Aus der Wörtersammlung: arbeit

///

inari 5 im Wald

pic

oli­mam­bo : 16.28 — Eigen­ar­tig wie­der­um, das Ver­hal­ten der Papie­re, das Ver­hal­ten mei­ner Hän­de, mei­ner Blei­stif­te. Seit ich wie­der stun­den­wei­se mit ein­fachs­ten Werk­zeu­gen notie­re, mit Werk­zeu­gen, die ohne Elek­tri­zi­tät funk­tio­nie­ren, der Ver­dacht, dass von eigen­sin­ni­ger Natur ist, was ich auf klei­ne­re oder grö­ße­re Zet­tel schrei­be. Mei­ne Wör­ter wol­len sich nicht auf Lini­en legen, sie wol­len flie­gen, wes­halb sie über den Zei­len auf­wärts stei­gen. An einem ande­ren Tag, wie­der einem Tag ohn­mäch­ti­ger Hori­zon­te, sin­ken sie, ohne dass ich prä­zi­se sagen könn­te, war­um es an dem einen Tag auf­wärts und an dem ande­ren Tag abwärts­ge­hen will, immer­hin war jeweils nur ein wenig Schlaf zwi­schen da und dort zu ver­zeich­nen gewe­sen. Auch mit den Buch­sta­ben habe ich Mühe, mal bricht die Blei­stift­spit­ze, dann wie­der ist ein Zei­chen gemalt, das man doch eher für ein ganz ande­res hal­ten möch­te. Die Buch­sta­ben Z und G sind beson­ders wider­spens­ti­ge Gestal­ten, und das S und das A machen schon immer, was sie wol­len. Dage­gen sind das I und das M an jedem mei­ner Arbeits­ta­ge zuver­läs­si­ge Erschei­nun­gen, Wel­le und Giraf­fen­hals, schlicht und weich. Ich neh­me das noch immer, gera­de wie es kommt, in aller Ruhe. — stop

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ina­ri 5
Taunus
Flugübungen
zur Zeit der
Abenddämmerung

///

lockerbie

9

echo : 22.57 UTC — Eine Frau erzähl­te auf dem Bild­schirm mei­nes Fern­seh­ge­rä­tes, ihr Mann sei über Schott­land in gro­ßer Höhe von einer Bom­be getö­tet wor­den. Sie habe den Kof­fer ihres Man­nes erhal­ten, in dem sich sei­ne sau­be­re Klei­dung befand. Er sei nie mit sau­be­rer Klei­dung von einer Geschäfts­rei­se zurück­ge­kehrt. Sei­ne Klei­dung, erfuhr sie, wur­de von Frau­en der klei­nen Städt­chen nahe Locker­bie gewa­schen und gefal­tet und gebü­gelt. Eine die­ser fal­ten­den Frau­en erzähl­te wie­der­um, ihre Arbeit sei bis­wei­len merk­wür­dig gewe­sen. Sie sei­en 20 bis 30 Leu­te gewe­sen. Das rühr­te ans Herz. Vie­le in die Tie­fe gestürz­te Ted­dy­bä­ren. Da war das rote Kleid eines 2‑dreijährigen Kin­des. Manch­mal sei sie nach Hau­se gekom­men und habe geweint. — stop

///

im quarantänegarten

2

tan­go : 20.28 UTC — Der Wind fuhr in einem Febru­ar vor Jah­ren mit sei­nem Regen­kamm übers Dach. Ich dach­te an das Haus im Süden, wo Mut­ter und Vater nicht mehr gewe­sen sind. Wie selt­sam doch die Betrach­tung der Klei­der ver­schwun­de­ner Men­schen. Schu­he. Hals­tü­cher. Hem­den. Schmuck. Und der Gar­ten, wie er wild wur­de, sobald man nicht immer­zu an ihn denkt. Ein Teich, der weni­ger zu wer­den droh­te vom Schilf, von den Schne­cken­pan­zern, vom Laub, von den Häu­ten der Libel­len­lar­ven. Wie viel die alten Men­schen noch gear­bei­tet haben in ihrem hohen Alter wur­de hier unter den Bäu­men sicht­bar. Ihre Schu­he, ich foto­gra­fier­te Schu­he. In einer Hand­ta­sche ent­deck­te ich Rei­se­pro­vi­ant, Mut­ters Müs­li­rie­gel, Trau­ben­zu­cker, Tem­po­ta­schen­tü­cher, Pro­spek­te, einen Regen­schirm, ein Hals­tuch, einen Lip­pen­stift. Der Schmerz, der mir wie ein Blitz durch den Kör­per fuhr, sobald ich dar­an dach­te, dass ich die alte Dame in ihrem Bett lie­gend nie wie­der besu­chen wer­de. — stop

