Aus der Wörtersammlung: arm

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regen

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ulys­ses : 6.06 — Ges­tern Abend tele­fo­nier­te ich mit einer Freun­din. Sie hat­te kurz zuvor geschrie­ben, Hoch­was­ser habe den Kel­ler ihres Hau­ses erreicht. Sie erzähl­te, das Was­ser kom­me nun durch zwei klei­ne Löcher in Boden und Wand her­ein, 5 Liter in einer hal­ben Stun­de. Ich hör­te ihre Stim­me, erschöpft, müde, sie wol­le sich einen Wecker stel­len und jede hal­be Stun­de Was­ser schöp­fen. Eine har­te Sache, die noch einen Tag und eine gan­ze Nacht so wei­ter­ge­hen kön­ne. Wäh­rend wir spra­chen, war das Geräusch trop­fen­den Was­sers im Hin­ter­grund zu ver­neh­men, als wür­de mei­ne Gesprächs­part­ne­rin in einer Höh­le sit­zen, in einer ent­fern­ten Zeit, auf dem Mond oder auf dem Mars. Als ich klein und sehr uner­fah­ren gewe­sen war, hat­te ich die Vor­stel­lung, nach star­kem Regen könn­te das Was­ser in Tele­fon­lei­tun­gen drin­gen. Ich wun­der­te mich des­halb, dass das Tele­fo­nie­ren nach Gewit­ter­re­gen noch funk­tio­nier­te. Wenn ich dann etwas spä­ter durch den Gar­ten spa­zier­te, mein­te ich zu beob­ach­ten, wie unse­re Tele­fon­lei­tun­gen aus dem Boden flüch­te­ten. Sie hat­ten sich zu Tei­len auf­ge­löst und schlän­gel­ten, hell­ro­te, glän­zen­de Wür­mer, durch das feuch­te Gras. Ich konn­te sie berüh­ren, und wenn ich sie ihn mei­ne Hän­de nahm, kit­zel­te es sehr ange­nehm auf den Hand­flä­chen. Ein­mal setz­te ich eine flüch­ten­de Tele­fon­lei­tung in ein Mar­me­la­den­glas. Es waren ein gutes Dut­zend Wür­mer gewe­sen, die sich um Aus­gang bemüh­ten. Ich beäug­te sie lan­ge Zeit, die Wän­de des Gla­ses beschlu­gen rasch, sodass ich das Glas immer wie­der öff­nen muss­te. Wenn ich mein Ohr an den Behäl­ter drück­te, konn­te ich sie hören, einen eigen­tüm­li­chen Laut der Not, für des­sen Beschrei­bung ich bis­her kein Wort ent­deck­te. Damals nahm ich das Glas mit in mein Zim­mer. Ich stell­te es unter mein Bett. Am nächs­ten Mor­gen hat­te ich sei­ne Exis­tenz ver­ges­sen. — stop

