romeo : 1.28 — New York. Subway Linie 7 Richtung Queens. Ein Herr mit Aktenkoffer steigt Station Jackson Avenue in den Zug, setzt sich, legt seinen Koffer auf die Knie, öffnet den Koffer und entnimmt ein Gerät, das nicht sehr viel größer ist als eine Streichholzschachtel. Bald werden Batterien sichtbar, eine Versammlung von vier Batterien, 1.5 Volt, die mittels eines Gummibandes aneinander befestigt sind. Drähte führen in die Luft, sie beben in der Bewegung des Zuges, werden in diesem Moment von gleichfalls bebenden Fingern des Mannes eingefangen, mehrfach verzwirbelt und vorsichtig mit dem kleinen Gerät, das der Mann seinem Koffer zunächst entnommen hatte, verbunden. Ein Junge mit Gitarre schlendert indessen musizierend durch den Zug, breitbeinig, in der Art der Matrosen auf hoher See. Fahrgäste in der Nähe des Mannes mit dem Aktenkoffer beobachten interessiert wie der Mann aus der linken Tasche seines Jacketts eine Kurbel hebt, filigranes Werkzeug, Welle von Metall, hölzerner Griff. Er steckt die Kurbel in den Streichholzkasten und beginnt vorsichtig an ihr zu drehen. Jetzt schließt er seine Augen, kurbelt weiter. Einige Meter entfernt sitzt ein Mädchen auf einer grellbunten Reisetoilette. Auch das Mädchen, während es wartet, beobachtet den Mann und seine Kurbelmaschine voller Hingabe. In dieser Sekunde schließt auch das Mädchen, wie der Mann, andächtig die Augen. – stop
Aus der Wörtersammlung: filigran
fischvögel
~ : louis
to : Madame van Lishout
subject : FISCHVÖGEL
Sehr geehrte Madame van Lishout, verzeihen Sie bitte vielmals mein Schreiben auf elektrischem Wege. Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre korrekte Adresse erinnere. Ein Brief auf Papier mit unterzeichneter Bestellung wurde an folgende Anschrift gesendet: M.v.L., Challions 7, 4968 Malmersby, Belgium. Es geht um ein dringendes Geschenk, das bis zum 10. August für einen Freund fertig gestellt sein muss. Sie erinnern sich vielleicht, es geht um jenen Freund, der seit einem Jahrzehnt im Wasser existiert. Da die Kreation unter der Wasseroberfläche lebender Singvögel nicht möglich ist, — ich habe Ihre Erläuterungen verstanden -, sehr wohl aber die Manufaktur eines Fischpärchens, das in Gestalt und Benehmen Singvögeln ähnlich sein könnte, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie für mich ein oder zwei Entwürfe zur Verwirklichung formulieren würden. Auch einen Käfig, der in Süßwasser längere Zeit überdauern könnte, habe ich vor in Auftrag zu geben, schön wäre ein filigranes Gehäuse von dunklem Holz. In der Größe sollte das Pärchen vogelähnlicher Fische die Dimension der Luftzeisige nicht übertreffen, da die Wasserwohnung meines Freundes eher bescheiden ausgefallen ist. In der farblichen Ausführung wünsche ich weiche pastellfarbene Töne. Ein gewisses Leuchtvermögen von innen her wäre wundervoll. Könnte dies alles möglich sein, würden Sie mich sehr glücklich erleben. Der Gesang der kleinen Fische sollte fröhlich, nicht allzu laut, vor allem eben heiter sein. Ich erwarte Ihre Antwort dringend und verbleibe hochachtungsvoll mit freundlichen, dankbaren Grüßen. Ihr Mr. Louis
gesendet am
5.06.2012
2.58 MEZ
1551 zeichen
ein engel im koffer
zoulou : 2.18 — Jeder Mensch sollte für Zeiten der Sorge, der Furcht, der inneren Not über einen Koffer kleiner Geschichten gebieten, Geschichten, die man sich selbst erzählen kann, ohne die Lippen öffnen zu müssen, heitere, tröstliche Kopfgeschichten, Geschichten, die sich bei Tag und bei Nacht, auch eben im Dunkeln ereignen. Ich selbst trage seit bald 15 Jahren einen Koffer dieser Art mit mir herum. Manchmal, wenn ich an meinen Koffer denke, fange ich an zu lachen, ohne ihn noch geöffnet zu haben. Es ist ein Koffer, — jeder, der selbst einen Behälter dieser Art besitzt, wird das wissen -, der durch seine reine, geheime Anwesenheit bereits wirksam werden kann. Manche meiner Geschichten sind kurzen Filmen ähnlich, sie verfügen über kaum eine Handlung, und weil ich sie mir immer wieder vorstelle oder erzähle, sind sie zu wahren Geschichten geworden. Einmal, zum Beispiel, in einem weit in der Zeit zurück liegenden Sommer saß ich auf meinem Sofa und las in irgendeinem Buch herum. Als ich kurz zum Fenster sah, flatterte ein Zitronenfalter vorüber, er flog von links nach rechts und zwar sehr gerade, das heißt in ein und derselben Höhe. Kaum war er verschwunden kehrte