Aus der Wörtersammlung: leere

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schnecken

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echo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHNECKEN
date : sept 24 11 7.12 p.m.

Frü­her Abend, ruhi­ge See. Möwen, die unser Schiff wie eine Insel bewoh­nen, krei­sen dicht über dem Was­ser. Gera­de eben mel­de­te Noe, zwei Schne­cken näher­ten sich sei­nem Gesicht. Er müs­se jetzt vor­sich­tig sein, um sie nicht zu ver­let­zen, soll­ten sie in sei­nen Mund gelan­gen. Noe wohl­auf. Seit zwei Wochen sen­den wir Jazz, wann immer Noe Jazz zu hören wünscht. Wir haben zunächst Char­lie Par­ker gela­den, das mach­te ihn ner­vös, weil er sich nicht bewe­gen kann im Tau­cher­an­zug, im Rhyth­mus, der schnell geht, ruhe­los. Wir pro­ben, for­schen nach sanf­te­ren Takes. Er kön­ne, das sei neu, berich­tet Noe, wenn er das Wort Regen lese, sich das Geräusch des Regens nicht län­ger in Erin­ne­rung rufen, als wür­de sich das Wort Regen nach und nach ent­lee­ren. Wir haben ver­spro­chen, Regen für ihn auf­zu­zeich­nen und in die Tie­fe zu schi­cken. Ges­tern, als wir nachts allei­ne mit­ein­an­der spre­chen konn­ten, wünsch­te Noe, dass ich ihm das Schiff beschrei­be, unter wel­chem er schwebt. Er sei glück­lich, sag­te Noe, aber er seh­ne sich nach einer Uhr. — Dein OE SOM

gesen­det am
24.09.2011
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oe som to louis »

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the empress of weehawken

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echo : 20.07 — Frü­her ein­mal, sobald ich spa­zie­ren ging oder auf eine Rei­se, zur Arbeit, ins Thea­ter oder sonst wohin, nie ver­ließ ich das Haus, ohne eines mei­ner zer­schlis­se­nen Unter­wegs­bü­cher mit mir zu füh­ren. Wenn ich ein­mal doch kein Buch in der Hand oder Hosen­ta­sche bei mir hat­te, sofort das Gefühl, unbe­klei­det oder von Lee­re umge­ben zu sein. Als ob ich einen immer­wäh­ren­den Aus­weg in mei­ner Nähe wis­sen woll­te, ein Zim­mer von Wör­tern, in das ich mich jeder­zeit, manch­mal nur für Minu­ten, zurück­zie­hen konn­te. Da waren also Bücher von Mal­colm Lowry, Kenzabu­ro Oe, Tru­man Capo­te, Frie­de­ri­ke May­rö­cker, Wal­ter Ben­ja­min, Janet Frame, Georg C. Lich­ten­berg, Hein­rich von Kleist, Moni­ka Maron, Alex­an­der Klu­ge, Boho­u­mil Hra­bal, Johann Peter Hebel, Patri­cia High­s­mith, Eli­as Canet­ti, Peter Weiss, Hans Magnus Enzens­ber­ger. Irgend­wann, weiß der Teu­fel war­um, hör­te ich auf damit. Seit­her tra­ge ich mei­ne Stra­ßen­bü­cher nicht mehr in der Hand, ich tra­ge mei­ne Stra­ßen­bü­cher auf dem Rücken. Ges­tern ist ein wei­te­res hin­zu­ge­kom­men, eines von Ire­ne Dische. Das Buch ist 257 Gramm schwer am Mor­gen, o,5 Gramm leich­ter als am Abend. Selt­sam. Ich habe kei­ne Erklä­rung für die­ses Ver­hal­ten. — stop

ping

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subway

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sier­ra : 22.01 — Immer wie­der der Ein­druck, Men­schen wür­den mit­tels rascheln­der Zei­tun­gen in U‑Bahnwagons mit­ein­an­der spre­chen. Eine Wei­le ist Ruhe, aber dann blät­tert jemand eine Sei­te um, und schon knis­tert der Zug in einer Wei­se fort, dass man mei­nen möch­te, die Papie­re selbst wären am Leben und wür­den die Lesen­den bewe­gen. Ein­mal habe ich mir Zei­tungs­pa­pie­re von beson­de­rer Sub­stanz vor­ge­stellt, Papie­re von Sei­de zum Bei­spiel, geschmei­di­ge Wesen, sodass kei­ner­lei Geräusch von ihnen aus­ge­hen wür­de, sobald man sie berühr­te. Eigen­tüm­li­che Stil­le ver­brei­te­te sich sofort, Lee­re, ein Sog, eine Wahr­neh­mung gegen jede Erfah­rung. — stop. / Dezem­ber­kof­fer 2007