///

besuch um kurz nach mitternacht

pic

sier­ra : 0.55 — Ein Nacht­fal­ter segel­te durch mein Arbeits­zim­mer, als sei er eine Erin­ne­rung. Das Tier war so müde und so schwach, dass es sich der Luft anver­trau­te. Kurz dar­auf saß der Fal­ter auf dem Boden und ich hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. — Es ist jetzt bald 1 Stun­de nach Mit­ter­nacht. Okto­ber. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ich wer­de den Fal­ter füt­tern, wer­de ihn mit­tels Zucker­was­ser über den Win­ter brin­gen. Er könn­te viel­leicht 260 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein, der zu Kräf­ten kom­men möch­te. — stop

ping

///

ein brennender vogel

9

echo : 0.10 UTC — Ich bin noch immer leicht ver­wirrt von dem, was vor weni­gen Minu­ten pas­sier­te. Ein Blitz ist mög­li­cher­wei­se in nächs­ter Nähe ein­ge­schla­gen. Ich erin­ne­re mich, ich hat­te mei­ne Fens­ter geöff­net, es begann hef­tig zu reg­nen, dann wur­de es plötz­lich still. Ich lehn­te noch an der Wand mei­nes Arbeits­zim­mers. Es roch ein wenig nach Metall, mei­ne Zun­ge schmeck­te nach einem Löf­fel von Zinn, wie frü­her, sobald ich ein Früh­stücks­ei öff­ne­te. Wenn ich mir Mühe gebe, kann ich mit mei­nem lin­ken Ohr ein lei­ses Sum­men ver­neh­men, das even­tu­ell nicht außen, son­dern innen in mei­nem Kopf sich ereig­net. Rechts ist wirk­li­che Stil­le. Aber ich kann sehen, mit bei­den Augen sehen. Ein Vogel sitzt auf mei­nem Sofa, er scheint zu bren­nen, wes­we­gen ich mich sofort auf den Weg machen wer­de, ein Glas Was­ser zu holen. Es ist selt­sam, tat­säch­lich ist die Erfah­rung der Gehör­lo­sig­keit in die­ser Nacht, die Erfah­rung voll­stän­di­ger Abwe­sen­heit eines Tei­les mei­nes Kop­fes. – Ein jun­ger Mann erzähl­te im Radio, er habe in der Stadt Mariu­pol eine Woh­nung besucht. Er sagt: Auf dem Boden lag eine tote Kat­ze in der Nähe zwei alter Men­schen, die auf einem Sofa hock­ten tot wie die Kat­ze. — stop

