Aus der Wörtersammlung: eiche

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george ferry terminals tiefseeelefanten

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sier­ra : 17.10 — Hat­te einen Traum, eine Wahr­neh­mung, die mir lan­ge Zeit, ich war längst erwacht, ein sehr wirk­li­cher Raum gewe­sen zu sein schien. Dort, im Nacht­zim­mer, war­te­te ich an einem spä­ten Abend in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Ich war­te­te lan­ge, ich war­te­te den hal­ben Tag und eine hal­be Nacht, begeis­tert vom Anblick einer Her­de fili­gra­ner Tief­see­ele­fan­ten, die über den hel­len, san­di­gen Boden eines Schau­aqua­ri­ums wan­der­ten. Sie hat­ten ihre meter­lan­gen Rüs­sel zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der See­luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören, sobald ich eines mei­ner Ohren an das war­me Glas des Gehe­ges leg­te. Die­ses Geräusch nun sucht seit Stun­den nach einem Wort für sich selbst, nach einem Zei­chen­satz, der ver­mut­lich nie­mals exis­tie­ren wird. — stop
ping

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manhattan transfer

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gink­go : 17.58 — Im Moment der Ver­ge­gen­wär­ti­gung, eine Minu­te still­zu­ste­hen und zu den­ken: Mei­ne Schu­he berüh­ren ame­ri­ka­ni­schen Boden. Könnt von hier aus nach Pata­go­ni­en lau­fen, nach Feu­er­land, ohne je einen Schwimm­zug  zu unter­neh­men, süd­wärts, süd­wärts zur 42th Stra­ße hin, den Lin­coln Tun­nel unter dem Hud­son durch nach New Jer­sey, immer der Küs­te ent­lang, lang­sam, Schritt für Schritt. Aber dann neh­men mich mei­ne Bei­ne doch nord­wärts mit sich fort, spa­zie­ren den Zoo der Bronx bis wir abends müde gewor­den das Fähr­pen­del­schiff Down­town errei­chen. Schaun nach Hol­ly, heut könnt sie kom­men wie aus dem Nichts aus dem Strom der Men­schen, Mar­sec Secu­ri­ty Level 1, fröh­lich grüßt sie die Matro­sen, fliegt über die Gang­way aufs unte­re Deck hin zum ver­trau­ten Platz am Fens­ter ins Licht der fla­schen­grü­nen See. Hier nimmt sie unver­züg­lich ihre Arbeit auf, beginnt Zei­chen von einem Buch auf regen­fes­tes Papier zu über­tra­gen: Mit­tags­stun­de am Uni­on Squa­re. Aus­ver­kauf. Müs­sen räu­men. WIR HABEN EINEN SCHRECKLICHEN IRRTUM BEGANGEN. Auf dem stau­bi­gen Asphalt kniend, put­zen klei­ne Jun­gen Schu­he, Halb­schu­he, San­da­len, Knöp­fel­schu­he, Stie­fe­let­ten. Wie ein Löwen­zahn glänzt die Son­ne auf der Spit­ze jedes frisch geputz­ten Schuhs. — stop

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zungen

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del­ta : 18.
05 — Was ich hör­te im Gehen Ecke Lex­ing­ton Ave­nue zur 59. Stra­ße, ein Wort müss­te ich übers ande­re schrei­ben. Das Heu­len der Lösch­zü­ge, das Hupen der Taxim­o­bi­le, quiet­schen­de Brem­sen, Kra­wall aus Läden, Men­schen­stim­men, Pfei­fen, Quiet­schen, Äch­zen, Brau­sen, Lärm­zun­gen, die um jede Ecke strei­chen, ein Wort über das ande­re schrei­ben, bis sich die Zei­chen aus dem Papier erhe­ben. — stop