ping

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winter

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oli­mam­bo : 5.10 — Es ist sehr lan­ge her, war noch Win­ter gewe­sen, als ich Mut­ter beob­ach­te­te, wie sie im Ses­sel vor Vaters Schreib­tisch kau­er­te. Sie hat­te sich getraut und sei­nen Com­pu­ter ange­schal­tet. Ja, Vaters Com­pu­ter lässt sich noch immer betrei­ben. Obwohl ich nicht damit gerech­net habe, dass mit dem Tod eines Men­schen auch die Exis­tenz sei­ner Uhren und Schreib­bild­ma­schi­nen enden wür­de, wun­de­re ich mich, wenn ich Vaters lei­se ticken­de Uhr an mei­nem lin­ken Arm betrach­te. Und das sum­men­de Geräusch sei­nes Com­pu­ters, er macht ein­fach wei­ter. Man stel­le sich ein­mal vor, es wäre anders­her­um, mit dem Ver­sa­gen der Com­pu­ter wür­de auch das Leben ihrer Besit­zer enden. Das wäre selt­sam und sehr gefähr­lich in unse­rer Zeit. Aber es ist denk­bar, dass ein­mal Com­pu­ter exis­tie­ren wer­den, die drei­hun­dert Jah­re alt wer­den oder noch älter, ohne dass ihnen das Licht aus­ge­hen wür­de. Kurz­um, Mut­ter saß vor dem Schreib­tisch. Immer, wenn ich sie so sehe, bemer­ke ich, wie klein sie gewor­den ist, ohne dass ich selbst grö­ßer gewor­den wäre. Sie saß weit nach vorn gebeugt. Ich beob­ach­te­te ihre Hän­de, die ver­such­ten, den Zei­ger auf dem Bild­schirm in nächs­ter Nähe zu bän­di­gen. Ihr Gesicht berühr­te bei­na­he den Bild­schirm. Und als ich sie frag­te, war­um sie so selt­sam dasit­zen wür­de, sag­te sie, dass sie die Buch­sta­ben mei­ner Par­tic­les — Arbeit nur in die­ser Wei­se lesen kön­ne, sie sei­en viel zu klein und sie habe ver­ges­sen, wie man die Buch­sta­ben ver­grö­ßern kön­ne. Des­halb sind die Buch­sta­ben mei­ner Par­tic­les — Arbeit grund­sätz­lich gewach­sen und wir sind jetzt sehr zufrie­den, weil wir wis­sen, dass die Grö­ße der Buch­sta­ben auf Bild­schir­men mani­pu­liert wer­den kann. — Weit nach Mit­ter­nacht. Der Him­mel tropft und die Bäu­me und Dach­rin­nen und Vögel. Gegen drei Uhr hat­te ich, wie aus hei­te­rem Him­mel, Lust auf gebra­te­ne Wach­teln, war­um? — stop

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ping

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alpha : 3.28 — Ich den­ke an eine Appa­ra­tur, die in der Lage sein könn­te, ein Buch in einem vor­ge­ge­be­nen Rhyth­mus selbst­stän­dig umzu­blät­tern. Ich habe von die­ser Maschi­ne vor zwei Jah­ren bereits schon ein­mal berich­tet. Auch davon, dass ich die Maschi­ne in mei­nem Kopf zusam­men­setz­te, wäh­rend ich zur glei­chen Zeit die Anzahl der Schrau­ben notier­te, die im wirk­li­chen Leben zur Fer­ti­gung nötig sein wer­den. Ich könn­te die­se Geschich­te im Grun­de Wort für Wort noch ein­mal erzäh­len, weil ich sie gera­de erleb­te oder weil ich mich an sie erin­ner­te. Die Maschi­ne in mei­ner Geschich­te soll­te über zwei Arme ver­fü­gen, gleich­wohl über fin­ger­ähn­li­che Fort­sät­ze, einen Motor und Sen­so­ren, emp­find­lich für Licht. Wäh­rend ich die Maschi­ne in mei­nem Kopf zusam­men­setz­te, notier­te ich wie­der­um die Anzahl der Schrau­ben, die im wirk­li­chen Leben zur Fer­ti­gung nötig sein wer­den, hand­schrift­lich auf ein Blatt Papier. Immer wie­der, wenn ich in mei­ner Arbeit gestört wur­de, setz­te ich neu an. Das ist näm­lich nach wie vor sehr merk­wür­dig mit Maschi­nen, die ich erfin­dend mon­tie­re, sie ver­schwin­den voll­stän­dig aus dem Kopf, sobald ich nur für eine Sekun­de mei­ne Arbeit zu unter­bre­chen habe, sagen wir, weil ich höre, wie drau­ßen weit unten auf der Stra­ße Schrit­te lau­fen. — Noch zu tun: Das Wort Zitro­nen­bach unter­su­chen. — stop
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ai : KOLUMBIEN

