echo : 22.08 UTC — Zu ständigen Erinnerung > Meryl Streeps Golden Globe Speach, 8. Januar 2017 : Please sit down. Thank you. I love you all. You’ll have to forgive me. I’ve lost my voice in screaming and lamentation this weekend. And I have lost my mind sometime earlier this year, so I have to read. Thank you, Hollywood Foreign Press. Just to pick up on what Hugh Laurie said: You and all of us in this room really belong to the most vilified segments in American society right now. Think about it: Hollywood, foreigners, and the press. / But who are we, and what is Hollywood anyway? It’s just a bunch of people from other places. I was born and raised and educated in the public schools of New Jersey. Viola was born in a sharecropper’s cabin in South Carolina, came up in Central Falls, Rhode Island; Sarah Paulson was born in Florida, raised by a single mom in Brooklyn. Sarah Jessica Parker was one of seven or eight kids in Ohio. Amy Adams was born in Vicenza, Italy. And Natalie Portman was born in Jerusalem. Where are their birth certificates? And the beautiful Ruth Negga was born in Addis Ababa, Ethiopia, raised in London — no, in Ireland I do believe, and she’s here nominated for playing a girl in small-town Virginia. Ryan Gosling, like all of the nicest people, is Canadian, and Dev Patel was born in Kenya, raised in London, and is here playing an Indian raised in Tasmania. So Hollywood is crawling with outsiders and foreigners. And if we kick them all out you’ll have nothing to watch but football and mixed martial arts, which are not the arts. / They gave me three seconds to say this, so: An actor’s only job is to enter the lives of people who are different from us, and let you feel what that feels like. And there were many, many, many powerful performances this year that did exactly that. Breathtaking, compassionate work. But there was one performance this year that stunned me. It sank its hooks in my heart. Not because it was good; there was nothing good about it. But it was effective and it did its job. It made its intended audience laugh, and show their teeth. It was that moment when the person asking to sit in the most respected seat in our country imitated a disabled reporter. Someone he outranked in privilege, power and the capacity to fight back. It kind of broke my heart when I saw it, and I still can’t get it out of my head, because it wasn’t in a movie. It was real life. And this instinct to humiliate, when it’s modeled by someone in the public platform, by someone powerful, it filters down into everybody’s life, because it kinda gives permission for other people to do the same thing. Disrespect invites disrespect, violence incites violence. And when the powerful use their position to bully others we all lose. O.K., go on with it. O.K., this brings me to the press. We need the principled press to hold power to account, to call him on the carpet for every outrage. That’s why our founders enshrined the press and its freedoms in the Constitution. So I only ask the famously well-heeled Hollywood Foreign Press and all of us in our community to join me in supporting the Committee to Protect Journalists, because we’re gonna need them going forward, and they’ll need us to safeguard the truth. One more thing: Once, when I was standing around on the set one day, whining about something — you know we were gonna work through supper or the long hours or whatever, Tommy Lee Jones said to me, “Isn’t it such a privilege, Meryl, just to be an actor?” Yeah, it is, and we have to remind each other of the privilege and the responsibility of the act of empathy. We should all be proud of the work Hollywood honors here tonight. / As my friend, the dear departed Princess Leia, said to me once, take your broken heart, make it into art. — stop / fundort
Aus der Wörtersammlung: gin
jazz
delta : 22.08 UTC — Ich nehme an, es könnte sinnvoll sein, dass ich, sobald ich über Echokammern nachzudenken beginne, mich zunächst nach meinen eigenen Echokammern erkundige, digitalen wie analogen Räumen, wie sie beschaffen sind, wie lange ich bereits unter ihren Filterschirmen lebe, was sich einmal da und einmal dort finden lässt, was ich höre, sehe, lese, demzufolge bald Ermittlungen möglich werden könnten über alle jene Substanzen, die ich nicht sehe, nicht höre, nicht zu lesen vermag. Es ist kurz nach 10 Uhr abends: Ich stehe mitten im Zimmer. Woran denke ich? / Daniil Charms — stop
winterspur
