Aus der Wörtersammlung: programm

///

eine poststelle

2

india : 16.10 UTC — Auf der Anschrift­sei­te eines Brie­fes war ein Text notiert, den ich zunächst nicht ent­zif­fern konn­te. Ich hat­te das Kuvert bei einem Händ­ler ent­deckt, des­sen Samm­lung von Brief­ku­verts auf einem Tisch unter einem Schirm sorg­fäl­tig aus­ge­brei­tet wor­den war. Es waren sehr vie­le Brie­fe, der Händ­ler muss­te früh auf­ge­stan­den sein, um recht­zei­tig vor Ein­tref­fen der ers­ten Besu­cher des Floh­mark­tes mit sei­ner Dar­le­gung fer­tig gewor­den zu sein. Es reg­ne­te. Ich stand unter dem Schirm und betrach­te­te einen Brief­um­schlag nach dem ande­ren Brief­um­schlag, sie waren zum Schutz in durch­sich­ti­ge Foli­en ein­ge­schla­gen. Auf jenem Brief, von dem ich hier kurz erzäh­le, kleb­ten zwei Brief­mar­ken der Färö­er-Inseln, sie waren noch gut zu erken­nen, zwei Wale schweb­ten dort. Außer­dem waren in einer Spra­che, die ich nicht kann­te, zahl­rei­che Zei­chen, ein klei­ner Text, unter einem Namen ange­bracht. Der Name lau­te­te: Alma Pipa­luk. Ich frag­te den Händ­ler, ob er wis­se, was die­ser kur­ze Text­ab­schnitt bedeu­ten wür­de. Neu­gie­rig gewor­den kauf­te ich den Brief, spa­zier­te nach Hau­se und setz­te mich an mei­ne Schreib­ma­schi­ne, tipp­te die Zei­chen sorg­sam in die Ein­ga­be­mas­ke eines Über­set­zungs­pro­gramms. Die Spra­che, die ich notier­te, war die däni­sche Spra­che, und bei dem Text, den ich vor­ge­fun­den hat­te, han­del­te es sich um eine Anwei­sung an einen Brief­zu­stel­ler, der von der Post­stel­le einer klei­nen Sied­lung namens Uum­man­n­aq aus, den Brief an sei­ne Emp­fän­ge­rin lie­fern soll­te. Der Text lau­te­te in etwa so: Bit­te nach Anor­lern­ertooq nörd­li­che Bie­gung am roten Haus vor­bei rechts über den Steg zum gel­ben Haus an Alma, Pipa­luk nicht vor Sep­tem­ber. Der Brief trug zwei pos­ta­li­sche Stem­pel­zei­chen, akku­rat auf­ge­tra­gen. Er war geöff­net wor­den, irgend­wann von irgend­wem. — stop

ping

///

amplitude

pic

sier­ra : 8.12 — Ver­gan­ge­ne Nacht, eine Wie­der­ho­lung, habe ich sie­ben Stun­den Schlaf auf­ge­zeich­net. Kaum rich­tig wach, lade ich die Datei in mein Ton­be­ar­bei­tungs­pro­gramm. Was ist zu hören, was hat sich ereig­net? Gegen 1 Uhr kommt mei­ne Nach­ba­rin nach Hau­se, sie schlägt die Tür zu, hef­ti­ge Ampli­tu­de. Gegen 2 Uhr der Abdruck einer Poli­zei­si­re­ne, zwei­fach, in einem Abstand von Minu­ten. Immer wie­der das Rascheln der Bett­de­cke. Drei Male schei­ne ich spa­ziert zu sein. Gegen 5 Uhr erzäh­le ich eine Geschich­te. Ich höre mei­ne Stim­me. Ich erzäh­le vom Flie­gen und wei­te­res, unver­ständ­lich. — stop
ping