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linie d – nordwestwärts

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echo : 15.
02 — Von Brook­lyn nach Man­hat­tan Sub­way­fahrt, eine alte Dame vis–à–vis. Seit einer hal­ben Stun­de rei­sen wir so dahin, ich schrei­be, sie scheint zu schla­fen. Ein karier­tes Hütt­chen trägt sie auf dem Kopf und einen Sei­den­schal um einen gra­zi­len Hals gewi­ckelt. Ihr dun­kel­häu­ti­ges Gesicht, zart gefal­tet. Von Zeit zu Zeit öff­net sie für eine oder zwei Sekun­den eines ihrer Augen und berührt mich mit einem fes­ten Blick. Ich wür­de ger­ne wis­sen, ob sie mich wirk­lich sieht. Gleich wer­den wir die 33. Stra­ße errei­chen. Ich stel­le mir vor, wie die alte Frau wei­ter­fah­ren wird, um kurz dar­auf erneut eines ihrer Augen zu öff­nen. Ich wer­de dann nicht mehr da sein, ein ande­rer Mensch wird an mei­ner Stel­le sit­zen, viel­leicht wird auch die­ser Mensch bald ein­ge­schla­fen sein, und gera­de in dem Moment, da die alte Dame ihr Auge öff­net, eine eben­sol­ches, wach­sa­mes Auge geöff­net haben. — stop

ping

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coney island

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bamako

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : CONEY ISLAND

Nie ver­mag ich aus­zu­ma­len, wo ihr Zwei gera­de seid. Ja, so ist das, nein, nein, ich habe kei­ne Ahnung, kei­ne Vor­stel­lung, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, könn­te die Welt umrun­den, zu Fuß oder auf den Rücken der Kame­le, zu kei­ner Zeit wür­de ich Euch begeg­nen, nicht eine Sekun­de, kein Blick aus dem Fens­ter eines abfah­ren­den Zuges, Eure lächeln­den Gesich­ter, Euer Win­ken, zwei Küs­se durch die Luft, nein, nein, nie­mals, nicht wirk­lich, kei­ne Ahnung habe ich, kei­ne Vor­stel­lung, und doch seid ihr nah, so nah, dass ich Euch schwe­ben­de Orte schenk­te in Gedan­ken, einen schwe­ben­den Tisch, eine schwe­ben­de Schreib­ma­schi­ne, ein schwe­ben­des Sofa, und die­sen wei­ten Blick aufs wil­de Meer, auf blü­hen­de Gär­ten, ein Lächeln. Ges­tern arbei­te­te ich im Park unterm Regen­schirm. Ich hat­te mei­ne Schreib­ma­schi­ne auf eine Hand gestellt, dort war­te­te sie lan­ge Zeit. Dann schrieb ich ein Wort, aber kein wei­te­res Wort. Nur Geduld, dach­te ich, nur Geduld. Habt Ihr, lie­be Vio­let, lie­be Dai­sy, bemerkt, dass ich Euch Boh­u­mil Hra­bals Geschich­te der Kat­ze Autitsch­ko öff­ne­te. Ich leg­te das klei­ne Buch neben mich auf die Bank, blät­ter­te und war­te­te, mein­te, Euch rufen zu hören: Wir lesen, Lou­is, schnel­ler, als Du denkst! — Ein gro­ßer Augen­blick mei­nes klei­nen Lebens.

gesen­det am
8.06.2010
22.08 MESZ
1775 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

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marina abramovic

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alpha : 0.02 — Guten Mor­gen, heu­te ist Frei­tag. Ich habe mir für die­sen Tag vor­ge­nom­men, lang­sam zu gehen, lang­sam zu atmen, lang­sam zu schrei­ben. Ich wer­de lang­sam lesen und lang­sam spre­chen, und den­ken wer­de ich so lang­sam wie nie zuvor. Die Emp­fin­dung der Zeit zur Geschmei­dig­keit zu über­re­den, ja, das ist vor­stell­bar, wei­che, war­me Stun­den. — stop

