Aus der Wörtersammlung: ball

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rüsselhupe

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echo : 12.03 — Sagen wir das so: Tief­see­ele­fan­ten, sobald sie gebo­ren wer­den auf hoher See in gro­ßer Tie­fe, blei­ben ihren Müt­tern lan­ge Zeit ver­bun­den. Solan­ge Zeit genau wan­dern sie in nächs­ter Nähe, bis ihre Rüs­sel aus­rei­chend gewach­sen sind, um zur Ober­flä­che des Mee­res gelan­gen zu kön­nen. Wie sie sich küs­sen von Zeit zu Zeit in ewi­ger Dun­kel­heit, wie eine Mut­ter ihrem klei­nen Ele­fan­ten Luft ein­haucht, wie das tau­meln­de Wesen im Moment der Über­ga­be lust­voll sei­ne blin­den Augen schließt, eine Ahnung vom berau­schen­den Duft der Welt weit über ihm, von sal­zi­gen Schäu­men, von Motor­ölen, Tang und wei­te­ren ange­neh­men Sub­stan­zen, die ihm bald unmit­tel­bar begeg­nen wer­den. Manch­mal, eher sel­ten, stei­gen sie, Minia­tu­ren einer spä­te­ren Zeit, lang­sam auf­wärts. Sie haben dann aus dem Mun­de ihrer Mut­ter einen Bal­lon süßer Luft ent­ge­gen­ge­nom­men, der zu groß gewor­den sein könn­te von Sor­ge und Lie­be. Zwei oder drei Tage sind sie nun schwe­bend unter­wegs, bis die Ober­flä­che des Was­sers erreicht sein wird. Das fei­ne Geräusch ihrer ers­ten Rüs­sel­hu­pe, mit der sie die lich­te Welt begrü­ßen. – Sonn­tag. Leich­ter Schnee­fall. Viel Jazz im Kopf. — stop

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manhatten / hippodrom

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del­ta

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : HIPPODROM

Lie­be Vio­let! Lie­be Dai­sy! Ich grü­ße Euch ganz herz­lich. Ich hof­fe, Ihr seid fröh­lich! War ges­tern lan­ge spa­zie­ren, folg­te dem Duft­fa­den der Koh­le­öfen durch die Stadt. Und wie ich so ging, dach­te ich an Euch, weil ich wie­der ein­mal Foto­gra­fien betrach­tet hat­te, die Euer Lachen zei­gen, eine Freu­de, die mir so wirk­lich zu sein scheint, obwohl ich manch­mal den­ke, dass ihr doch unglück­lich gewe­sen sein könn­tet, genau in dem Moment unglück­lich, als Euer gesam­mel­tes Licht von einem Foto­ap­pa­rat ein­ge­fan­gen wur­de. Vor weni­gen Tagen, das will ich Euch rasch erzäh­len, ehe ich wie­der an mei­ne nächt­li­che Arbeit gehen wer­de, habe ich gele­sen von Eue­rem Enga­ge­ment 1924 in New York. Wie nur konn­te man Euch das antun! Eine Are­na, groß wie ein Base­ball­sta­di­on, das Hip­po­drom, und dort ihr zwei klei­nen Wun­der­we­sen im blen­den­den Licht der Schein­wer­fer. Euer Zit­tern, Euer Beben. Bald ein­mal wer­de ich Man­hat­tan besu­chen. Ich habe den Ort des Ver­ge­hens an Euch in mei­nem Spa­zier­plan ver­merkt. Ich wer­de, ver­spro­chen, die Gegend für Euch foto­gra­fie­ren. Eine auf­re­gen­de Geschich­te, ich bin mir sicher, vom Ver­schwin­den, wird sich wie von selbst notie­ren. — Euer Louis.

gesen­det am
7.11.2009
0.05 MEZ
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lou­is to dai­sy and violet »

twins2

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zeppeline

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alpha : 8.06 — Seit Tagen den­ke ich dar­über nach, wes­halb mich die Ansicht japa­ni­scher Fes­sel­bom­ben­bal­lo­ne irri­tiert. Ich komm nicht dahin­ter. Viel­leicht ein­mal eine Geschich­te erzäh­len, die von oder mit Bom­ben­bal­lo­nen han­delt, eine Art fabu­lie­ren­de Denk­be­we­gung, die die Sub­stanz die­ser selt­sa­men Idee in mei­nem Leben wirk­li­cher, greif­ba­rer wer­den lässt. Nicht also erfin­den, son­dern etwas Gefun­de­nes buch­sta­bie­ren, um es genau­er den­ken oder über­haupt als etwas Eige­nes spü­ren zu kön­nen. Ges­tern Abend noch erzähl­te ich in einem Gespräch von Zep­pel­in­kä­fern, wie sie durch mei­ne Woh­nung schwe­ben. Ich erzähl­te in einer Wei­se, dass ich eher sagen müss­te, dass ich von der Erschei­nung der Zep­pel­in­kä­fer in mei­nem Zim­mer berich­te­te, weil sie, im Febru­ar zunächst wort­wei­se auf Notiz­pa­pier gesetzt, für mein Gehirn zur einer wirk­li­chen Erschei­nung gewor­den sind. — Eine beru­hi­gen­de Beob­ach­tung. — stop
luftschiffbombe