///

babuschka no 2

9

char­lie : 4.12 — Ein­mal, im Jahr 2013, hat­te ich einen Text geschrie­ben, den ich nur des­halb notier­te, um ihn mit­tels eines Ver­schlüs­se­lungs­pro­gramms in einen Zustand der Unles­bar­keit zu ver­set­zen. Genau­ge­nom­men hat­te ich den Text mit einer beson­de­ren Haut, mit einer Zeit­haut umge­ben. Um ihn näm­lich lesen zu kön­nen, müss­te man den Text zunächst deco­die­ren, das heißt, solan­ge mit­tels einer Com­pu­ter­ma­schi­ne sei­ne Öff­nung pro­bie­ren, bis der rich­ti­ge Schlüs­sel gefun­den ist. Ges­tern, bei gro­ßer Hit­ze, stell­te ich mir vor, was gesche­hen wür­de, wenn nun nach Tagen, Wochen oder Jah­ren des Rech­nens das suchen­de Pro­gramm mel­den wür­de: Ich bin fün­dig gewor­den! Wie ein mensch­li­cher Ana­lyst sich in die­sem Moment zufrie­den sei­nem Bild­schirm nähert, um fest­zu­stel­len, dass sich hin­ter den Zei­chen eines ver­schlüs­sel­ten Tex­tes wei­te­re ver­schlüs­sel­te Zei­chen befin­den. stop — Auf den ers­ten Blick ist fol­gen­dem kodier­ten Text nicht anzu­se­hen, hin­ter wie vie­len Zeit­häu­ten sein les­ba­rer Ursprung ver­bor­gen lie­gen könn­te: ANFANG === B U C W 0 G c o a G j I B W W f k p h Z L v 0 h 4 Y J j 9 4 4 t m c e K C l x B M b L 4 q T d x Y I w B U v V 3 E b p b X y A z Y B e R 5 C a 9 n b s E B p U I 6 z q 3 Z C 6 a Q A R Q 1 a 8 P I N 1 j T L B b V 9 e O F 0 j 5 G s F f y 5 E M D 3 5 a r / C G 0 j V z 4 v n e u M z p T K W Y t 4 D m s J t e / F E C Y C a j 3 Z L Z / h l x G M W I 4 7 v 8 / B I g H c E / Q 2 F 9 G s W Z i z Q K 0 7 k t O W 7 8 k S k A t q u J Z 5 2 F A u n a J 6 C G B u A 7 R o C u P p D n C m 8 F 7 9 F E e m H / T T 3 K x z S 7 r 3 i 0 y 4 g M Z u m G m x i A q 4 l z d A x i o P m 0 O I b x M i T I x P w X j 5 A I i 1 z c e + T W i i x A + 6 A h k p q h o n a D e M / y s A l y W r i p 4 s Z m m / q X y n 2 o P H R q z g U i + T s H B c z + J v K 3 A a d v j Z F L 9 i R M s C f m W y U d 6S 4 4 O f z l 8 x P z H B W z 1 H 2 6 z Z o z F s C U U D Y v k +Y N F 0 f U t A y k a Y 7 E L j / u N X s s q 1 K 1 V z A C i z K Z Y 7 F N J C q y t x s Q c b W r C 3 k 4 i f V 1 l K u g f b N i P t y O 8 1 7 e l u y x d r o i d 5 d X 3 E D g O V s X i T e e 5 Q q i 0 U 6 E o 3 G 5 y r 2 9 a f a w X M a U U r Q V d b i U A V 8 F e y 4 m k e W b 9 e u b 1 i S W F g m K y 