///

dunkelkammer

pic

india : 0.45 UTC — Ein­mal vor lan­ger Zeit ste­he ich vor einer Tür. Ich bin groß genug gewor­den, um die Klin­ke der Tür mit einer Hand zu errei­chen. Ich ver­su­che die Tür zu öff­nen, da ruft Mut­ter, nicht Lou­is, Papi arbei­tet. Aber das war selt­sam, weil das Zim­mer hin­ter der Tür das Bade­zim­mer gewe­sen war, nicht das Arbeits­zim­mer, das gab es auch. Mut­ter sag­te: Dein Vater ent­wi­ckelt Bil­der, es muss dun­kel, stock­dun­kel sein im Zim­mer, Du musst etwas war­ten, mein Schatz, Papi wird bald her­aus­kom­men. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich auf den Boden leg­te und unter der Tür zum Bade­zim­mer hin­durch späh­te. Ich konn­te Vaters Radio hören, und ich beob­ach­te rotes Licht, das im Bade­zim­mer leuch­te­te, sodass ich dach­te, das Radio wür­de viel­leicht rot leuch­ten. Es ist nicht dun­kel, sag­te ich, Mut­ter ant­wor­te, doch, doch, das ist Vaters Dun­kel­kam­mer. Ver­mut­lich weil ich erleb­te, was ich gera­de erzähl­te, bewirk­te, dass ich mit Radio­ap­pa­ra­ten noch Jah­re spä­ter rotes Licht in Ver­bin­dung brach­te. Dann, bald, wur­den Radi­os grün, wegen ihres leuch­ten­den Auges. Es waren Röh­ren­ge­rä­te. — Vor der Küs­te des Staa­tes Sene­gal, so erzählt das Fern­se­hen, sol­len 68 Men­schen auf dem Weg nach Euro­pa ertrun­ken sein. — stop

///

von den eisvögeln

9

india : 8.12 UTC — Im Juli des Jah­res 2012 hat­te ich Eis­vo­gel­wör­ter ent­deckt. Ich wie­der­ho­le. Nicht erwar­te­te Viel­falt: Her­ku­les-Eis­vo­gel (Alce­do her­cu­les), Kobalt-Eis­vo­gel (Alce­do semi­t­or­qua­ta), Schil­ler­eis­vo­gel (Alce­do qua­dri­brachys), Men­in­ting-Eis­vo­gel (Alce­do men­in­ting) Azur­fi­scher (Alce­do azu­rea), Brust­band-Eis­vo­gel (Alce­do eury­zo­na), Blau­brust­fi­scher (Alce­do cya­nopec­ta), Sil­ber­fi­scher (Alce­do argen­ta­ta), Mada­gas­karzwerg­fi­scher oder Schwarz­schna­bel-Zwerg­fi­scher (Alce­do vint­sio­ides), Hau­ben-Zwerg­fi­scher oder Mala­chit-Eis­vo­gel (Alce­do cristata), Sao-Tomé-Zwerg­fi­scher (Alce­do tho­men­sis), Prin­ci­pe-Zwerg­fi­scher (Alce­do nais), Weiß­bauch-Zwerg­fi­scher (Alce­do leu­co­gas­ter), Tür­kis­fi­scher (Alce­do coe­ru­le­s­cens), Papua­fi­scher (Alce­do pus­il­la) — Auch selt­sa­me Wör­ter in fol­gen­der Nah­auf­nah­me: Der Eis­vo­gel ernährt sich von Fischen, Was­ser­in­sek­ten und deren Lar­ven, Klein­kreb­sen und Kaul­quap­pen. Er kann Fische bis neun Zen­ti­me­ter Län­ge mit einer maxi­ma­len Rücken­hö­he von zwei Zen­ti­me­tern ver­schlin­gen. Bei lang­ge­streck­ten, dün­nen Arten ver­schiebt sich die Höchst­gren­ze auf zwölf Zen­ti­me­ter Kör­per­län­ge. Die Jagd­me­tho­de des Eis­vo­gels ist das Stoß­tau­chen. Von einer pas­sen­den Sitz­war­te im oder nahe am Was­ser wird der Stoß ange­setzt. Wenn er eine mög­li­che Beu­te ent­deckt, stürzt er sich schräg nach unten kopf­über ins Was­ser und beschleu­nigt dabei meist mit kur­zen Flü­gel­schlä­gen. Die Augen blei­ben beim Ein­tau­chen offen und wer­den durch das Vor­zie­hen der Nick­haut geschützt. Ist die Was­ser­ober­flä­che erreicht, wird der Kör­per gestreckt und die Flü­gel eng ange­legt oder nach oben aus­ge­streckt. Bereits kurz vor dem Ergrei­fen der Beu­te wird mit aus­ge­brei­te­ten Flü­geln und Bei­nen gebremst. Zur Was­ser­ober­flä­che steigt er zuerst mit dem Nacken, wobei er den Kopf an die Brust gepresst hält. Schließ­lich wird der Schna­bel mit einem Ruck aus dem Was­ser geris­sen und der Vogel star­tet ent­we­der sofort oder nach einer kur­zen Ruhe­pau­se zum Rück­flug auf die Sitz­war­te. Im All­ge­mei­nen dau­ert ein Ver­such nicht mehr als zwei bis drei Sekun­den. Der Eis­vo­gel kann aber auch aus einem kur­zen Rüt­tel­flug tau­chen, wenn ein geeig­ne­ter Ansitz fehlt. Nicht jeder Tauch­gang ist erfolg­reich, er stößt oft dane­ben. Der Eis­vo­gel benö­tigt zur Bear­bei­tung der Beu­te in der Regel einen dicken Ast oder eine ande­re, mög­lichst wenig schwin­gen­de Unter­la­ge. Klei­ne­re Beu­te wird mit kräf­ti­gem Schna­bel­drü­cken oft sofort ver­schluckt. Grö­ße­re Fische wer­den auf den Ast zurück­ge­bracht, dort tot geschüt­telt oder auf den Ast geschla­gen, im Schna­bel „gewen­det“ und mit dem Kopf vor­an ver­schluckt; ande­ren­falls könn­ten sich im Schlund die Schup­pen des Fisches sträu­ben. Der Eis­vo­gel schluckt sei­ne Beu­te in einem Stück. Unver­dau­li­ches, wie Fisch­kno­chen oder Insek­ten­res­te wer­den etwa ein bis zwei Stun­den nach der Mahl­zeit als Gewöl­le her­auf­ge­würgt. / quel­le: wiki­pe­dia Das Radio erzählt, in der Stadt Mariu­pol sol­len tau­sen­de Sing­vö­gel in eis­kal­ten, flucht­ar­tig ver­las­se­nen Woh­nun­gen ver­durs­tet sein. — stop