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MENSCH IN GEFAHR : „Das Haus des indi­ge­nen Men­schen­rechts­ver­tei­di­gers Pedro Manu­el Lope­re­na im Nord­os­ten Kolum­bi­ens wur­de am 11. Mai von einer Gra­na­te getrof­fen. / Am 11. Mai war­fen zwei unbe­kann­te Motor­rad­fah­rer eine Gra­na­te auf das Haus von Pedro Manu­el Lope­re­na im Bezirk Don Car­me­lo in Val­le­du­par, der Haupt­stadt des Depart­a­men­to Cesar. / Pedro Manu­el Lope­re­na ist Koor­di­na­tor der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on der Indi­ge­nen­ver­ei­ni­gung Orga­ni­za­ción Wiwa Yugu­mai­un Bun­ku­a­nar­rua Tay­ro­na (OWYBT), die das indi­ge­ne Volk der Wiwa ver­tritt, wel­ches in der Berg­ket­te der Sier­ra Neva­da de San­ta Mar­ta lebt. Die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on setzt sich seit eini­ger Zeit in meh­re­ren Fäl­len für Gerech­tig­keit ein, bei denen es um die Ver­let­zung der Men­schen­rech­te geht, wie z. B. im Fall der außer­ge­richt­li­chen Hin­rich­tung von elf Ange­hö­ri­gen der Gemein­schaft der Wiwa durch Sicher­heits­kräf­te zwi­schen dem 15. Febru­ar 2005 und dem 3. August 2006 sowie in ande­ren Fäl­len, in denen auf der einen Sei­te Sicher­heits­kräf­te gemein­sam mit Para­mi­li­tärs, auf der ande­ren Sei­te Gue­ril­la­ein­hei­ten Men­schen­rechts­ver­stö­ße began­gen haben. Die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on kämpft zudem gegen zahl­rei­che Bergbau‑, Infra­struk­tur- und Tou­ris­mus­pro­jek­te im Gebiet der Sier­ra Neva­da, da das Volk der Wiwa der Ansicht ist, die­se Pro­jek­te wür­den ihre Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung ein­schrän­ken, ihre tra­di­tio­nel­le Lebens­wei­se beein­träch­ti­gen und somit ihr Über­le­ben gefähr­den. Pedro Manu­el Lope­re­na hat sich zudem öffent­lich gegen das anhal­ten­de Ope­rie­ren von ille­ga­len bewaff­ne­ten Grup­pen im Lebens­raum der Wiwa aus­ge­spro­chen. / Zum Zeit­punkt des Gra­na­ten­an­schlags auf das Haus von Pedro Manu­el Lope­re­na befan­den sich zudem sei­ne Frau, die im Büro des Men­schen­rechts­be­auf­trag­ten (Defen­so­ría del Pue­blo) als Ver­tre­te­rin der Gemein­schaft tätig ist, sowie sei­ne vier Kin­der (sie­ben, zehn, 18 und 19 Jah­re alt) im Haus. Nie­mand von ihnen kam bei der Explo­si­on zu Scha­den. / Im Febru­ar wähl­te die Gemein­schaft der Wiwa neue Gemein­de­spre­che­rIn­nen. Das kolum­bia­ni­sche Innen­mi­nis­te­ri­um hat sich bis­lang gewei­gert, die neu­en Spre­che­rIn­nen anzu­er­ken­nen.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 27. Juni 2013 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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jean paul