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 V q b N W c v i 3 6 j L h / u O I j K 8 L s t Y B s 9 F 4 l l c Q A h B J s Q h U 6 i b R U 5 B 4 f g 3 f j r 2 C I i k c M q R U C 4 4 F E u o Y i R w A r D x H W u 2 2 P w 9 d 8 f A 1 f A r 3 5 D l V 3 B G p / J m h b h 8 w F n 7 p v x g x z 9 i b / S h F t K M v 6 l 6 W L A 5 r 7 U F R S O k l C f 0 L H B a J h n V y w Q 0 e Y k 9 w 9 y / Z M 4 Y m F W O T m x 4 s s A W 5 w X 2 N z L g 3 + 9 + d x L 7 T 8 U + A Y C U L b T M J y l M + H Q y S F 7 S T D I / 8 O 6 4 K F 0 4 d 7 g v I === ENDE / code­wort : babusch­ka — stop. Sechs Jah­re sind seit­her ver­gan­gen. Heu­te nun erhielt ich Mel­dung eines Algo­rith­mus, der den Namen “Lepo­rel­lo N=8” trägt, ein Algo­rith­mus evo­lu­tio­nä­rer Klas­se. Er hat­te mei­nen Text unter­sucht. Es ist berüh­rend zu sehen, wie Lepo­rel­lo N=8 aus vor­lie­gen­den Zei­chen­ket­ten einer Ver­schlüs­se­lung, ver­such­te Wör­ter zu bil­den. Eine gewis­se Ver­zweif­lung ist zu bemer­ken oder unbe­ding­ter Wil­le zu einem Ergeb­nis zu kom­men. Lesen Sie selbst: ANFANG === BUCW 0 Gco­aG­jIBWWfkphZLv 0 h 4 YJj 9 4 4 tmceK­ClxBMbL 4 qTdxY­Iw­BUvV 3 EbpbXyA­zY­BeR 5 Ca 9 nbs­EB­pUI 6 zq 3 ZC 6 aQARQ 1 a 8 PIN 1 jTLBbV 9 eOF 0 j 5 GsFfy 5 EMD 3 5 ar / CG 0 jVz 4 vneuMzpTKWYt 4 DmsJ­te / FECY­Caj 3 ZLZ / hlxGM­WI 4 7 v 8 / BIgH­cE / Q 2 F 9 GsW­Ziz­QK 0 7 ktOW 7 8 kSkAt­quJZ 5 2 FAunaJ 6 CGBuA 7 RoCuP­pDn­Cm 8 F 7 9 FEemH / TT 3 KxzS 7 r 3 i 0 y 4 gMZumGmxiAq 4 lzd­AxioPm 0 OIbx­Mi­TIxPwXj 5 AIi 1 zce + TWiixA + 6 Ahkpqho­na­DeM / ysA­ly­Wrip 4 sZmm / qXyn 2 oPHR­qz­gUi + TsHBcz + JvK 3 Aad­v­jZFL 9 iRM­sCfmWyUd 6S 4 4 Ofzl 8 xPzHBWz 1 H 2 6 zZozFs­CUUDYvk +YNF 0 fUtAy­kaY 7 ELj / uNXssq 1 K 1 VzA­CizKZY 7 FNJC­qytxsQcb­WrC 3 k 4 ifV 1 lKugfbNi­PtyO 8 1 7 eluyx­droid 5 dX 3 EDgOVsXi­Tee 5 Qqi 0 U 6 Eo 3 G 5 yr 2 9 afa­wX­MaU­Ur­QVdbiUAV 8 Fey 4 mkeWb 9 eub 1 iSWFgm­Ky 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 VqbNW­cvi 3 6 jLh / uOI­jK 8 LstYBs 9 F 4 llc­QAhBJs­QhU 6 ibRU 5 B 4 fg 3 fjr 2 CIik­cMqRUC 4 4 FEu­oY­iR­wAr­DxHWu 2 2 Pw 9 d 8 fA 1 fAr 3 5 DlV 3 BGp / Jmhbh 8 wFn 7 pvx­gxz 9 ib / ShFtKMv 6 l 6 WLA 5 r 7 UFRSO­klCf 0 LHBa­Jhn­VywQ 0 eYk 9 w 9 y / ZM 4 YmFWOT­mx 4 ssAW 5 wX 2 NzLg 3 + 9 + dxL 7 T 8 U + AYCULbTM­JylM + HQySF 7 STDI / 8 O 6 4 KF 0 4 d 7 gvI === ENDE / code­wort : babusch­ka — stop