sierra : 16.02 UTC — Ich spazierte einmal im Gebirge durch den Schnee. Es war ein eiskalter Wintertag, der Himmel von einem wundervollen Polarblau, das ich gern gepflückt und mit mir in der Manteltasche nach Hause getragen hätte. Vögel waren nicht zu sehen, aber sie waren zu hören gewesen, dumpfe Geräusche wie aus einem Traum heraus. Ja, die Vögel schliefen, nichts anderes war möglich, hockten unter Schneeschirmen, die sich über Tannen und Fichtennadeln spannten, und warteten auf den Frühling. Ein Pfad führte durch den Wald, eine Spur, die Tiere bei Nacht und Menschen bei Tag gemeinsam in den Schnee eingetragen haben mochten. Wenn ich ganz still stand, konnte ich leise mein Herz in der Brust schlagen hören. Ein seltenes Ereignis, das eigene Herzgeräusch von unten herauf, oder war das doch nur eine Vorstellung gewesen. Und ich dachte an Eichhörnchen, ich dachte, gut, dass ich kein Eichhörnchen bin in diesem Winter. Eine Stunde ging ich so den Pfad entlang, dann kehrte ich um. — stop
marin
ginkgo : 15.05 UTC – Ein Botschafter soll kurz vor der Erstürmung seiner Dependance Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen haben, Dokumente, insbesondere papierene Dokumente, zu verbrennen oder mittels moderner Zerkleinerungsgeräte aus ihren natürlichen Zusammenhängen zu reißen. Nun ist gleichwohl denkbar, dass Menschen, deren Arbeiten ausschließlich als digitale Substanz gespeichert wurden, kurz vor einem drohenden dauerhaften Ausfall öffentlicher Stromversorgung, den starken Wunsch verspüren, ihre digitalen Dokumente auf Papier zu drucken, um sie in schweren Koffern mit sich auf eine Fluchtreise in die Wildnis nehmen zu können. Ich überlege ernsthaft, ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, eine Mappe anzulegen, in welcher sich wirkliche Papiere befinden, Aufsätze, Briefe, Notizen, die in der Gegenwart nur lesbar sind, solange ich über elektrische Grundversorgung verfüge. — Das wundervolle marineblaue Licht des Schnees in der Dämmerung. — stop
drei brillen
delta : 3.32 — Leichter Schneefall, ohne Wind, schaukelnde Lichtpelzfetzen. Eichhörnchen jagen über die Straße hin und her, als freuten sie sich. Gegen zwei Uhr notiere ich eine E‑Mail an Moses Fernandez, von dem ich hörte, dass er in einem Haus nahe Pinamar bei Buenos Aires leben soll. Lieber Moses, Lilli, die sie persönlich kennenlernten in diesem Sommer, erzählte, dass sie eine Maschine entwickelt haben, die in der Lage sein soll, winzige, für menschliche Augen nicht entzifferbare Schriftzeichen zu notieren. Ich würde sehr gerne eine Schriftprobe in Auftrag geben. Würden Sie mir bitte einen kurzen Text, den ich im Anschluss an Sie senden werde, in nicht lesbare Größe transferieren. Ich verfüge über ein Mikroskop, um die Qualität ihrer Arbeit prüfen zu können. Wenn möglich, senden Sie das Schriftstück bitte auf dem Luftpostwege an folgende Adresse: Louis 8711 Kvarøy Sjøhus Norway. Mit bestem Dank im Voraus verbleibe ich mit herzlichen Grüßen: Ihr Louis /// Textprobe no1: go > 17.03 — Heute Morgen, war noch dunkel im Haus, hörte ich ein sirrendes Geräusch. Das Geräusch näherte sich über die Treppe abwärts. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine der Brillen meiner Mutter, die seit dem Vorabend über zarte Rotoren verfügen, welche in der Lage sind, Brillenkonstruktionen bis zu einem Gewicht von 80 Gramm in die Luft zu heben, sie vorwärtszubewegen oder rückwärts durch Räume oder den Garten. Langsam durchquerte die Brille den Raum, kreiste einmal um meinen Kopf, und landete schließlich sanft auf dem Esstisch in der Nähe des Stuhles, auf dem meine Mutter sitzt, sobald sie ihr Frühstück zu sich nehmen möchte. Über drei Brillen verfügt meine Mutter, und jede dieser Brillen kann nun fliegen. Eine Brille wurde im Dachgeschoss stationiert, eine weitere Brille im Erdgeschoss, die dritte zu ebener Erde. Wenn nun Morgen werden wird, zu einer Zeit, da fast alle Menschen noch schlafen, erwachen vor den Vögeln bereits die Brillen meiner Mutter. Sie beginnen zu blinken, Dioden in gelber Farbe, Zeichen, dass sie sich mittels Funksignalen orientieren. Bald fliegen sie los, die Dachgeschossbrille ins Dachgeschoss, die Brille der ersten Etage in die erste Etage, die Brille des Erdgeschosses ins Erdgeschoss. Das Suchen hat ein Ende, alles wird gut! — stop ///
oft habe man tage lang gewartet
