nicht öff­nen. Drau­ßen Sturm, das Meer schäumt. Rie­si­ge See­mö­wen, gel­be Augen, sit­zen auf der Reling in unse­rer Nähe. — Ende der Geschich­te. — stop

jose­phi­ne

polaroidemily

///

vor dem bildschirm

2

echo : 6.22 — Wür­de ich in die­ser Minu­te aus mei­ner Haut fah­ren, sagen wir, oder mit einem Auge mei­nen klei­nen Kör­per ver­las­sen und etwas in der Zeit zurück­rei­sen, dann könn­te ich mich selbst beob­ach­ten, einen Mann, der an einem Abend in der Küche steht, einen Mann, der Tee kocht, er spricht mit sich selbst. Er sagt: Heu­te machen wir das, heu­te ist es rich­tig. Ein Bün­del Melis­se zieht durchs flim­mern­de Was­ser, bald trägt der Mann eine damp­fen­de Tas­se durch den Flur ins Arbeits­zim­mer. Er schal­tet sei­ne Schreib­ma­schi­ne an, sitzt auf einem Gar­ten­stuhl vor einem Bild­schirm und arbei­tet sich durch elek­tri­sche Ord­ner in die Tie­fe sei­ner Ver­zeich­nis­se vor­an. Eine Vier­tel­stun­de ste­he ich hin­ter ihm und seh ihm zu. Dann erhebt sich der Mann, er steht jetzt zwei Meter vom Bild­schirm ent­fernt und war­tet. Der Bild­schirm ist aus der Ent­fer­nung gese­hen hand­li­cher gewor­den, ein klei­nes Fens­ter von Licht. Dort kniet ein Mensch auf dem Boden, ein Mensch, der sich fürch­tet. Eine Stim­me ist zu hören, eine schril­le Stim­me. Sie spricht schep­pernd Sät­ze in ara­bi­scher Spra­che, uner­träg­lich die­se Geräu­sche. Der Mann vor dem Schreib­tisch tritt einen wei­te­ren Schritt zurück. Er scheint flüch­ten zu wol­len. Zwei Fin­ger sei­ner rech­ten Hand for­men einen Ring, er hält ihn vor sein lin­kes Auge, wäh­rend das rech­te Auge geschlos­sen bleibt. So ver­harrt er, leicht gebeugt, bewe­gungs­los, zwei Minu­ten, drei Minu­ten. Ein­mal ist sein Atem zu hören, hef­tig. Kurz dar­auf steht der Mann wie­der in der Küche, er lehnt mit dem Rücken am Kühl­schrank, denkt, dass es schneit und spürt Unru­he, die lan­ge Zeit in die­ser Hef­tig­keit nicht wahr­zu­neh­men gewe­sen war. Ein Mensch, Dani­el Pearl, wur­de zur Ansicht getö­tet. Was machen wir jetzt? — stop / Kof­fer­text 12 Feb. 2010 : In die­sen Tagen spre­chen die Mör­der der IS eng­li­sche Sprache.

ping

///

mailand

2

ulys­ses : 6.56 — Die fol­gen­de Nach­richt ist selbst­ver­ständ­lich Wort für Wort erfun­den. Auch Satz­zei­chen, die in der erfun­de­nen Nach­richt ent­hal­ten sein wer­den, sind ver­mut­lich nicht authen­tisch. Wenn Sie also von erfun­de­nen Nach­rich­ten nichts hal­ten, soll­ten Sie nicht wei­ter­le­sen. Hier beginnt es sofort, bereits der nächs­te Satz wird erfun­den sein, die gan­ze Geschich­te, die sich im geschäf­ti­gen Mai­land gegen­wär­tig in der Sta­zio­ne Cen­tra­le ereig­net. Zwei­hun­dert sehr beson­de­re Zwerg­baumm­äu­se sol­len auf einem Labor­trans­port befind­lich aus dem Besitz der städ­ti­schen Uni­ver­si­tät ent­kom­men sein. Wenn ich das spe­zi­el­le Ver­mö­gen die­ser flüch­ti­gen Mäu­se beschrei­ben woll­te, müss­te ich sie zunächst als fun­ken­de Zwerg­baumm­äu­se oder schlicht als Funk­baumm­äu­se bezeich­nen. Sie fun­ken tat­säch­lich, sind, prä­zi­se for­mu­liert, in der Lage, mit­tels einer tech­ni­schen Erwei­te­rung ihres Gehirns, Not­ruf­zen­tra­len von Poli­zei und Ambu­lanz anzu­wäh­len. Das machen sie gern, ohne jedoch mit einer der ange­wähl­ten Stel­len je zu kom­mu­ni­zie­ren. Sie schwei­gen statt­des­sen oder piep­sen voll­stän­dig unhör­bar. Ver­mut­lich haben sie von ihren Tele­fon­an­ru­fen per­sön­lich kei­ne Kennt­nis, immer dann, wenn sie rechts­her­um im Krei­se tan­zen, sen­den sie ihren Code, weil sie nicht anders kön­nen. Man möch­te sie nun gern zum Schwei­gen brin­gen, man rück­te ihnen mit süßen Gif­ten, die sie nicht zu sich nah­men, und Blas­roh­ren zu Lei­be. Umsonst. Jetzt war­tet man dar­auf, dass sie bald alt wer­den und ster­ben, viel­leicht in einem Monat schon wer­den sie aus­rei­chend alt gewor­den sein, nie­mand weiß das genau zu sagen. Noch immer sind sie schnell, ihr Fell ist sei­dig, es schim­mert röt­lich, und ihre Augen sind von einem vor­neh­men Blau, sie fun­keln, manch­mal leuch­ten sie rot. Auf den Köp­fen der Zwerg­baumm­äu­se wach­sen wie­der Haa­re, die noch sei­di­ger sind als die Haa­re ihres Bau­ches oder ihres Rückens. Die Stirn krönt eine Aus­buch­tung, nicht grö­ßer als eine Steck­na­del. Wenn man sie so sieht, möch­te man sie gern in die Hand neh­men und behut­sam schüt­teln. — stop