ping

///

ein fahrrad

2

whis­key : 5.16 UTC – Ein­mal, vor fünf Jah­ren sprach ich mit Mar­tha, die kürz­lich gestor­ben ist, über das Ver­ges­sen oder Ver­gess­lich­keit. Sie sag­te, dass man, wenn man wirk­lich vergess­lich wird, die­se Vergess­lich­keit nur dann bemerkt, wenn man dar­auf auf­merk­sam gemacht wird. An Tagen, da sie sich allein in ihrer Woh­nung auf­hal­te, kön­ne sie ver­ges­sen, soviel sie wol­le, es wür­de ihr selbst nicht und nie­mand ande­rem auf­fal­len, dass sie eigent­lich einen Film betrach­ten woll­te, aber auf dem Weg zum Fern­seh­gerät plötz­lich ein Buch auf dem Tisch ent­deck­te, wes­halb ihr Film­wunsch ver­lo­ren ging. – Lie­be Mar­tha, notier­te ich, Du hast ver­säumt, nach einem Text zu suchen, von dem ich Dir erzähl­te. Ich sen­de die­sen Text noch ein­mal und rufe Dich gleich an, damit Du ihn für mich vor­le­sen wirst. Hier ist der Text, den Mar­tha damals ver­mut­lich noch wahr­ge­nom­men hat­te. Er geht so: Eines der letz­ten beweg­ten Bil­der, die ich von mei­nem Vater in Erin­ne­rung habe, zeigt ihn, wie er in sei­nem Arbeits­zimmer am Com­pu­ter arbei­tet. Auf dem Bild­schirm sind dut­zen­de Programm­fenster geöff­net. Der alte Mann sitzt fast bewe­gungslos in sei­nem Ses­sel. Manch­mal tas­tet eine Hand durch die Luft, greift unsi­cher nach einem Glas Milch, bald stellt sie das Glas wie­der auf den Tisch zurück. Ich sehe einen Zei­ger über den Bild­schirm fah­ren. Ein wei­te­res Programm­fenster öff­net sich. Ein klei­nes Mäd­chen fährt in die­sem Fens­ter auf einem Fahr­rad über einen san­di­gen Weg. Sie bewegt sich in Schlan­gen­li­nien dahin, lacht hoch zur Kame­ra, die rück­wärts durch die Luft zu flie­gen scheint. Es ist ein hei­te­rer Film. Sobald der Film zu Ende ist, spielt ihn mein Vater von vorn ab. Aber dann öff­net sich wie von Geis­ter­hand noch ein Fens­ter, das den hei­te­ren Film ver­deckt. Eine Foto­grafie, Mut­ter nahe Lis­sa­bon an einem Strand. Neben ihr liegt der Mann, der vor dem Com­pu­ter sitzt, im Sand. Er trägt Turn­schuhe. Auch mei­ne Mut­ter trägt Turn­schuhe. Ich frag­te mich, wer die­se Auf­nah­me mach­te, und kom­me nicht dar­auf. Ein Schat­ten ist zu erken­nen, der Schat­ten eines Foto­grafen viel­leicht. In die­sem Moment ruft die Frau, die auf der Foto­grafie zu sehen ist, von unten, vom Wohn­zimmer her, dass das Mittag­essen bald fer­tig sei. Wie nun mein Vater sich an die Arbeit macht, alle Fens­ter, die er im Lau­fe des Vormit­tages geöff­net hat­te, wie­der zu schlie­ßen. Nein, alles muss aufge­räumt wer­den. Mein Vater steht nicht ein­fach auf, um sich sofort unsi­cheren Schrit­tes auf die Trep­pe zu wagen. Ich sehe, wie sich der Zei­ger auf dem Bild­schirm den Rah­men der Programm­fenster nähert. Er scheint das Sym­bol für das Schlie­ßen der Fens­ter zu suchen, aber das Sym­bol ist nicht zu entde­cken, nicht zu erken­nen. Der Zei­ger irrt auf dem Bild­schirm her­um, Fens­ter drän­gen sich in den Vorder­grund und ver­schwin­den wie­der. Dann kommt Mut­ter her­bei, sie ruft zärt­lich: Komm, komm, das Essen ist fer­tig. Schrit­te auf der Trep­pe. Das Geräusch der Bestecke. Das Zwit­schern der Vögel vom Gar­ten her. Im Zim­mer auf dem Schreib­tisch ist der Com­pu­ter längst einge­schlafen. – stop