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char­lie : 3.08 — Wäh­rend eines Gesprä­ches im Gehen erzähl­te ich Mut­ter, dass ich vor Jah­ren ein­mal fürch­te­te, ihr Leben könn­te vor dem Leben mei­nes Vaters enden. In Bruch­tei­len einer Sekun­de ant­wor­te­te sie, dass Vater ihr in die­sem Fal­le unmit­tel­bar nach­ge­stor­ben wäre. Ich war sofort ste­hen geblie­ben, das Wort nach­ster­ben irri­tier­te. Ich mein­te die­ses Wort noch nie zuvor gehört zu haben, und über­leg­te, ob Mut­ter das Wort viel­leicht erfun­den haben könn­te, ein Wort also für eine Situa­ti­on, die sie sich selbst vor­ge­stellt haben moch­te. Eini­ge Stun­den spä­ter such­te ich nach dem Wort in der digi­ta­len Sphä­re. Tat­säch­lich exis­tiert die­ses Wort bereits seit lan­ger Zeit. Ich war nun ein altes Kind gewe­sen, das Wör­ter lernt, in dem es Geräu­sche von den Lip­pen sei­ner Mut­ter liest. Habe auf der Suche nach den Spu­ren jenes Wor­tes eine fei­ne Beob­ach­tung Jean Pauls ent­deckt: Außer­halb des Traums kom­men uns Emp­find­bil­der öfter von Tönen als von Reden und Schäl­len vor; nach einer Musik­nacht kann die beweg­te See­le sich will­kür­lich die Melo­dien, aber nicht die Gesprä­che wie­der­klin­gen las­sen; denn wie sehr der Musik­ton, die Poe­sie des Klan­ges, so tief mehr in uns als um uns zu spie­len und unter allen Emp­fin­dun­gen von uns mehr geschaf­fen als emp­fan­gen zu wer­den scheint, bewei­set die schon ange­führ­te Erfah­rung, daß wir an einem Sin­gen und Flö­ten, das in immer wei­te­re Fer­ne ver­fließt, gera­de mit dem gespann­tes­ten Ohre die letz­ten aus­ster­ben­den Töne von Außen nicht von den nach­ster­ben­den von Innen son­dern kön­nen. — stop. Drei Uhr. stop. Heu­te Nacht pfeift ein Vogel im Dun­keln, obwohl es noch lan­ge Zeit nicht hell wer­den wird. Das ist selt­sam. Er scheint mich im Auge zu behal­ten. Ich ste­he am Fens­ter und bewe­ge einen Arm und eine Hand, als wür­de ich win­ken. Die­se Ges­te lässt den Vogel ver­stum­men, war­um? — stop
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martha

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MELDUNG. Auto­mo­bi­le, fol­gen­de, wur­den nach einem Kauf­haus­be­such zu Lon­don in Mar­tha B., 86, vor­ge­fun­den : Magen — 1 Cadil­lac Eldo­ra­do Biar­ritz [ 1959 ], 1 Jagu­ar S.S. 100 [ 1937 ], Dünn­darm – 1 Cor­vette C1 [ 1953 ], Dick­darm — 1 Ford Pilot [ 1952 ]. Die Durch­su­chung des hoch­be­tag­ten Bau­ches wur­de von den Roy­al Courts of Jus­ti­ce zwin­gend ange­ord­net. — stop