er wieder, dieses Mal flog er von rechts nach links, war nun allerdings nicht mehr allein, ein Engel, groß wie ein Menschenfinger, folgte ihm. Dieser hellhäutige Engel versuchte in der Art und Weise der Zitronenfalter zu fliegen. Er hatte eine Fliegerbrille auf den Kopf gesetzt und seine äußerst filigranen Arme über einem runden Bauch gefaltet, er flog nämlich auf dem Rücken und stürzte aus dieser ungewöhnlichen Haltung ab. Bald war der Zitronenfalter vor meinem Fenster verschwunden gewesen, aber der Engel kam wieder und wieder vorbei in dem Versuch, ein Falter zu sein. Seine Stürze waren so senkrecht wie plötzlich, ein tapferes Wesen, das nicht aufgeben wollte. Ich las dann bald weiter in irgendeinem Buch, und war glücklich, würde ich sagen. – 2 Uhr Nacht. Lou Donaldson Callin’ all cats. — stop
saint george ferry terminal : tiefseeelefanten
echo : 0.02 — Gestern, Dienstag, 24. Januar, hatte ich Gelegenheit mich genau so zu verhalten, als würde ich schlafen, obwohl ich doch hellwach gewesen war. War in der zentralen Halle des Saint George Ferry Terminals, erinnerte mich an einen Traum, den ich vor zwei Jahren erlebte. Ich wartete in diesem Traum an einem späten Abend an genau derselben Stelle auf das nächste Schiff nach Manhattan zurück. Ich wartete lange, ich wartete die halbe Nacht, begeistert vom Anblick einer Herde filigraner Tiefseeelefanten, die über den hellsandigen Boden eines Aquariums wanderten. Sie hatten ihre meterlangen Rüssel zur Wasseroberfläche hin ausgestreckt, suchten in der kühlen Luft herum und berührten einander in einer äußerst zärtlichen Art und Weise. Ein faszinierendes Geräusch war zu hören gewesen, sobald ich eines meiner Ohren an das hautwarme Glas des Geheges legte. Und auch gestern wartete ich wieder lange Zeit und beobachtete den sandigen Boden des Aquariums, von dem ich geträumt hatte. Von Zeit zu Zeit, nicht ganz wach und nicht im Schlaf, war das Signalhorn eines Fährschiffs zu hören. Glückliche Stunden. — stop
puma 15 gramm
echo : 7.05 – Abend war geworden. Wärme stieg vom Holz des Tisches auf, die Luft bewegte wie die Seiten des Buches, in dem ich las, als sich ein unbekanntes Wesen auf langen Beinen von Westen her kommend näherte. Eine tatsächlich höchst merkwürdige Erscheinung war das gewesen. Irgendjemand hatte den Kopf eines filigranen Tropenvogels, den Körper eines Insekts und das Bewegungsvermögen einer Raubkatze lose verschraubt und freigelassen. Geräuschlos, auf Giraffenbeinen, stolzierte das Montierte nun über mein Buch hinweg, langsam, furchtlos, so dass ich alles genau betrachten konnte. Indessen schien sich das Wesen nicht im mindesten für mich, seinen Beobachter, zu interessieren, sondern war allein um das Buch bemüht, vielleicht deshalb, weil das Buch angenehm duftete. Nach einigen Minuten der Papieruntersuchung, legte sich das Tier mittels einer grazilen Sinkbewegung seitwärts auf den Tisch und lag genau dort immer noch, als ich am folgenden Morgen zurückkehrte, um weiterzulesen. Ich blieb dann einige Zeit wie gebannt unter freiem Himmel sitzen und beobachtete das frisch entdeckte Lebewesen, wie es frass, wie es ruhte, wie es badete, atmete, nach Fliegen jagte. Und weil ich nichts vergessen wollte, notierte ich, was ich sah und was ich denken konnte, zum Beispiel schrieb ich folgende Notiz: Flügelloses Mischwesen. stop Hautfarbe blau. stop Fleischfresser. stop 15 Gramm. stop Sprachlos. stop Ich arbeitete fieberhaft. Drei Tage, drei Nächte. Einmal legte ich meinen Kopf auf den Tisch, schlief ein und träumte, wie sich der Körper des Tieres öffnete. Flügel entfalteten sich, das Tier schwebte, schnurrendes Geräusch, über meinem Gesicht auf und ab. stop. Schnee bis ins Tal. — stop
mann mit stäbchen