///

im warenhaus

9

gink­go : 0.02 UTC — An einem Abend im Waren­haus vor lan­ger Zeit beob­ach­te­te ich einen klei­nen Jun­gen. Er sprang in einer War­te­schlan­ge vor einer Kas­se her­um und lach­te und ver­dreh­te die Augen. Weil sich auf dem För­der­band vor der Kas­se Milch­fla­schen, Corn­flakes, Reistü­ten sowie zwei Honig­me­lo­nen befan­den, konn­te der Jun­ge den Mann, der an der Kas­se sei­ne Arbeit ver­rich­te­te, zunächst nicht sehen. Bei dem Mann han­del­te es sich um Javuz Aylin, er war mit­tels eines Namens­schild­chens, das in der Nähe sei­nes Her­zens ange­bracht wor­den war, zu iden­ti­fi­zie­ren. In die­sem Moment der Geschich­te erhob sich Herr Aylin ein wenig von sei­nem Stuhl, um neu­gie­rig über die Waren hin­weg zu spä­hen, ver­mut­lich des­halb, weil der Haar­schopf des Jun­gen mehr­fach in sein Blick­feld hüpf­te. Da war noch ein zwei­ter Haar­schopf an die­sem Abend im Waren­haus in nächs­ter Nähe, schwar­zes, locki­ges Haar, der jün­ge­re Bru­der des Jun­gen, der in weni­gen Sekun­den zu dem Kas­sie­rer spre­chen wür­de, bei­de Kin­der sind sich so ähn­lich, als sei­en sie Zwil­lin­ge, ein gro­ßer und ein klei­ner Zwil­ling. Gleich hin­ter den Buben war­te­te die Mut­ter, sie lächel­te, wie sie ihre Kin­der so fröh­lich her­um­tol­len sah. Die jun­ge Frau trug ein bun­tes Kopf­tuch, ich stell­te mir vor, sie könn­te in Marok­ko gebo­ren wor­den sein, kräf­tig geschmink­ter Mund, herr­li­che Augen. Plötz­lich waren die Waren auf dem För­der­band ver­schwun­den, der älte­re der bei­den Jungs betrach­te­te auf­merk­sam das Gesicht des Kas­sie­rers Aylin, der müde zu sein schien. Er hielt dem Jun­gen ein Päck­chen mit Sam­mel­bil­dern zur Euro­pa­meis­ter­schaft ent­ge­gen, außer­dem ein zwei­tes Päck­chen für den klei­ne­ren Bru­der, der immer noch hüpf­te, weil er gera­de eben doch noch zu klein war, um über das Band selbst hin­weg spä­hen zu kön­nen. Oh, dan­ke, sag­te der Jun­ge zu Herrn Aylin. Er schau­te kurz zur Mut­ter hin­auf, die nick­te. Ich habe schon fast alle Kar­ten, fuhr er fort, die deut­sche Mann­schaft ist kom­plett. Er mach­te eine kur­ze Pau­se. Ich bin näm­lich Deut­scher, sag­te der Jun­ge mit kräf­ti­ger Stim­me, auch mein Bru­der ist Deut­scher. Wie­der schau­te er zu Mut­ter hin, und wie­der nick­te die jun­ge Frau und lach­te. Bist Du auch Deut­scher, fragt der Jun­ge Herrn Aylin. Der schüt­tel­te den Kopf und schnitt eine freund­li­che Gri­mas­se. Der Jun­ge setz­te nach: Ach so! War­um nicht? Aber das war gewe­sen, ehe Herr Aylin ant­wor­ten konn­te, er war mit sei­nem klei­nen Bru­der und sei­nen Sam­mel­bil­dern bereits hin­ter der Kas­se ver­schwun­den, sodass sich ihre Mut­ter beei­len muss­te, um sie nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. — Das Radio erzählt, man habe, indem man Men­schen neben Stra­ßen der Stadt Mariu­pol beer­dig­te, zur glei­chen Zeit ein Fläsch­chen zu den Toten gelegt. Dort, im Fläsch­chen, wur­den auf einem Zet­tel ver­zeich­net der Name des ver­stor­be­nen Men­schen und der Tag sei­ner Geburt und der Tag sei­nes gewalt­sa­men Todes. — stop