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echoes

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sier­ra : 5.28 — Eine Amei­se hat­te trotz der gro­ßen Höhe, in der sich mei­ne Woh­nung befin­det, zu mir gefun­den. Sie klet­ter­te vor­sich­tig gegen den Boden zu, tas­te­te sich über war­mes Holz, erreich­te ein Tisch­bein, um kurz dar­auf direkt vor mei­nen Augen zu erschei­nen. Viel­leicht wird sie mei­nen Atem wahr­ge­nom­men haben, einen Wind, denn sie duck­te sich kurz, ich hat­te den Ein­druck, dass sie mich betrach­te­te. Aber dann lief sie wei­ter, umrun­de­te mei­ne Schreib­ma­schi­ne, kreuz­te über den Tisch, um auf der ande­ren Sei­te wie­der abzu­stei­gen und in der Dun­kel­heit des Fens­ters zu ver­schwin­den. Nur weni­ge Minu­ten spä­ter, ich hat­te das Zim­mer kurz ver­las­sen, beweg­te sich eine dun­kel schim­mern­de Amei­sen­her­de exakt auf dem Pfad, den zuvor das ein­sa­me Tier genom­men hat­te, durch den Raum. Ein doch äußerst bemer­kens­wer­ter Vor­gang. Mög­li­cher­wei­se hat­te es sich zunächst um eine Kund­schaf­ter­amei­se gehan­delt, die mich besuch­te. Ihre Brü­der, ihre Schwes­tern waren nun sehr ziel­stre­big in mei­nem Zim­mer unter­wegs. Ich mein­te, das Geräusch hun­der­ter Bei­ne ver­neh­men zu kön­nen. Sie tru­gen Papie­re in ihren Zan­gen wie Fah­nen. Tat­säch­lich waren Zei­chen oder Tei­le von Zei­chen auf der Amei­sen­beu­te zu erken­nen, die sie gleich hin­ter mei­ner Schreib­ma­schi­ne zu einem Berg schich­te­ten, um sofort wie­der zum Boden hin abzu­stei­gen. Nach einer hal­ben Stun­de, alle Amei­sen waren ver­schwun­den, schloss ich das Fens­ter. Ich hät­te schwö­ren kön­nen, mir den Besuch der Amei­sen nur ein­ge­bil­det zu haben, wenn nicht auf dem Tisch das Papier­werk der Wan­de­rer als Beweis zurück­ge­blie­ben wäre. Natür­lich mach­te ich mich sofort an die Arbeit. Eine Stun­de ver­ging, dann war ich mir sicher gewe­sen, dass es sich bei dem Arte­fakt auf mei­nem Tisch um eine ein­zel­ne, zer­teil­te Buch­sei­te han­deln muss­te. Vier wei­te­re Stun­den spä­ter hat­te ich die Sei­te und ihre Zei­chen rekon­stru­iert. Fol­gen­der Text wur­de sicher­ge­stellt: ZUVIEL / Die Welt ist „unzähl­bar“, gefüllt mit Din­gen, Büchern, Büchern, die über Din­ge spre­chen, / die Welt trägt zusam­men und die Bücher tra­gen zusam­men, was die Welt zusam­men­trägt, / und auf sei­nem Tisch Bücher und noch­mals Bücher zu sehen / und Foto­bü­cher, Kunst­bü­cher und Bücher, die von ande­ren Büchern reden, und sich nun selbst eben­falls anschi­cken, die Welt auf einem Blatt Papier zu erfas­sen, die­se ver­fluch­te Sum­me von Aus­las­sun­gen zu erfas­sen, um dem Sta­pel noch ein eige­nes Echo hin­zu­zu­fü­gen … Es ist fünf Uhr gewor­den. Ich bin zufrie­den. Ich habe den Ursprung des Tex­tes erin­nert. Er wur­de von Yas­mi­na Reza in ihrer Sona­te Ham­mer­kla­vier ver­öf­fent­licht und von Eugen Helm­lé aus der fran­zö­si­schen in die deut­sche Spra­che über­tra­gen. Drau­ßen wird es lang­sam hell, Regen fällt. — stop