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spieldose

2

tan­go : 0.03 — Vor Jah­ren, zur Som­mer­zeit, an der Sei­te einer schwer­mü­ti­gen Frau durch trop­fen­den Wald nahe einem Kran­ken­haus. Es hat­te gereg­net, eine Sint­flut, das Kleid der Frau, von dem sie erzähl­te, dass es sich um ein bren­nen­des Kleid han­de­le, kleb­te an ihrem Kör­per fest. Schmal war sie gewor­den, zer­brech­lich, fast durch­sich­tig, die Haut ihrer Hän­de, ihrer Wan­gen, ihres Hal­ses. Ich erin­ne­re mich, dass ich ihr Libel­len zeig­te, sie jag­ten dicht über den damp­fen­den Boden hin, Wald­erd­bee­ren, einen Frosch. Ich frag­te nach ihren Gedan­ken, aber ich konn­te sie nicht errei­chen, auch mit mei­nen Bli­cken nicht, weil sie mich nicht anse­hen woll­te, son­dern vor sich hin starr­te, indem sie vor­sich­tig ihre Schrit­te setz­te, als wür­de der Boden unter ihren Füßen nicht wirk­lich exis­tie­ren. Ihr fei­nes Gesicht, ihre hel­len Augen, hell von Schmerz und Furcht. Wie sie nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens sag­te, nie­mand kön­ne ver­ste­hen, wie sie sich füh­le, kein Mensch, das sei schreck­lich, und das Atmen, die Angst, die Lee­re, der Ein­druck zu fal­len, und dass sie nicht wüss­te, wann das alles wie­der­kommt, wenn es doch ein­mal auf­ge­hört haben soll­te, und war­um. In einer ihrer Hän­de barg sie eine Spiel­do­se. Manch­mal hielt sie die klei­ne Maschi­ne vor ihr Gesicht und dreh­te an einer Kur­bel. Sie neig­te dann den Kopf zur Sei­te, und für einen Moment schien der Schmerz nach­zu­las­sen, eine Ahnung im Som­mer­re­gen, eine Erfah­rung größ­ter Fer­ne und Hilf­lo­sig­keit inmit­ten zir­pen­den, pfei­fen­den, rau­schen­den Lebens. Ges­tern in einer beson­de­ren Wei­se von dem erschüt­tern­den, hoff­nungs­fro­hen Film Helen in die Tie­fe erzählt. — Top five der schlech­tes­ten, gut gemein­ten Rat­schlä­ge von Leu­ten, die über­haupt kei­ne Ahnung haben: Fahr in die Feri­en, lies ein Buch, lass Dir die Haa­re schnei­den, reno­vier Dei­ne Woh­nung, ler­ne Joga. — stop

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avenue of the americas

14

 

 

india

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : AVENUE OF THE AMERICAS

Ich muss Euch nicht erzäh­len, wo ich mich gera­de befin­de, lie­be Vio­let, lie­be Dai­sy, ich höre Eue­re Stim­men, hör, wie Ihr scherzt, was macht er nun schon wie­der, war­um ist er ein­ge­schla­fen, das muss ein betäu­ben­des Buch gewe­sen sein. Jetzt also bin ich wach gewor­den. Ich notie­re die­se Sät­ze in dem Wis­sen, dass Ihr lesen wer­det, Zei­chen für Zei­chen, wie in die­sem Augen­blick erscheint, was ich schrei­be. Das Notie­ren ist so etwas wie das Sicht­bar­ma­chen des Den­kens, nicht wahr, so könn­ten wir das viel­leicht sagen. > …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

… > Spa­zier­te in Eue­rer Ange­le­gen­heit, wie ver­spro­chen, durch Man­hat­tan. Ich hat­te mei­nen klei­nen Foto­ap­pa­rat in der Hand, stand mit­ten auf der Ave­nue of the Ame­ri­cas, um das neue Hip­po­drom-Gebäu­de abzu­lich­ten. Auch das wisst Ihr natür­lich, wie wir dann Rich­tung Bryant Park spa­zier­ten, unser Gespräch über gehei­me Ten­ta­keln der Bäu­me, die den Lärm der Stadt aus der Luft zu fan­gen schei­nen. Und mein Begeh­ren, gewiss, ein Eich­hörn­chen zu fan­gen, das war­me Licht des hupen­den Abends, mei­ne Über­le­gung, wie ich Euch eines Tages ein­mal per­sön­lich begeg­nen könn­te, und mein Ver­spre­chen, ein wei­te­res Eue­rer Jugend­bil­der zu sen­den. Was Euch nicht bekannt sein wird, weil ich’s nur dach­te, ich hat­te in all den gemein­sa­men Stun­den eine ver­we­ge­ne Fra­ge in mei­nem neu­gie­ri­gen Kopf. Nun, es ist kurz nach Mit­ter­nacht, wer­de ich die­se Fra­ge für Euch buch­sta­bie­ren, unsi­cher ein wenig, was gesche­hen wird, ob ich Euch nicht zu Nahe kom­me, sodass Ihr aus mei­nen Augen ver­schwin­den wer­det. Gebt gut acht! Es ist näm­lich so, dass ich mich fra­ge, wie auch immer die Räu­me beschaf­fen sind, die für Euch aus­ge­dacht, ob Ihr dort Oben für die Ewig­keit noch immer leib­lich mit­ein­an­der ver­wach­sen seid? – Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht eine gute Nacht!