///

bienengeschichte

pic

lima : 18.12 UTC — Die fol­gen­de Geschich­te ist natür­lich eine erfun­de­ne Geschich­te. Ich habe sie vor Jah­ren bereits schon ein­mal erfun­den. Und wie­der wer­de ich so tun, als wäre sie nicht erfun­den. Am bes­ten begin­ne ich in die­ser ein­ge­üb­ten Wei­se: Seit zwei Wochen hal­te ich mich stun­den­lang unter frei­em Him­mel auf. Das ist des­halb so gekom­men, weil ich eine Auf­ga­be über­nom­men habe, die mir nach wie vor sehr inter­es­sant zu sein scheint. Ich beob­ach­te Bie­nen wie sie sich über eine Wie­se fort­be­we­gen. Des­halb lie­ge oder knie ich oder lau­fe gebückt dahin, den Kopf dicht über dem Boden, was nicht immer ganz leicht ist, weil Bie­nen doch sehr schnel­le Flie­ger sind. Jene Bie­nen­tie­re, die ich beob­ach­te, woh­nen in nächs­ter Nähe am Saum eines Wal­des, des­sen prä­zi­se Posi­ti­on ich nicht ver­ra­ten darf. Sie tra­gen Num­mern von 1 – 100 auf ihren Rücken, was für mei­ne Arbeit sehr bedeu­tend ist, da ich Bie­nen, die ohne eine Num­mer sind, nie­mals beach­te. So lau­tet mei­ne Instruk­ti­on, Bie­nen ohne Num­mer ist nicht zu fol­gen, viel­mehr ist solan­ge Zeit am Ran­de der Wie­se zu war­ten, bis eine Bie­ne mit Kenn­zeich­nung auf der Wie­se erscheint. Ich tra­ge eine Schirm­müt­ze gegen die Blend­wir­kung der Son­ne und eine Mon­okel­lu­pe, die vor mei­nem rech­ten Auge sitzt und mir einen prä­zi­sen Blick in die klei­ne Welt der Bie­nen in der Nähe des Bodens ermög­licht. Genau­ge­nom­men ist es mei­ne vor­neh­me Auf­ga­be, eine Bie­ne, die ich ein­mal in den Blick genom­men habe, solan­ge wie mög­lich zu beglei­ten auf ihrem Flug von Blü­te zu Blü­te. Ich bin indes­sen nicht ein­mal stumm. Ich sage zum Bei­spiel: Hier spricht Lou­is. Es ist 15 Uhr und 12 Minu­ten. Ich fol­ge Bie­ne No. 58. Wir nähern uns einer But­ter­blu­men­blü­te. Ja, das genau sage ich laut und deut­lich. Ich spre­che in ein Funk­ge­rät, von dem ich weiß, dass mir in der Fer­ne im See­bad Brigh­ton an der eng­li­schen Küs­te irgend­je­mand an einem ande­ren Funk­ge­rät zuhört. Ich sage: Hier spricht Lou­is. Bie­ne No 58: Lan­dung But­ter­blu­me. OVER! Dann betrach­te ich die Bie­ne wie sie in der Blü­te arbei­tet und war­te. Bald fliegt die Bie­ne wei­ter und ich sage kurz dar­auf: Bie­ne No 58: Lan­dung Feu­er­nel­ke. OVER! Ja, so mache ich das. Ich wer­de immer bes­ser dar­in. Ich glau­be, die Bie­nen mögen mich. Ich bin ihnen ver­traut gewor­den. In eini­gen Tagen wer­de ich viel­leicht etwas genau­er erzäh­len, war­um ich Bie­nen beob­ach­te. — Das Radio erzählt von Men­schen, die die rus­si­sche Höl­len­ma­schi­ne der Stadt Mariu­pol über­leb­ten. Man­che wür­den nun in der Frem­de lebend, Schlüs­sel ihrer ver­las­se­nen oder zer­stör­ten Woh­nun­gen in Taschen von Hosen und Män­teln und Klei­dern mit sich füh­ren. — stop