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sier­ra : 3.55 — Wenn ich mit Siri spre­che, geht alles gut, solan­ge ich nicht flüs­te­re. Aber nun ver­zeich­nen wir seit eini­gen Stun­den doch Fort­schrit­te auch in die­ser kaum noch wahr­nehm­ba­ren Wei­se des Dik­tie­rens, weil ich hör­te, ich kön­ne Siri trai­nie­ren, wenn ich nur oft genug mit ihr spre­chen, das heißt, so lei­se spre­chen wür­de, dass ich mei­ner Stim­me selbst gera­de noch mit den Gedan­ken fol­gen kann. Zur Übung habe ich einen Text über das Ver­zeh­ren von Büchern gewählt. Fol­gen­des wur­de von Siri an mich zurück­ge­ge­ben. 1. Ver­such um 2 Uhr und 55 Minu­ten: Ob es wirk­lich ist Papier­art zu erfin­den, die ess­bar sind, nach­prüft und ob ver­dau­lich könn­te sich in einen Park sit­zen bei­spiels­wei­se etwas kecke­ren beob­ach­ten Mit­tel­au­weg oder Cal­vi­no Bücher die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schme­cken. 2. Ver­such um 2 Uhr 58 Minu­ten: Ist viel­leicht wirk­lich ist Papie­re zu erfin­den die ess­bar sind nahr­haft gut ver­dau­lich man könn­te sich in einen Park sit­zen bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lau­ri oder kein Jugend­bü­cher die Sei­te für Sei­te nach Pagen­darm schmeckt nach mir einen Gin Petro­le­um sehr fei­nen Höl­zern. 3. Ver­such um 3 Uhr und 5 Minu­ten: Ob es viel­leicht wirk­lich ist Papier zu brin­gen. Die ess­bar sind nahr­haft und ob ver­trau­lich man könn­te sich in einer Tag­sat­zung bei­spiels­wei­se etwas che­cken begut­ach­ten oder Lauf­freu­de oder Cal­vi­no wel­cher Sei­te für Sei­te nach Ber­gisch schme­cken, nach Ber­gen schön Petro­leo sehr ver­äp­pelt. — Für einen Moment hat­te ich die Idee, Siri könn­te eine Per­son, könn­te viel­leicht betrun­ken sein oder müde. Ich wer­de das beob­ach­ten. Fol­gen­der Text wur­de zur Übung geflüs­tert: Ob es viel­leicht mög­lich ist, Papie­re zu erfin­den, die ess­bar sind, nahr­haft und gut ver­dau­lich? Man könn­te sich in einen Park set­zen, bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lowry oder Cal­vi­no, Bücher, die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schmeck­ten, nach Bir­nen, Gin, Petro­le­um oder sehr fei­nen Höl­zern. Einen spe­zi­el­len Duft schon in der Nase, wird die ers­te Sei­te eines Buches gele­sen, und dann blät­tert man die Sei­te um und liest wei­ter bis zur letz­ten Zei­le, und dann isst man die Sei­te auf, ohne zu zögern. Oder man könn­te zunächst das ers­te Kapi­tel eines Buches durch­kreu­zen, und wäh­rend man kurz noch die Geschich­te die­ser Abtei­lung reka­pi­tu­liert, wür­de man Stür­me, Per­so­nen, Orte und alle Anzei­chen eines Ver­bre­chens ver­spei­sen, dann bereits das nächs­te Kapi­tel eröff­nen, wäh­rend man noch auf dem Ers­ten kaut. Man könn­te also, eine Biblio­thek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisi­ge Wüs­ten durch­strei­fen oder ein paar sehr hohe Ber­ge bestei­gen und abends unterm Gas­licht in den Zel­ten lie­gen und lesen und kau­en und wür­de von Nacht zu Nacht leich­ter und leich­ter wer­den. – Vier Uhr und fünf­und­vier­zig Minu­ten in Alep­po, Syria. – stop