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spieldose

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tan­go : 0.03 — Vor Jah­ren, zur Som­mer­zeit, an der Sei­te einer schwer­mü­ti­gen Frau durch trop­fen­den Wald nahe einem Kran­ken­haus. Es hat­te gereg­net, eine Sint­flut, das Kleid der Frau, von dem sie erzähl­te, dass es sich um ein bren­nen­des Kleid han­de­le, kleb­te an ihrem Kör­per fest. Schmal war sie gewor­den, zer­brech­lich, fast durch­sich­tig, die Haut ihrer Hän­de, ihrer Wan­gen, ihres Hal­ses. Ich erin­ne­re mich, dass ich ihr Libel­len zeig­te, sie jag­ten dicht über den damp­fen­den Boden hin, Wald­erd­bee­ren, einen Frosch. Ich frag­te nach ihren Gedan­ken, aber ich konn­te sie nicht errei­chen, auch mit mei­nen Bli­cken nicht, weil sie mich nicht anse­hen woll­te, son­dern vor sich hin starr­te, indem sie vor­sich­tig ihre Schrit­te setz­te, als wür­de der Boden unter ihren Füßen nicht wirk­lich exis­tie­ren. Ihr fei­nes Gesicht, ihre hel­len Augen, hell von Schmerz und Furcht. Wie sie nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens sag­te, nie­mand kön­ne ver­ste­hen, wie sie sich füh­le, kein Mensch, das sei schreck­lich, und das Atmen, die Angst, die Lee­re, der Ein­druck zu fal­len, und dass sie nicht wüss­te, wann das alles wie­der­kommt, wenn es doch ein­mal auf­ge­hört haben soll­te, und war­um. In einer ihrer Hän­de barg sie eine Spiel­do­se. Manch­mal hielt sie die klei­ne Maschi­ne vor ihr Gesicht und dreh­te an einer Kur­bel. Sie neig­te dann den Kopf zur Sei­te, und für einen Moment schien der Schmerz nach­zu­las­sen, eine Ahnung im Som­mer­re­gen, eine Erfah­rung größ­ter Fer­ne und Hilf­lo­sig­keit inmit­ten zir­pen­den, pfei­fen­den, rau­schen­den Lebens. Ges­tern in einer beson­de­ren Wei­se von dem erschüt­tern­den, hoff­nungs­fro­hen Film Helen in die Tie­fe erzählt. — Top five der schlech­tes­ten, gut gemein­ten Rat­schlä­ge von Leu­ten, die über­haupt kei­ne Ahnung haben: Fahr in die Feri­en, lies ein Buch, lass Dir die Haa­re schnei­den, reno­vier Dei­ne Woh­nung, ler­ne Joga. — stop

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existenz

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oli­mam­bo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : EXISTENZ

Wie weit Sie wohl gekom­men sind, mein lie­ber Kek­ko­la? Sie soll­ten New Hamp­shire längst erreicht haben. Nach wie vor erseh­ne ich eine Nach­richt, obwohl ich mir unge­zähl­te Male vor­ge­nom­men habe, nie wie­der in einem Zustand von Erwar­tung zu leben. Und doch ist das jetzt so gekom­men, dass ich mich sor­ge, weil Sie kein Zei­chen, nicht das gerings­te Lebens­zei­chen über­mit­teln. Ein Satz, mein Freund, eine lee­re E‑Mail wür­de genü­gen, ich wäre zufrie­den, weil ich doch wüss­te, dass Sie in der Lage sind, zu lesen, was ich für Sie notie­re. Stel­len Sie sich vor, in der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mir über­legt, ob Sie nicht viel­leicht rei­ne Erfin­dung sind und Ihre Brie­fe an mich nur aus­ge­dacht. Mein lie­ber Kek­ko­la, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, neh­men Sie wahr, dass ich an Sie den­ke. Unlängst, das soll­ten Sie wis­sen, stell­te ich noch die Fra­ge, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Ihr Lou­is, hoffend.

gesen­det am
10.10.2009
22.38 MESZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

ping

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situs inversus / apsis 5

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tan­go : 8.58 – Frü­her Mor­gen. Eine Nacht schwe­rer Arbeit liegt hin­ter mir. Ich hat­te ges­tern noch einer Freun­din, deren Vater gera­de gestor­ben ist, wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges von mei­ner Suche nach Rhei­ne­le­fan­ten erzählt. Wie ich auf und ab fah­re, Stun­de um Stun­de mit dem Zug zwi­schen Bin­gen und Koblenz, die Kame­ra gezückt. Und wie sie in ihrer Trau­er doch für einen Moment herz­haft lach­te. Dann sit­ze ich vor dem Schreib­tisch und habe par­tout kein Ver­lan­gen nach ana­to­mi­schen Din­gen. Dem ent­ge­gen men­schen­lee­re Sze­nen wei­ter gele­sen. Ich leh­ne an einer Wand des Präpariersaal’s. Irgend­wo klap­pert ein Stück Metall, nichts wei­ter ist zu hören. Oder doch viel­leicht ein schim­mern­des Geräusch in mei­nem Kopf, lei­se, lei­se. Jen­seits der Fens­ter hüp­fen Vögel in den Bäu­men, Bewe­gung, die anzeigt, dass ich weder vor einem Gemäl­de noch vor einer Foto­gra­fie Platz genom­men habe, dass ich mich von der Wand lösen und zu einem der Tische wan­dern könn­te, etwas ver­än­dern, den Fal­ten­wurf einer Decke viel­leicht, oder eine Sei­te umblät­tern in einem ana­to­mi­schen Atlas, der im Saal zurück­ge­las­sen wur­de. Ich soll­te ein Stück Krei­de in die Hand neh­men und auf eine Tafel schrei­ben: Situs inver­sus / Apsis 5 Tisch 82
ping