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database

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nord­pol : 14.50 — Sobald ich mit einer klei­nen Pro­gramm­ma­schi­ne die Daten­bank mei­ner Par­tic­les­denk­be­we­gung halb auto­ma­tisch von Bal­last befreie, die Emp­fin­dung, tat­säch­lich, ich selbst, kör­per­lich leich­ter gewor­den zu sein. Con­gra­tu­la­ti­ons, your data­ba­se is com­ple­te­ly opti­mi­zed! — stop

ping

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copernic

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echo : 8.27 — Ich stel­le mir vor, an die­sem wun­der­schö­nen Mor­gen unterm Regen­licht, ein­mal die Spu­ren eines Men­schen zu erfin­den, von dem nichts geblie­ben ist, als der Schat­ten sei­ner Fra­gen an die Meta-Such­ma­schi­ne COPERNIC auf einem Note­book, das ihn von Geburt an beglei­te­te. Kön­nen Kro­ko­di­le hören? Eine Spur feins­ter Boh­run­gen der Luft. – Wäh­rend ich die­se Zei­len notier­te, ist mir auf­ge­fal­len, dass bis vor Kur­zem noch Men­schen exis­tier­ten, die in der Elek­tro­sphä­re nie eine Spur zeich­ne­ten. Mei­ne Lieb­lings­tan­te zum Bei­spiel, ein wun­der­ba­res Geschöpf, das an Sonn­ta­gen immer oder an Mon­ta­gen zu Besuch gekom­men war. Wir nann­ten sie Wal­ly. Sie hat­te sehr wei­che, rosi­ge Haut und immer­zu küh­le Hän­de und war von einem Bal­lon Laven­del­duft umhüllt. Da war Moos, ein moos­grü­nes Kleid, und da war ein spin­nen sei­di­ges Haar­netz (War­um?), und eine rußi­ge Stirn zur Win­ter­zeit, und das Rascheln der Papier­tü­ten, das Lauch­ge­mü­se, das dort her­aus­rag­te, und klei­ne Geschen­ke, die sie uns Kin­dern mit­brach­te, – Match­box­au­tos, Füll­fe­der­hal­ter, Mal­bü­cher -, und ihre Schen­kel, auf denen ich turn­te, der nas­se, bit­te­re Kuss, der nie­mals abge­wen­det wer­den konn­te. Eine Bril­le, nicht wahr, saß locker auf ihrer Nase, ein Gestell von Holz, dar­in run­de Glä­ser, die ich gern mit mei­nen Fin­gern berühr­te. Irgend­wann ein­mal erzähl­te mir jemand, die Wal­ly sei 1919, als Räte ihre Hei­mat­stadt ver­tei­dig­ten, im Kugel­ha­gel über die Mün­che­ner Gol­lier­stra­ße gerobbt. Des­halb die Pis­to­le in ihrer Tasche, des­halb das Feu­er in ihren Augen. So alt ist sie jetzt gewor­den, die Wal­ly, dass sie auf­ge­hört hat zu leben.

walli

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am viktoriasee

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lima : 5.18 — Am Vic­to­ria­see Men­schen, jun­ge Men­schen und alte Men­schen, wie sie sich durch modern­de Abfäl­le einer Fisch­fa­brik wüh­len. Gel­be Augen. Salz­wun­de Hän­de. Ver­ei­ter­te Füße. Bauch­bal­lo­ne. stop. Beob­ach­te­te zum fünf­ten Male den Doku­men­tar­film Dar­wins Alb­traum war­um? Kurz dar­auf notier­te ich: Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. Und ich dach­te noch, das geht heu­te nicht, solch ein Satz doch nicht nach jenem Film in die­ser Nacht. Lan­ge Zeit schon ist von afri­ka­ni­schen Eis­fi­schen zu erzäh­len, von Luft­rei­sen­den in rus­si­schen Waren­trans­port­flug­zeu­gen gegen den Nor­den zu, von all dem Elend erzäh­len, das sie bewir­ken, vom Hun­ger, von dem ich mit eige­nen Ohren hör­te, von Nil­barsch­fi­lets, vom rasen-höl­zer­nen Fleisch auf kost­ba­ren Tel­lern euro­päi­scher Sand­ma­nu­fak­tu­ren. stop. Wie erzäh­len? stop. Wem erzäh­len? stop. Bald wie­der Däm­me­rung. stop. Licht fällt in klei­nen Pake­ten vom Him­mel. — stop

ping

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nachtzeppelin

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echo : 2.18 — Ein Zep­pel­in­kä­fer, selt­sa­mes Wesen, schweb­te kurz nach 1 Uhr heu­te Nacht eine schnur­ge­ra­de, eine unsicht­ba­re Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. — Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. — Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit acht recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. – Guten Mor­gen! Heu­te ist Sams­tag. Leich­ter Regen viel­leicht. — stop