india : 21.02 — Ich habe einen Mann mit einer erstaunlichen Vorrichtung betrachtet. Dieser Mann war ganz sicher weit über 70 Jahre alt, trug trotz großer Hitze einen schäbigen Wintermantel, Turnschuhe, einen zerschrammten Rucksack vor der Brust, außerdem Lederhandschuhe, schmutzige Teile, eine Brille mit randlosen, runden Gläsern, und eben ein filigranes Stäbchen, einen Spazierstock genauer, mit dem er über den Boden tastete. Dieser Stock nun war kein gewöhnlicher, vielmehr ein höchst merkwürdiger Stock. Er war von hellem Metall und konnte mittels kleiner, im Inneren des Stockes befestigter Elektromotoren, ein und ausgefahren werden, eine Art Teleskopstock, außerdem leicht und blitzblank, so dass sich die Stadt und der Himmel über ihr in ihm spiegelten. An der Spitze des Stockes einerseits war ein rundlicher Vorsatz befestigt, am entgegengesetzten Ende entkamen einem Knauf zwei Kabel, die mit Hörgeräten verbunden waren, die der alte Mann in sein Ohren trug. Diese Beobachtungen, die ich machte, als ich die Madison Avenue südwärts spazierte, führten zunächst zu der Vermutung, der alte Mann belausche den Boden, weil ich die Verstärkung an der Spitze seines Stockes, zunächst für ein Mikrophon gehalten habe. Dann aber blieb der alte Mann Höhe 42nd Straße nahe der Bordsteinkante stehen. Er tastete im Rinnstein, eine Hand führte den Stock, die andere bewegte sich in der Tasche seines Mantels. Indem ich ebenfalls stehenblieb und mich dem alten Mann zuwendete, verkürzte sich plötzlich mittels einer geschmeidigen Bewegung der Stock des Mannes soweit, dass der alte Mann einen halben Dollar von seinem Ende pflücken konnte, ohne in die Knie gehen zu müssen. — Ende der Geschichte. Donnerstag. Es ist Abend, die Luft kühl vom Regen. Eine Fliege tastet über den Bildschirm meiner Schreibmaschine, der Himmel blitzt, die Seen sind voll, das Schilf neigt sich dem Boden zu. — stop
turbine
delta : 0.32 — Windradmaschinen, sagen wir, filigrane Propellerapparaturen. Wir könnten sie vor jeden Menschenmund montieren, die Winde des Atmens und die Stürme des Sprechens, des Lachens, der Lust für unsere sauberen Ströme einzufangen.
in der paukenhöhle
echo : 16.02 — Ich habe mir eine Maschine vorgestellt, derart filigran konstruiert, dass ich sie meinen inneren Ohren zufügen könnte, und zwar in nächster Nähe der Gehörknöchelchen, eine Trafomaschine, 50 mg von Gewicht und mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. Dort in den Paukenhöhlen befindlich, würde das Maschinenwesen in physikalischer Weise Strom erzeugen, würde durch die Bewegung eines Gedankens gesteuert, Geräusche der Welt dämpfen, das heißt bremsen, aber niemals verstärken. Je lauter die Welt, in der ich mich befinde, je leiser ich sie höre, desto heller das Glühbirnenlicht, das von gesammelten Strömen zunehmender Stille entzündet sein wird.
central park — liegend
tango : 15.28 — Im Central Park für Stunden. Einmal lege ich mich ins Gras und notiere was ich sehe : Hunde, zum Beispiel, Riesenpudel im weißen Pelz, rosafarben die Haut ihrer Gesichter, Kreaturen, Menschenhunde, die uralte Bäume markieren. Das feine, helle Grün der Kronen, wisperndes Licht, als wär noch Frühling, solche Bäume, die geduldig flanierende Personen beschirmen. Und Läufer, männliche und weibliche Läufer, leicht bekleidet, entspanntes Lächeln, wie von unsichtbaren Fußsänften getragen. Vier Polizisten, je mit Mütze, schweres Gerät klimpert in der Mitte ihrer runden, festen Körper. Eisverkäufer streiten am Ufer eines Sees, auf dem Funksteuerboote segeln. Ein verliebtes Paar ist da noch, sie liegen, und ein weiteres, ein gleichgültiges Paar lungert auf einer Bank, die Frau einerseits türmt mit zartesten Bewegungen ihrer rot bemalten Zehen Baumsamenspreu zu Gebirgen, der Mann andererseits beobachtet ein filigranes Wesen, das von Leibwächtern umringt über eine Wiese nordwärts schreitet. Ich schlafe bald ein. Eine nordamerikanische Biene, brummend. Das meerische Blau des Himmels. Zwei Luftballons wippen vorüber, als würden sie auf eigenen Beinen gehn. — stop
george ferry terminal’s tiefseeelefanten
sierra : 17.10 — Hatte einen Traum, eine Wahrnehmung, die mir lange Zeit, ich war längst erwacht, ein sehr wirklicher Raum gewesen zu sein schien. Dort, im Nachtzimmer, wartete ich an einem späten Abend in der zentralen Halle des Saint George Ferry Terminals auf das nächste Schiff nach Manhattan zurück. Ich wartete lange, ich wartete den halben Tag und eine halbe Nacht, begeistert vom Anblick einer Herde filigraner Tiefseeelefanten, die über den hellsandigen Boden eines Schauaquariums wanderten. Sie hatten ihre meterlangen Rüssel zur Wasseroberfläche hin ausgestreckt, suchten in der Seeluft herum und berührten einander in einer äußerst zärtlichen Art und Weise. Ein faszinierendes Geräusch war zu hören, sobald ich eines meiner Ohren an das hautwarme Glas des Geheges legte. Dieses Geräusch nun sucht seit Stunden nach einem Wort für sich selbst, nach einem Zeichensatz, der vermutlich niemals existieren wird. — stop