///

ai : NIGER

aihead2

MENSCHEN IN GEFAHR: „Der mul­ti­na­tio­na­le Ölkon­zern Shell und die Regie­rung des süd­ni­ge­ria­ni­schen Bun­des­staa­tes Rivers haben es ver­säumt, die Bewohner_innen von Oga­le, einer Regi­on außer­halb von Port Har­court, der Haupt­stadt von Rivers, regel­mä­ßig mit siche­rem Trink­was­ser zu ver­sor­gen. Die meis­ten der dort leben­den Men­schen müs­sen ent­we­der Was­ser kau­fen oder Grund­was­ser trin­ken, das laut einer 2011 ver­öf­fent­lich­ten Stu­die der Ver­ein­ten Natio­nen gefähr­lich ver­schmutzt ist./ Die Stu­die des Umwelt­pro­gramms der Ver­ein­ten Natio­nen (United Nati­ons Envi­ron­ment Pro­gram­me, UNEP) ergab, dass die Bewohner_innen von Oga­le Was­ser aus Brun­nen tran­ken, das so stark mit dem bekann­ten Kar­zi­no­gen Ben­zol ver­un­rei­nigt war, dass es den nach inter­na­tio­na­len Richt­li­ni­en fest­ge­leg­ten Grenz­wert um das 900-fache über­schritt. Das Was­ser zu trin­ken wer­de „sicher lang­fris­ti­ge gesund­heit­li­che Fol­gen“ haben. UNEP emp­fahl der nige­ria­ni­schen Regie­rung, unver­züg­lich Maß­nah­men zu ergrei­fen, damit die Men­schen in Oga­le nicht wei­ter­hin Trink­was­ser aus kon­ta­mi­nier­ten Brun­nen trin­ken müs­sen, und ihnen eine alter­na­ti­ve Quel­le für sau­be­res Was­ser zur Ver­fü­gung zu stel­len. Trotz die­ses drin­gen­den Auf­rufs gibt es noch immer kei­nen Zugang zu solch einer Quel­le. / Am 1. Sep­tem­ber 2018 besuch­te Amnes­ty Inter­na­tio­nal Oga­le und sprach mit Anwohner_innen. Die meis­ten von ihnen kau­fen ihr Was­ser für den per­sön­li­chen und häus­li­chen Gebrauch, etwa zum Trin­ken, Kochen und Waschen, obwohl sie es sich eigent­lich nicht leis­ten kön­nen. In eini­gen Fäl­len geben Bewohner_innen ein Drit­tel ihres wöchent­li­chen Ein­kom­mens für Was­ser aus, sodass sie manch­mal statt drei Mahl­zei­ten am Tag nur zwei essen kön­nen. Die­je­ni­gen, die es sich nicht leis­ten kön­nen, Was­ser zu kau­fen, trin­ken und nut­zen das ört­li­che Grund­was­ser – trotz der Warn­schil­der, die dar­auf hin­wei­sen, dass das Was­ser ihre Gesund­heit gefähr­det. Man­che trin­ken Was­ser aus loka­len Brun­nen und Bohr­lö­chern, auch wenn auf dem Was­ser ein öli­ger Film zu sehen ist. Eini­ge Bewohner_innen bezah­len sogar für das Was­ser aus den Bohr­lö­chern. Ande­re nut­zen Regen­was­ser, in dem sich schwar­ze Flöck­chen befin­den. Die Bewohner_innen haben kei­ne ande­re Wahl, da sie nicht das nöti­ge Geld auf­brin­gen kön­nen, um Was­ser von pri­va­ten Anbieter_innen zu kau­fen und die Regie­rung bereits seit über einem Jahr kein sau­be­res Was­ser mehr bereit­stellt. Zeit­gleich mit dem Besuch von Amnes­ty Inter­na­tio­nal in Oga­le wur­den eini­ge der von der Regie­rung regu­lier­ten Was­ser­lei­tun­gen wie­der in Betrieb genom­men. Doch die Bewohner_innen berich­ten, dass die Was­ser­ver­sor­gung ledig­lich eine Stun­de am Mor­gen oder am Nach­mit­tag funk­tio­niert und die zur Ver­fü­gung gestell­te Was­ser­men­ge nicht aus­reicht, um den grund­le­gen­den Was­ser­be­darf zu decken. Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat Grund zu der Annah­me, dass auch die­ses Was­ser nicht den Richt­li­ni­en der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on für Trink­was­ser­qua­li­tät ent­spricht.“ - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 3.8.2018 unter > ai : urgent action
ping