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schlafen in turku

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echo : 8.28 — Ist Ihnen viel­leicht bekannt, dass Wale, Pott­wa­le genau­er, wenn sie schla­fen, Kopf nach oben im Was­ser schwe­ben? Lang­sam sin­ken­de Tür­me, lei­se sin­gend, lei­se knat­ternd, fried­vol­le Ver­samm­lun­gen, die mit dem Golf­strom trei­ben. Wenn Sie ein­mal wach lie­gen soll­ten, wenn Sie nicht schla­fen kön­nen, weil Sor­gen Sie bedrän­gen oder ande­re schmerz­vol­le Gedan­ken, wird es hilf­reich sein, eine Tauch­fahrt zu unter­neh­men im Kopf durchs Bild der träu­men­den Wale. Oder Sie rei­sen an die Ost­see, neh­men die nächs­te Fäh­re nach Tur­ku. Sie wer­den dann schon sehen. Bal­lo­ne, zum Bei­spiel, Bal­lo­ne wer­den Sie sehen am Hori­zont, Bal­lo­ne am dämm­ri­gen Him­mel, dort müs­sen Sie hin. Alles ist gut zu Fuß zu errei­chen, eine Stun­de oder zwei, nicht län­ger, je nach Gepäck. Man wird Sie schon erwar­ten, man wird Sie freund­lich begrü­ßen, man wird Sie fra­gen, wie lan­ge Zeit Sie zu schla­fen wün­schen, wel­cher Art die Din­ge sind, die Sie zu ver­ges­sen haben, die Sie beschwe­ren. Man wird Ihren Blick zum Him­mel len­ken und Sie wer­den erken­nen, dass unter den Bal­lo­nen Men­schen schwe­ben, auf­recht und reg­los, in Dau­nen­män­tel gehüllt, von einem leich­ten Wind hin und her geschau­kelt, hun­der­te, ja tau­sen­de Men­schen. — - Stil­le herrscht. — - Nur das Fau­chen der Feu­er­ma­schi­nen von Zeit zu Zeit. – Guten Mor­gen! Heu­te ist Diens­tag oder Mitt­woch oder Sams­tag. Auf nach Turku!

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mund ohne zunge

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marim­ba : 5.15 — Schon immer bin ich ein Träu­mer gewe­sen, saß auf Bäu­men, kam zu spät zur Schu­le oder zum Mit­tag­essen, Fuß­ball­spie­le ende­ten ohne mich, Züge fuh­ren in die fal­sche Rich­tung mit mir davon. Ein­mal küss­te ich ein Mäd­chen so lan­ge ich konn­te, das heißt, sie küss­te mich so lan­ge sie woll­te, weil die Zeit, von der ich erzäh­le, eine Zeit gewe­sen war, in der die Mäd­chen sich die Jun­gen zum Küs­sen hol­ten, weil die Jun­gen noch mit Eisen­bah­nen oder ande­ren Jun­gen spiel­ten. Wäh­rend sie ihren sehr küh­len Mund auf mei­nen sehr klei­nen Mund press­te, sah sie auf die Uhr und manch­mal lach­ten wir, ohne die Lip­pen von­ein­an­der zu lösen, weil die Win­de aus unse­ren Nasen sich über unse­ren Wan­gen kreuz­ten. Bald sag­te sie, eine Minu­te, und dann sag­te sie, zwei Minu­ten, und so eil­ten wir von Rekord zu Rekord, zit­tern­de Wesen ohne Zun­gen. Schon damals trug ich eine inne­re Uhr mit mir her­um. Ich hat­te eine genaue Vor­stel­lung, wo die­se Uhr zu fin­den sein muss­te. Nicht im Kopf, nicht in der Nähe mei­ner Ohren, dort wäre ihr Zähl­werk zu hören gewe­sen. Und ich wuss­te, dass man sich auf inne­re Uhren, auf Kör­per­uh­ren, nicht ver­las­sen konn­te, nicht wenn man gera­de noch von einem Mund geküsst wor­den war.

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eisballon

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0.18 – Ers­te Vor­stel­lung eines Polar­kä­fers notiert. Die­ser Käfer ist so hell, dass nur sehr fei­nes Schat­ten­licht auf sei­nem Pan­zer Struk­tu­ren eines Kör­pers sicht­bar wer­den lässt. Ich könn­te viel­leicht sagen, das heißt, ich könn­te behaup­ten, dass der Käfer hel­ler ist als der Schnee und käl­ter als das Eis. Er ver­trägt kei­ne Dun­kel­heit, auch Däm­me­rung ist Dun­kel­heit, und ernährt sich vom Fleisch win­zi­ger Kreb­se, die in Eis­bal­lo­nen vom Wind durch die Luft getra­gen wer­den. Stun­de um Stun­de, je eine Bewe­gung, schlägt sein Herz. — stop

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