ping

///

petuschki

2

india : 2.05 — Ich hör­te mich wie­der ein­mal von Bücher­men­schen erzäh­len, von Bücher­men­schen, jawohl. Das sind Per­so­nen, die selbst dann noch lesen, wenn sie spa­zie­ren gehen. Wenn sie ein­mal nicht spa­zie­ren gehen, sit­zen sie stu­die­rend auf Bän­ken in Park­land­schaf­ten her­um, in Cafés oder in einer Unter­grund­bahn. Dort, aus hei­te­rem Him­mel ange­spro­chen, wenn man sich nach ihrem Namen erkun­dig­te, wür­den sie erschre­cken und sie wür­den viel­leicht sagen, ohne den Kopf von der Zei­chen­li­nie zu heben, ich hei­ße Anna oder Vic­tor, obwohl sie doch ganz anders hei­ßen. Wenn man sie frag­te, wo sie sich gera­de befin­den, wür­den sie behaup­ten, in Petusch­ki oder in Brook­lyn oder in Kai­ro oder auf einem Amzo­nas­re­gen­wald­fluss. — Heu­te habe ich mir gedacht, man soll­te für die­se Men­schen eine eige­ne Stadt errich­ten, eine Metro­po­le, die allein für lesend durch das Leben rei­sen­de Men­schen gemacht sein wird. Man könn­te natür­lich sagen, wir bau­en kei­ne neue Stadt, son­dern wir neh­men eine bereits exis­tie­ren­de Stadt, die geeig­net ist, und machen dar­aus eine ganz ande­re Stadt, eine Stadt zunächst nur zur Pro­be. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen sind Biblio­the­ken zu fin­den wie Blu­men auf einer Wie­se. Da sind also gro­ße Biblio­the­ken, und etwas klei­ne­re, die haben die Grö­ße eines Kiosks und sind geöff­net bei Tag und bei Nacht. Man könn­te dort sehr kost­ba­re Bücher ent­lei­hen, sagen wir, für eine Stun­de oder zwei. Dann macht man sich auf den Weg durch die Stadt. Wäh­rend man geht, wird gele­sen. Das ist sehr gesund in die­ser Art so in Bewe­gung. Auf alle Stra­ßen, die man pas­sie­ren wird, sind Lini­en auf­ge­tra­gen, Stre­cken, die lesen­de Men­schen durch die Stadt gelei­ten. Da sind also die gel­ben Krei­se der Stunden‑, und da sind die roten Lini­en der Minu­ten­ge­schich­ten. Blau sind die Stre­cken mäch­ti­ger Bücher, die schwer sind von feins­ten Papie­ren. Sie füh­ren weit aufs Land hin­aus bis in die Wäl­der, wo man unge­stört auf sehr beque­men Pini­en­bäu­men sit­zen und schla­fen kann. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen haben Auto­mo­bi­le, sobald ein lesen­der Mensch sich nähert, den Vor­tritt zu geben, und alles ist sehr schön zau­ber­haft beleuch­tet von einem Licht, das aus dem Boden kommt. — stop
polaroidtraum



ping

ping