///

am mississippi

2

alpha : 16.12 — Ramos erzähl­te ges­tern am spä­ten Abend von einer Metho­de, E‑Mail der­art zu pro­gram­mie­ren, dass sie sich kurz nach ihrem Auf­ruf vor den Augen des Lesen­den selbst zer­stö­ren oder auf­lö­sen wird, weil ihre Zei­chen hel­ler und hel­ler wer­den, bis sie unsicht­bar gewor­den sei­en. Ramos selbst will die­se Mög­lich­keit des Ver­schwin­dens pro­gram­miert haben. Wir notier­ten zur Pro­be einen elek­tri­schen Brief an mich selbst. Ich sen­de­te also einen kur­zen Text, den ich vor fünf Jah­ren bereits auf­ge­schrie­ben hat­te: 6.15 – Wäh­rend ich Stun­de um Stun­de in Ste­wart O’Nan’s Roman Last Night at the Lobs­ter lese, immer wie­der das Wort Missis­sippi im Kopf. Die Idee, dass das Wort Missis­sippi in der Fort­set­zung der Lek­tü­re nach und nach alle wei­te­ren Wör­ter und Gedan­ken ersetz­ten könn­te. In einem Wort ver­schwin­den. — stop - Sobald die E‑Mail, die mit­tels Ramos’ Pro­gramm notiert wor­den war, auf mei­ner Schreib­ma­schi­ne ein­ge­trof­fen war, öff­ne­te ich sie. Tat­säch­lich, kaum hat­te ich den Cur­sor mei­ner Schreib­ma­schi­ne über den Text hin bewegt, lös­ten sich sei­ne Buch­sta­ben auf, sie ver­blass­ten, waren bald nur noch eine Ahnung auf der Netz­haut mei­nes Auges. Ramos erklär­te, alle Zei­chen, die mit­tels sei­nes Pro­gram­mes ver­schlüs­selt wor­den sei­en, wür­den für eine Minu­te zur Ver­fü­gung ste­hen, man dür­fe den Text der E‑Mail jedoch nicht berüh­ren oder den Ver­such unter­neh­men, einen Screen­shot anzu­fer­ti­gen. Jede bekann­te Metho­de des Fan­gens auf künst­li­chem Wege sei unwirk­sam. Auch eine Foto­gra­fie zu neh­men mit­tels eines gewöhn­li­chen Foto­ap­pa­ra­tes sei nicht mög­lich. Ramos, der höchst begeis­tert wirk­te, woll­te mir nicht erzäh­len, wie die­ses Ver­hal­ten pro­gram­miert sein könn­te. Was bleibt, sag­te Ramos, ist eine E‑Mail die­ser Art aus­wen­dig zu ler­nen, um sie kurz dar­auf auf Papie­ren zu rekon­stru­ie­ren. — stop

///

0 Uhr 28

2

del­ta : 0.28 — Jede der Schreib­ma­schi­nen, die ich besit­ze, jene in der Küche, jene im Arbeits­zim­mer, jene in mei­nem Ruck­sack oder jene in mei­ner Hosen­ta­sche, könn­te ein sen­si­bles Hör- oder Seh­rohr sein. Als ich ges­tern für eine mei­ner Schreib­ma­schi­nen mit­tels eines Pro­gramm­codes sicht­bar mach­te, wel­che Daten­li­ni­en prä­zi­se von und zu mei­ner Schreib­ma­schi­ne hin sen­dend exis­tie­ren, stell­te ich mir vor, jede die­ser Daten­li­ni­en wäre ein Faden, ich könn­te mich nicht län­ger bewe­gen, ein dich­tes Gewe­be wür­de sich mit wei­te­ren Daten­ge­we­ben vor den Fens­tern ver­knüp­fen. Selt­sa­me Geschich­te. — stop