///

ein mann mit buch

2

nord­pol : 16.05 UTC — In einer Film­do­ku­men­ta­ti­on, die den Schrift­stel­ler Jona­than Fran­zen fünf Tage lang wäh­rend einer Lese­rei­se beglei­tet, fol­gen­de berüh­ren­de Sze­ne, die sich im New Yor­ker Arbeits­zim­mer des Autors ereig­net. Jona­than Fran­zen hält sei­ne Schreib­ma­schi­ne, ein preis­wer­tes Dell – Note­book, vor das Objek­tiv der Kame­ra. Er deu­tet auf eine Stel­le an der Rück­sei­te des Gerä­tes, dort soll frü­her ein­mal ein Fort­satz, eine Erhe­bung zu sehen gewe­sen sein. Er habe die­sen Fort­satz eigen­hän­dig abge­sägt. Es han­del­te sich um eine Buch­se für einen Ste­cker. Man konn­te dort das Inter­net ein­füh­ren, also eine Ver­bin­dung her­stel­len zwi­schen der Schreib­ma­schi­ne des Schrift­stel­lers und der Welt tau­sen­der Com­pu­ter da drau­ßen irgend­wo. Jona­than Fran­zen erklärt, er habe sei­nen Com­pu­ter bear­bei­tet, um der Ver­su­chung, sich mit dem Inter­net ver­bin­den zu wol­len, aus dem Weg zu gehen. Eine über­zeu­gen­de Tat. Im Moment, da ich die­se Sze­ne beob­ach­te, bemer­ke ich, dass die Ver­füg­bar­keit von Infor­ma­ti­on zu jeder Zeit auch in mei­nem Leben ein Gefühl von Gefahr, Zer­streu­ung, Belie­big­keit erzeu­gen kann. Ich schei­ne in den Zei­chen, Bil­dern, Fil­men, die her­ein­kom­men, flüs­sig zu wer­den. Dage­gen ange­neh­me Gefüh­le, wenn ich die abge­schlos­se­ne Welt eines Buches in Hän­den hal­te. — In Mariu­pol, so erzählt das Radio, soll ein alter Mann von einem Scharf­schüt­zen getö­tet wor­den sein, als er in einem Hin­ter­hof in einem Buch lesend auf einer Bank saß. — stop



ping

ping