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torero

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marim­ba : 4.52 — Dich­te Flie­gen­wol­ken in der Gewit­ter­luft überm Pal­men­gar­ten­see. Man müss­te als Vogel mit auf­ge­ris­se­nem Schna­bel nur zwei oder drei­mal knapp über das Was­ser rasen, schon hät­te man sich den Magen ver­dor­ben. In genau die­sem Zusam­men­hang beob­ach­te­te ich ver­gan­ge­ne Woche einen Fal­ter, der sich über der Was­ser­ober­flä­che wie ein Tore­ro ver­hielt. Rasan­te Flug­ma­nö­ver lock­ten einen angrei­fen­den Sper­ling immer wie­der ins Lee­re. Mit Span­nung auf den Absturz des Vogels ins Was­ser gewar­tet. Aber dann führ­te ein mini­ma­ler Wind­stoß in der fal­schen Sekun­de doch noch zum Ende des Fal­ters, der ein ver­we­ge­nes Tag­pfau­en­au­ge gewe­sen war. — Es ist jetzt 4 Uhr und noch immer Nacht, weil es dun­kel ist. Ich habe gera­de eine Notiz seziert, die ich auf einem sehr alten Zet­tel wie­der ent­deck­te. Ich kann mich an den Moment der Notiz nicht erin­nern, aber die Schrift ist mei­ne Hand­schrift. Sie ist zwan­zig Jah­re alt. Ein merk­wür­di­ger Anblick, als wür­de ich die Gedan­ken eines Frem­den betrach­ten, der mir doch ver­traut ist. Der Frem­de schrieb: Ein­mal für eine Stun­de lang über einer gro­ßen Stadt unter einem Zep­pe­lin auf der Stel­le schwe­ben, für die­se eine Stun­de nur, da die Gedan­ken der Men­schen in der Stadt hör­bar wer­den, die stren­gen, die leich­ten, die erin­ner­ten, die rasen­den Gedan­ken einer Stadt. — Ein Rau­schen viel­leicht. — stop

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libellen

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sier­ra : 3.22 — Heut Nacht sitz ich im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­lee­ren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern, das soll­ten Sie wis­sen, gegen den Mit­tag zu erwach­te, balan­cier­te eine Libel­le eben, mari­ne­blau, auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te, schau­te mir beim Auf­wa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­be­nen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend heiß, die küh­ler gewor­den sein moch­ten, wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich kurz vor Mit­ter­nacht einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit drei Stun­den und höre selt­sa­me Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

ping

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louis armstrong

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5.15 — Ges­tern, in den frü­hen Abend­stun­den, eine zau­ber­haf­te Text­pas­sa­ge erin­nert, die ich vor lan­ger Zeit ein­mal gele­sen habe. Sie erzähl­te etwas von der Lie­be zu Honig­bro­ten und von der Ruhe eines Mor­gens vor einem lee­ren Schreib­tisch und von Lou­is Arm­strongs knur­ren­der und schnar­ren­der Stim­me, und weil ich gera­de in einem Super­markt unter­wegs gewe­sen war, habe ich mir ein Glas Honig gekauft. Ich woll­te der Kas­sie­re­rin erzäh­len, wes­halb ich mir Honig kau­fe und dass die­ses Glas das ers­te Glas Honig sei, das ich seit Jah­ren mit mir nach Hau­se neh­men wür­de, und dass man, wenn es reg­net, zu Hau­se her­um­sit­zen kön­ne und Geor­ge Gershwins Sum­mer­ti­me hören in 20 Varia­tio­nen. Dann wahr­ge­nom­men, wie müde, wie erschöpft die Frau gewe­sen ist. Anstatt zu spre­chen, etwas Scho­ko­la­de ange­bo­ten. Ihr selt­sa­mer Blick ins rote Licht des Scan­ners. — Wenn man jah­re­lang Bom­ben unter Men­schen wirft, genügt die Behaup­tung einer Bom­be, um eine Men­schen­men­ge in eine töd­lich wir­ken­de Panik zu ver­set­zen. — stop

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