///

raymond carver goes to hasbrouck heights / 3

pic

sier­ra : 5.12 UTC — Es ist Sams­tag und ich habe gera­de eine Mel­dung gele­sen, die mir ein Pro­gramm mei­nes Par­tic­les-Ser­vers sen­de­te, es habe näm­lich ein Mensch, der nahe oder in Washing­ton D.C. leben soll, einen Text besucht, der von Ray­mond Car­ver erzählt. Ich las mei­nen Text nach län­ge­rer Zeit wie­der ein­mal mit älter gewor­de­nen Augen. Und ich dach­te mir, dass ich im Grun­de nicht sicher sein kön­ne, ob ein mensch­li­ches Wesen mei­nen Text in der Wei­te des World Wide Web ent­deck­te, oder ob eine Maschi­ne mein Par­tic­les besuch­te, die einer Spur von Schlüs­sel­wör­tern folg­te. Der Text, der am 12. Dezem­ber 2014 notiert wur­de, geht so: Ich kann nicht mit Sicher­heit sagen, war­um ich mich ges­tern, wäh­rend ich einen Bericht über Unter­su­chun­gen der CIA-Fol­ter­prak­ti­ken durch Ermitt­ler des US-Senats stu­dier­te, an eine klei­ne Stadt erin­ner­te, die ich vor weni­gen Jah­ren ein­mal von Man­hat­tan aus besuch­te. Ich las von Schlaf­ent­zug, von Water­boar­ding, von sehr klei­nen, dunk­len Kis­ten, in wel­che man Men­schen tage­lang sperr­te, von Lärm, von rus­si­schem Rou­lette und plötz­lich also erin­ner­te ich mich an Ole­an­der­bäu­me, die ich gese­hen hat­te in Has­b­rouck Heights an einem son­ni­gen Tag im Mai, an ihren Duft, an einen glück­li­chen Abend am Strand von Coney Island, an ein Jazz­kon­zert nahe der Strand­pro­me­na­de. Ich notier­te damals: Es ist die Welt des Ray­mond Car­ver, die ich betre­te, als ich mit dem Bus die Stadt ver­las­se, west­wärts, durch den Lin­coln Tun­nel nach New Jer­sey. Der Blick auf den von Stei­nen bewach­se­nen Mus­kel Man­hat­tans, zum Grei­fen nah an die­sem Mor­gen küh­ler Luft. Dunst flim­mert in den Stra­ßen, deren Fluch­ten sich für Sekun­den­bruch­tei­le öff­nen, bald sind wir ins Gebiet nied­ri­ger Häu­ser vor­ge­drun­gen, Eis­zap­fen von Plas­tik fun­keln im Licht der Son­ne unter Regen­rin­nen. Der Bus­fah­rer, ein älte­rer Herr, begrüßt jeden zustei­gen­den Gast per­sön­lich, man kennt sich hier, man ist schwarz oder weiß oder gelb oder braun, man ist auf dem Weg nach Has­b­rouck Heights, eine hal­be Stun­de Zeit, des­halb liest man in der Zei­tung, schläft oder schaut auf die Land­schaft, auf ros­ti­ge Brü­cken­rie­sen, die flach über die sump­fi­ge Gegend füh­ren. Und schon sind wir ange­kom­men, ein lie­be­voll gepfleg­ter Ort, der sich an eine stei­le Höhe lehnt, ein­stö­cki­ge Häu­ser in allen mög­li­chen Far­ben, groß­zü­gi­ge Gär­ten, Hecken, Büsche, Bäu­me sind auf den Zen­ti­me­ter genau nach Wün­schen ihrer Besit­zer zuge­schnit­ten. Nur sel­ten ist ein Mensch zu sehen, in dem ich hier schlen­de­re von Stra­ße zu Stra­ße, wer­de dann freund­lichst gegrüßt, how are you doing, ich spü­re die Bli­cke, die mir fol­gen, Bäu­me, Blu­men, Grä­ser schau­en mich an, das Feu­er der Aza­leen, Eich­hörn­chen stür­men über sanft geneig­te Dächer: Habt ihr ihn schon gese­hen, die­sen frem­den Mann mit sei­ner Pola­roid­ka­me­ra, die­sen Mann ohne Arme! Gleich wird er ein Bild von uns neh­men, wird klin­geln, wird sagen: Guten Tag! Ich habe Sie gera­de foto­gra­fiert. Wol­len Sie sich betrach­ten? — stop

ping

///

tod in peking 7

pic

marim­ba : 0.48 UTC – Ein­mal, vor sechs Jah­ren im Win­ter, begeg­ne­te ich dem Foto­gra­fen und Pro­gram­mie­rer Ted­dy in einem Super­markt. Wir waren etwas ver­le­gen gewe­sen, wuss­ten in jenem Moment vor küh­len Milch­fla­schen ste­hend nicht, wor­über wir spre­chen soll­ten, weil wir weni­ge Tage zuvor noch ein beson­ders schwie­ri­ges Gespräch geführt hat­ten. Ich erin­ne­re mich, von Hin­rich­tungs­bus­sen erzählt zu haben, die durch Chi­na fah­ren sol­len, von Gefäng­nis zu Gefäng­nis. Ted­dy sag­te, er habe von die­sen Bus­sen nichts gehört und nichts gele­sen. Er war damals gera­de aus Peking zurück­ge­kom­men, von einer Rei­se nach Tibet, prä­zi­se. Er sag­te: Lou­is, war­um erzählst Du mir die­se Geschich­te? Ich sag­te: Nun, weil ich sie weiß! Was ich nicht ahn­te zum Zeit­punkt unse­res Gesprä­ches, nun aus der zeit­li­chen Ent­fer­nung wie ein Ereig­nis für sich zu sehen, ich ahn­te nicht, dass Ted­dy kurz dar­auf ster­ben wür­de. Viel­leicht, wenn ich von sei­nem Tod gewusst hät­te, hät­te ich nicht von Hin­rich­tungs­bus­sen erzählt, son­dern eine ganz ande­re Geschich­te, eine Geschich­te, die von sei­nen wun­der­ba­ren Foto­gra­fien berich­tet. — stop