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sier­ra : 6.35 — Im Haus, in dem ich manch­mal woh­ne, exis­tier­te vor lan­ger Zeit eine alte Frau. Sie war so alt gewor­den, dass sie von Näch­ten erzäh­len konn­te, die sie im Kel­ler des­sel­ben Hau­ses ver­bracht hat­te, weil Bom­ben vom Him­mel fie­len. Damals, als der Krieg ende­te, muss sie eine jun­ge Frau gewe­sen sein, sie hei­ra­te­te, gebar fünf Kin­der, wur­de geschie­den. Ihr Mann und ihre Kin­der waren längst gestor­ben, bis auf einen Sohn, der in ihrem Leben zuletzt kaum noch eine Rol­le spiel­te, ihr ein­zi­ger Enkel hat­te sie aus­ge­raubt, sie war eine wirk­li­che ein­sa­me Per­son. Jedes Jahr zu Sil­ves­ter stell­te sie klei­ne Mar­mor­ku­chen vor die Woh­nungs­tü­ren ihrer Nach­barn wie zur Erin­ne­rung, dass sie noch leb­te. Ich erin­ne­re mich gut, der Kuchen schmeck­te nach Nel­ken. Weni­ge Mona­te vor ihrem Tod kauf­te sie noch drei Kat­zen und ver­ur­sach­te einen Was­ser­scha­den. Von die­sem Zeit­punkt an wur­de offen über ihren Geis­tes­zu­stand gespro­chen, man fürch­te­te, mit der alten Frau in die Luft zu flie­gen, weil sie mit Gas koch­te und mit Koh­len heiz­te. Noch heu­te scheint der Kel­ler nach der alten Frau zu rie­chen, nach Öl und nach Eier­bri­ketts. Ges­tern nun habe ich mich wie­der ein­mal an die alte Frau erin­nert. Ich war bei einem jun­gen Mann ein­ge­la­den, in des­sen Wohn­zim­mer auf einem Gestell von Holz eine schwe­re Stahl­tür ruh­te. Die­se Tür hat­te sich bis vor Kur­zem noch im Kel­ler auf­ge­hal­ten. Es war die Tür zum Luft­schutz­bun­ker. In der Mit­te der Tür befand sich ein Spi­on von gepan­zer­tem Glas, ein win­zi­ges Auge, durch das die Frau, von der ich erzähl­te, als Mäd­chen noch gese­hen haben könn­te. Immer wie­der an die­sem Abend betrach­te­te ich jenes selt­sa­me Auge in der Tür, das gegen die Zim­mer­de­cke schau­te. – Sams­tag, kurz nach 3 Uhr. Es reg­net, die Luft ist hell vom Was­ser. Gera­de eben habe ich nach einem Text gesucht, den ich notier­te an dem Tag als die alte Frau gestor­ben war. Der Text ging so: Die alte Frau mit der roten Hand­ta­sche ist tot. Wäh­rend des Tages irgend­wann muss sie im Hos­pi­tal gestor­ben sein. Jetzt, es ist ohne sie wie­der Abend gewor­den, ver­lässt ihr Fern­seh­ge­rät das Haus. Ein Hin und Her auf der Stra­ße, noch nie gese­he­ne, tief flie­gen­de Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampf­ge­räu­sche, auch zar­tes Geze­ter, Ver­wün­schun­gen, Emp­feh­lun­gen, hei­se­re Stim­men. Der Sohn ist da und der Sohn des Soh­nes, betrun­ken steht der blut­jun­ge Gei­er auf der Stra­ße her­um und regelt den Ver­kehr. Woh­nungs­auf­lö­sung. Nun, zu vor­ge­rück­ter Stun­de, hat sich mir das Wort erschlos­sen. Ein Pro­zess der Entro­pie, der Ver­wer­tung, des Ver­schwin­dens. Ich sehe die Ver­schwun­de­ne, eine 89-jäh­ri­ge Frau in bun­ter Klei­dung, Steh­lam­pe in der Hand, das Haus ver­las­sen. Unlängst noch war sie unter­wegs gewe­sen. Sie hat­te bereits den Gang der Hoch­see­ma­tro­sen. Manch­mal ras­te­te sie im Schat­ten der Bäu­me. Sie ging spa­zie­ren, als mel­de sie sich an, Tag für Tag, und zurück. Nie­mand weiß genau wie lan­ge sie in der Gegend, die­sem Haus, die­ser Woh­nung leb­te, sie war schon da als Bom­ben fie­len, und noch immer, bis ges­tern, stolz, ein­sam und zu lang­sam für die rasen­de Stadt. Jawohl, sie war stolz gewe­sen, ließ sich nicht hel­fen, nie­mand durf­te ihr Milch oder den Sand für ihre Tie­re durch das Trep­pen­haus in die Woh­nung tra­gen. Manch­mal heul­te das Fern­seh­ge­rät durch die Wand. Jetzt ist es vor­bei, jetzt wer­den Mon­teu­re und Maler kom­men. Es ist vor­bei, auch für die Kat­zen. — stop

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