gesen­det am
18.05.2010
0.05 MESZ
1775 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

ping

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singende rosen

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hima­la­ya

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : SINGENDE ROSEN

Mein lie­ber, lie­ber Jona­than Kek­ko­la, wie ich mich freue über Ihre spä­te Nach­richt! Stolz bin ich und voll Bewun­de­rung, indem ich sehe, wie weit Sie gekom­men sind. Ich habe ges­tern Ihre Eltern besucht, und wir stu­dier­ten gemein­sam eine Kar­te Ihrer gro­ßen Wan­de­rung dem ame­ri­ka­ni­schen Süden zu. Das Was­ser war kühl, ihre Mut­ter schien zu frös­teln, und Ihr Vater schweb­te auf dem Kopf, sodass mir etwas schwin­de­lig wur­de, weil ich oben und unten für Momen­te nicht unter­schei­den konn­te. Ich hat­te auf Sie gewar­tet, mein Lie­ber, saß mit einer Melo­ne im Sand und schau­te aufs Meer hin­aus. Ein­mal glaub­te ich, Sie gese­hen zu haben. Ein Mann wink­te mir zu, er stand bis zum Hals im Was­ser, plötz­lich war er ver­schwun­den. Nun, am Ende die­ses merk­wür­di­gen Tages, will ich Ihre Fra­ge beant­wor­ten. Ja, sie sind gekom­men, unse­re Geschöp­fe, Ele­fan­ten, sie sind gekom­men, so wie wir sie vor­aus­ge­se­hen haben. Ein glück­li­cher Moment vol­ler Demut. Ich konn­te sie hören, ihr lei­ses Gespräch, Trom­pe­ten­mu­sik, den Gesang der Rosen, der von der wan­dern­den Luft in Wel­len an Land getra­gen wur­de. Als in der Däm­me­rung der Wind auf­frisch­te, fuhr ich zurück in die Stadt, eine stun­den­lan­ge Rei­se unter Stra­ßen bis rauf nach Wood­lawn und wie­der zurück. — Alles Gute, alles Lie­be! Ihr Lou­is. Ahoi!

gesen­det am
12.05.2010
22.24 MESZ
1716 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MELDUNGEN : LOUIS TO MR. JONATHAN NOE KEKKOLA / ENDE

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standby

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nord­pol

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : STANDBY

Mein lie­ber Jona­than, Mitt­woch ist gewor­den, frü­her Mor­gen, höchs­te Zeit, eine Nach­richt zu über­mit­teln, die Sie viel­leicht trau­rig stim­men wird. Sie haben gehört, eine Insel nahe Grön­land spricht seit Tagen mit­tels Feu­er und Asche zur Welt. Ver­mut­lich wer­den Sie sich fra­gen, war­um ich Ihnen davon erzäh­le. Nun, der Him­mel über Euro­pa ist zu einem unsi­che­ren Ort gewor­den, Staub­stei­ne flie­gen durch die Luft in gro­ßer Höhe, es ist denk­bar, dass sich mei­ne Rei­se zu Ihnen nach Ame­ri­ka ver­zö­gern wird. Ich habe des­halb eine Bit­te an Sie, lie­ber Mr. Kek­ko­la, den drin­gen­den Wunsch habe ich, dass Sie selbst, soll­te ich im Mai, am 2. des Monats, nicht auf Coney Island erschei­nen, für mich dort sit­zen und den Hori­zont foto­gra­fie­ren wer­den, unse­re Ele­fan­ten, Sie ver­ste­hen, Spu­ren unse­rer Ele­fan­ten! Ich wäre Ihnen so sehr herz­lich dank­bar, mein lie­ber Freund. Machen Sie sich um Got­tes­wil­len unver­züg­lich auf den Weg! Bis bald, ich hof­fe, bis bald! STANDBY. – Ihr Lou­is. Ahoi ps. Besit­zen Sie eine Kamera?

gesen­det am
21.04.2010
6.22 MESZ
1002 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »



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