ping

///

von wasserläufern

9

nord­pol : 20.25 UTC — Heu­te Nach­mit­tag habe ich eine lus­ti­ge Geschich­te mit mir selbst erlebt. Ich sass vor einem See in einem Gar­ten und beob­ach­te­te sehr klei­ne Tie­re, wie sie sich nahe oder auf der Ober­flä­che des Was­sers beweg­ten. Da waren unter ande­rem Flie­gen, die im Was­ser des Sees bade­ten, und Schat­ten der Libel­len­lar­ven, die sich den baden­den Flie­gen nähr­ten, auch Was­ser­läu­fer, die ein­an­der jag­ten im Spiel. Plötz­lich frag­te ich mich, ob ich even­tu­ell in der Lage wäre, das Ver­hal­ten der Was­ser­läu­fer vor­her­zu­sa­gen, ob sich ein bestimm­ter Was­ser­läu­fer eher in öst­li­che oder eher in west­li­che Rich­tung fort­be­we­gen wür­de. Eine Wei­le folg­te ich dem von mir gewähl­ten Tier mit mei­nen Augen, dann zeich­ne­te ich sei­nen Weg auf ein Blatt Papier. Wol­ken spie­gel­ten sich im Was­ser, der Him­mel hier unten war grün, er schim­mer­te. Eine Unter­was­ser­schne­cke pas­sier­te mein Beob­ach­tungs­feld sehr lang­sam, und ich notie­re: Schne­cke. In die­sem Augen­blick bemerk­te ich fünf Gold­fi­sche, die sich in einem Halb­kreis im Was­ser vor mir ver­sam­melt hat­ten. Sie beweg­ten sich kaum merk­lich und ich hat­te plötz­lich den Ein­druck, sie wür­den mich betrach­ten. Tat­säch­lich fühl­te ich mich von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de selbst beob­ach­tet. Das war ein merk­wür­di­ger Augen­blick gewe­sen, ein Moment auch von Ver­le­gen­heit, wes­halb ich mich wie­der einem Gespräch auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne zuwen­de­te, das ich mit einem Com­pu­ter­pro­gramm namens ELIZA in eng­li­scher Spra­che vor lan­ger Zeit ein­mal geführt und kurz dar­auf in die deut­sche Spra­che über­setzt hat­te. Ich, der ich Lou­is gewe­sen war, frag­te Eli­za: guten abend! wie geht es dir, eli­za? Eli­za : > gut! und dir? Lou­is : präch­tig. Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann das pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : darf ich dir eine fra­ge stel­len? Eli­za : > sicher! Lou­is : was bedeu­tet das wort lie­be? Eli­za : > hast du schmet­ter­linge im bauch? Lou­is : eli­za! bit­te! was bedeu­tet das wort lie­be! Eli­za : > lass uns das eine wei­le zurück­stellen. Lou­is : war­um, eli­za? Eli­za : > du musst mich nicht mit namen rufen, ich bin immer bei dir. Lou­is : das ist beru­hi­gend, eli­za! Eli­za : > erzähl wei­ter! Lou­is : eli­za! lie­be? Eli­za : > hast du schon ande­re gefragt? Lou­is: aber natür­lich! Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann dein pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : war­um? Eli­za : > ich sehe, du bist ein schwie­riger fall. Lou­is : war­um bin ich ein schwie­riger fall, eli­za? Eli­za : > scherz bei­sei­te, kom­men wir zur sache. — stop
ping



ping

ping