nordpol : 2.58 — Von ihrer Zeit, die sie als Flüchtlingskind auf dem Land verbrachte, erzählt Mutter immer wieder gern. Sie hatten genug zu essen, weil sie und ihre Schwestern bei einer Bauernfamilie wohnten. Wenn der Vater am Wochenende zu Besuch kam, ahnte sie nichts von Tieffliegerangriffen auf Züge, mit welchen der Vater reiste, aber an seine staubigen Anzüge, weil er sich auf den Boden werfen musste. Die brennende Stadt München, obwohl in großer Entfernung liegend, war im Schein der Feuer damals am Horizont zu erahnen gewesen, wie Abendrot inmitten der Nächte. Dann das Warten auf eine Nachricht am nächsten Morgen. Oft habe man tagelang gewartet. Sie selbst habe zweimal einen Bombenangriff auf München erlebt, das war zu Beginn des Luftkrieges. Sie habe sich nicht gefürchtet, es sei vielmehr spannend gewesen, mit ihren Nachbarn und anderen Leuten so eng in einem Keller zu sitzen. Es gab Pralinen für die Kinder und einen Geschichtenerzähler. Ein Jahr später sei ihre große Schwester nach einem Angriff lange Zeit verschüttet gewesen und deshalb für Wochen verstummt. In dieser Zeit habe sie gehört, dass die Schollwöcks abgeholt worden seien, sie könne nicht sagen, weshalb sie als Kind schon wusste, dass das Abholen etwas Schreckliches gewesen sein musste für die, die abgeholt wurden. Sie habe beobachtet, dass die Abgeholten niemals wiedergekommen seien, und dass von ihnen bald nicht mehr gesprochen wurde. Das alles habe sie als Kind schon so bemerkt, weil Kinder sehr viel mehr bemerkt haben, als die Erwachsenen vielleicht glaubten. Dass die Eltern in der Wohnung vor dem Krieg das Hitlerbild immer umgedreht haben, davon durfte sie nicht erzählen, in der Schule nicht und auch anderswo nicht. Einmal sei sie vom Land her wieder in die zerstörte Stadt zurückgekommen, es war ein nebliger Tag gewesen, sie habe zunächst gedacht, es sei der Nebel, aber das Haus, in dem sie und ihre Schwestern aufgewachsen waren, existierte nicht mehr. Damals würden sie Bisamratten gegessen haben, die schmeckten sehr gut, und der Vater sei gelb geworden im Gesicht, weil seine letzte Niere langsam versagte. In dieser Zeit habe der Vater ihr viel von der Welt erzählt, wie sie funktioniert, er sei verstört gewesen, dann sei er gestorben. — stop
harmlose geschichte
echo : 0.58 — Ich stellte mir eine Minute vor, dann eine Stunde, dann einen Tag. Ich stand auf und ging von Zimmer zu Zimmer, aß eine Banane, sah aus dem Fenster, setze mich an den Schreibtisch, stellte mir eine Woche vor, dann einen Monat, dann ein Jahr. Ich erhob mich, sah nach der Uhrzeit, dann aus dem Fenster, verließ das Haus, spazierte und kam zurück, setzte mich aufs Sofa. Eine harmlose Geschichte. Das leise Gaspfeifen der marineblauen Luftschiffkäfer, indem sie über meinem Schreibtisch steigen und sinken. Leichter Regen. In Aleppo soll für zehn Stunden jedwede Mordaktion aus der Luft gegen die Zivilbevölkerung eingestellt worden sein. — stop
tageszeit
eine wiederholung
romeo : 0.22 — In wenigen Stunden werde ich den Versuch unternehmen, einen Tiefflug über Staten Island hin, den ich mittels einer Drohne im Januar 2015 unternommen hatte, zu wiederholen, und zwar möglichst präzise auf den Spuren Samuels, der noch immer nicht verschwunden ist. Ob das möglich sein wird? Ich notierte: Während der Recherche im Internet nach Propellerflugmaschinen, die von Hand zu bedienen sind, entdeckte ich eine Leihstation für Drohnenvögel nahe des St. George Ferry Terminals, und zwar in der Bay Street, Hausnummer 54. Obwohl ich mich in Mitteleuropa befand, musste ich, um Kunde werden zu können, keine weiteren Angaben zur Person hinterlegen als meine Kreditkartennummer, nicht also begründen, weshalb ich den kleinen Metallvogel, sechs Propeller, für drei Stunden nahe der Stadt New York ausleihen wollte. Auch erkundigte sich niemand, ob ich überhaupt in der Lage wäre, eine Drohne zu steuern, seltsame Sache. Ich bezahlte 24 Dollar und startete unverzüglich mithilfe meiner Computertastatur vom Dach eines flachen Gebäudes aus. Ich flog zunächst vorsichtig auf und ab, um nach wenigen Minuten bereits einen Flug entlang der Metrogeleise zu wagen, die in einem sanften Bogen in Richtung des offenen Atlantiks nach Tottenville führen. Ich bewegte mich sehr langsam in 20 Metern Höhe dahin, kein Schnee, kaum Wind. Die ferne und doch zugleich nahe Welt unter mir auf dem Bildschirm war gut zu erkennen, ich vermochte selbst Gesichter von Reisenden hinter staubigen Fensterscheiben passierender Züge zu entdecken. Nach einer halben Stunde erreichte ich Clifton, niedrige Häuser dort, dicht an dicht, in den Gärten mächtige, alte Bäume, um nach einer weiteren Viertelstunde Flugzeit unter der Verranzano-Narrows Bridge hindurchzufliegen. Nahe der Station Jefferson Avenue wurde gerade ein Feuer gelöscht, eine Rauchsäule ragte senkrecht hoch in die Luft, als wäre sie von Stein. Dort bog ich ab, steuerte in derselben Höhe wie zuvor, der Lower Bay entgegen. Am Strand spazierten Menschen, die winkten, als sie meinen Drohnenvogel oder mich entdeckten. Als ich etwas tiefer ging, bemerkte ich in der Krone eines Baumes in Ufernähe ein Fahrrad, des Weiteren einen Stuhl und eine Puppe, auch Tang war zu erkennen und vereinzelt Vogelnester. Es war später Nachmittag geworden jenseits des Atlantiks, es wurde langsam dunkel. — stop